Lawinen

Bloch war ohne Zahnbürste und mit ungespültem Darm zu seinem Verhör gegangen, und statt eines Anwalts hatte er den Papstbrief mitgenommen: so wenig fürchtete er Verhaftung, Vergewaltigung und wirklich gefährliche Fragen. Vor der Tür der Folterkammer stand auch nur, obwohl in der neuen Uniform, Blochs Vereinsfreund Hartmann, und der Staatsanwalt hatte sich seine Sporen in einem schwäbischen Karstadt-Schaufenster verdient. Bloch stellte ihm nicht einmal die Frage nach dem zernuschelten Namen, und er schenkte sich die gut amerikanische Film-Gewohnheit, dem Sieger nur Name, Dienstgrad und Registrierungsnummer zu nennen. Er wollte nicht Rambo, sondern pünktlich zum Mittagessen zu Hause sein.

„Ich bin bestimmt nicht unschuldig“, sagte Bloch beim Hinsetzen. „Jedes Scheibenschießen bei der roten Fahne habe ich mir Leute wie Sie vorgestellt, und inzwischen weiß ich sogar, warum.“

„Herr Doktor Bloch, ich...“

„Sie machen hier nur ihren Job, ich weiß. Also arbeiten wir!“

Um Zeit zu gewinnen und mit der Zeit wieder in die Vorhand zu gelangen, blätterte der Staatsanwalt ein bißchen in seiner dickesten Akte. Sie konnte das Kilo Indizien kaum bändigen und schon gar nicht ordnen. Ein amerikanisches Flugzeg war ab- und ein Aschenbacher Wohnhaus war eingestürzt, eine Wiesbadener und eine Mainzer Immobilienfirma stritten um die zum Markt führenden Straßen, und in den Unterlagen von einem halben Dutzend Baugesellschaften und Kaufhäusern fehlten bedeutende Summen, die an fehlende Adressaten gegangen sein sollten.

„Noch etwas ganz anderes, vorab“, sagte der Staatsanwalt endlich. „“Nicht ich und nicht wir, aber...“ Er beugte sich etwas über den Schreibtisch und versuchte einen Verschwörer-Blick. „Die zuständigen Behörden sind recht mißtrauisch geworden, was Ehen mit Ausländern angeht. Zwar gelten Kinder allgemein als Beweise vollzogener Ehe, aber Sie wissen ja selbst, wie Ihre Kinder aussehen...“

Bloch nickte verständnisvoll und kroch ihm ein Stück entgegen. „Würde mir denn helfen, wenn ich mit Ihnen kooperiere? Oder wollen Sie zugucken, wie wild es Indianerinnen treiben?“

In West wie Ost hätten sie Bloch zu netten kleinen Verrätereien überzeugen, kaufen und oder erpressen können, wenn sich die Herren Spione nicht so beleidigend primitiv aufgeführt hätten. Rein technisch interessiert ihn gerade deshalb, wann und warum Petra als IM Arachne aus dem Kokon geschlüpft war, aber andererseits war er nicht der Typ, der seinen Daumen in jede Wunde in jedes Nasenloch bohren mußte.

Bloch hatte Petra in der ersten ihrer wenigen Nächte angesehen, gedehnt und gebogen, als teste er ein Zuchtprodukt für den Hochleistungssport, und daß sie ihm sehr weiblich immer wieder die Zitzen in den Mund stecken und die Möse am stoppeligen Kinn reiben wollte, hatte Bloch schon gestört. Daß Petra über ein Dutzend Gipfel geritten und gekrochen war, war also gar nicht sein Verdienst gewesen, und doch hätte sich Bloch am Morgen  danach ein wenig Sentimentalität gewünscht. Immerhin war er freiwillig neben ihr eingeschlafen, und wer die Internats-Betten kannte, konnte die Bedeutung dieser Geste ermessen. 

"Man wird sich sehen", sagte Petra. Vielleicht fragte sie es  auch nur, denn sie war schon dabei, eins ihrer karierten Männerhemden in die Jeans zu stopfen. "Und wenn ich mal dir helfen kann... Geschichte der Philosophie oder Parteitheorie..."    

Auf dem Schreibtisch sprudelte der Tauchsieder-Topf und davor standen zwei große Kaffeetassen, aber das ergab so wenig ein Frühstück, wie die gegenseitige Benutzung ihrer Geschlechtsorgane eine Orgie oder nur eine Ehe ergeben hatte. Petra goß das Wasser auf, verfluchte ihre Ungeschicklichkeit und packte hauptsächlich ihren Studienkram. 

