Der Käseladen

Auch Moser war plötzlich und unerwartet gestorben, obwohl auch er ein Familienmensch gewesen war, und zu ihm war niemandem ein makaberer Witz eingefallen.

Sogar die Polizisten-Witze meinten nicht mehr Moser, seit er von der Waage aus dem Öffentlichen Dienst entlassen worden war. Einen Pfundskerl wie ihn brauchte Aschenbach schließlich: den braven Bürgerinnen und Bürgern ein unübersehbares Symbol ihrer fürsorglichen Obrigkeit, und den Bürgerrechtlern und kleinen Ganoven schon rein körperlich kein Verfolger, ein Bevollmächtigter an seinem Abschnitt eben. Daß sich einer wie Moser so einfach erhängen konnte, sprach für die Qualität der West-Strickwaren in Mehnerts Baumarkt, und daß er gerade in der neuen Zeit angekommen war, war allgemein bekannt, weil Moser es selbst bekannt gemacht hatte.

Gefeiert wurde das im LADEN, weil dort auch EVP e.V. gegründet worden war und die Ehemaligen Volkspolizisten einfach vergessen hatten, daß Bloch nicht ihr ehemaliger Mittäter, sondern nur das siebte Gründungsmitglied ihres Vereins war. Seinerseits sah er auch keinen Grund, daran zu erinnern: der Verein traf sich regelmäßig zu unmäßigen Trinkkuren, die immer bezahlt wurden. Die Vereins- und Feierflaschen, Landskron-Bier und Nordhäuser Doppelkorn, bezahlte Moser, weil er wieder schießen durfte und einen neuen Schein besaß, der ihm Sehr Gute Kennntnisse des Grundgesetzes, der Grundrechte und des BGB zuerkannte.

An der Vereinsflasche führte Moser vor, wie man derlei nach dem gespielten Durchlesen des Etiketts mit dem Arm zudeckte und im Jackett verschwinden ließ.

„Und die Polinnen erst“, sagte er, stellte die Flasche auf den Tisch und setzte sich wie ein Guru hin. „Drei Levis übereinander anziehen und hoffen, mit einem einfachen blow job davon zu kommen...“

„Womit“, fragte Hartmann.

„Na, mit Schwanzlutschen doch“, erklärte ein anderer ehemaliger Volkspolizist.

„Quatsch“, sagte Hartmann.

„Ehrlich“, sagte Moser und kippte einen Korn. „Selbst erlebt... Das heißt: selbst erlebt hat das einer von unseren Lehrern, dort!“

„Ja, und wie verhält man sich da“, flüsterte Hartmann. „Ich meine...“

„Kommt ganz drauf an...“ Moser machte eine Pause, bevor er lachte. „Worauf? Na, auf die Polin selbstverständlich...“

Der gelernte Kaufhaus-Detektiv brauchte schon etwas Psychologie, um zu erkennen, welcher Ladendiebin er so einen Antrag machen durfte, ohne seinerseits verpfiffen zu werden, und rechnen mußte er auch können. Sein Hobby durfte sich nicht gegen den geschäftlichen Erfolg richten und bedurfte einer gewissen Raffinesse.

„Verboten ist das prinzipiell, aber bei Polinnen ist das eben relativ ungefährlich, und ein bißchen Abwechslung muß auch sein. Manchmal mußt du so eine Hure trotzdem anzeigen und manchmal schon nach der Leibesvisitation gehen lassen...“

„Also ich weiß nicht“, sagte Hartmann. „Und ich will die Zeit bei der VP bestimmt nicht verklären, aber jetzt den Warenhausdetektiv machen...“

„Mit Prüfungsbescheid vom ARGUS Institut“, sagte Moser und hob die  Zeug­nismappe. „Das müßt ihr erst mal schaffen, Genossen!“

„Und was machst du damit“, fragte Bloch.

