Die Schlesischen Weber

Wer den Tiger gekauft hatte, wußte Bloch nicht. Die Wisente aber standen drei Höfe vor dem nördlichen Ortsschild auf der Weide, und vom Anfangsgebot, dem Platzbedarf und den Futterkosten her waren für seine Familie sowieso nur die Meerschweinchen infrage gekommen. Es tat Bloch um jede Mark mehr leid, die der Immobilienbesitzer als Entschädigung für vierzig Jahre Heimattierpark bekommen sollte, aber Che und Tania waren wie die hundert anderen Kinder in die bunten Fellhäufchen verliebt und Coyllur war wie von einem Hahnenkampf aufgeregt.

„Sopa..., Suppe kochen“, verriet sie der benachbarten Sumo-Oma. „Sein hibsch gordos, las cobayas!“

„Sie meint, daß die Meerschweinchen schön fett sind“, erklärte Bloch und schüttelte für Coyllur den Kopf. „Die Meerschweinchen sind nicht für die Suppe, mi corazón! Sie sind für die Kinder.“

„Son juguetes vivos“, übersetzte Tania sehr vernünftig. „Sie sind lebende Spielzeuge.“

„Pródigos malditos alemánes“, schimpfte Coyllur. „Gut hibsche Suppe sein!“

Der Sumo-Enkel der Sumo-Oma kreischte auf, und Bloch winkte den Kampf der Kulturen ab, klemmte sich seine Frau unter die Achsel und führte die Familie aus der ersten Reihe der Versteigerungstraube an den Schwanz der Eiswagen-Schlange. Für die inzwischen zu zahlende Summe konnten sie bei jedem Tierhändler ein Kilo Gulasch-Meerschweine bekommen, und eine Riesen-Waffeltüte Eis hielt Coyllur für keine Verschwendung.

Bloch schlug vor, diese Geschichte im Begleitschreiben zum nächsten Poncho-Päckchen nach Hause zu verarbeiten: Die Deutschen warfen dem Gangster, der ihnen den Tierpark wegnahm, auch noch reichlich vom Arbeitslosengeld hinterher. Coyllur aber verweigerte sich hartnäckig, weil sie für die Ihren im paraíso angekommen und nicht in einer casa de locos, der Irrenanstalt der Welt, gelandet war.

Offiziell war es sowieso falsch und zynisch, Herrn Rüdiger Barth einen Gangster zu nennen, weil er den Opferstatus und das Tuchmacher-Viertel seines Vaters geerbt hatte, aber auf das Fabrikgelände und die Fabrikgebäude verzichten wollte, wenn er den Familienpark zurück bekam. Seichter hielt dazu im Stadtrat eine höhnische Rede, die das Kabelfernsehen auch demokratie-schuldigst übertrug, aber die Mehrheit neigte dennoch zur Überweisung des Auktions-Erlöses.

„Wollen Sie wirklich jeden Investor zwingen, hier ein Risiko zu übernehmen“, fragte Krause aufgeregt. „Soll ich zu jedem, der hier etwas unternehmen will, hingehen und sagen: ‘Zeige uns erst mal deine Konto-Auszüge, und im übrigen können wir nichts für dich tun‘? Wollen Sie das?“

„Ja“, sagte Seichter. „Das wäre viel besser! Denn dieser Herr ist im Westen mit einem Kettchen Automaten-Spiel­höllen pleite!“

„Das ist ein Skandal“, polterte George’s Deutscher Imbiss. „Erst haben Sie seinen Vater enteignet, und jetzt verhöhnen und kriminalisieren Sie den Sohn! Müssen wir uns das eigentlich immer wieder anhören?“

„Doch, doch, das müssen wir“, sagte Krause und konnte wieder einmal nach beiden Seiten strahlen. „Dafür sind wir schließlich gewählt: Herr Seichter, damit er das sagt, und wir, damit wir genau anders entscheiden!“

„Es una casa de locos“, sagte Coyllur und rollte sich auf Blochs nackten Bauch. „Por qué..., warum du machst revolucíon nicht?“

„Äh“, sagte Bloch, atmete verlegen und schwer und lachte dann über die Einfachheit der Antwort. „Das ist das Resultat unserer letzten Revolution, el resultado de la ultima revolución nuestra.“