Bloch bog sich zurecht und setzte sich stöhnend auf. Daß er schnell die Decke über sein Glied zog, war eine Überreaktion auf Petras flüchtigen Blick,  begriff er gleich danach.

"Glaubst du mir, daß ich noch nie eine wie dich hatte", fragte  Bloch, um ein bißchen Atmosphäre zu verbreiten.   

"Klar", sagte Petra. "Was immer das auch bedeutet."   

"Ich..."  

"Auch klar", sagte Petra.  

Bloch wußte selbst nicht, welchen Satz er hatte loswerden  wollen, aber er nickte und starrte auf die Brusttasche des Hemdes. Dorthin war der heiße Kaffee getropft, und Petra klopfte die Krümel weg und knetete den Stoff und durch den Stoff  ihre  Haut.

"Schließ ab und gib den Schlüssel an der Wache ab, okay?"

Bloch nickte wieder. Er war ja im ersten Semester und mußte noch eine Menge lernen und üben. Es war die hohe Zeit der Literaten, die die Lücken im Geschichtsbild mit übel beleumdeten Namen und Alltagsskandalen flickten, Poeme in die Zwischenzeilen der Zeitungen schrieben und Bloch in den immer vollen Studentenklubs sehen wollten. Dort wählte er an anderen Abenden durch raffinierte Zehen-Tritte zu One-way-tickett To The Moon seine one night stands, und obwohl das Internats-Zimmer im Monat nur zehn Mark kostete, war die Balance zwischen Mensa-Essen, Kurzkoch-Beutelreis und Bücher-Wunschzettel nicht leicht zu finden. Was George Orwell für 1984 prophezeite, mußte sich Bloch aus negativen Rezensionen filtern und puzzeln, und um sein bißchen Trotzki lesen zu können, mußte er auf den Umweg über die Informationen der Kommunistischen Internationale. So kam Bloch schon zu einigem detektivischen Geschick, und das half ihm, als besagtes Wohnhaus eingestürzt und die Lücke mit den Adenauer-Passagen gefüllt worden war.

„Die Demo morgen“, begann Bloch vorsichtig und machte IKEA ein Bier auf. „Wird es außer den paar Skinheads noch andere Sachbeschädigungen geben?“

„Na, von uns aus kannst du die Jalousien doch sowieso oben lassen“, sagte IKEA. „Prost!“

„Jaja, aber der LADEN ist ja auch nicht die Bundeskanzler-Adenauer-Passage.“

„Wohl war!“ IKEA nahm sich auch noch eine von Blochs Zigaretten. „Aber für morgen sind keine spontanen Gewaltausbrüche vorgesehen.“

„Und trotzdem macht euch das Spaß?“

„Also, du... Du klingst ja wie einer...“ Anja sah von ihren Hausaufgaben auf und hatte zu ihrem roten Haar auch ein rotes Gesicht. „Dabei kennst du uns doch wirklich!“

„Sicher! Aber andere, fremde und gewaltbereite Chaoten...“ Bloch gab den lernwilligen Aktivisten des Schwarzen Haufens eine Runde Club Cola aus und holte sich IKEA mit einem schiefen Hals ins Büro. „Wenn da welche dabei wären, die mit Steinen oder Schleudern die Leuchtschrift zerlegten, dann...“

IKEA blies unschlüssig die Backen auf. „Also zwei oder drei könnten da schon dabei sein...“

„...dann könnte ich euch nämlich nicht anders als mit einem alten Kopierer helfen“, machte Bloch sein Angebot. „Generalüberholt und sauber... Der hat zwei Jahre für die anderen Schwarzen gearbeitet, aber in seinem Innern...“

Es war ein unmögliches Geschäft, aber Bloch brauchte einen neuen Waschautomaten und einen Farbfernseher für das Kinderzimmer, und Krause war bestimmt nicht leichten Herzens bei ihm vorbei gekommen. Er mußte bis zum Eröffnungsmontag und an seiner eigenen Fraktion vorbei die hellbau leuchtenden Großbuchstaben an der Betonfront des Prestigebaus loswerden. Die Prospekte hatte er in der Druckerei schreddern lassen und die Presse war gebrieft, aber wenn die Buchstaben BAP aufleuchteten, würde ein Anwalt der Kölner Rockgruppe um die abgemahnte halbe Million reicher sein.

