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Jeschua Kapitel 1 Ich hatte von Kindheit an diese fast allergische Abneigung gegen religiöse Feiertage, und außerdem hatte Rahel Fieber. Die Kneipe war nur der dritte Grund. Um den "Ölberg" herum war die Stadt nicht hügeliger als irgendwo sonst, und im ganzen Viertel gab es nicht nur keinen einzigen Olivenbaum. Das Gras zwischen den Platten des Fahrwegs und die Algen der Quergassen, in die die Waschschüsseln und die Nachttöpfe ausgekippt wurden, waren das einzige Grün weit und breit. Nicht einmal als Dreier-Streife wagten die Polizisten, diese Farbe ihrer Uniformen dort zu zeigen. Staubgelb und wüstenöde war es um den "Ölberg", und rätselhafter als der Name der Kneipe war nur noch, woher sie ihren Ruf hatte. Der schäbige Katen galt so sehr als die Szene-Kneipe der Stadt, daß die besten Reisebüros des Landes die Stadt-Rund- fahrten auf dem eigens dafür erweiterten Hof enden ließen. Kein Tourist, der etwas auf sich hielt, wollte auf den Besuch des Künstler- und Chaoten-Treffs verzichten, und umgekehrt schwor jeder einheimische Dichter, Musiker und Steinewerfer, noch nie dort gehockt zu haben. Entsprechend verlegen war das Gesicht von Judas. "Natürlich wäre dein Dachgarten besser", sagte Judas. "Ruhiger, sicherer... Aber Thomas, der Idiot, hat ja nicht nur den Tisch bestellt." Thomas zuckte die Schultern. "Der Wirt, ein netter Typ... Der wollte eben eine Anzahlung auf die Getränke." "Tja, dann", sagte Maria schnell und streckte den Kumpels die Hand entgegen. Sie konnte das Geknutsche von Judas und Thomas nicht ausstehen, und während sie im Korridor verschwand, pumpte sie sich für ihre übliche Rede auf. "Nie werde ich das verstehen, daß du mit so einem Gesocks rumziehst", flüsterte Maria. "Pleite gegangene Fischer, ein desertierter Zöllner... Du könntest längst Zweiter Priester am Tempel sein!" "Und zusammengeschmissen habe ich mich mit einer ausgemusterten Hure", erinnerte ich sie. "Sonst wäre ich längst Zweiter Priester am Tempel... Wenn nicht sogar der Erste..." Maria knurrte, nahm Mose aus der Wiege und legte ihn auf die auf dem Küchentisch ausgerollten Pergamente. Er hatte wieder die Windeln voll, und das war uns allemal wichtiger als unsere Vergangenheit und Zukunft. Wir hatten beide recht, und selbst war ich in der Stimmung, jedem einzelnen Römer ganz andere Dinge abzureißen, aber Mose war die Zukunft. Wir hatten den Namen bewußt gewählt, wie wir uns bewußt hingelegt hatten, um ihn zu zeugen. Ein Mädchen galt in Jerusalem nicht als Nachkomme, egal, ob mir die Wache an ihrem Bett wichtiger war als der Umtrunk mit den Kumpels. "Machst du den Kack raus", fragte Maria. "Das Lamm muß aus der Marinade, nämlich, und solange kann die Menschheit nun wirklich noch auf die Erlösung warten." Ich stöhnte. Keine anständige Frau hätte gewagt, so mit ihrem Mann zu reden, aber die anständigen Frauen des Landes waren auch unendlich langweiliger. Sie ließen sich nicht für gute Worte oder eben Geld mit Männern ein, und sie waren absolut buchstabengläubig, obwohl sie gar nicht lesen konnten. Weil in den Büchern Gott für die Nachkommen zuständig war und Schwangerschaften durch Engel ansagen ließ, fühlten sich die anständigen Frauen bemüßigt, im Fall der Fälle diesen Schwachsinn