13.

Blanche, der ich nur unseren Auftrag und nicht das Ziel unseres Aufenthaltes in Schildau genannt hatte, mühte sich ungleich mehr als ich, und weil ich dem Orden die anfallenden Spesen abrechnen konnte, ließ ich mich bei schönem Wetter auf die von ihr entdeckten Spuren verlocken.

So besichtigten wir einen Ort, der von den Flugschriften, aber auch von unseren Gewährsleuten immer wieder als das Vordorf der Drachenhöhle genannt wurde. Wo wenn nicht dort, folgerte Blanche nach aller allgemeinen Logik korrekt, müßten sich wohl oder übel die deutlichsten Hinweise finden lassen. Was wir jedoch fanden, hätte Herrn Norbert voll zufrieden gestellt.

Wohl stünde das Dorf in nämlichem Rufe, flüsterte uns eine scheue Kellnerin, während sie unsere Biere auf einem Münchener Pappdeckel anstrich. Tatsächlich aber hätten statt des Drachen an besagtem Platz jenes Dutzend alter Männer gelebt, das Schildaus Geschicke doch so schlecht gar nicht geführt habe. Daß von diesen höchsten Lakaien des Drachen keiner seinen Geburtstag so laut gefeiert habe, wie der harmloseste rasierte oder mähnengefärbte Chaot einen gewöhnlichen Tag begehe, hörten wir immer wieder. Auch habe zu jener Zeit jede Sechs- oder Sechsundachtzigjährige zu jeder Zeit über die Dorfstraße gehen können, ohne dabei Gefahr zu laufen, von den alten Herren oder jemandem sonst geschändet zu werden. Und das dürften wir schon gar nicht glauben, daß sie einfache Dorfbewohner wegen besonderer Fügsamkeit im Ort angesiedelt worden seien: vielmehr habe der Dorfbäcker des öfteren leichtere als genormte Brötchen anzubieten gewagt, wogegen die Kundschaft ihrerseits ohne Furcht Protest gewagt habe. Ob es nach Höhle aussehe, fragte ein breischultigerer Mann drohend und wies auf sein Haus aus doppelt gebrannnten Ziegeln. Damit habe er sich an den Abenden beschäftigt, nicht mit dem Wenden abgelegter Kriechtierhäute, und wenn er etwas an der Drachenzeit aus zusetzen habe, dann ihr plötzliches Ende. Denn plötzlich seien Herren in vielpferdigen Kutschen durch das Dorf gerast und hätten neben anderen auch ihm bedeutet, von den mühsam besorgten Ziegeln bis zum weißen Putz des Häuschens und zwischen Nährmittelladen und Friedhof gehöre alles Land und mithin alle Bebauung von Rechts wegen ihnen. Und der Breitschulterige fixierte Blanche so durchdringend und mordlustig, daß sie ihm noch vor seiner Frage bei Gott, den es nicht gibt, gelobte, sie wolle von ihm weder Haus noch Asyl. Darauf wurde der Mann wieder friedlich, fast freundlich, und bedrängte uns, in das Haus zu kommen und seine Wasch- und Nachtgeschirre zu besichtigen. Derlei, und sicher für echtes Geld und teure Gefallen besorgtes Inventar habe man im Herbst des Umsturzes in den Häusern der alten Männer nicht aufgefunden, wie er uns überhaupt mitteilen müßte, daß er als Experte für Abwässer dort nur habe ablachen können. Ob Drache oder nicht: wer die einträgliche Arbeit nich scheue, bringe es im Leben zu etwas, und wer solches Anpacken scheue, werde eben Heidi Hohlfeld.

Gegen Abend zurück in der Stadt notierte ich diese Auskünfte, überrascht, in der erklärtermaßen schweigsamen Gemeinde doch eine Seite von Mitteilungen zusammen bekommen zu haben. Blanche lag derweil auf dem nicht mehr knisternden Laken, gähnte und kommentierte meine Vorlesung nur unwillig.