„Ein Kopierer wäre nicht schlecht“, überlegte IKEA. „Und könnte die Presse uns vielleicht auch doppelt sehen?“

„Anderthalbfach“, versprach Bloch. „Aber fröhlich und friedlich... Beim Heiligen Netschajew, dem Schutzpatron der Werbe-Branche!“

„Die Leuchtschrift, ja“, stimmte IKEA mit einer Frage zu. „Kein Schaufenster, nein? Und meine Kinder erfahren nichts davon, klar?“

Mehr wußte Bloch über den Aschenbacher Aufschwung nicht zu erzählen, und dieses Wenige verschwieg er in der Hoffnung, daß die Rechtsberatung der Krimi-Serien stimmte: weder Angehörige noch sich mußte er mit seiner Aussage belasten. Um so bereitwilliger wiederholte er seine vier- oder fünffach dokumentierte Begegnung mit der Pharma-Millionärin, die er weder mit einem Durchschlag des Vertrags noch mit dem Einzahlungs-Beleg seiner Provision beweisen konnte.

„Ich könnte Sie einsperren lassen“, sagte der Staatsanwalt, nicht einmal unfreundlich. „Vielleicht fällt Ihnen ja in der Untersuchungshaft noch das eine oder andere Detail ein.“

Bloch nickte. „Und Sie könnten mir auch das Telefonbuch auf den Kopf hauen, zum Beispiel.“

„Oh, nein! Das darf ich nicht!“ Der Staatsanwalt hielt das Kassettengerät an, stand auf und trat ans Fenster. „Sie sind gar nicht so clever, wie Sie denken! Wer die Fakten ohne die politischen Scheuklappen betrachtet, kann Ihren Plan ganz genau erkennen!“ Er zündete sich eine Zigarette an, während er auf den aufgewühlten Markt hinaus sah. „Sie wollten den Aufbau der Stadt nicht etwa verhindern, mit diesen zurückgehaltenen Papieren. Stimmt‘s? Sie wollen gerade, daß gebaut wird, und dann erst werden Sie die Papiere präsentieren... Dann stehen die Kauf- und Bürohäuser auf fremdem Grund, was den Streitwert vervielfacht, und Sie verdienen deutlich mehr als mit der ursprünglichen Provision. Sie können zu jedem einzelnen Investor gehen und für Ihr Schweigen kassieren...“

„Nette Geschäftsidee“, gab Bloch zu und holte tief Luft. „Aber leider bin ich ein normal bescheuerter Ossi! Ich habe an gar keine Provision gedacht und deshalb auch keinen Durchschlag behalten.“

„Oh, nein! So bescheuert sind Sie bestimmt nicht! Vielleicht haben Sie sich auch mit einer dieser Gesellschaften zusammengetan“, überlegte der Staatsanwalt weiter. „Und so drängen Sie die anderen aus dem Markt... Aber egal, wie es im Einzelnen ist: Sie werden mit diesem Geld nicht froh werden, Herr Bloch! Ihr Begrüßungsgeld war schon das letzte, was Sie leicht verdient haben!“

Bloch nickte begeistert und zündete sich auch eine Zigarette an. Dieser Satz war nun wirklich sein Rollentext, und er wünschte sich ehrlich, daß Aschenbach ihn im Polizeibericht der übernächsten „Morgenpost“ las. Vor allem wünschte er sich die Mitteilung, daß die Unendliche Geschichte dieses Ermittlungsverfahrens eingestellt worden war, auch wenn ihm eine Schaufensterpuppe damit statt spekulativer Energie eine ganz unspektakulär ausgenutzte Gutgläubigkeit attestieren würde. Selbst sein Vereinsfreund Hartmann verdächtigte ihn ja, mehr von Geldgeschäften zu wissen als die Gewißheit, daß ihresgleichen besser die Finger davon ließ.

„Kennst du diese eisernen Topfkratzer, die die Strumpfhosen nicht zerreißen“, fragte Hartmann und legte einen der glitzernden Bälle auf den LADEN-Tresen.

Bloch drückte vorsichtig dagegen.

„Lustig“, sagte er.