Von keiner Arbeit und keinem Meerschweinchen zwischen Kiesbergen und Kiesseen gehalten, konnte sich Bloch sehr gut ein Strohbett vorstellen, von dem aus er die bestimmt phantastischen Sonnenaufgänge über den rechten Felsen sehen konnte. Er mußte dann nicht mehr die Preise dutzender Sorten Gipskarton vergleichen, um die Balance zwischen den Kosten der Wärmeisolierung und der Briketts zu finden, sondern würde mit rostigen Nägeln die erstbesten Wellblech-Stücke unter die Ritzen im Dach nageln. Mit ein bißchen mehr von Coyllurs Sprachunterricht konnte er es zum Grundschullehrer bringen, was in Aschenbach ganz ausgeschlossen war, und an den fernsehfreien Nachmittagen konnte er lernen, wie ein Anden-Teufel Gitarre zu spielen. Auch dazu war er in zwei deutschen Staaten nie gekommen, obwohl es ihn ja verurteilte, nicht nur mit seinen Gedichten zu den Verlagen und seinem Regie-Diplom zu den Theatern, sondern auch mit seinen Liedtexten zu fremden Sängern zu laufen. Die Texte und ein paar uralte Inka-Prophezeiungen, die ihm beim Gesundhungern einfielen, würde er mit Fotos von Tania und Che beim Meerschweinchen-Hüten illustrieren und an esoterische Verlagsbuchhandlungen schicken, und vor dem Abendbrot würde er noch ein paar Llamas scheren, damit Coyllur immer genug Wolle für ihre Ponchos hatte. Noch mit hundert konnte er dann, auch wenn er Berge eigentlich haßte, die ebenfalls phantastischen Sonnenuntergänge über den linken Felsen anstarren. Erst als Bloch tagträumte, wie rustikal er auf dem knisternden Stroh mit seiner nach den Haustieren riechenden Squaw schlafen würde, fiel ihm ein, daß die Polizeistation mit den geilen Sadisten, die ihn zum glücklichen Ehemann und Doppelvater gemacht hatten, irgendwo in diesem Idyll stand.

Daran gemessen war George’s Deutscher Imbiss nicht einmal wirklich an der Macht, und seit Krauses Geburtstags-Empfang war Katharina die Letzte gewesen, die ihn dort sehen wollte. Mit aller Vorsicht einer Ausländerin konnte sie sich vorstellen, daß eine zivilisierte Gesellschaft kommunistische Diktatoren wie Bloch brauchte, um mit diesem Proletariat fertig zu werden. Sie philosophierte darüber, nachdem sie sein Duschen kontrolliert und ihn steif an die Wand  der modern leeren Wohnung gelehnt hatte. Gar nicht zofenhaft gönnte sie ihm nur die vorgeschobenen Lippen, und ab und zu faßte sie ihn eben hart an und unterwies ihn in bürgerlicher Lebensart.

"Du tust mir gut", sagte Katharina und rieb ihre Schläfe an Blochs Hüftknochen. "Ohne Schmus! Es gibt zwar Dildos, die auch... Aber letztlich bin das trotzdem ich selbst, und sie reden ja nicht wirklich."

"Und vor allem können sie nicht kochen", sagte Bloch.

Katharina kicherte und leckte ihm die Hoden.

"Und daß du das so aufnimmst, ist prima! In Jamaica, ja, in der ganzen Karibik, erwischst du dabei immer nur hochempfindliche Machos... Von der Ansteckungsgefahr ganz abgesehen!"

"Auch die Reichen sind eben nicht immer glücklich", sagte Bloch, bog den Kopf in den Nacken und versuchte, sich ganz auf ihre wirklich gute Zunge zu konzentrieren.

"Und sogar mein Mann ist eifersüchtig", sagte ihm Katharina weiter Bescheid. "Auf ein bißchen Latex mit einem winzigen Motor und sogar auf euch Ersatzteile... Komisch, nicht?  Und dabei ist er doch Psychologe und Achtundsechziger!"

"Na, so alt werde ich bestimmt nicht", versprach Bloch ihr, und er wußte selbst nicht, ob das ein Witz oder ein Mißverständnis war.

