Einstein 

Es konnte wie bei den Dinosauriern ein Komet sein, und vielleicht explodierte ein Raketensilo bei Irkutsk oder diese riesige Magma-Kammer unter dem Yellow Stone National Park. Sicher wußte Bloch nur, daß die Welt an einem zweiten Mittwoch und noch vor 9.00 Uhr untergehen würde, und so weit war es wieder. Bloch saß geduscht und rasiert hinter dem Computer, sah jede Minute auf die Armbanduhr und zuckte zusammen, als das Telefon doch noch klingelte.

„Der LADEN, ja?“

„Du, Papa“, meldete sich Tania kläglich. „Dein Herr Sohn spielt schon wieder Weltkrieg!“

Bloch atmete auf. „Hm...“

„Ja, und er ist noch nicht mal die Sowjets!“

„Während du...“

„Also ich bin da nun wirklich offener“, begann Tania das Referat ihres zehnminütigen Entwicklungsvorsprungs und der größeren Vielfalt weiblicher Interessen.

Bloch brachte es nicht fertig, aufzulegen, obwohl er diese Ausführungen kannte und die Ladentür pünktlich quietschte. Mit festen Schritten kam Anke Kühne bis in das kleine Büro. Sie war etwas älter und etwas größer als Bloch, aber die Langwellen aus rotblonden Locken und die admiralsbreiten Aufschläge der marineblauen Kostümjacke tarnten recht gut, daß sie die einzige Stammkundin des örtlichen Fitness-Centers war. Sie grinste, als sie ihren Vormittags-Termin in der Klemme sah, und sie trat hinter den billigen Dreh-Stuhl und schob die kräftigen Finger in die rechte Brusttasche von Blochs Jeanshemd. Dort steckte das unvermeidliche Folienpäckchen, und sie holte es sehr sachlich heraus. Bloch bog den Kopf zurück, rieb den Hinterkopf am knisternden Blusenstoff über ihren Brustmuskeln und verliebte sich zuverlässig in seine Besucherin.

„Das macht mich verrückt“, flüsterte Anke in Blochs freies Ohr und bohrte ihre Zungenspitze hinein.

„Und wegen der Zwei Plus in Sachkunde wollte ich doch einen Kurzvortrag schreiben“, führte Tania links eines der gewichtigeren Argumente an. „Ich dachte an etwas über Katzen, und ich wollte das gleich in den Computer schreiben.“

„Praktisch bist du hier ein Chef“, flüsterte sich rechts Anke Kühne in Hitze und faßte von beiden Seiten her an Blochs Gürtel. „Aber immer nimmt sich die geile alte Putze erst mal den vor... Weil du mein Bonus bist! Mein Honorar in Naturalien...“

Ein bißchen war es dieses Rollenspiel, das Bloch weiter anspitzte, und ein bißchen waren es der höchst originelle Treueschwur und die zeitgemäße Schamlosigkeit. Da sich die Stadt ihre Kommunale Putze betriebswirtschaftlich gar nicht mehr leisten konnte, konnte Anke Kühne dem Bürgermeister und den Haushalts-Räten der Fraktionen noch nie mit solchen Sprüchen gekommen sein. Wie sie die Eckzähne auf die angeschnittene Ecke des Billy-Boy-Päckchen setzte, die geschweißte Kante abriß und den Gummi heraus quetschte, sah ziemlich geschickt aus, und nach dem Auspacken wurde auch das Einpacken von Blochs Liebe eine kleine Orgie. 

„Aber jetzt muß ich auch mal was tun...“

Bloch legte den Hörer auf und drückte beide Hände in den Haarknäuel über seiner offenen Hose.

„Entschuldige, aber...“

Anke Kühne machte den Hals steif.

„Nein, entschuldige du! Oder auch nicht...“

Bloch ließ los.

„Ich geh mich jetzt umziehen“, bestimmte Anke. „Und dabei, wenn ich mich bücke, darfst du...“

„Darf ich mich dir von hinten nähern“, resignierte Bloch.

Mit Dreiundvierzig hatte er nur noch Vorlieben, aber in dieser Inszenierung zeigte und gönnte ihm die Ringerin nur die Nackensteaks und die steinernen Halbkugeln des Hinterns. Diese reckte sie Bloch entgegen und ließ sie rollen, während sie sich mit den Händen auf die Kommissions-Bierkästen stützte, und manchmal machte sie aus Blochs Tast- und Leckdienst auch noch eine kleine Anatomie-Vorlesung. Etwas von dem, was er zwischen den Fingerkuppen und dem Dau­menballen zu walken hatte, hieß Trizeps oder Latissimus, und die UV-gerö­ste­te Haut gab es nur unter den spiegelverkehrten S über ihren Hüften zu kosten.  

