3.
Diese Einlassung, die uns leicht ans Messer Herrn Norberts, Graf von Branntheim, hätte liefern können, war ich Euch Menschen der Zukunft, meinen aufmerksamen Lesern, doch schuldig. Allzu leicht könntet Ihr sonst die lachenden Masken und höhnenden Sprüche, die unsere Feinde belustigen und unsere Freunde in Rage bringen sollten, für Blanches und mein Gesicht und unsere Philosophie halten. Gewiß mußten wir uns nicht täglich neu mühen, die Masken aufzusetzen und die Worte zu schleifen. Wir trugen sie wie mann auf einer Reise in unfreundlichen Landen in der Rüstung sogar schläft, und auch die Waffen des Geistes sterben eher an Rost denn in der Benutzung. Allein: um die Widernisse und die Widerlichkeit solchen Umgangs unter unseren Nachbarn und Zeitgenossen wußten wir wohl...

Doch ohne Zweifel schulde ich Euch, aufmerkssame Leser, auch und schon länger als erträglich Auskunft über die mir angetragene Mission, und Herr Norbert begann meine Unterrichtung, indem er mir geradezu feierlich ein Schreiben der Reichsanstalt für die Ruhigstellung erwerbsloser Gemeiner und Niederer Adeliger übergab:

»Sehr geehrte Dame/Sehr geehrter Herr!

Wie Sie zahllosen Veröffentlichungen der letzten Monate entnehmen konnten, ist unser Heiliges Römisches Reich deutscher Nation ein dem Gemeinwohl verpflichteter Staat. Wir freuen uns, Sie in seinen Grenzen und in der Obhut unserer Anstalt begrüßen zu können und möchten Sie hiermit über Ihre damit verbundenen Rechte und Pflichten aufklären:

1.) Falls Sie in den letzten drei Jahren zusam menhängend) ein Jahr im Geltungsbereich der Reichsverfassung bzw. im Auftrag des HRR auswärts, (Kreuzzug, Missionierung, Organisation von Pilgerfahrt o.ä.) tätig waren, haben Sie das Recht aufvierzehntägige Unterhaltszahlungen unserer Anstalt erwirkt.
2.) Mit diesem Recht ist Ihre Pflicht statuiert, sich von der Unterhaltungszahlung, (und zwar unabhängig von deren bewilligter Höhe), vor Obdachlosigkeit und Verhungern zu bewahren.
3.) Neben der oben gemachten Einschränkung ist dieses Recht auch an Ihre Pflicht gebunden, einmal im Vierteljahr in untertäniger Haltung bei der für Sie zuständigen Außenstelle unserer Anstalt vorzusprechen.
4.) Etwaige Nebenverdienste haben Sie zum Zwecke des Abzuges von Ihrem Unterhaltsgeld unverzüglich an die für Sie zuständige Außenstelle unserer Anstalt zu melden.
5.) Sie haben die Pflicht, jede Ihnen von unsrer Anstalt zugemutete Tätigkeit als eine zumutbare Tätigkeit anzunehmen.
6.) Sollten Sie eine dieser Ihnen übertragenen Pflichten schuldhaft verletzen, gehen Sie Ihrer unter 1.) aufgelisteten Rechte für mindestens ein Vierteljahr verlustig. Gegen ein drohendes Verhungern ist in diesem Fall binnen von vier Wochen Einspruch zulässig.

Mit freundlichen Grüßen
& einem herzlichen 'Hilf dir selbst,
dann hilft dir Gott!'

N.B. von Blumenau, Trugsess und Reichsminister für Ruhigstellung«


Ich drehte das Pergament sogar noch um, ehe ich meinem Gast meine Ratlosigkeit durch Schulterzucken zugab.

"Die betreffende Tätigkeit wird dir von den Berufenen des Ordens der Ritter vom Heiligen Geiste zugemutet", erklärte mir Herr Norbert und zerrte ein weiteres Schriftstück aus einer Geheimtasche seines Umhangs. "Du hast diesen Antrag unvoreingenommen zu prüfen und mit unwiderlegbaren Gründen abzulehnen!"

"Unvoreingenommen zu prüfen", fragte ich, bevor ich das mit dichten, krakeligen Buchstaben bedeckte Papier näher ansah, "und unwiderlegbar abzulehnen?'

"Exakt so! Und wir erwarten dich und deine..., nun ja, deine Frau am nächsten Montag neun Uhr im Magistrat dieser Stadt."

Ohne sich bei weiteren Einzelheiten oder einem weiteren Branntwein aufzuhalten, stand Norbert, Graf Branntheim, auf und verließ unsere Wohnküche. Vom Burghof drang das unvermeidliche Ächzen und Klappern eines aufsitzenden Ritters durch die halb offene Tür herein. Dann schlugen die Hufen, und ich wandte mich dem zweiten mir überlassenen Schriftstück zu.

»An Seine Herrlichkeit und Allmacht,
den Herrn Kanzler des Heiligsten Römischsten Großreiches Treudeutscher Nazion!


Vier, das unndnzeichnende Folg der Stadd und des Staddgreis Schildau, zeigen Eurer Excellentia an, daß vier im Herbst des Jarrs den unsre Stadd beherrscht habenden greulichen, d.h. röthelichen Drachen besieged und zerdeiled haben. Vier versichern anstatt zu beeiden, daß vier das Vieh ohne fremde Hilfe begämpfed haben und beandragen
ad erstens: die schleunigste Aufnahme von Stadd und Staddgreis Schildau in o.g. Reich;
ad sekunde: die Auszeichnung unserer Stadd (16.800 Einwohner-Einheiten) mit 16.800 Großen Reichsverdienstskreuzen an Ghagibändeln sophie mit Lorbärblättern;
ad drittens: die Entschädigung für viertsch mal 365 (zuzüglich 10 Schalttage) mal 16.800 Tage fegediern inallgemeiner Unfreiheit unter o.g. Drachen;
ad quartetto: die Zahlung von orntlicher Ab- und Entwickelungshilfe.

Mit forssüglichster Hochachtung
et zittera et zittera

Die Montagsdehmo des Folgs von Schildau, 18. März.

Beglaubigt:

Dr. Ludwig Meisegeier,
Rechtsanwalt

Heidi Hohlfeld,
Porzellanmalerin a.D.

Hochwürden Jockel Auerhahn,
amt. Stadtchronist.

Nachtrag: Die Beglaubigung bezieht sich nicht auf die Rechtschreib- u.a. Fehler des von einer Zwei-Drittel-Mehrheit der Versammelten angenommenen Textes.

1 Anlage: Bähschluß zur bereichnung der Ehrenbirgerfürde der Stadd Schildau sophie aller fürzen umliechenden Gemeinden an
Seine Herrlichkeit und Allmacht,
den Herrn Kanzler des Heiligsten Römischsten
Großreiches Treudeutscher Nazion!

Caput 1
Caput 2
Caput 3
Caput 4
Caput 5
Caput 6
Caput 7
Caput 8
Caput 9
Caput 10
Caput 11
Caput 12
Caput 13
Caput 14
Caput 15
Caput 16
Caput 17
Caput 18
Caput 19
Caput 20
Caput 21
Caput 22