Katharina fühlte sich durchaus mies, wenn sie ihren Kalender-Kater danach vor die Tür setzte, aber die freien Freitag arbeitete sie schließlich in Überstunden heraus, in denen sie sich auch mies fühlte. Bloch sowieso nicht, aber auch ihre Zeit-Sekretärin und ihr Lakota-Pförtner hätten ihr bestimmt nicht geglaubt, wie ungern sie ihnen die Kilowattstunden Strom und die Kubikmeter Abwasser verteuerte, die Bus-Monatskarten und die wöchentlichen Müllwagenfuhren. Umso dringender brauchte Katharina Goebbels ja die Freitag Heimfahrten und die Samstags-Salons, das Familien-Frühstück zur Kirchenzeit und den nächsten Schlesien-Feldzug. Manchmal fuhr sie sogar mit Rio-Reiser-Hymnen in die Autobahnstaus: das Wunder würde passieren, wenn sich ihre Aschenbacher Gegener organisierten, und wenn  Bloch eine Nacht bei ihr oder sie ein Wochenende bei den Schlesischen Webern hängen blieb, würde sie wieder einmal die Seiten wechseln.

Tania hatte die alte Frau schon gleichmütig adoptiert, als Bloch unter dem Dach die Bußtags-Ente briet und Katharina den Rest des Hauses für eine Expedition überlassen hatte.

„Wenn sie im Bett liegen, macht sie ihm eben was, was La Angelita nicht konnte.“

„Quatsch“, behauptete Che und wandte sich von der Civilisation II ab. „Sie hat Falten an den Augen und am Mund, und sie fährt BMW!“

„Der Kleine... Du hast ja keine Ahnung!“

„Aber wir sind die Männer und Revolutionäre, Papa und ich! Na, ja, andererseits: Kriegsgefangene kann man sich nicht aussuchen.“

„Nein, nein! Es ist was Sexuelles“ widersprach die zehn Minuten ältere Schwester. „Da haben wir Frauen so unsere Tricks!

Katharina mußte also nicht bedauern, daß sie im dusteren Korridor keinen Spiegel für das unnütze Make up hatte. Sie holte tief Luft, fuhr mit den Fingern durch die 48-Mark-Locken und machte ihren Schritt über die Kinderzimmerschwelle.

„Comandante, compañera...“

Che drehte seinen Stuhl dem Monitor zu, aber Tania hielt Katharina als Test die kleine, rötliche Katze entgegen. Katharina legte die Hand unter die Hinterpfoten des Tieres, bevor sie sie am Nackenfell hob.

„Als wir die fanden, hat sie gehinkt“, verriet Tania. „Deshalb heißt sie jetzt Rosa. Komisch, nicht?“

„Das ist gemein von Papa“, sagte Katharina tollkühn. „Rosa Luxemburg ist eine Heldin von mir! Tania übrigens auch. Und der Che...“

Ches Stuhl quietschte, und er sah Katharina mehr als skeptisch, fast wütend an.

„Waren sie jedenfalls“, sagte Katharina. „Als ich noch nicht so faltig und reich war...“

Tania biß sich auf die breite Unterlippe.

„Also so schlimm siehst du ja nicht aus“, sagte Che und grinste wie ein ausgewachsener Macho. „Und für dein Alter hörst du noch ganz prima!“

Bloch lachte über dieses Verhör niederer Intensität, bei dem Katharina das Singen der Internationale erspart worden war, und er konnte sie ganz und gar beruhigen. Es waren ihre Tricks, die er als Mann natürlich nicht durchschaute, denn jemand wie Katharina war durch keine Gefangenschaft und Folter in eine Versammlung zu bewegen, in der die Große Koalition der Häusle-Bauer auf ihre Preispolitik schimpfen wollte.

Katharina setzte sich im Bett auf. „Schwarze Neger, weiße Neger: mich interessiert nur ihre Länge... Meinst du das?“

„Nein! Das wäre ja ziemlich eingebildet von mir“ sagte Bloch, unverschämt belustigt. „Und weißt du eigentlich, wann und wo du die tiefste von deinen vielen Falten kriegst?“

Ohne überlegen zu müssen, legte Katharina den Zeigefinger zwischen die Brauen, rechts von der Nasenwurzel. Wenn sie wirklich abfuhr und entgleiste, tat ihr diese Schlucht sogar ein bißchen weh.