„Macht drei Mark!“

„Ziemlich teuer für einmal anfassen.“

„Für drei Mark kannst du ihn behalten“, sagte Hartmann und sah sich sichernd um. „Gut... Zwei Mark fünfzig, weil du es bist. Sogar antihaftschicht-be­schichtete Pfannen kannst du damit auskratzen.“

„Und alte Strumpfhosen, ja“, sagte Bloch und hebelte die Kronkorken von der Runde des Schmetterlingssammler-Tisches. „Aber dafür kriege ich beim Vietnamesen eine neue Strumpfhose, weißt du. Und ich ziehe nicht mal welche an...“

„Bloch“, sagte der ehemalige ABV weinerlich. „Elke hat fünfhundert Stück davon gekauft!“

Bloch brachte den Schmetterlingssammlern das Bier, kassierte gleich ab und legte zwei Zwei-Mark-Stücke vor Hartmann hin.

„Und kannst du dir vorstellen, daß die Amis ein Waschpulver haben, daß du zum Kuchenmehl zutun kannst“, fragte Hartmann, während er seinen Händlerlohn in das angekettete Portemonnaie fallen ließ.

Bloch konnte sich das vorstellen, und er war sicher, daß Elke davon einen Zentner gekauft hatte. In irgendeiner der Zeitschriften, die er im kostenlosen Probe-Abo las und dann bis zum nächsten Kennenlern-Angebot abbestellte, war das AMWAY-Prinzip erläutert. Nur der wurde an den wirklich günstigen Angeboten reich, der das Zeug in Fünfhunderter- und Zentnerpackungen an Leute verkaufte, die es dann stück- und grammweise loszuwerden versuchten. Während er Hartmann großzügig die Zigarettenschachtel unter die Bärenbräu-Nase hielt, suchte Bloch in seinem Gesicht nach irgendeinem Anzeichen für die wirkliche Absicht des Vereinsfeundes. Weder würde er das Waschpulver kaufen noch würde er ein Stück des damit aufgetriebenen Kuchens probieren. Über alles andere wollte er mit sich reden lassen, weil Bloch eigentlich über alles mit sich reden ließ, aber Hartman war einfach unglücklich.

"Montags", schlug Bloch vor. "Montags ist der Laden doch leer. Da könnte Elke das Zeug hier loswerden, im großen Stil. Vorführen und verkaufen... Und ich kriege zehn Prozent von ihrem Anteil, hm?"

Hartmann blinzelte erschrocken. "Was denn? Du hältst das auch für ein richtiges Geschäft? Nicht für simplen Beschiß?"

"Na, klar ist das Beschiß", sagte Bloch. "Aber mit Beschiß kann man jetzt eben richtige Geschäfte machen. Eigentlich nur mit Beschiß..."

Bahros Alternative, die sie davor vielleicht hätte retten können, war nicht einmal an der Philosophie-Sektion Pflichtlektüre gewesen. Andererseits verdankte er diesem Buch die zweite Nacht mit Petra. Sie verriet ihm nicht, woher sie es hatte, aber sie ließ es ihn lesen, und sie beugte jedem Verrat mit dem nackten knochigen Körper in einer Ecke ihres Bettes vor. Obwohl der Begriff der Politbürokratie Bloch gefiel, mochte er sich mit einem Kommunismus ohne Wachstum nicht abfinden. Natürlich verstand er, daß er für die Wohnungszuteilung und die Lieferung des bestellten Trabant im betonierten Joch seiner Obrigkeit laufen mußte, aber er wollte auch nicht aus einem Internatsbett in den Sarg umgeschichtet werden, und insbesondere im Winter regten ihn die unregelmäßigen Straßenbahnen auf.  

"Und ob du das aushältst", widersprach Petra. "Wir haben doch auch allen möglichen Spaß, ohne verliebt zu sein, nicht? Ich finde es phantastisch, daß ich nebenan 'n Brot oder 'n Kondom borgen kann, immer wen finde,  der auch gerade ins Theater oder ins Bett  will. Und der Trabbi ist nicht wirklich ein Auto, nicht?"   

"Wenn wir uns alle verweigern würden, die ganze Intelligenzija, würde sie das noch lange nicht vom Hocker stoßen, diese Handwerkerverschwörung." 

Kleinschmidt, ein gescheitelter Fast-Diplomphilosoph, war ohne anzuklopfen hereingekommen, und er setzte sich ohne Nachfrage oder gar Aufforderung zwischen Petra und Bloch auf die Bettkante. Dann langte er an Petra vorbei nach ihrer Zigarettenschachtel und nach dem Feuerzeug, und Petra beugte sich hinter ihn und nahm den Aschenbecher vor Bloch weg, um ihn zwischen sich und Kleinschmidt zu stellen.