nachzuplappern. Ich wußte das auch, weil ich der Sohn einer solchen anständigen Frau war. "Kann sie nicht", nörgelte ich also und zog Mose doch das Höschen aus. "Papa", bettelte nebenan Rahel. "Papa, ich möchte trinken!" "Verrückt sind wir", sagte ich in Richtung des Herdes. "Verrückt, in dieser Buchte und in dieser Zeit ein Kind nach dem anderen zu machen...." "So ist das nun mal", sagte Maria. "Auf einer Hauptstraße wächst kein Gras, wie es heißt... Aber eben nur solange, wie sie die Hauptstraße ist..." "Er duftet", sagte ich. "Er duftet nach dir!" Ganz vorschriftsmäßig war der Berg Mose bernsteingelb und roch nach Marias Milch, die mich genauso um den Verstand brachte wie der Blutgeruch unserer ersten Begegnung. Daß eine Hure im Grunde eine professionelle Ehebrecherin war, wußten natürlich auch die Machos von Galiläa. Dafür pflegten sie ja zu bezahlen, und so lag es wohl einfach daran, daß Maria aus Magdala war. Jede Gegend hatte eine, aus der bei Bedarf die Verursacher all ihres Übels kamen, und für Galiläa war diese Gegend eben Magdala, und das Übel war zufällig ein an den Geschlechtsorganen lebender, im Prinzip aber harmloser Pilz. So reichte der Scharfsinn der Meute gerade hin, um Maria zu verdächtigen, zu beschuldigen und zu verurteilen. Sie war schon zum letzten Mal bestiegen und bereits mit der langen Halskette an den Schandpfahl gebunden worden, als ich um die Ecke kam und mich in die Wurfbahn der Steine stellte. "Zisch ab", grölte es aus der Meute. "Du kommst zu spät, Zuhälter!" "Machen wir beide hin!" "Und warum", fragte ich unbeirrt. Die Kumpels drängten sich am Rande des Platzes. Sie winkten mir, zu verschwinden, aber sie brachten weder den Mut auf, mich aus der Wurfbahn zu zerren, noch, sich neben mich zu stellen. Vor allem aber hatten sie noch weniger verstanden, als sie es heute verstehen, daß das wirksamste aller Worte kein Gebet, keine Ermahnung und keine Verwünschung, sondern das "Warum" war. "Warum wollt ihr die Kirsche abmurksen", fragte ich deutlicher. "Warum?" "Sie hat uns angesteckt", rief eine fiepsige, aufgeregte Stimme. "Wohl nicht gegen deinen Willen", verpaßte ich ihm, noch nur schlagfertig statt nach einem Plan. Es wurde mein erster Punkt. Die Steine prasselten nicht in den Sand, aber ein erstes Lachen rasselte in der Meute. "Also: warum?" "Sie ist aus Magdala", meldeten sich andere. "Hau einfach ab!" "Sie ist eine Hure! Darum!" "Ist sie erst heute herübergekommen", ratterte ich herunter. "Und befriedigt ihr in Galiläa alle Huren mit Steinen? Und ich gehe sofort, wenn ich meine Antwort habe!" "Nimm das als Antwort!" Ein Besoffener warf seinen Stein, und bis ans Ende meiner Tage werde ich mir nicht verzeihen, daß ich mich rein instinktiv duckte. Nur deshalb traf der Stein die nackte Hure. Ihre Stirn platzte auf, und als sie gegen den Schandpfahl taumelte, riß ihr ein Nagel die Gesichshaut von der rechten Schläfe bis zum Unterkiefer auf. Die Hure heulte vor Schmerz, die Meute heulte vor Begeisterung auf, und endlich hatte sich Petrus ermannt, zu mir zu rennen. Wie ein verzweifelter, zu kleiner Wachhund zerrte er an meiner Hose, aber zu meinem Starrsinn gesellte sich nun der eigenartige Blutrausch. Ich wollte nicht mehr nur ein Verbrechen verhindern, daß am nächsten Tag als eine