„Arsch“, sagte Katharina und steltle eine Bedingung für ihr Beamten-Harakiri. „Aber du mußt einen von deinen..., von unseren Abenden opfern!“

Krause kam persönlich in den Stadtwerken vorbei, um gegen den Termin zu protestieren. Erstens war Frau Goebbels aus dem Westen und zweitens war sie seine nicht freiwillig und zu hoch bezahlte Angestellte. Um das Ordnen der Bücher ging es bei ihrem Auftrag, nicht um das Ausrechnen der Ausgaben für Saunen und schon gar nicht um Abstriche bei den Gebührenbescheiden. Er war mit den Gründen für das Verbot zu Ende, bevor sein Dampf zu Ende war, und wie er ausatmete, klang schon wieder rührend unbeholfen.

„Das ist ja auch wirklich der Job, für den Sie das Geld kriegen“, sagte Katharina verständnisvoll. „Ich muß und ich will da wirklich nicht hin!“

„Gut“, sagte Krause.

„Nicht mich haben diese Leute ja gewählt“, verdarb ihm Katharina den Erfolg sofort wieder, „und in einem halben Jahr habe ich sogar wieder vergessen, wie eure Autobahn-Abfahrt heißt!“ Es war ein bißchen Spiel in der Ruhe, mit der sie den Aktendeckel aufklappte, denn wenn Krause ein Kerl war, würde Bloch zumindest den nächsten und übernächsten Donnerstag ausfallen lassen. „Ich war sicher etwas voreilig, Herr Bürgermeister, aber ich war das im Interesse der Stadt und des Bürgerfriedens.“

Krause stöhnte. „Es riecht bei diesen Meetings tatsächlich nach Bürgerkrieg...“

„Und ich beneide Sie nicht um diesen Termin“, versicherte ihm Katharina.

Warum Aschenbachs Arbeitslose begonnen hatten, Häuser zu bauen, leuchtete Katharina nach zehn Semestern Betriebswirtschaft nicht ein, und sie kam nicht gut damit an, daß sie den studentenwilden Endfünfzigern noch einmal die Ost-Zisternen in die Minigolf-Rasen senkte. Die urzeitliche Verschwendung der Ressourcen war im Westen mit der Erfndung der Wasseruhren und in Aschenbach eben mit der Wiedervereinigung zu Ende gegangen, und wer nicht mehr den Nachttopf auf einen Feldweg leeren und auf einer asphaltierten Straße zu seinem Car-Port wollte, mußte für diese Selbstverständlichkeiten selbstverständlich zahlen, was sie kosteten.

„Carport“, rief jemand höhnisch.

„Für die Trabbis konnten wir uns noch Garagen leisten!“

Bloch beeilte sich, die geleerten Bierflaschen sofort einzusammeln, und so flogen nach dem eigentlich herzlichen Begrüßungsbeifall und Katharinas zehn Einführungsminuten nur sehr ostdeutsche Schimpfworte ins Präsidium.

„Juhnke, also nicht dieser saufende Schauspieler“, kreischte eine quadratische Lynch-Oma der ersten Reihe, „der Scheiße-Juhnke, der... Der hat uns so was von abgezockt! Geben Sie wenigstens das zu, Sie... Sie...“

Katharina sah hilfesuchend zu Bloch, der leicht nickte.

„Jaaa“, sagte Katharina leise. „Ich kenne die Kalkulation, und die stimmt irgendwie. Ihr Abwasser, das Spaßbad, das Glaswerk, die Weberei und die Rindermast... Dafür wäre die Anlage zwar reichlich ausreichend gewesen, aber nicht viel zu groß. Und nun müssen Sie alleine die Überkapazität bezahlen, leider.“

„Abzocker“, wurde weiter hinten in die gespannte Ruhe gerufen. „Kapitalistenschweine!“

Bloch nickte noch einmal.

