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4.
Wieder allein versuchten wir, uns des Wochentages zu
erinnern, was nicht einfach war. Vor einem Jahr hatten
wir die Spenden für die täglichen Flugschriften beider
großen Religionen eingestellt, und die Sonntagsglocken
verschliefen wir zusammen, nachdem wir zusammen die Kühe
gemolken und in der Folterkammmer die Eier eingesammelt
hatten.
"Genau! Die Folterkammer", juchzte
Blanche. "Die Bullen haben drei Hühner geklaut, und das
würden sie doch am oder vor dem Fastentag nicht machen,
als gute Christen."
"Und Donnerstag", erinnerte
ich mich, "schickt der Krämer den Dorftrottel mit seinen
gräßlich gezeichneten Sonderangeboten rum!"
Wir
einigten uns darauf, daß unsere Chancen nach dem Stand
der Sonne fünfzig zu fünfzig standen, daß wir einen
Dienstag oder Mittwoch überleben würden. Gehörige Zeit
nach dem Abendgebet würden wir ins Dorf gehen, um das
genaue Datum zu erfahren und eine Vertretung für den
Hof- und Burgdienst zu suchen. (Pech oder eine Intrige
des Bürgermeisters, auf dessen geträumtem Turnierplatz
Burg Wolfenwasser stand, hatten dazu geführt, daß selbst
das brüchige Plumpsklo auf die Denk- malsschutz-Liste
geraten war und für potentielle Touristen offen zu
halten war.)
"Eine ganz dumme Frage", sagte
Blanche, als sie beim Abräumen des Küchentischs die
Schriftstücke aufhob. "Warum kann dir der Trugsess von
Deutschland eigentlich ungestraft einen so unverschämten
Brief schreiben, mein Lieber?"
"Doch weil ich
bekanntermaßen Pazifist bin", witzelte ich und setzte
die Holzschüsseln dann doch sehr vorsichtig ab. "Du,
Wolfenwasser liegt in Deutschland, Schatz!"
"Ach
so, und darauf bildest du dir was ein, ja?"
"Ich
kann es nur nicht ändern", sagte ich und übernahm
demütig, den Kessel mit der Spinatsuppe vom Herd auf den
Tisch umzustellen. "Und du, als Tochter eines Zauberers,
hast es bisher immer vorgezogen, statt deiner schwarzen
Brüder bleiche deutsche Hähnchen zu essen, tut mir
leid!"
"Da ist mehr Fleisch dran..." Blanche
lachte, rührte in ihrer Kreation und teilte mir das
Gemüse-Quantum für zehn ihrer Landsleute zu. "Ich habe
doch nicht mehr gegen Deutschland als du!"
"Wußte
ich es doch, daß du es haßt", beschloß ich das Thema und
kostete, ehe ich mich setzte. "Wahrscheinlich schreibt
er mir, damit ich nicht vergesse, wo ich nicht
verhungere."
In Wirklichkeit mochte ich
Deutschland, zu dem Schildau ja noch nicht ganz gehörte.
Es ist schwer, das Land nicht zu mögen, in das man
geboren ist und aus dem man immer nur mit zuwenig
Bargeld hinauskommt. Deutschland ist auch ein Land mit
einer bedeutsamen Geschichte, woher vielleicht sein Name
rührt und obwohl mir aus dem Stehgreif kaum mehr als der
Sieg der Cherusker über die Römer einfällt. Unsere
Wissenschaftler wie der selige Bertolt Schwarz haben
sich mit feurigen Spuren in die Annalen des europäischen
Geistes und Fortschritts eingetragen, und außer seinen
Denkern hat Deutschland auch landesweit berühmte Dichter
wie Herrn Walther von der Vogelweide hervorgebracht, der
nach der Fama ein Österreicher war. Friedrich der
Zweite, der zu seinen sizilianischen Paten geflohene
deutsche Kaiser, bescherte uns auch einen, nun ohne
Witz, guten Spruch: Moses und Mohammed habe unsere arme
Welt eben noch verkraften können, während sie sich des
Ärgsten der drei Betrüger durch eine Kreuzigung habe
entledigen müssen.
Auch viele Tugenden werden den
Deutschen nachgesagt! Cheruskische Treue, sächsische
Härte und vorpommerschen Eifer assoziiert jeder, der
irgendwo in der Welt auf das Prädikat »deutsch« stößt,
und von nun an wird es zudem mit dem Freiheitsdurst der
Bürger von Schildau verbunden werden. Ja, und dreizehn
Mal Ja: ich liebe dieses Deutschland so sehr, daß ich
wohl nie verstehen werde, warum es die weitaus längste
Zeit seiner Existenz darauf bestanden hat, »Heiliges
Römisches Reich« zu sein.
Im Übrigen war, was bei
diesem Gemüse leicht geschehen kann, der Spinat ein
wenig wässerig geraten, was Blanche zu der spitzen
Bemerkung veranlaßte, derlei könne in Aithiopien nun
gewiß nicht passieren.
Am Abend trafen wir den
Krämer dabei an, dem reisenden Kupferstecher Albert,
oder doch so ähnlich, Dürer Anweisungen zur besten
werblichen Gestaltung von Leberwürsten zu geben. Es war
also erst Dienstag.
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