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12.
Wieder einmal ist eine Einlassung in den Bericht
nötig, die wohl eine philosophische heißen könnte, wäre
ihr Gegenstand nicht die Heilige Inquisition und unsere,
meine und Blanches, Haltung zu ihr. Wie sich jene
Einrichtung uns persönlich vorstellte, habe ich bereits
erinnert, und seit es die Innigkeit unserer
Bekanntschaft erlaubt hatte, davon zu sprechen, bemühten
wir uns um das gemeinsame ständige Bedenken der
folgenden Punkte.
Der Gedanke einer Inquisition,
einer Prüfung von Worten und Taten, ist wohl uralt und
unsterblich. Seit die ersten Menschen in der Lage waren,
sich das Richtige oder Falsche eines Wortes oder einer
Tat mitzuteilen, lebte in ihnen und schwebte über ihnen
auch die Versuchung, alle anderen vor Irrtümern zu
bewahren oder sie zu übervorteilen. Dies ist der Motor
aller Inquisitionsapparate, und er hat sich seit damals
nicht verändert, nur verstärkt, verfeinert und
effektiviert. Nicht nur an menschlicher Bosheit, sondern
ebenso sehr an der Liebe hängt jener Motor, und es ist
weder selten noch falsch, daß sich große Inquisitoren in
all ihrer Furchtbarkeit als große Liebende verstehen.
Nur übergroße Liebe zu einem oder allen Menschen
vermag ein Hirn so zu vernebeln, daß darin sogar der
Gedanke vernünftig erscheint, man oder frau müsse Mensch
oder Menschheit bis in die innerste Windung des Hirns
und die letzte Falte der Leistengegend kennen, erziehen
und hegen. Hernach aber verdichtet alles diesen Nebel:
die kindliche Erfahrung, daß eine früh erkannte und
eingestandene Lüge weniger schlimm als jede andere ist,
oder die ärztliche Überzeugung, daß eine früh bemerkte
Krankheit am leichtesten zu heilen ist; die Wunder, die
konsequente Überredung zu stiften vermag, oder die
Verdauung der wirksamsten, wenn auch bittersten Medizin.
Und so schnüffeln Ehemann oder Ehefrau und Königin oder
Inquisitor an den Flecken jeder Unterhose und verlangen
Rechenschaft über jedes neue Zucken der geliebten Opfer,
dringen sie mit Worten oder Nadeln in die Körper der im
Irrtum Verstockten, die zu retten sie vorhaben.
Ja, wie Blanche mir von ihren Verrichtungen in der
Vermummung ihres Nürnberger Freundes erzählte, leiden
sogar Folterer und Gefolterter zumindest gleichermaßen!
Ich wußte oft, sagte Blanche, daß ein der Verschwörung
oder eines schweren Diebstahls beschuldigter Junge noch
Jahrzehnte unter der hellen Sonne und zwischen seinen
Lieben vor sich hatte, wenn auch ein wenig gebrandmarkt
oder nur einarmig. Er aber war in einen Panzer
gekrochen, wie ihn nur dicke Vorurteile und falsche
Hoffnung fügen können, und so war mein ganz persönlicher
Ehrgeiz, ihn mit strikt abgemessener Gewalt da heraus zu
holen und ihn weich und des Erbarmens würdig vor seine
Richter zu stellen. Deshalb riß und schnitt ich ihn aus
seinen Kleidern, deshalb zerrte ich mit Ketten und
Zangen an seiren Hand- und Fußgelenken, und nur deshalb
nahm ich mir die Eier und den Schwengel des hartnäckigen
Lügners vor: denn ein nackter Mensch ist schon kein
Verkleideter mehr, ein Gedehnter ist seines Verhaltens
nicht mehr mächtig und an seinem Geschlecht bist du
seinen Geheimnissen, seiner Liebe und seiner Zukunft am
nächsten. Ich legte nur die Kraft all jener Frauen in
den Griff, die noch seine Glocken schaukeln würden, mein
Eisen war nur eine Sammlung aller Zungen, die noch an
seiner Eichel spielen würden, wenn er in seinem Treff
mit mir gehörig kam. So arbeitet ein guter Henker ohne
Haßgefühle oder Rachedenken, sagte Blanche. Ihn erfüllt
nur das Bestreben, dem Objekt seiner Zuwendung und
Bemühung jeden Augenblick zu einem einzigartigen zu
machen, und jeder guter Henker geht am wenigsten auf
Blut. Nur wenn Verhörten das Geständnis wie der Samen
steige, würde es auch endlich abgehen, und wären Foltern
nicht immer auch politische oder religiöse
Veranstaltungen, würden sich die Partner nach diesem
Höhepunkt tatsächlich weinend küssen, streicheln und
verloben.