„Alles, mein Lieber! Damit kann ich mich überall bewerben! Da wirst du noch staunen, Genosse Bloch!“

„Aber wir haben hier doch gar kein Warenhaus“, sagte Bloch. Er meinte das nicht hämisch, und niemand konnte sich vorstellen, daß Moser zwei Tage später in zehn Zeilen auf der Titelseite des „Kurier“ passen würde.

Aus pathologischer Sicht ließ sich vielleicht verallgemeinern, daß Worte durchaus tödliche Waffen waren, wenn sie als Fragen eingesetzt wurden. Jede Pressekonferenz war ja auch ein Attentatsversuch, jede Gerichtsverhandlung bereits die öffentliche Hinrichtung, und dazu besaß jeder Kneiper noch mit seinen Antwortmöglichkeiten ein ganzes Arsenal nichtkonventioneller Waffen. Er konnte kinderreicher Mütter mit dem Preis für ein Glas Apfelsaft niederstrecken,  und gegen markentreue Hardcore-Trinker konnte er sogar die Massenvernichtungswaffe des DDR-Einzelhandels einsetzen: Hammwanich!

„Rotwein“, fragte die Referentin.

„Bloch, Erik Bloch“, stellte sich Bloch vor. „Aber Rotwein ist auch ein schöner Name.“  

Weil er den handgemalten und kopierten Zettel ins Schaufenster gehangen hatte, wußte Bloch, daß sie Simone Herzberg hieß und Nobelpreisträgerin für das Erfinden regionaler Wirtschaftskreisläufe war. Was er ungewöhnlich fand und worin er sich auf der Stelle verliebte, waren ihre blondierte Luxus-Punk­frisur, das mit goldenen Nieten besetzte Lederhalsband und die teuer nacherfundene knappe Motorrad-Jacke.

„Irgendwas trockenes“, präzisierte Simone. „Und bring ihn mir nach vorn, ja? Ich bin zu spät dran.“

Die immer gleichen, inzwischen nur gealterten Gründungsrentner klatschten, als sich die Frau im schwarzen Samt-Mini neben den Letzten Staatsbürgerkundelehrer stellte und setzte und beim Hinsetzen das Motorrad-Jäckchen auszog.

„Das ist also die Genossin Herzberg, Simone“, sagte Scheer. „Studentin, glaube ich, Mitglied im Landesvorstand und von dort als unsere Kandidatin für unsere Bürgermeisterwahl vorgeschlagen...“ 

Simones Unterkiefer klappte nach unten, und sie schob ihn leicht nach vorn, während sie die Vorstellung als Tiefschlag wegatmete und die zitternden Augenlider halb schloß.

„Aber nicht darum soll es gehen, und auch nicht um den Vorschlag der Statutenkommission an den Bundesparteitag. Die Fragen, die es dazu gibt, können wir ja im Anschluß an den Vortrag zu... Aber das erklärst du uns sicher gleich selbst! ...also im Anschluß an ihren sicher wichtigen Vortrag diskutieren. Wenn du dann möchtest...“

Um der ermordeten Nobelpreisträgerin eine kleine Verschnaufpause zu verschaffen, brachte Bloch ihr das Weinglas auf dem kürzesten Weg, mitten durch die nur angedeuteten, aber gut besetzten Stuhlreihen.

Ohne sich für einen vollen Saal verleugnen zu wollen, mußte Bloch vorsichtig sein. Der Letzte Staatsbürgerkundelehrer kannte ihn ja als Freund seines Amtsvorgängers, und den Aschenbacher Runden Tisch wollte er noch nach Jahren nicht begreifen.