"Und schon Cäsar wollte aus gutem Grund beleibte Männer um sich, und Weiber, und  sei es als Hofnarren..."  Mit der freien Hand faßte Kleinschmidt an Petras Hemd, direkt über der Zitze, und Petra, die eben noch das ganze Establishment herausgefordert hatte, ertrug nun Kleinschmidts Kopf an ihrer Schulter. "Das sage ich dir, Bloch, daß sie dir jede These und jede Schweinerei verzeihen, wenn du sie nur auf deinem Weg zu den Fleischtöpfen gucken läßt!"

Bloch klopfte die Zigarettenasche in eine leere Kaffeetasse ab, und Petras Sätze und Petras Bild zitterten vor seinen Augen und in seinem Kopf. Daß sie unbedingt ihn wollte, hatte er von Petra nicht erwartet, auch weil er ja nicht unbedingt sie wollte. Daß sie  sich aber von diesem Typ betatschen ließ, als sei sie seine Leibeigene, brachte Bloch fast um.   

"Aber sie machen dich instinktiv fertig, wenn du dabei nicht an dich denkst", dozierte Kleinschmidt weiter, und dabei knöpfte er Petras Hemd  auf und schob die Hand hinein. "Da kannst du ihnen mit dem ganzen  Marx und dem ganzen Lenin kommen, und wirst ihnen doch was Schlimmeres als der Klassenfeind sein: ein antagonistisches Prinzip nämlich."  

Zum Schluß hatte Kleinschmidt den Arm vor Petras aufgedecktem Oberkörper und die Finger wohl schon in ihrer Möse, und daß Petra noch nicht darauf abgefahren war, tröstete Bloch durchaus nicht. Er ging ohne ein Wort, und er wollte sie nie wiedersehn, und doch  erschien sie ihm schon in seinem nächsten Traum. Ihre Anschauungen lockten Kleinschmidt, und sie wollte er und konnte er vergewaltigen, weil Petra kein Gericht für ihre Klage finden würde und obendrein die  erogenen  Zonen bestellt bekam.

Später war Petra mit all ihren Büchern und den Heftern in ihrer unleserlich geradlinigen Schrift in die Wohnung der Freundin eines Malers gezogen, der den Inhalt von Sperrmüll-Container auf große Preßspanplatten klebte, anstrich und das für die der Zeit angemessene Kunst hielt. Um auch Kunst zu machen, beschmierte seine Freundin ihre Foto-Modelle mit Latex und federte sie mit Zeitungsfetzen, und nachdem sie einige Zeit in den anderthalb Zimmern ausgeharrt hatte, war auch Petra verrückt geworden. Vielleicht hatte das nur an den dort deponierten Fotos und Müllbildern gelegen, vielleicht aber auch daran, daß Petra nach dem Wohnheim-Gerücht mit Hannes oder seiner Freundin oder auch mit beiden schlief. Jedenfalls tauchte sie eines abends mit nichts als dem Nachthemd auf dem Leib wieder im Wohnheim auf. Das war im Februar gewesen, und im Bauch hatte sie nichts als zwei Dutzend Faustan gehabt, und es war wohl geradezu ein Wunder, daß sie bei ihrem Selbstmord-Versuch nicht auch noch erfroren war.

Petra wollte niemanden außer ihn sehen, richtete der Parteigruppenorganisator nach der ersten Aussprache am Krankenbett Bloch aus, und Bloch war sicher, daß das nächste Sektionsgerücht eine Orgie in einem Dachzimmer des Evangelischen Krankenhauses betreffen würde.

"Wir haben eine Seele", flüsterte Petra zu Blochs Begrüßung. "Wußtest du das?"

Weil ihm der Arzt vor der Zimmertür erklärt hatte, daß die Tabletten Petra noch einige Zeit auf das Gehirn gehen würden, grinste Bloch verlegen vorsichtig.

"Gott, was weiß man schon wirklich... Aber auf jeden Fall solltest du das bis nach der Hauptprüfung für dich behalten."

"Alle haben wir eine Seele", sagte Petra unbeirrt. "Sogar die Elefanten!"

"Ja, klar", sagte Bloch. "Etwas müssen die ja in ihren großen Köpfen haben."

"Und deshalb wissen die Elefanten auch, wann sie sterben. Bevor sie sterben, reißt sich die Seele los: tage- oder wochenlang. Ganz eigenartig sticht das! Und deshalb kommen die Elefanten immer noch an diese vorbestimmten Plätze..."