Bloch ging in die Knie, um mit der Zunge auf den Fußsehnen zu harfen und die Wölbungen der Waden zu umfahren, und zwei aus dem Schlangennest der Adern ragende Finger wiesen ihm viel zu früh an, wohin er diesmal den Öffnungskuß drücken sollte.

Trotz der unabgeschlossenen Türen wurde es nicht der in allen einschlägigen Fernsehmagazinen empfohlene aufregende Sex an einem öffentlichen Ort. Belebt waren in Aschenbach nur noch der Parkplatz von Bau- und Kaufmarkt, die Adenauer-Passagen und der Korridor des Arbeitsamtes, und selbst dort hätten sie das Unaussprechliche nur in einem mäßig erweiterten Bekanntenkreis treiben können. Die Stadt war selbst in ihren stürmischsten Jahren der beste Beweis geblieben, daß der Lauf der Welt ein Spiel mit einer überschaubaren Karten-Zahl war. Sie wurden auf verschiedene Weise gemischt, geknickt und geglättet, aber was sich die Spieler auch vorstellten und wie eine Runde im Einzelnen ausging, war eher unwichtig. Immer kamen sie alle dicht nebeneinander zu liegen, und man mußte schon froh sein, wenn man nicht als Lusche in den Stapel geraten war. An seinen besseren Tagen stufte sich Bloch etwa als den roten Jungen eines Kreis-Quartetts ein, und daß diese Farbe schon lange nicht mehr Trumpf war, störte ihn nicht. Er zählte wenigstens soviel, daß man ihn nicht ganz ignorieren konnte. In einem Jahr schloß er den LADEN als ABM-Manager von fünf der acht städtischen Vereine auf und zu, im folgenden tat er dasselbe für die nicht selbst bezahlte Wärme und den Internet-Zugang, und es war für ihn und sie fast normal gewesen, daß er einen dieser Wechsel mit der Einladung der Kommunalen Putze zum Essen feiern wollte. Bloch war von noch keiner Ablehnung so angenehm enttäuscht worden wie von dieser. Zum Griechen wollte die Vileda-Amazone nicht mit ihm, aber was er damit meinte, würde er sofort und sogar griechisch bekommen können. Sie war gebunden, erklärte sie ihm das Mysterium knapp, und für Frauen in ihrem Alter waren in der Gegend sexuelle ebenso selten wie Arbeits-Angebote. Daß ihr Mann der Stasi-Chef des Ortes gewesen war, störte und erschreckte Bloch nicht, weil er sich sowieso keinen Dreier vorgestellt und seit je her versucht hatte, ohne Vorurteile auszukommen.

Wenn Bloch einmal davon absah, daß er den LADEN brauchte, um sein bißchen Geld zu verdienen und die Kommunale Putze zu genießen, dann sollten die drei Zimmer ja gerade seine Mahatma-Ghandi-Universität sein, und es wäre besser gewesen, der Bestattungssalon Unruh hätte damals wenigstens den Grundkurs belegt.

„Ich werde dem Pfarrer auch bestimmt nicht ins Handwerk pfuschen“, versprach Bloch. „Aber selbst in diesem Kaff sind die Atheisten in der Mehrheit...“ Er goß dem noch großzügig abgefundenen Busfahrer einen Whisky auf's Haus ein. „Und selbst von denen will ich nur alles mit 'Unsterbliche Opfer' und 'Internationale'...“

„Die Roten“, fragte Unruh erschrocken.

„Na, klar: die sterben auch“, sagte Bloch, seiner gut überlegten Sache absolut sicher. „Die sterben sogar aus! Wenn du jetzt sozusagen PDS-nahe Beerdigungen anbietest, dann besetzt du echt eine riesige Marktlücke!“

„Nee!“

„Überleg doch mal! Du rot ausgelegte Särge, ich die Reden... Du die Nelken, ich die alten Schallplatten...“

„Nee, Bloch“, wiederholte Unruh. Er schüttelte energisch den Kopf, schob das schnell geleerte Glas aber noch einmal gegen die Jim-Beam-Flasche mit dem Lidl-Whisky. „Die nicht! Vierzig Jahre wollten die nichts mit uns freien Unternehmern zu tun haben! Da sollen die jetzt mal hübsch sehen, wo sie bleiben...“

„Auf deine Pleite“, sagte Bloch zum Einschenken.