"Dann war es eben ein Drache, der keine Jungfern vernaschte", sagte Blanche, "nur unauffälligen Tribut verlangte und darauf achtete, daß seine Untertanen leben blieben."

"Eine Art Eidechse eben", faßte ich zusammen.

"Und", fragte Blanche. "Die Ägypter vergötterten Katzen, ein paar Gänse kamen auf die Idee, Rom zureette zu retten, und wir werden von Eseln regiert. Was spricht also gegen eine Eidechse?"

"Es ist nicht rühmenswert, sondern gilt als Tierquälerei, eine Eidechse zu töten", sagte ich ihr Bescheid. "Und wenn etwas Leute bedrückt, und diese Leute haben Druckstellen wie Augustäpfel um Weihnachten, und du trittst vor sie hin und sagst ihnen, daß es nur eine Eidechse war... Sie wollen dann keine Negerküsse von dir, jede Wette, sondern machen Hackfleisch aus dir, welches seinen Namen Tatar ja nach von Tataren wundgerittenem Weibsfleisch hat."

Und auch in die Kneipen am Brezel-Berg folgte ich Blanche, die dem weit über die Schildauer Stadtmauer hinaus geflogenem Gerücht auf den Grund gehen wollte, in jenem Stadteil hätten schon immer die furchtlosesten Gegner des Drachen gewohnt, Schildaus junge Dichter.

Jene könne sie uns wohl zeigen, sagte die nun gar nicht scheue Kellnerin der erstbesten Kneipe, nur habe sie Anweisung, bei deren Bekanntschaft sofort zu kassieren. Blanche nickte verständnisvoll und zahlte, und der Anblick der uns hernach gewiesenen Helden rührte Blanche. Eng umschlungen waren die Männer unter den Tisch neben der Toilettentür gerutscht, und wer nie als einer unter andere Literaten geraten war, mochte das als Zeichen von Männerfreundschaft und Kämpfermüdigkeit ansehen.

Ich weiß nicht zu sagen, wen sonst ich wobei sonst zu sehen gehofft hatte, und vielleicht logen ja auch die Legenden von den lodernden und entflammenden Verseschmieden anderer Völker. Was die Poeten vom Brezel-Berg anging, war ich mir jedoch nach dem ersten Blick sicher. Ihre Finger zuckten nicht in der träumerischen Aufarbeitung des Drachenkampfes, sondern nach den Hälsen der in größerer Auflage gedruckten Kollegen, und weder wiederholten sie im Schlaf ihre Schlachtrufe noch schufen sie Lautgedichte, sondern sie schmeckten dem Bier nach und erlagen den Lutschreflexen, die sie an ihren ältlichen Gönnerinnen erworben hatten.

"Ist auch nichts gegen zu sagen, im Allgemeinen", versicherte ich Blanche eilig. "Nur daß diese Sorte das als Poesie ausgibt, hat mich schon immer geärgert..."

"Du bist ein unerträglicher Zyniker", schimpfte Blanche, dabei um eine gedämpfte Stimme bemüht. "Und solche Reden hättest du der Inquisition verkaufen können, gegen sie!"

"Bestimmt", gab ich ihr zu. "Wenn ich das gewollt hätte..."

Aber nicht einmal, daß ich ihr ohne Einschränkung Recht gab, besänftigte Blanche, und um mich zu reizen, bestellte sie Bier für sich und die Schlafenden. Nach einem Blick in unser gemeinsames Portemonnaie, das ihr kein größeres Mäzenatentum erlaubte, überließ ich sie ihren sentimentalen Regungen. Auch Heidi Hohlfeld gehörte zu den Anwohnern des Brezel-Berges, und alle Vorzeichen mißachtend beschloß ich, derweil sie aufzusuchen.

