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faz 28. Juli 2025, 15.24 Uhr Als Reporter hört man manchmal Geschichten, von denen man erwartet hätte, dass sie anders erzählt würden. Geschichten, die so unglaublich sind, dass man kaum von ihnen ablassen kann. So ergeht es dem namenlosen Historiker, der den 121 Jahre alten Veteranen der Indianerkriege Jack Crabb in einem trostlosen Seniorenheim interviewen möchte. Der von Falten zerfurchte Methusalem stellt sich als einziger weißer Überlebender der Schlacht am Little Big Horn vor. Er sei nicht an „aufgeblasenen Geschichten“ über General Custer oder „persönlichen Abenteuer“ interessiert, wirft sein Gesprächspartner ein. Den Feldzug Custers nennt er einen „Völkermord“ – doch von einem „alten Kämpfer“ erwarte er keine Zustimmung. Da platzt Crabb der Kragen. „Stell das Ding da an“, ruft der erzürnte Greis und streckt den Zeigefinger Richtung Tonbandrekorder. Das ist die Rahmenhandlung, in der Jack Crabb seine abenteuerliche Lebensbeichte im Antiwestern Little „Big Man“ von 1970 ausbreitet. Als Crabb zehn Jahre alt ist, wird seine Familie auf dem Trail von einer „wilden Indianerhorde“ ermordet. Zusammengekauert in einem zerfledderten Planwagen findet ihn ein Krieger der Cheyenne. Fortan wächst der Junge bei den „Menschenwesen“ auf, wie sich die Prärienomaden selbst nennen. Einige Jahre später, Crabb trägt nun den Kriegernamen „Little Big Man“, nehmen ihn Soldaten gefangen und übergeben ihn dem bigotten Pastor Pendrake und seiner gleichermaßen frommen wie verführerischen Frau (Faye Dunaway), die den bei „Wilden“ Aufgewachsenen zu einem zivilisationsgetreuen Christen erziehen sollen. Von da an beginnt Crabbs Odyssee zwischen den Fronten der Indigenen und Weißen, in der sich der Antiheld als Limonade trinkender Revolverheld, Quacksalber, Unternehmer, Ehemann mehrerer Frauen und Kundschafter in Custers siebtem Kavallerieregiment versucht. So wird Crabb Zeitzeuge mehrerer historisch belegter Gräueltaten der US-Armee an den Stämmen der Prärie – und schließlich von Custers vernichtender Niederlage am Little Big Horn im Jahr 1876. An der will Crabb nicht unbeteiligt gewesen sein, entwickelt sich der als eitler Scharlatan dargestellte Custer doch zu seinem Erzfeind. Arthur Penns „Little Big Man“ erschien zu einer Zeit, als der Vietnamkrieg das Selbstveständnis der Amerikaner als moralisch überhöhte Supermacht zu zerbrechen drohte. Zeitgenössische Rezensenten lasen den Film daher vor allem als Allegorie auf Vietnam und die radikale Zerstörung des Cowboy-Films. Doch Regisseur Penn entwirft seinen Antiwestern als Pikareske, die weit über die Entmythisierung kolonialer Heldenerzählungen oder die Parodie des Genres hinausgeht. Angelegt im Stil eines Schelmenromans stolpert der Tausendsassa Jack Crabb mit viel Witz und Ironie durch die Wirren seiner Epoche – ganz wie Stanley Kubricks Barry Lyndon oder Grimmelshausens Simplicissimus. Jener feine, schelmenhafte Humor und die von Penn stimmig aufgelösten Konflikte und Handlungsstränge, von denen sich in Crabbs Leben einige aufbauen, entfalten trotz mancher Längen auch heute noch ihre Wirkung. Penn hätte dafür keinen besseren Hauptdarsteller finden können als den damals 33 Jahre alten Dustin Hoffman. Der hatte sich in „Asphalt-Cowboy“ (1969) als Charakterdarsteller bewiesen und zwei Jahre zuvor in „Die Reifeprüfung“ sein komödiantisches Talent bewiesen. Hier nun wandelt Hoffman als Jack Crabb gleichermaßen anrührend wie kurzweilig zwischen Komik und Tragik. Ebenso wie Chief Dan George in der Rolle des Adoptivgroßvaters Old Lodge Skins. Für seine lebenskluge Darstellung des Cheyenne-Häuptlings („Heute ist ein guter Tag zum Sterben“) erhielt er als erster Indigener nach Jocelyne LaGarde eine Oscar-Nominierung. „Little Big Man“ ist, ähnlich wie der im gleichen Jahr erschienene „Ein Mann, den sie Pferd nannten“, einer der ersten amerikanischen Filme, der versuchte, ein Indigenenbild abseits der Stereotype des edlen Wilden oder als Stichwortgeber für die weißen Revolverhelden zu zeichnen. Was damals unaufgeregt zur Kenntnis genommen wurde, ist im Rückblick eine Pionierleistung. Spiegelt Penn den Amerikanern doch ihre Kleingeistigkeit, indem er eine Kultur zeigt, die neben der maskulinen Kriegerkaste auch sexuelle Minderheiten und Beziehungsmodelle abseits protestantischen Spießermiefs toleriert. Jannis Holl
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