Daß immer gestorben wurde und ALDI keine Särge verkaufte, half dem Bestattungssalon nicht einmal über das erste Nicht-Geschäftsjahr, und als irgendwie linker Beinahe-Kneiper hatte Bloch schon vorher gegolten. Richtig ärgerlich fand er damals nur, daß der Letzte Staatsbürgerkunde-Lehrer von der eigentlich genialen Marketing-Überlegung erfahren und seine wieder einmal fällige Kür zum Kreissekretär aus dem LADEN ins „Deutsche Haus“ verlegt hatte.

Genau genommen ging sogar das meiste, was im LADEN begann, schief. In den Wochen des Autobahnkampfes war außer Selters nichts getrunken worden, der Vorrat an Brokkoli-Mais-Brätlingen hatte einfach nicht zu Ende gehen wollen, und die Autobahn war auch gebaut worden. Die Abfahrt Aschenbach war nur das Zeichen, daß es keine dreißig Kilometer mehr bis zu den billigen polnischen Druckereien, Schustern und Huren waren, und an denen war das Kommunale Bordell gescheitert. Dabei war diese Idee aus der ganz schwarzen Ecke gekommen: von Hammer, dem Gründer, Präsidenten und letzten Mitglied der Sächsischen Sex-Partei, der zusammen mit Kazimierczak-Bleibethreu-Heizungen und George's Deutscher Imbiss die DSU-Fraktion war.

„Vor allem ist das Freudenhaus eine kulturelle, ja zivilisatorische Einrichtung“, sagte Hammer. „In Rot-China sind die verboten, und das Ergebnis ist bekannt: jeder fünfte Mensch ist heute schon ein Chinese.“

„Ja, und diese Tendenz nimmt zu“, bestätigte der Deutsche Imbiss. „Vor der Wende war nur jeder vierte Mensch ein Chinese!“

„Eins, zwei, drei, vier Bier“, sagte Bloch. Er betonte die Vier und stellte die Flaschen hart vor die Honoratioren, die strikt unpolitisch eingeladen und als Türöffner Moser, einen von Blochs Vereins-Volkspolizisten, vorgeschickt hatten. „Und betet zur Göttin, daß die Chefin nicht vorbeisieht!“

„Und ich habe nichts gegen Chinesen und Ausländer“, setzte Hammer seinen Vortrag fort. „Das sieht durchaus attraktiv aus, im Versandhaus-Katalog: Negerinnen in Dessous, die netten kleinen Asiatinnen in Seiden-Kimonos... Ja, wir würden sogar ein Zeichen setzen, mit diesem Projekt! Ausländer sind uns sehr willkommen - solange sie ihren Platz kennen und uns Deutschen, deutschen Frauen sogar, nicht den Arbeitsplatz wegnehmen.“

In der Runde wurde ein bißchen gejohlt.

„Keine von unsern Frauen würde das ja machen“, bestätigte Kazimierczak-Bleibethreu.

„Rassenschande“, rief irgendjemand.

„Also dieses Wort will ich hier nicht hören“, sagte Hammer scharf.

„Dummkopf“, sagte auch der Deutsche Imbiss entschieden. „Wenn einer der Freier einer Neger-Hure ein Kind macht, ist das Kind doch eindeutig heller! Nur noch ein Halbneger, schon ein halber Deutscher! Weniger Cassius Clay und mehr Einstein, sozusagen...“

„Genau“, bestätigte Kazimierczak-Bleibethreu, setzte die Bierflasche an die Lippen und gleich darauf wieder ab. „Aber war Einstein nicht eigentlich Jude?“

„Einstein war Physiker“, sagte Hammer ärgerlich. „Aber, meine Damen und Herren, mit Politik hat das ganze Projekt nun wirklich nichts zu tun.“

„Genau“, sagte Kazimierczak-Bleibethreu. „Und doch war Einstein Jude! Jeder hier weiß das, und da muß das auch gesagt werden dürfen! Oder ist es schon wieder soweit, daß man nicht mal...“

Die Mehrzahl der vielleicht zwanzig interessierten Männer, die natürlich alle ohne ihre Damen gekommen waren, murrte entschlossen. Nein, sie wollten sich nicht, nie wieder, ihre freie Meinungsäußerung verbieten lassen.