Blanche durfte nach allen Erfahrungen, die ich im Kreis von Literaten gesammelt hatte, nicht viel vor Sonnenaufgang in unser Miet-Heim zurückgekehrt sein, und so war ich gegen Mittag auf vielerlei gefaßt. Eine von einem Löwenkater zerrissene Blanche hätte mich sowenig überrascht wie eine löwenhungrige. Um sich zu versöhnen, hätte sie in das Notat meiner Unterredung sehen können, und genauso gut wäre möglich gewesen, daß sie es in eine Ecke des Zimmers feuerte und feurig triumphierte. Nur daß Blanche sich zwischen mich und den Schreibtisch zwängte, in die Knie ging und mir die Hose aufmachte, hätte ich nie und nimmer für möglich gehalten. Sie tat es jedoch, und sie bereitete mich sachlich und professionell auf den Empfang ihres Lippendienstes vor, tat ihn und wehrte meine Hand ab, die sich mit Locken- und Brustkraulen bedanken wollte. Um nicht ganz untätig zu sitzen, nahm ich die Feder zur Hand, und selbst mit dieser Mißachtung gab sich Blanche zufrieden. Sie trank mich, während ich bedeutungslose Quadrate auf das Papier malte, und sie ließ auch danach nicht von mir ab, hätschelte mein schlaffes Glied, zog es groß und hielt es eine süße Ewigkeit lang hart und heiß.

"So schlimm war es", sprach ich schließlich den ersten Satz, und Blanche nickte, ohne sich den Pfahl im Mund selbst zu erlassen. "Ich werde nicht lachen", versprach ich also, "aber nun sei wieder du und erzähl schon!"

"Legen wir uns", fragte Blanche, und selbst als wir lagen, war ihr lieber, daß ich ihr ihre Lutschlippen leckte und die Kneifzähne polierte. "Du bist ein unerträglicher Zyniker", wiederholte sie später, "aber hundert von deiner Sorte sind leichter zu auszuhal ten als ein Idealist."

Die Hitze der Kneipe hatte die Helden des Brezel-Bergs doch erstaunlich schnell ausgedörrt und mithin geweckt, und sie hatten nach den von
Blanche bezahlten Bieren wie nach dem fälligen Tribut gegriffen. Noch das hatte Blanche nicht gestört, und durchaus gläubig hatte sie den Reden gelauscht, die die Männer fortsetzten, wo sie vom Rauschschlaf unterbrochen worden waren.

Er habe der Inquisition wahrlich alles erzählt, was sie wissen wollte, erzählte ein kurzgeschorener, aber unrasierter Brillenträger stolz, weil es in seiner Welt nicht Gut oder Böse gebe, sondern nur Erzähler und Zuhörer. Er aber sei der Erzähler aller Erzähler, und er habe das Wohlwollen auch jener Zuhörer benötigt, um in aller Welt erzählen und von den Honoraren Sessel für seine Zuhörer und Zuhörer für seine befreundeten Erzähler anschaffen zu können. Und wenn er überhaupt etwas glaube, dann glaube er unbeirrt, richtig gehandelt zu haben, denn anders als seine Inquisitoren säße er noch immer in Schildau und habe noch genug für hundert Akten- und Werkbände zu äußern. Das habe die Dichter des Brezel-Berges ja so berühmt gemacht, sprang dem Brillenträger ein Langhaariger bei, bevor Blanche auch nur Luft für Nachfrage oder Widerspruch hatte, daß sie keinem Drachen weder nach dem Munde noch in die Ohren geredet, sondern die Dichtung von aller äußeren Verpflichtung und die Sprache von aller niederen Verständlichkeit befreit hätten. Wenn die Schwarzkirsche aber den Unterschied zwischen einem Inquisitor und einem Revolutionär von Schildau wissen wolle, rief ein Dritter, dann könne er damit dienen, bevor er sie noch ganz anders bedienen werde: die Inquisitoren hätten die poetischen Zirkel wenigstens ernst genommen und mit Leuten aufgefüllt, die wenigstens nicht immerzu »mich« und »mir« verwechselt hätten. Dann war es für einen Augenblick still gewesen, aber weil Blanche nicht sofort nach weiteren Bieren gerufen hatte, hatten die Dichter begonnen, sich aus ihren Werken vorzutragen.

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