George’s Deutscher Imbiß, der noch Fahrer des Glasknochens war, verteilte die Durchschläge rund um den Runden Tisch, und so konnte Bürgermeister Bloch über dem Original eine Art Strategie ausdenken. Er wohnte selbst in der Boleslaw-Bierut-Straße, die nach einem wahrscheinlich befreundeten polnischen Politiker hieß, von dem er nur wuße, daß er Boleslaw Bierut geheißen hatte. Polen wohnten in de Bierut sicher nicht mehr als Komsomolzen in der Straße des Komsomol, und daß Rainer Maria Rilke die Kinder eine Kleinstadt verwirren mußte, war Bloch auch klar.

„Aber was spricht gegen unsere Bauarbeiter“, protestierte Mehnert, wie es von ihm erwartet wurde. „Gegen Hans Beimler oder Rosa Luxemburg...?“

„Nur Sie“, sagte Andrea Kranzler scharf. „Sie und Ihre Partei!“

„Und die Rosa-Luxemburg-Straße will doch gar niemand umbenennen“, interpretierte Bloch die Liste vorsätzlich falsch. „Aber daß nun wahrscheinlich eine andere Zeit kommt, sollen die Leute schon merken. Am Bis­marck-Platz zum Beispiel, der bisher hieß...“

„August-Bebel-Platz“, half George‘s Deutscher Imbiß aus. „Und das sind nun mal die historischen Namen.“

„Bismarck-Platz“, sagte Bloch und hob die Hand.

Sogar die Orts-SPD stimmte dem Vorschlag zu, und zum Ausgleich bewilligte die damals noch bun­­te Mehr­heit Bloch seine Rosa-Luxemburg-Straße. Die Karl-Marx-Straße kam davon, weil sie von der Arbeiter-Wohnungsbau-Genos­sen­schaft schon unter diesem Namen gebaut worden war, und Mehnert sah wirklich besiegt aus, als Bloch den Dringlichkeits-Antrag nachschob, die Bindestrich-Sozialisten aus der Kreisleitungs-Villa auszuquartieren.

„Sollten wir damit nicht noch warten“, fragte nun Andrea Kranzler vorsichtig. „Bis nach einer ersten freien Wahl etwa?“

„Für das Haus haben wir alle nötigen Papiere“, sagte Mehnert trotzig. „Dagegen werden wir kämpfen!“

„Das will ich sehen“,  drohte George’s Deutscher Imbiß, lehnte sich auf dem Stuhl zurück und zeigte Andrea seinen Krieger-Bauch. „Und dafür kriege ich unsere Kampfgruppe noch mal an die Gewehre!“

„Und der Unabhängige Frauenverband wird in der ersten Reihe kämpfen“, versprach die damals noch nicht Ehemalige Beiköchin. „Wir brauchen ein Frauenhaus, eine unbekannte Adresse für die geschlagenen und vergewaltigten...“ Sie sah sich um, von der eigenen Logik verunsichert, aber sie war schon damals breit genug, um mit ihrem Blick auch drohen zu können. „Für die Täter unbekannt... Denn von Ihnen tut das doch hoffentlich niemand?“

„Also am früheren August-Bebel-Platz“, trug Bloch seinen Vorschlag in der Tonart eines Kompromisses vor. „Dort ist doch der alte Molkerei-Ver­kauf. Den könnten euch die Stadt vermieten, verpachten oder verkaufen, denke ich. Ihr könnt euch die Renovierung leisten...“ Die neuen Politikerinnen und Politiker nickten heftig. „...und wenn ihr in unserer Revolution nicht mehr verliert als eine Stadtvilla...“ Bloch sah Mehnert direkt in die Augen. „...dann habt Ihr ziemlich viel gerettet, finde ich.“

Bloch fühlte sich dreifach gut: für diesen Job hatte Mehnert sein Dach decken lassen, der Käseladen war von einem Bauhaus-Studenten entworfen worden und verfiel seit der Gründung des Quark-Kombinats, und Andrea Kranzler erinnerte sich eben da an ihren ersten, wenn auch nur kurzzeitigen Mit­strei­ter. Vielleicht an diesem Tag und in dieser Angelegenheit verdarb es sich Bloch auch mit der Beiköchin, die er wiedertraf, als der LADEN zum Frauenzentrum der Stadt ernannt worden war.