„Also mal abgesehen davon, daß die Verträge und die Berechnungen juristisch völlig in Ordnung sind“, flüsterte Katharina und legte die Hand vor die Augen. „Davon mal abgesehen, haben Sie ja absolut recht! Sie sind von einem Kapitalistenschwein abgezockt worden...“

„Zeitung ist nicht da“, flüsterte Bloch und stellte Katharina ein Bierglas voll Rotwein hin. „Und als sie gebaut haben, waren sie noch nicht arbeitslos... Aber läuft doch gar nicht schlecht...“

Der Moderator gab ein paar Aschenbacher Hausbesitzern das Wort, bevor die Vertreter auswärtiger Bürgerinitativen grüßen und klagen durften, und nach zwei Stunden setzte sich die Lynch-Oma neben Katharina ins Präsidium. Sie outete sich als Biedenkopf- und Krause-Arbeitslose, und sie fand die magentafarbenen Glastränen an Katharinas Ohren interessant. Derlei hatten sich Buchhalterinnen früher nicht leisten können, nicht mal im Glaswerk, das sehr ähnliche Tränenen ins NSW weinte.

„Nichtsozialistische Welt, Kindchen“, übersetzte die Oma sogar einfühlsam. „Und ich habe dem Herrn Ministerpräsidenten schon alles geschrieben, aber wenn Sie ihn mal sehen, sagen Sie ihm doch...“

Bloch fand nichts dabei, weil schon die Demokratische Deutsche Post von den Briefmarken für die Honecker-Briefe gelebt hatte und die Frau des Ministerpräsidenten ein eigenes Antwort-Büro besaß, das immerhin drei Arbeitsplätze im gehobenen Öffentlichen Dienst erhielt. Früher war nach einem Hinweis des Genossen Generalsekretärs und Herrn Vorsitzenden des Staatsrates sogar immer noch ein Stapel Dachziegeln oder der Kreis-Visastempel gefunden worden, und wenn sich in der neuen Welt bei Interesse der Gattin des Ministerpräsidenten ein Rest Gerechtigkeit anfand, war das doch auch nicht verkehrt. Einmal gab es die Geschichten von einem Sohn Gottes, der sich sogar um die Augenleiden nicht mal krankenversicherter Bettler und die Getränkebestellungen judäischer Hochzeitsgesellschaften kümmerte, und dann gab es wahrscheinlich gar kein besseres Mittel, um grenzenlos selbstzufriedene alte Männer von ihren Weltherrschaftsplänen abzubringen. Ohne all die vielen Brie­fe aus allen seinen Aschenbachs hätte der Ministerpräsident vielleicht schon das halbe Land mit neuen Autowerken und die andere Hälfte mit den frisch produzierten Auto-Halden zugestellt.

Während Bloch philosophierend die Kaffeetassen, Gläser und Aschenbecher abwusch, die Stühle hoch stellte und den LADEN nachlässig fegte, saß Katharina Goebbels auf dem IKEA-Barhocker am Tresen und suchte in den Augen des Poster-Che-Guevaras und erst auf dem Grund ihres Rotwein-Glases, dann der Rotwein-Flasche irgendeinen Ausweg. Wie am Abend ihres Kennenlernens war es eigentlich ein paar Schlucke und einige Stunden zu spät dafür, aber sie mußte wieder einmal jemanden abschleppen, und sie wußte sogar wen. Sie würde Bloch nur nicht weit genug weg bekommen, auch wenn ihr nicht schwer fiel, ihn in ihre Wohnung zu locken.

Unter ihrem Dach aber setzte sich Bloch in die Wanne und ließ das dampfende Wasser steigen, obwohl sich Katharina noch abschminken mußte und rotwein-romantisch mit dem Zeigefinger die Linien ihres Gesichtes abfahren wollte: Brauen und Wangenknochen, Nase, Oberlippe und Kinn. Ohne Kosmetik, mit ein bißchen Höhensonne und unter einer Kurzhaar-Frisur, schätzte sie, würde sie für unter vierzig und ziemlich links-alternativ durchgehen können.

Sie duschte nur kurz, aber dann ignorierte sie Blochs für die Anfangs-Umarmung ausgelegten Arm doch und blieb sehr steif sitzen.