Damit Bloch solche Erinnerungen unbestochen in Gedichte sammeln oder als Geschwulst daraus entfernen konnte, mußte er den Klang der Sätze und den Geruch der rednerin vergessen. Er mußte solche Sätze schlecht zitiert oder von neuen Dokumentarfilmen widerlegt finden, und er brauchte zuvor noch eine andere Heirat und eine unspektakuläre Scheidung. Dann half ihm gewöhnlich noch sehr, wenn gerade Frühling war, die Sone durch ein frisch geputztes Fenster schien und links von ihm in einer großen schwarzen Glastasse süßstoffsüßer Kaffee dampfte. Das war eine beträchtliche Anzahl von Voraussetzungen, aber dafür war das Gedicht vom Elefantenfriedhof in das Manuskript, auf die Rollenoffsetmaschine und in die Buchhandlungen gekommen, und je weiter es vorgedrungen war, um so heftiger hatte der Staat zu zittern und zu bröckeln begonnen.

Der Staatsanwalt schien dieselbe Vorstellung von der Macht der Blochschen Worte zu haben, denn er vermied es, irgendetwas Erinnerliches zu sagen. Die Zeit, zu der Coyllur  den Gulasch in die Knorr-Soße brocken mußte, ging vorüber, und noch immer hatte Bloch keinen Melodiefetzen aufgeschnappt, den er den versteinernden Eigentumsverhältnisse auf dem Immobilienmarkt vorsingen konnte. Zum Glück fingerte der Staatsanwalt vergeblich in der Lucky-Strike-Schachtel, als es Zeit war, die Beutel mit den Semmelknödel in reichlich kaltem, leicht gesalzenem Wasser zu versenken.

„Denken Sie nicht wenigstens an Ihre Frau und Ihre Kinder“, schloß der Staatsanwalt den Verhörfaden zur Argumentationskette. „Als Literat könnten Sie die U-Haft ja als Studienaufenthalt abhaken, und vielleicht werden ein paar der ganz schweren Jungs ja ganz treue Fans von Ihnen! Aber wer wird in dieser aufregenden Zeit Ihrer Frau, wie es heißt einem kleinen, leichten Mädchen, helfen? Haben Sie schon mal daran gedacht, Herr Bloch?“

Bloch nickte erleichtert.

„Das macht Paul!“

So langsam, daß ihn auch ein Generalstaatsanwalt nur mit Mühe auf der Flucht erschießen konnte, beugte sich Bloch zu seiner Aktentasche.

„Darum kümmern sich Johannes und Paul.“

Bloch legte den Papstbrief der Glasscheibe wegen sehr vorsichtig über die Aktenordner, aber er konnte sich schon vorstellen, daß eine schwäbische Schaufensterpuppe das für Ehrfurcht hielt.

„Jedenfalls hat man mir das bei der Taufe versprochen, daß ich sogar vor dem Jüngsten Gericht die einzig wahre Kirche, den katholischen Papst, alle Erzengel und die Heilige Dreieinigkeit hinter mir haben werde.“

„Ach“, sagte der Staatsanwalt. Er erbleichte nicht gerade, aber er sah doch wie ein Staatsanwalt aus, der eben in einer Lücke in seiner Ermittlungsakte gestrauchelt war.

„Und Sie haben Coyllur mit mir und sechzehn Millionen von meiner Sorte eingekauft, könnte man sagen“, verabschiedete sich Bloch. „Und nicht, daß ich gar nicht verstehe, wie Sie das bereuen...“

Außer Zeit war damit gar nichts gewonnen gewesen, und falls diese vertrocknete Beamtenseele, dieser lackierte  und deodorierte Schreibtischmörder, dieser von einer gynäkologischen Mutter Theresa bei der Geburt präventiv Kastrierte Büro-Wallach die Haussuchung angeordnet hatte, hatte Bloch mit dieser Wendung die Katastrophen-Lawine selbst losgetreten. Damals freilich war er froh gewesen, es wirklich noch bis zum Mittag nach Hause geschafft zu haben.

Einstein
Elefantenfriedhof
Der Käseladen
Schanensee
Wolokolamsker Chaussee
Crazy Horse
Die zärtliche Hausfrau
IKEA
Zirtaki
Die Schlesischen Weber
Die Rübe
Schindlers Liste
Die Schwarze Witwe
Hightech
Lawinen
Nattereri Serrasalmus
Robin Hood