“Was machen Sie denn noch hier”, fragte die Ehemalige Beiköchin aus dem Cheffenster in den Hof.

“...wo ich doch schon zu Ostzeiten ins Warme wegwollte”, fragte Bloch nach einiger Bedenkzeit. “Genau.”

Er war dabei, den beim Leerräumen hinter Bierkästen versteckten Chef-Computer des vorigen ABM-Projekts in den „Trabant“ zu laden, und er hätte also gar nicht ernsthaft antworten können. Im übrigen war schon der Ton der neuen Herrin eine Zumutung. Bloch hatte bereits Getränke und Mikrowellen-Hamburger für die Eröffnungsfeier gekauft, und er hatte das wie schon einmal zuvor auf eigene Rechnung getan.

“Alle Stellen sollten doch Frauen bekommen”, erklärte sich die Ehemalige Beiköchin immerhin, ohne deshalb gleich freundlicher zu klingen. “Wie kommen da Sie...”

“Oh, das geht in Ordnung”, sagte Bloch, reckte seinen Fallschirmjäger-Körper und setzte so seinen zweitbesten Witz an. “Ich habe nicht nur vierzig Jah­re im falschen System, sondern auch im falschen Körper gelebt.“

Gewöhnlich schob Bloch dem einen abgehaunen Psychiaterbruder nach, der gleich nach der Wende mit einem gebrauchten Lackleder-Korsett zurückgekommen sei und ihm offenbart habe, daß sie eigentlich Zwillingsschwestern waren. Die Nummer hatte sogar das verregnete Antiautobahn-Frühlings-Hoffest zum Lachen gebracht, aber die Ehemalige Beiköchin adoptierte Bloch dafür. Sie hielt ihn für eine lesbische Transsexuelle, die sich nur wegen eindeutig traumatischer Kindheitserlebnisse einer Talk-Runde über ihre DDR­-Erlebnisse verweigerte und die sie unbedingt einmal mit einer gut befreundeten Psychoanalytikerin zusammen bringen mußte.

Bloch saß zwischen den Veteranen der ersten Reihe und starrte. Simones feines, aber ausgeprägt rundes Kinn war eine Kegelkugel, die sich nicht durch die hastig aufgestellten Vorurteile bremsen oder ablenken ließ, und ihre gerade Nase, die mit einem leichten Stups endete, stiftete selbst bei einem wirtschaftlich visionären Vortrag gute, ja fröhliche Laune. Vielleicht tarnte die Frisur zu dünnes Haar, vielleicht waren die Lippen eine Idee zu schmal, und die Augen und der Mund waren sogar ein wenig zu klein. Die strichdünn gezupften Augenbrauen störten Bloch, aber alles in allem verliebte er sich in Simones Kopf. Leider paßten die Sätze und Vergleiche ihrer Rede auch nicht halb so gut zusammen.

„Warum müssen wir Joghurt kaufen, der irgendwo in Bayern aus unserer Milch gemacht wird“, fragte Simone mit einer auf den hohen Registern orgelnden Stimme. „Joghurt, der aus mit Autos hingefahrener Milch gekocht und mit Autos hierher zurückgefahren wird... Sagt mir, Genossinnen und Genossen,  einen vernünftigen Grund dazu!“