„Und Sie, Herr Bloch“, hielt Hammer Bloch beim Verteilen der Biere auf. „Was meinen Sie dazu? Immerhin waren Sie mal unser Bürgermeister!“

„Aber nur ganz kurz“, sagte Bloch, seiner Kneiper-Immunität sicher. „Und Einstein war ein deutsch-jüdischen Physiker.“

„Nicht so aggressiv, ja“, blaffte Kazimierczak-Bleibethreu. „Immerhin sind wir 89 auch für Ihr Recht auf Ihre Meinung auf die Straße gegangen!“         

„Kollegen! Meine Damen und Herren!“ Hammer stand auf und holte tief Luft. „Zwingen Sie mich nicht, diese Versammlung und darüber hinaus die Fraktion der Demokratisch-Sozialen Union zu verlassen! Wer davon profitieren würde, ist uns doch allen klar... Und unser Aschenbach ganz sicher nicht! Ich habe, wir haben wirklich nicht hierher eingeladen, um über Einstein und den Judaismus zu diskutieren! Es geht, und ich wiederhole mich da gern, um Kultur und Wirtschaft und nicht zuletzt um ein erfülltes Sexualleben für uns alle! Wenn man so will also um drei existentielle Fragen...“

Bloch stieß Moser mit einer leeren Bierflasche gegen die Schulter und nahm ihn mit einem kurzen, schrägen Nicken zum Tresen mit.

„Wenn du unbedingt nackte Puppen auf den Tischen im Frauenzentrum tanzen lassen willst, organisiere ich vielleicht auch das“, sagte Bloch. „Nur vorher wissen möchte ich davon! Und für deine Nazi-Kumpels hättest du den LADEN überhaupt nicht bekommen...“

„Nazis“, fragte Moser und sah Bloch erstaunt an. „Ganz normale Leute sind das! Ordentliche Einheimische, Familienväter, Steuerzahler... Ein paar waren sogar Helfer der Volkspolizei, früher! Und sie machen sich noch einen Kopf um die Stadt, um das Große und Ganze. Letztlich...“

Den meisten Anwesenden hatte Bloch mit seiner Anrede sicher Unrecht getan. Sie kamen wirklich immer, wenn irgendetwas Wunderbares geschehen sollte, gingen zwischen neun und zehn Uhr und ließen die Gründungsväter ihrer Vereine und Initiativen in der Verlegenheit zurück, Bloch um die siebte Unterschrift bitten zu müssen. Aus Vereinen, die lange genug existierten, schied Bloch durch konsequente Nichtbezahlung der Beiträge automatisch aus, aber wenn er jemals eine Referenzmappe seiner werblichen Fähigkeiten würde vorlegen müssen, dann würden ihn seine Namensschöpfungen rühmen. Die Initiative für das Kommunale Bordell war als „Ein Haus für die Liebe e.V.“ eingetragen worden, der Haustierzoo-Verein als „Lausitzer Zoologische Gesellschaft“, und auch „Asse: Die Aschenbacher Selbständigen“ war ein Namensvorschlag von Bloch gewesen. Fast alle Namen hatte er später am Büro-Computer gezeichnet und auf das von der Stadt bezahlte Papier des LADENs ausgedruckt, und dem Bordell-Verein hatte er dazu noch die Veranstaltungen organisiert. Sogar die Ehemalige Beiköchin, die in Blochs ABM-Pausenjahr aus dem LADEN ein Frauenzentrum machen wollte, war dagegen machtlos gewesen, weil gegen die Jahrhunderte-Tradition des Bauchtanzes nur ihr Instinkt sprach. Beim Vortrag zur Tantrischen Liebe lagen die Flugblätter der Ersten Aschenbacher AIDS-Beratung aus, die Schreibende Prostituierte verstand sich selbst als ein Beispiel weiblicher Emanzipation, und um halb zehn konnte Bloch bei den doppelten Whisky ein Drittel sparen und den Preis um ein Drittel erhöhen.

