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Kapitel 6So schwankte ich immer wieder zwischen meiner kindlichen Auffassung, daß es keine bösen, sondern nur irregeleitete und aus Dummheit egoistische Leute gibt, und der Erfahrung, daß gegen diese Leute nur Faust und Schwert helfen. Judas sah das fast ebenso beharrlich als meine Schwäche an, doch scheint mir, gerade das machte uns erfolgreicher als die Zelotische Armee Fraktion und holte selbst ihn von dort zu uns herüber. Mit nichts sonst, mit ein wenig Geduld, mit wirklichem Zuhören und vorurteilslosen Fragen, heilte ich auch meine ersten Besessenen. Daß sie in ihrem Elend nur Hohn und Schläge empfingen, machte ihre Wut auf tyrannische Väter und verlogene Priester toll, und daß ihnen Reichere oder Gesündere die brennenden Müllberge oder die geliebten Ratten nehmen wollten. Sie sahen fette Spinnen, wo diee Zuträger des Königs lauerten, und zogen Gewitterwolken auf, verlangten sie brüllend die allgemeine Reue. Wären sie zweihundert Jahre früher geboren oder in der Schule mehr in Lyrik gebildet worden, hätten meine Besessenen ihren gut abergläubigen Nachbarn Propheten bedeutet... Vor Angst und Atemnot, vor Hunger und Durst und Mißtrauen selbst am Rande des Wahnsinns, so stürzte ich auf meiner Flucht aus Nazareth in eine einzeln stehende Hütte eines winzigen Dorfes. Schnell aß und trank ich, was um den Herd stand, und erst dann bückte ich mich und gab der Frau des Hauses, was sie in Furcht vor mir fallengelassen hatte: eine babygroße Strohpuppe. Die Heftigkeit, mit der sie dieses Spielzeug zwischen ihre nackten Brüste drückte, beschämte mich für meine Wildheit, und um sie zu beruhigen erzählte ich besonders leise und besonders lustig irgendetwas. Ob ich mich für eine Viertelstunde gleich vor dem Herd hinlegen dürfte, fragte ich noch, und ihr Nicken genügte mir völlig. Tatsächlich schlief ich dann bis in die Nacht, und ich grunzte zufrieden, und wie an ein Kissen drückte ich mich an ihr Gesicht, als die Frau neben mich kroch. Am Morgen stellte sie mir Milch und einen Bohnentopf hin, und ich ging für die Frau zum Brunnen, nach Koch- und Waschwasser. Auch zwei Stühle zu reparieren, war für mich Tischlersohn ein selbstverständliches Danke, und ich sagte ihr das, und als ich mich aufrichtete, war ich ihr so nahe wie in der Nacht. Nun aber sah ich ihre reifen Brüste, roch ihren Frau-Geruch und spiegelte mich in ihren großen Pupillen... Kurz: unter meinem Mantel wurde ich ein spitzer Jüngling und in ihrem weichen Schoß zum Mann. "Bleibst du, bis Mutter kommt", fragte sie, die ich für stumm gehalten hatte, danach. "Sie wird sonst wieder jammern, daßich zu nichts nütze bin als zum Töpfe Leerfressen..." "Dann hocke ich Holz, um zu mehr nütze zu sein", sagte ich. Ich spaltete erst die Ration des vierten, fünften Tages, als in der Hütte eine andere Frau zu kreischen begann, und als ich in der Hüttentür erschien, file mir diese alte Frau zu Füßen. "Meister", jubelte die alte Frau, die Mutter. "Sie spricht, die seit der Scheidung stumm war! Die nur die Töpfe ausfraß, vierzehn Jahre, hat gekocht! Das Strohbalg, das drei Arzthelfer ihr nicht von den Titten reißen konnte, hat sie selbst in das Regal gesetzt! Heilig bist du, Jüngling, aller bösen Geister Überwinder!" Dazu küßte die alte Frau meine Füße und umklammerte meine Füße, bis ich ihr und wortlos dem Schoß ihrer Tochter versprach, die bescheidene