Bloch wußte den einzigen Grund dafür. Erstens gab er keine Milch, zweitens hatten die Bauern die Volkseigenen Molkereien selber abgewählt, und drittens wurde Joghurt gar nicht gekocht. Viertens war selbst die weitgereiste Buttermilch trotz der Fahrpreise und der Werbemillionen für Blochs Konkurrenten billiger als die ganz in der Nähe aus der Milch einheimischer glücklicher Kühe gemachte, und fünftens mußte gar niemand bayerischen Joghurt kaufen. Die Leute taten es einfach, und Bloch, der das noch nie gemacht hatte, hatte auch noch nie mecklenburgischen oder sächsischen Joghurt gekauft. Er trank normalerweise auch keine bayerische Milch, sondern in Hamburg aus noch weiter gereisten Bohnen gerösteten Billigkaffee, und schon deshalb fand er Simones Visionen bedrohlich. Nach einem Kaffee aus sächsischen Eicheln und einer Zigarette aus fein geschnittenem Kartoffelkraut würde er neben einer Aschenbacherin, die es ihm nicht mehr französisch machte, schnell genug einschlafen müssen, um am Morgen den Zug nach Görlitz  zu bekommen, wo er schon nach zwei Stunden Anschluß an den Zug ins Nachbarkaff haben würde.

„Uns allen verlangt eine solche Strategie Opfer ab“, bestätigte Simone Blochs Überlegungen. „Aber immerhin werden wir weiter Joghurt essen können – nur nicht den von Müller-Milch! Und das ist das einzige, wovor Müller-Milch wirklich Angst hat...“

Scheer, obwohl er sicher aus Prinzip keine bayerischen Milchaktien besaß, sah Simone auch nach ihrer antikapitalistischen Pointe nicht begeisterter an. Nach einem Staatsbürgerkundelehrer-Leben und wie der Ausweich-Termin bei Bloch bewies, war er durchaus zu Kompromissen fähig, und mit IKEA und dem Schwarzen Haufen kam er eher gut zurecht.

Eine schlecht frisierte Rotznase aber, die mit einem Hundehalsband herumlief, grüne Sprüche machte und über seine Leiche in den Bürgermeister-Sessel wollte, kam auf Scheers politischer Ekel-Skala gleich nach Gorbatschow. Um den Anstands-Beifall zu dämpfen, bewegte er seinen Andy-War­hol-Kopf gebieterisch hin und her.

„Oder denken wir nur mal über das Abwasser nach“, wechselte Simone Herzberg das Thema, hastig, schroff und wenig glücklich. „Wann, frage ich euch, haben wir das letzte Mal  über dieses Thema gesprochen?“

„Vor ´nem Vierteljahr etwa“, höhnte Scheer nun offen. „Jedenfalls wir, hier!“

„Ja! Über jeden Scheiß reden wir neuerdings“, sekundierte ihm ein alter Mann, den Bloch nicht kannte. „Feminismus, Abwasser und Existenzgründer... Und wann, bitte, ist wieder mal der Sozialismus dran? Der aller demokratischste, von mir aus!“

„Genau! Wie zum Beispiel stehst du, du, ganz konkret, zu dieser Hetze gegen die Kommunistische Plattform? Nur so zum Beispiel...“

„Das wollen wir wissen!“

„Ach, in Wirklichkeit hat doch niemand etwas gegen euch“, sagte Simone und schoß ein paar verführerische Blicke über Blochs rechte Schulter.

„Rausekeln will uns der Brie!  Aus unserer Partei!“

„Unsinn“, behauptete Simone. „Es handelt sich doch nur...“

„Eben“, sagte Scheer und spielte ein Nachdenken. „Ein einfacher Handel ist da beabsichtigt! Aber das soll jetzt nicht das Thema sein, Genossen! Dem Landesvorstand, und insbesondere der Genossin Herzberg, geht es um regionale... Wie war das?“

„...regionale Wirtschaftskreisläufe als Grundmodell einer sozial gerechteren und ökologisch verantwortungsbewußten Gesellschaften“, haspelte Simone den Titel der Veranstaltung herunter. Sie sah jetzt jung und unglücklich wie eine FDJ-Sekretärin aus, die die  Beiträge ihrer Klasse zu spät abgerechnet hatte, nur eine Woche vor ihrem Abitur. „Und das, das wird die Schicksalsfrage der Partei werden. Daran werden uns die Wählerinnen und Wähler das nächste Mal messen, danach werden sie uns fragen!“ Sie leerte ihr Rotweinglas mit einem Zug.