Früher wie später war der LADEN um diese Zeit zumeist schon geschlossen gewesen, aber letztendlich bekam auch die Liebe in Aschenbach sowenig ihr Haus wie die Schlangenfarm, die Trapper-Zelte oder die Holländischen Käseglocken. Die interessierten Investoren schickten zu viele Anwälte und zu wenige Schecks, einer der Initiatoren starb und die unbezahlten Rechnungen für die ansanierten Gewerberäume wurden das Todesurteil für ein weiteres Bauunternehmen. Die ganze Innenstadt war als ein Friedhof der Bauunternehmen zu erklären, und unerklärlich war Bloch an diesem Massensterben nur, wieso dabei der Baumarkt am Stadtrand prächtig gedieh. Die gebrauchten Maschinen und umgestapelten Zementsäcke im Anbau waren kaum billiger als die regulären Sonderangebote, und der Direktor war durchaus nicht wegen seiner anrüchigen Vergangenheit zufrieden.

„Die einzige Zahl, die du dir merken mußt“, dozierte Mehnert in Blochs Schlafküche, „das ist die Grenze deines Kreditrahmens! Will sagen: des Überziehungskredits... Oder glaubst du, irgendein Unternehmer kann sich alle Börsenkurse, Punktgewinne, Ibisse, Dachse und andere Viecher merken? Und daß unser Geld durch Gold oder Kernkraftwerke oder Gebrauchtwagen gedeckt ist, wirst du doch nicht etwa glauben?“

„Ist es das nicht“, fragte Bloch. Erstens legte der Text des Freundes die Frage nahe, und zweitens hatte er seit dem Staatsexamen in Politischer Ökonomie nicht mehr über diese Frage nachgedacht.

„Die ganze Welt beruht auf der Hoffnung deiner Sparkasse, morgen von deinem Pornohändler als Bau-Zins das Geld wiederzukriegen,  das sie dir heute borgt“, erklärte Mehnert und klopfte die Zigarette neben dem Aschenbecher ab. „Auf diese Gewißheit borgt sie sich bei der Deutschen Bank was für ihre Beteiligung am Bürohaus Im Amselgrund, mit dem mein Chef bei der Dresdner Bank die Schulden beim Bau der Stuttgarter Zentrale stunden läßt. Und wenn die Regierung Mäuse für unser aller Arbeitslosengeld braucht, kriegt die Bundesbank das Okay zum Gelddrucken – von der Dresdner Bank, die von der Deutschen Bank weiß, daß deine Sparkasse über den Porno-Händler was von dem Geld wiederkriegt, das sie dir geborgt hat. Verstehste?“  

„Nee“, sagte Bloch. „Aber soll ich den Whisky oder ´ne Cola aufmachen?“

Bloch ging zum Kühlschrank, und aus dem nahe vor einem neuen Urknall konzentrierten Konsum-Universum strahlte ihm eine Offenbarung entgegen.

„Wenn ich also ´ne richtig verdorbene Frau mit Riesentitten fände, dann würde in zwei, drei Wochen die ganze Weltwirtschaft zusammenbrechen?“

„Jedenfalls im Prinzip“, sagte Mehnert. „Und wenn wir’s dann noch fertig brächten, nicht mehr zu rauchen und zu saufen... Und vielleicht würde es auch vier, fünf Wochen dauern. Zwei, drei Monate höchstens...“

„Cola also“, legte Bloch fest und atmete tief durch. „Aber so ´ne Frau findeste in Aschenbach eben nicht!“

Bloch glaubte nicht an den Fluch böser Taten und dreifacher Verleugnungen, und sein Tauf-Pastor hatte ihm ausdrücklich versichert, daß Gott, so es Ihn oder Sie überhaupt gab, gewiß nicht katholisch war. Am ehesten war so ein Seelenhandel einer Transaktion an der Terminbörse vergleichbar: geliefert mußte werden, wenn die Frist um war, und erst dann würde sich herausstellen, wer den Anrechtsschein inzwischen besaß. Außerdem war Blochs Frau tatsächlich nicht aus Aschenbach gewesen und hatte ihrerseits die merkwürdigsten mystischen Arrangements erschaffen. Über dem Eßtisch der Schlafküche klemmte noch immer ein Che-Guevara-Foto hinter dem Kruzifix, und die an die Wände des Kinderzimmers gemalten Anakondas, Jaguare und Kondore waren statt zu verblassen von Kuscheltieren zu Schutzgöttern gereift. Jeder Fensterrahmen im Hinterhof-Lager der alten HO schrie in einer anderen Farbe gegen die zu oft regengraue Stadt an, und mit jedem neuen Jahr begriff Bloch besser, warum unter das Fenster im Dachgeschoß eine Garage mit begehbarem Dach und neben die Garage ein fest geschichteter Stapel Feuerholz gehörte.    

