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Kapitel 2Es war diese Geschichte, die mich bekannt machte. Nicht, daß ich auf Bekanntheit aus war und aus bin, aber irgendwie wurmte es mich doch. Ich war fast dreißig, hatte gut drei Dutzend brauchbare Gedichte und zwei nicht ganz dumme Kommentare zu den Heiligen Schriften verfaßt. Seit Jahren schon zog ich durch die Landschaft, um den Landsleuten ins Gewissen zu reden und ihnen beizubringen, weniger oft zu beten und sich dafür vor dem Essen gründlicher die Hände zu waschen, und nun das. Schneller als mein Rezept für die Heilung Todkranker, den Kurpfuscher aus- und die Fenster aufzusperren und die Honorar-Hühnchen für ein Kranken-Süppchen zu verwenden, sprach sich die Geschichte mit Maria herum. Sicher: sie öffnete uns die Türen überfüllter Gasthäuser schneller als mein übliches Gezeter. Sogar das Gerücht, wir seien nur ein Haufen vagabundierender warmer Brüder, erstickte an ihr, und insbesondere Petrus war begeistert. Für ihn kündigte sich endlich der Aufstieg an, um dessenwillen er die bankrotte Fischereigenossenschaft seines Vaters verlassen hatte. Trotzdem war ich irgendwie gekränkt, und außerdem nervte mich Maria in der ersten Zeit doch ganz schön. Nur um den Absprung vom Hurenbett zu schaffen, hatte sie die meinen Spruch vom Schinken auf den Brötchen hingenommen. Kaum aber war sie bei mir und aus Galiläa davon, fing sie mit dem üblichen Blödsinn aller Kuh- und Schafhirten an. Ob wir nicht wüßten, daß Mose von Gott selbst gehört hätte, daß wir kein Schweinefleisch essen dürften... "Aus derselben Quelle sollte er ja auch haben, daß man Huren steinigen darf", knurrte ich, aber diese Erinnerung hielt nur ein Abendbrot lang vor. "Ich will dich doch nicht verlieren", fing Maria schon beim nächsten Frühstück wieder damit an. "Gleich wieder und deshab... Und wenn er auch das eine oder andere vielleicht falsch verstanden hat... Woran soviele Leute glauben, kannst du doch nicht einfach für Mumpitz erklären!" Die Kumpels grinsten schadenfroh. Noch hatten sie die Gefahr, in die ich uns wegen ihr gebracht hatte, nicht gegen die offenbaren Vorteile aus der Geschichte aufgewogen. "Herrgott nochmal", stöhnte ich. "Ich halte mich nicht für einen Gotteslästerer, nur weil ich mir nicht vorstellen kann, daß sich Gott besonders für Schwei- neärsche interessiert. Mose wird sich einfach an Schweinefleisch den Magen verdorben haben! Oder nicht er hat Gott falsch verstanden, sondern die Leute Mose..." "Ich bin ja nur eine Hure", setzte Maria noch einmal an. "Eben", sagte ich. "Nein, nein, entschuldige! Nicht einmal mit den Priestern bekommt man das ausdiskutiert... Machen wir es doch so: du kostet mal davon, zu Lasten meiner Seele, und dann reden wir weiter! Einverstanden?" Maria kratzte sich vorsichtig und lange über dem Stirnverband, bevor sie nickte, aber kaum hatte sie das erste Fetzchen Fleisch auf der Zunge, verflog ihr schlechtes Gewissen. "Vielleicht wollte Mose einfach nicht teilen", überlegte sie laut und lachte. Es war diese ihre Art, die die Kumpels schon damals nicht ausstehen konnten. Ihnen fiel unendlich seltener ein, mir zu widersprechen, und hatten sie einmal einen Satz angenommen, der verquer zur öffentlichen Meinung stand, liefen sie tagelang mit ernsten und bemüht würdigen Gesichtern herum. "Gehen wir also nach Magdala", fragte Judas, der sein Schinkenbrötchen mit einem Gesicht kaute, als pauke er immer noch meine Rede bei diesem Jerusalemer Ostermarsch. "Da wird es doch jemanden geben, bei dem sie unterkommen kann." "Nicht, daß wir was gegen Frauen haben", stimmte ihm Thomas zu. "Im allgemeinen... Aber elf Böcke und nur eine Zippe, was soll da rauskommen, sozusagen? Und verletzt bist du auch, nicht?" "Bist du eifersüchtig, Schwester", fragte Maria zurück. "Der Meister entscheidet", meldete sich Petrus. "Und ich finde es sehr verantwortungsvoll, daß er sich den Entschluß nicht leicht macht." "Welchen Entschluß", erkundigte ich mich. "Wir wollten nach Nazareth, und ich wüßte nicht, was sich daran geändert haben soll. Klar, wenn die Kirsche sich nicht fühlt..." "Kirsche? Kirsche oder Pflaume... Vielleicht redet ihr mich mal wie 'n Menschen an, ja? Und fragt mich nach meiner Meinung!" "Du kennst ihn nicht", sagte Jakobus nachsichtig. "Und selber redet er nicht davon... Aber es gibt viele, die ihn für den Sohn