„Dafür werde ich dich dieses Wochenende mit meinem Mann betrügen“, sagte Katharina. „Und er kriegt, der dicke Herr Professor, die naive Proletarierin, die brave Studentin und die verliebte Hure in mir... Alles, was du dir immer wünschst!“

„Hej, das ist unlogisch“, sagte Bloch und gähnte. „Das ganze Kaff liebt dich jetzt beinahe, und ich könnte endlich damit anfangen, mich in dich zu verlieben.“ Er lachte. „Damit anfangen, mich an den Gedanken zu gewöhnen, daß ich mich in dich verlieben könnte...“

„Genau!“ Katharina beugte sich nach dem Rauchzeug auf dem Nachttisch, zündete sich eine Zigarette an und ließ das Feuerzeug zwischen ihre Beine fallen. „Das ist es ja gerade! Und dabei kannst du, könnt ihr gar nicht Recht haben! Ihr seid schließlich pleite gegangen, und eure Häuser fallen bei ein bißchen Regen einfach so ein! Ihr wolltet unsere Autos, ihr wählt unsere dümmsten Bonzen, und im Sommer liegt ihr an unseren Stränden herum!“

„Und ich schlafe auch wahnsinnig gerne mit dir“, ergänzte Bloch.

„Ja“, sagte Katharina, schlug seine Finger weg und streichtelte mit den linken Fingern ihre rechte Brustspitze selbst. „Das auch noch! Was für einen Beweis brauchst du also noch? Wir, wir und wir haben Recht, und weil ihr sowieso unser Brot freßt, könnt ihr auch unsere Melodien singen! Davon wird zwar nicht alles gut, aber wenigstens normal würdet ihr dann! Das, mein Verrückter Hengst, ist Logik!“

„Das ist die Logik der Tiger-Käufer“, sagte Bloch. „Unseren Tierpark macht ihr zu, und neulich habe ich im Fernsehen gesehen, wie einfach man in euren Zoogeschäften eine schwarze Mamba kriegt. Das kannst du doch unmöglich für normal halten!“

Wahrscheinlich war es Rosa gewesen, die diese Erinnerungs-Allergie ausgelöst hatte, auf dem Bauch von Tania dösend, die unter Blochs Achsel döste, zu Atahualpa Yupanquis „Basta Ya“.

Bei irgendeinem Festival des politischen Liedes hatte Bloch den unvergleichlichen alten Herrn in zwei Lichtkreisen auf der Volksbühne gleich zweimal gesehen, raffiniert an seiner Gitarre schraubend, bis Bloch ganz eingeschlafen war. Das Grollen der Strophen war nicht aufregender als ein startender Jetset-Jet, das Gluckern in den Därmen der Zeit und beinahe das aus dem Innern kommende Schnurren einer gerade gefütterten Katze, bevor unter der Gletscherhaut der Anden, aus der Lederhaut von Coyllurs Dorfältestem und dem routiniert klagenden Volkslied der Refrain platzte. An den Krieg in Vietnam sollte man denken, erinnerte der Berg-Indianer mit der Zehntausend-Dollar-Gitarre von einer Multi-CD: die Amerikaner gewannen ihn in Cinemascope, im Lande aber siegten die Guerilleros.

„Moment mal“, sagte Che unter Blochs rechter Achsel. „Chuck Norris und Stalone und so haben gegen unsere Gemüse-Fidschis verloren? Das ist doch ‘n Witz, oder?“

„Nee... Also erstens sagt man als Guter nicht Fidschis, sondern Vietcongs“, erklärte Bloch. „Und zweitens ist es ja nur gefährlich, aber nicht unmöglich, zu gewinnen. Bei deinem Namen solltest du das wirklich wissen!“

Um Rosa nicht zu erschrecken, machte Tania nur ein Kicher-Geräusch.

„Ich habe doch recht“, sagte sie und reckte zwei der bunten Finger zum Sieges-V. „Wir kriechen aus unserem Loch, werden Bürgermeister, benennen die Straßen um und verjagen endlich diese verdammten Investoren!“

„Wir verlieren glücklich oder leben gefährlich“, resignierte Che. „Mensch, wir müssen dann als rote Brut überall auf Eins kommen!“

„Mal langsam“, sagte Bloch. „Investoren kennt ihr ja nicht, weil es hier doch keine gibt. Aber falls doch mal einer vorbeikommt, würde ich vorher gerne noch mit ihm reden.“ Dann drehte er langsam den Kopf hin und her. „Aber im Ernst: ich denke, wir bleiben in unserem Loch hocken und legen uns jeden Nachmittag ein bißchen so hin...“

„Ich habe aber gewettet“, murrte Tania. „Ich könnte den echten Velociraptor aus ‚Vergessene Welt‘ gewinnen...“

 

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