Scheer holte Luft zum Letzten Gefecht. „Kindchen...“

„Noch ´n Glas“, fragte Bloch und stand stuhlrückend auf. „Und wer will noch ´n Bier bei der Gelegenheit?“

„Das ist ja alles sehr interessant und anregend“, rief die Jüngere der beiden alten Frauen. Sie stand auf und strich die Jacke der Kostüm-Rüstung noch glatter. „Aber, Genossinnen und Genossen... Hier wird geraucht, und dabei hatten wir auf der letzten Kreisdelegiertenkonferenz  beschlossen, während der Versammlungen nicht mehr zu rauchen! Mit großer Mehrheit! Und ich bin das noch gewöhnt, Beschlüsse zu erfüllen! Ja, lacht nur!“

Niemand lachte. Es wurde nur höflich getuschelt, und jemand schlug eine Trendabstimmung vor, ob die Veranstaltung an einem Ausweich-Ort überhaupt als Parteiversammlung gelten könne. Eingeladen habe der Kreisvorstand ja ausdrücklich alle Bürgerinnen, Bürger und Gäste der Stadt. Ein anderer Mann bezweifelte die Verteilung der Einladungen, weil man ja wieder nur unter sich säße, und Scheer schüttelte wieder den Kopf. Umsatz statt Miete hatte er Bloch für den Raum versprochen, und nun  wurde nicht nur Unsinn geredet, sondern auch nicht richtig konsumiert.

Bloch öffnete die Bierflaschen, stellte das Rotwein-Glas auf das Tablett und zündete sich eine Zigarette an, bevor er austeilen und abkassieren ging. Irgendwie brachte er es fertig, Simone das Glas hinzustellen, zu grinsen und die rechte Schulter zu zucken, bevor er nach nebenan ging und den Chef-Compu­ter anschaltete. Wenn er doch noch die Gründungspapiere eines Vereins unterschreiben mußte, würde ihn Scheer durch die halb offene Tür rufen können. Bis dahin aber konnte er mit den Cursor-Tasten versuchen, die Farbkästchen der Columns so zu verschieben, daß sich die 90- oder 45-Grad-Dreier auflösten und ihm zu einem Rekord verhalfen, den auch niemand wirklich brauchte.

Der letzte Eintrag in die Highscore-Liste war ein halbes Jahr alt.

Es war Simone Herzberg, die als nächstes in das Büro kam: in Mini, Lederjacke und Halsband.

„Also ich nehme noch ein Glas und dampfe dann ab“, sagte Simone und gähnte, ohne sich die Hand vor den Mund zu halten.

Bloch drehte sich mitsamt dem Stuhl sofort zu ihr um.

„Nimm zwei und bleibe! Na, immerhin willst du hier doch Bürgermeisterin werden, und ich glaube, du schaffst das!“

Simone grinste traurig.

„Oh, ja, nach heute bestimmt.“

„Generalproben müssen schief gehen“, sagte Bloch und hielt ihr auf seinem Weg zum Tresen die Zigarettenschachtel hin. „Alte Theaterweisheit, und ich war mal Regisseur. Bürgermeister war ich hier auch schon, und ich kenne die Leute!“

„Ehrlich?“

Simone leerte das Glas wieder in einem Zug, ließ es los und ließ ihren Arm fallen. Ihre hellgrauen Augen checkten Blochs Gesicht wie ein Sonderangebot und verengten sich leicht, als dieses Angebot auf ihre Hand reagierte. Sie hatte ihn nur ganz leicht, wie zufällig, zwischen den Beinen berührt, aber Bloch erlebte das wie einen regulären Vertragsabschluß.

„Und dein Halsband gefällt mir“, flüsterte Bloch.

Simone grinste. „Das borge ich dir gern einmal...“

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