Gottes halten! Ja, ihn!" "Tischler war unser Vater", sagte ich schnell. Ich verschluckte mich an den Brötchen-Krümeln, aber am Ende hätten womöglich meine Kumpels Maria gesteinigt. Das Lachen, an dem sie würgte, wäre entsprechend aufreizend gewesen, und einer Frau mit ihrer Erfahrung kam man mit diesem Märchen ja auch nicht. "Keine Ahnung, warum das meiner Mutter und Jaecki nicht genug ist." "Und er ist berufen, der König der Juden zu werden", bockte Jakobus. "Quatsch!" Petrus schnaufte. "Wenn die Presse Wind davon kriegt, daß er Schinkenbrötchen ißt, brauchen sie nicht mal mehr aufwärmen, daß er meiner Mutter ausgerechnet am Sabath diese Pestbeule aufgestochen hat." "Einen gewöhnlichen Abszeß", berichtigte ich und beruhigte ich Maria. "Eine im Grunde harmlose Eiterbeule." "Und ich wäre nicht hier", sagte Judas, "würde ich nur die Hälfte von dem Scheiß glauben. Kein Gott, kein König: das ist die Parole! Trotzdem fände ich besser, du verziehst dich nach hause!" "Ihr wart noch nicht in Magdala, nicht?" Maria spulte die ganze Arie ab, die sie auch für die Freier gesungen hatte, und im Grunde war es das Volkslied dieser Jahre. Die römischen Manufakturen ruinierten das einheimische Handwerk, die Väter tranken und die Mütter versuchten die Familien mit Frömmeln zusammenzuhalten. Nur die Kinder störten noch mehr als die römischen Billigwaren, und es fiel nicht auf, wenn sie unter die Lustmörder fielen oder sich für ein paar Glas Limonade und die Billigmode den Arsch bezahlt aufreißen ließen. Darum konnte Maria ebensogut in Galiläa herumhuren wie nach Magdala zurückgehen oder mit uns herumziehen. "Keine Zukunft", sagte Maria und spuckte eine unzerkaubare Sehne aus. Und ich glaube, ich würde euch auch mögen, wenn euer Guru mich nicht verstümmelt hätte. Man muß ja an nichts glauben, aber 'n paar Leute kennen, die an was glauben, muß man schon." Jakobus schniefte. "Und wenn er der Sohn Gottes sein will, in Ordnung! Hauptsache, er will weder 'n Dreck sein noch 'n Existenzgründer werden." "Wir müssen vielleicht doch nicht nach Magdala", sagte Judas. "Ich meine: wenn sie uns irgendwann auf 'n Sack geht, können wir sie auch an jeden anderen Puff verkaufen, nicht?" "Jetzt 'ne Schwester haben", sagte Thomas eifrig. "Das ist fast so gut, wie 'ne reiche römische Oma haben!" "Oder 'n knackigen Arsch", knurrte ich. "Die Kir... Maria kommt mit nach Nazareth, wenn sie will, oder sie geht, wohin sie will." "Komme ich halt mit", entschied Maria. "Du schuldest mir ja noch was: mir das Leben zu retten, in so einer Zeit! Das kannst du gar nicht wieder gut machen, Kirschkern!" Als wir loszogen, blieb ich mit Judas und Petrus ein paar Dutzend Meter hinter den anderen zurück. Daß wir alle gleich waren, hatten wir ausgemacht, aber warum wir so durch das Land sockten, schnallten so richtig nur wir drei. "Ich bin 'n bißchen verknallt", sagte ich ehrlich. "Und was soll 's: sie ist jung, sah gut aus, vor dem Stein, und ist witzig." "Sogar die Revolution wird sie zum Lachen finden", nörgelte Judas. "Aber du hast recht: jeder hat das Recht auf seinen ungläubigen Thomas." "Sie kann ein Gewinn für die Öffentlichkeitsarbeit sein", sagte Petrus. "Immer wieder erlebe ich es, aber ich fasse es einfach nicht, Meister: dein Gespür für das Brauchbare, das Gute im Menschen!" "Wahrscheinlich ist es das: daß sie lebt, im Unterschied zu uns." "Ja, schon", sagte Judas. "Im Unterschied zu uns, aber auch nur durch uns!" "Durch den Meister", verschlimmbesserte Petrus. "'Wer unter euch ohne Sünde ist, werfe den ersten Stein!' Etwa so will ich das an die Presse geben. Einver- standen?" "Werbung interessiert mich etwa so wie das Wetter in Rom, das weißt du doch! Ja, und ich, ich weiß, teurer Genosse: schlechtes Wetter in Rom macht schlechte Nachrichten wahrscheinlicher..." Es war die Zeit, zu der früher die Dorfläden geöffnet hatten und zu der die Leute nun nach den römischen Großmärkten zu pilgern begannen. In einer Stunde stand die Sonne so hoch, daß jeder Schritt ein letztes Gefecht war, aber ich beeilte mich, wieder neben Maria zu kommen. "Na, Sohn Gottes", begrüßte sie mich zurück. "Schweinefresserin", antwortete ich ihr. Und ich faßte nach ihrer Hand, die erschrocken zuckte, bevor sich ihre Bordellkrallen in meinen Handballen gruben.
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Jeschua
Kapitel 1 Isa |