Art Unfall in den Zeitungen stehen würde, sondern ich wollte diese eine Frau, fast noch ein Mädchen, retten. "Die Antwort ging ja wohl daneben", sagte ich. "Warum, ihr Tiere? Warum?" "So steht es geschrieben", sagte ein älterer Mann, vielleicht der einzige Über-zeugungstäter des ganzen Haufens. "Sie lebt ja schließlich vom Angebot des Ehebruchs, und es steht geschrieben, daß die Sorte Sünderinnen gesteinigt werden darf. Werden muß..." Ich bilde mir nicht zuviel auf meine Antwort ein. Daß die Prozedur für ein radikales Aufkochen der Volkswut schon zu lange dauerte, wird ebenso eine Rolle gespielt haben, wie der Versuch, die kleine, feine Jagd theologisch zu begründen. Mein Satz war also nur der Punkt auf das I im "Nein". "Das war klar", sagte ich, und bückte mich nach zwei Steinen, um wenigstens zurückschmeißen zu können. "Wer also noch nie gesündigt hat, soll vortreten und anfangen!" Sie waren trotz ihres Alkoholmißbrauchs und ihres gemeinen Vorsatzes keine üblen Kerle, die Galiläer. So offensichtlich zu lügen, wagte sich keiner, und ihre Stadtverordneten waren vermutlich alle in einer Dringlichkeitsversammlung gegen den Fremdenhaß. Die Steine regneten zwischen den Männern ab, einige sogar auf ihre Füße, und murrend, aber auch schon kichernd zerstreute sich die Menge. Ich atmete tief durch und drehte mich um, um die Kette der Geretteten aufzuhaken. "Prima, ganz prima", schimpfte sie. "Wie ich mit den Narben, die das gibt, auch nur einen Silberling verdienen soll, kannst du mir das verraten, du Feigling?" Maria glaubt mir bis heute nicht, daß es dieser Satz war, und auch die Kumpels gestehen mir allenfalls übergroßes Mitleid zu. Petrus ist sogar felsenfest der Meinung, daß ich nur so verrückt gespielt habe, weil Maria ein wenig dunkler und dickbrüstiger als die anderen Frauen unseres Landes ist. Tatsächlich aber verliebte ich mich in diesen Satz. Nicht, daß ich ein Dankgedicht erwartet hätte, aber mit einer Beschimpfung hatte ich keinesfalls gerechnet, und für einen Augenblick war ich ja wirklich feige gewesen. Möglich auch, daß etwas von all dem mitspielte. "Nein", sagte ich also. "Aber so toll ist dieser Job doch nun wirklich nicht! Scheiß einfach drauf!" "Das sagt mir jeder zweite Freier", wütete die Hure weiter. "Aber immer erst nach dem Abspritzen..." Ihre Finger tasteten nach den Wunden. "Und du bezahlst bis ans Ende meiner Tage meine Brötchen, wie? Du Klugscheißer!" Ich fing ihre Hand, bevor sie die Platzwunden auch noch infizieren konnte, und das machte die Situation endgültig verfänglich. "Wenn du solange bleiben willst", sagte ich und seufzte. "Wenn du solange bleibst und nicht auch noch Schinken drauf verlangst..." In diesem Augenblick unserer Verlobung war Marias Gesicht alles andere als schön. Die rechte Hälfte ihrer Mähne schaukelte blutverklebt wie ein Schlangenbündel, das Blut aus der Stirnwunde hatte ihre Lidstriche verwaschen und tropfte von ihren zitternden Nasenflügeln und von ihrem Kinn, und offener als die Wunden klaffte ihr Mund. Langsam schüttelte sie den Kopf. "Du bist verrückter als alle hier meinen", flüsterte sie. "Aber ich müßte noch verrückter sein, um jetzt nein zu sagen. Nicht?" Und sie lächelte unsicher.
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Jeschua
Kapitel 1 Isa |