Hütte eine weitere Nacht zu beehren. Erst dann sprang die alte Frau wie eine Froschbraut auf und rannte windhundflink ins Dorf. "Na, zugegeben", sagte meine erste Geliebte und lächelte verlegen. "Ich war wohl etwas sonderbar, seit Isaak weg ist, nach der Hochzeitsnacht. Mich eine ungeschickte Hure nannte, meinen Schoß verwünschte... Und darum wohl haben uns die Leute immer mehr gemieden, die vierzehn Jahre... Also, nimm meiner Mutter die Freude nicht krumm!" Von Mal zu Mal fiel es mir leichter, die vermeinten bösen Geister auszutreiben, denn jede Heils-Geschichte wurde breit getagen und vor dem Weitersagen weiter ausgeschmückt. Es war mir reichlich peinlich, daß gerade die Verrückten meinen Namen kannten, den ich in die Liste der Schriftgelehrten groß hatte einschreiben wollen, und immer wieder wandte ich mich an die Geheilten und ihre Nachbarn und die Reisenden. "Das ist kein Wunder", predigte ich allen, "sondern ihr behängt mich überschwer mit eurer Hoffnung, daß ihr eure Kanken wieder lieben könntet, wieder aufnehmen könnt als Euresgleichen. Nichts anderes tue ich nämlich, und deshalb könnte jeder von euch dasselbe tun! Statt eure Narren auszulachen, weint mit ihnen! Statt sie still oder zur Vernunft prügeln zu wollen, haut euch für eure Grobheit hinter die Ohren! Und bindet sie nicht in Zwangsjacken, sondern reißt euch aus den Fesseln der guten alten Sitten! Der böse Geit im Einzelnen ist nur ein Säugling aus dem Bösen Geist, der im System steckt!" Trotzdem blieb ich für die Leute und die Presse, die auf eine gute Tat nicht weniger gierte als nach den täglichen Gewalttaten, ein Wunderheiler. KEine Krankheit solte es nach den Berichten geben, die ich nicht mit einem Satz und höchstens Handauflegen ausgetrieben hätte, und langsam wurde das auch in den besser bemittelten Kreisen Mode: besessen zu sein, um von mir geheilt zu werden. Zu unser aller Glück aber ließ mich in dieser Zeit meines ersten Ruhms ein Schweinezüchter nach Gergesa kommen, und dessen Herde hatte die Tollwut. Ich hörte und roch das, sobald ich das weitläufige Gelände betrat. Die Tiere waren übereinander hergefallen und zerfleischten sich noch, und inmitten der Todes- und Wutlaute bot mir der Züchter eine für meine Verhältnisse unmäßige Summe, wenn ich diesen bösen Geist aus der Herde triebe. Weil das Gatter dicht am Steilhang zum See gebaut war, konnte ich zusagen, und ich machte ein paar Zaunbretter lose und trieb die Schweine schreiend an, sich gnödig die Hälse zu brechen. Ich hatte dabei eine Scheißangst, gebissen zu werden, und zu allem Überdruß wollte der Züchter danach nicht einmal meine Reisekosten bezahlen. "Die bösen, nicht die Lebensgeister solltest du ihnen austreiben", keifte der Mann. "Du bist ein Scharlatan! Oder ein Handlanger meiner Mitbewerber!" "Nebukadnezar", flüsterte seine Frau, denn das war der Name des Schweinezüchters. "Wenn er die Macht hat, böse Geister auszutreiben, kann er sie bestimmt auch über die bisher verschonten Ferkel rufen!" Nur darum blechte der Mann doch noch wie vereinbart, und wer den Verlauf der Tollwut kennt, weiß sehr gut, daß ich richtig gehandelt hatte. Falsch war die Kur aber auch deshalb nicht gewesen: unter den Wohlahbenden galt ich seitdem als ein zu teurer Arzt, und im Zweifelsfall dünkte sie seitdem klüger, sowohl besessen als auch reich zu bleiben.
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Jeschua
Kapitel 1 Isa |