10.

Blanche hatte mir verschiedentlich die Leiden der schleimigen Schnecken und knochigen Krebse beschrieben, welche in den Küchen aller besser gestellten Barbaren in heißem Wasser zu Tode gebrüht würden. Dennoch, ich gestehe es mit Scham, mundete mir das Essen, und indem ich dieses Geständnis in meinen nicht ganz unkritischen Bericht einflechte, kann ich vielleicht ihre Verzeihung erlangen.

Ich belog Blanche an jenem Montag mit einem nicht neuen Witz über die gewöhnliche deutsche Küche, und ich verschwieg ihr dazu die meisten Ausführungen des Bürgermeisters. So aufgenommen saß sie in der Küche unserer Quartiergeber, bei Bier und Kuchen, daß ich mich in das traute Du fand und mit allen lachte und scherzte.

"Diese Gemeinsamkeiten", wiederholte unser Gastgeber sich des öfteren, und dazu sah er Blanche so bewundernd an, daß ich mit seiner Frau verständnisvolle, eifersüchtige Blicke wechselte. "Es scheint, daß wir füreinander geschaffen worden sind, nur daß Gott sich bei deiner Farbe vertan hat. Oder bei meiner, ich bin darauf wirklich nicht besonders stolz..."

"Und daß ihr dann beide brotlos wäret", mischte sich die Gastgeberin in den Flirt.

"Ich dachte, wir wären füreinander geschaffen", sagte ich, als ich später neben Blanche lag. "Und was war dieser Siegfried denn, unter dem Drachen?"

"Er war bei der Inquisition", schnatterte Blanche und erschrak sich fast sofort. "Aber nicht aus Überzeugung, du... Sagt er. Nur weil es der Job so mitbrachte, als Schlosser..." Ich schnaufte, hörbar unaufgeklärt, und Blanche wandte sich mir noch einmal zu, um mir das Kinn in den Rippenbogen zu drücken. "Sie haben ihn geholt, vor Jahren, um eine Folterbank zu reparieren, und dabei haben sie ihn gefragt, ob er nicht bei ihnen anfangen wollte, als Schlosser. Und so hat er von der Pieke auf gelernt, und er hat es vom Folterknecht über den Henker bis zum Untersuchungsbeamten gebracht. Aber..."

"Aber er hat keinem ein Leid zugefügt, ich kenne den Spruch."

"Quatsch! Das mußte er ja doch, als Henker", knurrte Blanche. "Aber zum Schluß war er beim Personenschutz des Drachen, bloß das wollte ich dir sagen. Hätte ja sein können, daß dir das hilft."

"Gut, daß ich erst nach eurem Fachsimpeln gekommen bin", sagte ich und kraulte Blanche, verzeihend und Verzeihung heischend, die Kopflocken.

"Ja, das ist gut", sagte Blanche. "Du hast es eben nicht in den Fingerspitzen, dieses Gespür, wie man es etwa für eine professionelle Enthäutung braucht. Und erzwingen kann man das nicht... Siegfried dagegen, der..." Blanche holte tief Luft. "Gut, zugegeben: ansonsten verstehe ich mich mit dir bestimmt besser... Bei Gott, den es nicht gibt!"

"Der sonst auch in die Klapsmühle gehörte", beendete ich meinen Teil der Unterhaltung ebenso rituell und gähnte ohne Verstellung. Blanche schob ihren Kopf in meine rechte Achselhöhle, und wir schliefen nicht schlechter als in Wolfenwasser, sogar erheblich länger.

Tatsächlich half mir Herr Siegfried bei meiner Arbeit nicht unwesentlich, denn obgleich er nach dem behaupteten Sturz des nur angenommenen Drachen seine Anstellung verloren hatte, konnte er mir die Adressen der angesehensten Widerständler und mancherlei Details nennen, sie zu freierer Rede aufzufordern. Auch gab er mir gern zu, daß er Blanche und mich nicht zufällig beherbergte, sondern sich von der Hilfestellung für den Orden wenn nicht die Rehabilitation, dann doch die Gnade einer neuen Arbeit versprach.