Ich konnte Blanche in diesem Punkt
nicht anders als abstrakt widersprechen, weshalb ich es
im Grunde unterließ, doch waren wir uns im weiteren
wieder einig. Wer diese Trennung der geliebten Menschen
oder der zu beglückenden Menschheit vom vermeinten
Irrtum Angestellten überließ oder massenhaft verfügte,
kann sich auch mit solcher Erregung nicht entschuldigen.
Der muß sich fragen lassen, und der sollte sich selbst
fragen, ob er nicht Buchhaltern gleich seiner Sache
anhängt oder in einem andersgearteten Irrtum befangen
ist. Denn daß nach zwei, drei und noch mehr Erlösern
offenbar geworden ist, daß das Richtige für die Welt von
einem anderen Ort oder einer späteren Zeit her besehen
etwas Fragwürdiges oder gar Falsches sein könnte, müßten
auch jene großen Menschenfreunde in Erwägung ziehen. In
der Unterlassung dieses Fragens also besteht die nicht
abzustreichende, die größte Schuld eines jeden
Inquisitors, sein Unterschied zum eifersüchtig Liebenden
und sein Verbrechen.
Und die darauf verweisen,
daß es ganz anders wäre, (Körper und Seele eines jeden
Menschen heilig und jede Tortur ein Übel), die sollten
beachten, daß sie gegen die ihnen Vorangegangenen
sündigen, indem sie in ihre Spuren treten! Auch sie sind
ihrer Sache ohne Blick auf die Geschichte, ihrer
Anschauungen sogar, zu sicher und damit schon im
Begriff, selbst Inquisitoren zu werden. Denn daß an
einem Ort oder zu einer Zeit die Untersuchung der
Irrenden mit Fragebögen statt glühenden Zangen
unternommen wird, beweist noch nicht, daß nicht
Inquisitoren am Werk sind. Es beweist nicht, daß jene
nie mehr durch diese ersetzt werden könnten, wie auch
ein Pranger durchaus ein Schafott sein kann.
Wenn
ihr uns aber fragtet, Menschen einer fernen Zukunft, wie
wir, Blanche und ich, uns den Sieg über die Inquisition
und ihre Ausmerzung vorstellten, sage ich euch: ganz in
der Art eures Umgehens. Wir sahen schon die Kinder
unserer Zeit durch die gefallenen Zwingburgen gehen, mit
Augen nur noch für den Gebrauchswert der Akten,
Folterbänke und Waffen. Wir sahen sie Feuer machen aus
Schandpapieren und Marterhölzern, um Kneifzangen und
Kastriermesser zu Pflügen zu schmieden. Zwischen den
Siegern nach unseren Herzen standen die Folterknechte,
weder nach Kniffen noch um Reue befragt, und die noch
immer eifrigen Hausmeister, die den Siegern die
unverheerten Abhörzentralen weisen wollten, wurden
angesehen wie bedauernswerte Voyeure. Auch jene Greise,
die ihre Länder jahrzehntelang in Beugeeisen und
Rüstungen gehalten hatten, sahen wir statt in Kerkern
auf dieser leisen Feier. Ihre langsamen Tränen fielen
nicht auf, und als sich ihre Gesichter zum antrainierten
Lächeln verkrampften, lächelte bereits der ganze Saal.
Und wir sahen ein weiß-schwarzes Paar voneinander lassen
und jene unerkannten Alten umarmen, und wir hörten das
Paar beweinen, daß jene Greise ihre Leben in Unfreiheit
hatten fristen müssen.
(Erst in Schildau lernten wir
hinzu: es würde eine Heidi Hohlfeld aufstehen und den
edlen Irrtum begackern wie ein faules Ei, und wir
träumten noch das Unwahrscheinlichste: die ganze Feier
würde auf das Paar sehen, und die Beiden wiederholten
nur ihren Satz.)
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