„Du siehst nicht sehr zufrieden aus“, sagte Anke Kühne, als sie in Jeans und Kittelschürze vor und halb über Bloch stand, den viereckigen roten Plasteeimer mit dem dampfenden Wischwasser schon in der Hand. „Dabei sind die meisten Männer laut Statistik absolut scharf auf analen Sex!“

„Wahrscheinlich stellen sich die meisten das auch etwas anders vor“, sagte Bloch, hob den nackten Hintern vom falschen Parkett und zog die Hosen hoch. Er machte es mit links, weil er in der rechten Hand die doppelt unappetitliche Gummitüte hielt. Außerdem würde er hinaus in den Eisniesel, zum Papierkorb vor der Tourismus-Information, müssen, da diese Art Lebensversicherung nicht im Klo unterging und nicht in den Binden-Eimer gehörte. „Aber war schon okay...“

„Freilich“, sagte die Kommunale Putze und schwappte mit den gelbblauen Streifen des Wischmops zuviel Wasser vor die Bierkästen. „Es war ja viel mehr, als Genosse Kühne bekommt.“

„Echt“, fragte Bloch, während er zur Ladentür ging. „Also ich meine: trotz allem kennen wir uns doch eigentlich gar nicht richtig...“

Die Kommunale Putze knurrte ärgerlich.

Bloch zündete sich noch auf der Straße die Zigarette danach an, und im LADEN zurück machte er einen kleinen Bogen, um sich weder im Nachhinein noch vorfristig an der Putzfrau zu reiben. Mit einem langen Schritt kam er über die Pfütze vor der Bürotür, und er setzte sich wieder brav in den Computerstuhl. Die Welt hatte noch einmal eine Vierzehn-Tage-Frist.

„Ja, und sonst?“

„Was sonst? Das ist doch mehr, als man erwarten durfte“, sagte Anke Kühne erstaunt. „Oder weißt du es noch gar nicht? Na, das mit Krause!“

„Nicht Lehmann? Und auch nicht Meyer?“

„Dem Krause...

Nun knurrte Bloch.

„Doch, doch! Krause hat sich gestern erwürgt!“

„Quatsch“, sagte Bloch, zog aber interessiert die Brauen hoch.  „Das geht doch gar nicht!“

„Und ob das geht!“ Anke Kühne kam ins Büro, legte sich halb auf den Monitor und fingerte in Blochs linker Hemdtasche, nach der Camel-Schachtel und dem Feuerzeug. „Komischerweise bricht man sich beim Erhängen ja das Genick, und aus!“

„Komisch, ja“, sagte Bloch und grinste unwillkürlich.

„Aber wenn die Schlinge nicht richtig gelegt ist oder verrutscht, dann erwürgt man sich eben.“ Sie blies Bloch eine Qualmwolke ins Gesicht. „Ein qualvoller Tod... Die Lungenbläschen zerplatzen, die Adern der Augen, und die Hände greifen instinktiv nach der Schlinge. Man hat Krämpfe, und Männer haben dabei gewöhnlich ihre letzte Erektion. Wußtest du das?“

„Du willst mir allen Ernstes erzählen, daß unser frommer Kazike Selbstmord begangen hat?“

„Ja, im Saunakeller...“ Die Kommunale Putze lachte kurz, aber schmutzig. „Nackt und nur zehn Minuten, bevor seine Fast Schon Geschiedene heimkam! Was natürlich auf einen demonstrativen Selbstmord-Versuch hindeutet, der schief gegangen ist...“

„Was bei diesem Bürgermeister dann doch zu erwarten war“, sagte Bloch. Er fand idiotisch, sich zur Ironie zu zwingen, obwohl ihm nach Dankgebeten und Jubelchören war. „Und er hat sich nicht nur einfach und schmerzlos das Genick gebrochen? Da bist du dir wirklich sicher?“

Anke Kühne strahlte Bloch mit herrlich großen und herrlich grünen Augen an und nickte langsam.

„Ich war ja nicht immer die geile alte Putze, nicht?“

„Echt“, fragte Bloch und grinste zurück. „Na, eigentlich kennen wir uns doch gar nicht richtig...“

„Ich war mal Betriebsschwester, sozusagen. Bin also quasi vom Fach... Na gut, für die Erektion will ich mich nicht verbürgen. Aber sonst...“ Sie legte die Pranke auf den linken Brustmuskel.

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