
achgutcom
09.
August 2025, 12.00 Uhr
In diesem Jahr wurden bereits 239 Todesurteile in Saudi-Arabien
vollstreckt. Erst vor wenigen Tagen gab es weitere 17 Hinrichtungen
- ein neuer Negativrekord.
Die Anzeige erschien 2015. Eine Stellenanzeige auf dem Jobportal
der saudi-arabischen Regierung
kam
nüchtern daher. Das Sozialministerium suchte neue Mitarbeiter,
besondere Qualifikationen oder Berufserfahrung waren nicht
gefordert. Das künftige Gehalt wurde nicht genannt. Erst auf den
zweiten Blick offenbarte sich, worum es ging: Gesucht wurden
Männer, die „die Todesstrafe vollstrecken, auch die Strafe für
Diebstahl“. Die Bewerber sollen also verurteilte Straftäter
je nach Urteil entweder enthaupten oder ihnen
Gliedmaßen
amputieren. Die ausgeschriebenen Henkers-Stellenwaren
rasch besetzt. Es fanden sich genügend Bewerber. Seither konnten,
wie von der Scharia-Behörde gefordert, die Urteile wieder
vollstreckt werden. Die Henker verrichteten ihr grausames Handwerk.
Jahr für Jahr. Immer häufiger. 2024 wurden in Saudi-Arabien 345
Menschen hingerichtet - fast jeden Tag einer. Eine Bilanz des
Grauens.
Nach einer Zählung der Menschenrechtsorganisation Human
Rights Watch wird
die Zahl der Hinrichtungen im Jahr 2025 deutlich überschritten.
Seit Jahresbeginn wurden bereits 239 Menschen hingerichtet,
darunter 161 wegen Drogendelikten sowie 136 ausländische
Staatsbürger. Erst vor wenigen Tagen hat die saudi-arabische
Scharia-Justiz binnen weniger Stunden weitere 17 Todesurteile
vollstreckt – ein neuer Negativrekord.
„Diese
Zahlen sind historisch und beispiellos. Sie widersprechen den
Versprechen von Kronprinz Mohammed bin Salman. Er hatte
angekündigt, die Hinrichtungen auf Mordfälle zu beschränken. Doch
die Zahlen entlarven diese Versprechen als falsch“ kritisiert Julia
Duchrow, Generalsekretärin der deutschen Sektion von Amnesty
International. Für sind solcherlei Aussagen nichts als
Augenwischerei: „Das Image, das sich Saudi-Arabien gibt, entspricht
nicht der Realität.“
Tatsache ist: Noch nie wurde eine so hohe Zahl an vollstreckten
Todesurteilen in Saudi-Arabien dokumentiert. Die Todesstrafe droht
unter anderem für Mord, Drogenhandel und Waffenschmuggel die
Todesstrafe. Es werden Geständnisse genutzt, die durch Folter
erpresst wurden. Es sind ‚incommunicado-Inhaftierungen‘ (also nicht
registrierte und kommunizierte Verhaftungen), in U-Haft kein Zugang
zur Familie, kein Zugang zum Anwalt. „Es sind oft Entscheidungen
und Urteile, die auf grob unfairen Vorgaben getroffen wurden”, sagt
Taha al-Haji. Der saudische Menschenrechtsanwalt lebt in Berlin und
kritisiert seit Jahren die Hinrichtungspraxis in seinem Heimatland.
Die Angeklagten, sagt er, sind der Willkür der streng konservativen
Scharia-Richter weitgehend hilflos ausgeliefert: „Es sind zum Teil
politische Anklagen - wegen der Teilnahme an Demonstrationen,
Hochverrats und der Aufwiegelung der öffentlichen Meinung. Darüber
hinaus wurden Todesurteile gegen Personen aufgrund ihrer
politischen Ansichten oder Kommentare in sozialen Medien verhängt”,
kritisiert der Anwalt.
Obwohl Saudi-Arabien im Rahmen seines
"Vision 2030"-Reformprogramms
gesellschaftliche und soziale Veränderungen anstrebt, die sich
positiv beispielsweise auf Frauenrechte auswirken sollen, gibt es
keinen freien politischen Diskurs, Medien stehen unter rigider
staatlicher Kontrolle. Die Schara, das islamische Recht, ist die
Grundlage der Rechtsordnung, und Menschenrechte werden unter
Vorbehalt ihrer Vereinbarkeit mit der Scharia gewährt. Für
Meinungsfreiheit, oppositionelle Gedanken ist hier kein Raum. Die
Königs-Oligarchie akzeptiert keinen Widerspruch, verfolgt jede
Opposition.
Trotz der schlechten Menschenrechtsbilanz ist Saudi-Arabien
weltweit alles andere als isoliert. Deutsche Unternehmen schätzen
saudische Geschäftsspartner. Mit ihnen macht die Wirtschaft gute
Geschäfte. Saudi-Arabien ist nach den Vereinigten Arabischen
Emiraten Deutschlands zweitwichtigster Handelspartner im arabischen
Raum, das Handelsvolumen wächst kontinuierlich. Geliefert werden
Maschinen, Fahrzeuge, chemische, elektrotechnische, feinmechanische
und optische Erzeugnisse. Man sitzt in Zukunft auf den weiteren
Ausbau der Wirtschaftskooperation. Die deutsche Wirtschaft ist
durch das German
Saudi Arabian Liaison Office (GESALO)
in Riad vertreten und mit der Gemischten Wirtschaftskommission
(GWK) besteht ein gemeinsames Forum, dem Regierungs- und
Wirtschaftsvertreter angehören. Kurzum: eine Win-Win-Situation.
Solide deutsche Produkte, solvente saudische Kunden.
Menschenrechtsdebatten sind hier störend. Das konstatiert auch
Julia Duchrow: „Die neue Bundesregierung muss trotzdem beim Thema
Saudi-Arabien auch Menschenrechtsverletzungen ansprechen. Und es
muss auf jeden Fall angesprochen werden, dass die Todesstrafe
geächtet gehört…”.
Dafür,
dass die Zahlen heruntergehen, gibt es bislang keine Anzeichen. In
Saudi-Arabien sind bislang nicht nur mehr Menschen hingerichtet
worden als ein Jahr zuvor, es sind auch mehr Menschen zum Tode
verurteilt worden. Düstere Aussichten.
Helmut Ortner
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