"Lieber wäre mir inzwischen freilich etwas im gelernten Beruf, Don Michael", stöhnte Herr Siegfried einmal, nach einem siebten Becher Wein. "Die ist zu Ende, die Zeit der Zweifel, nach der die Stänkerer ohne Blutvergießen ihrer- wie unsererseits in alle Ämter gebrochen waren. Keine Gewalt hatten sie verlangt und 'Keine Rache' hatten sie versprochen, aber wie nennst du das... Wenn die Stadt mich nicht beschäftigt und mein alter Meister mich entlassen mußte, weil die Kundschaft mir die Schlösser der eh leeren Geldtruhen und eh überflüssigen Keuschheitsgürtel nicht anvertrauen wollte..."

"Scheiße nenne ich das", sagte ich ihm ehrlich. "Und obwohl ich sie alle verstehe: ich hätte dir was gut Bezahltes gegeben, damit du keinen Gedanken an deine gute alte Zeit verschwendest."

Herr Siegried leerte ein achtes Glas, und er legte mir den Arm um die Schulter, um mir auch noch seine geheimsten Gedanken zu flüstern.

"Denn obwohl ich darum nicht einen Knoten nicht um ein Handgelenk zurrte, keine mir vorgegebene Brustwarze nicht kniff oder brannte, fragte ich mich doch lange vor dem Sturz der Ordnung, ob solche Verrichtung wirklich gottgefällig war. Daß etliche Jungen statt des Beils nur einen Tritt in den Arsch benötigt hätten, um im rechten Glauben weiterleben zu dürfen, begriff ich sehr wohl. Weiber mußte ich verbrennen, die nur eine gehörig tiefe und volle Dusche zwischen die Beine gebraucht hätten, um weniger dummen Gedanken anzuhängen und so weiter. Das konnte also nicht die letzte Weisheit sein, den Geist der Stadt zu martern und ihre Jugend zu brandmarken und auszuweisen... Dachte ich! Und gottgefällig war das tatsächlich nicht, war es sowenig wie alles, was sie im Verhör und im Prozeß bekannten. Einzig, daß wir die Plätze tauschten, wollten sie, und unsere Obrigkeit hatte dies wohl verstanden. Und als nächste begriffen das Fräulein Hohlfeld und Hochfahren Auerhahn, aber jetzt... Jetzt ist das auch hier drin!"

Herr Siegfried schlug mit großer Geste gegen seine Stirn, und ich nutzte diesen Moment, um seiner Umarmung zu entkommen.

"Nicht, ob es Gott gefiele, hätte ich mich in den Verhören fragen müssen, sondern mir sagen, daß ich den Verbrechern und Lästerern kein Geständnis zu entreißen hätte, sondern den Schinken auf mein nächstes Frühstücksbrot! Aber nun ist die Lektion gelernt, das könnt Ihr Euren Oberen melden, Don Michael! Sie haben in mir einen unerschrockenen und, so sie es nur wünschen, skrupellosen Beschützer ihres Reiches, solange es bezahlt, und sie werden unserviele brauchen, da die Stänkerer nach dem kurzen Bad in der Menge bereits wieder begonnen haben, nunmehr die frische Luft der Freiheit zu verpesten."

Gleichwohl war Herr Siegfried ein ganz gewöhnlicher Ehemann und eher zu nachsichtiger Vater zweier Töchter, und Blanche und ich erlebten ihn durchaus umgänglich, wenn er uns in altem Ehrgeiz drei Schritt vorausging. Mit geübtem Blick taxierte er dann die Stimmung der finstersten Gassen oder Gestalten, und nur eine Zusammenrottung von sieben Fleischergesellen veranlaßte ihn einmal, uns einen Umweg vorzuschlagen. Langten wir bei einem seiner früheren Kunden an, wies Herr Siegfried uns wie eine Ablaßurkunde vor, und bei diesen Besuchen blieb er stundenlang stumm und unauffälig wie ein Tapetenmuster, ehe er auf dem Rückweg die Schubkästen seines Gedächtnisses zog.

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