14.

(Bericht über die Unterredung mit Heidi Hohlfeld, Porzellanmalerin a.D. und Begründerin der Bewegung Neue Schwatzsucht.)

Wenigstens eine Schildauerin wollte den Drachen in seiner ganzen fürchterlichen Gestalt gesehen haben, und ich glaubte ihr das vor dem ersten Wort. Heidi Hohlfeld ist klein von Gestalt und eher zierlich, doch ihre Augenringe hätten einer Elefantenkuh zu Gesicht gestanden und ihre Stimme klang in der Begrüßung, wie ein professioneller Chor von Klageweibern auf einem Staatsbegräbnis.

"Und ob ich ihn kenne", versicherte mir die Hohfeld. "Er grinste uns ins Gesicht, als wir aus unseren Müttern fuhren, wachte über unseren ersten Schritte und unsere ersten gelesenen Sätze. Ihn zu ehren, wurden wir auf dem Schulhof in gerade Reihen getrieben, und wir hörten ihn zu jedem Tanzlied brüllen, und unsere Männer, so er uns überhaupt welche überließ, rammelten uns im einzigen Bestreben, uns Kampf- oder Gebärmaschinen des Drachen einzupflanzen." Ein wenig zweifelnd hielt ich den Kopf schräg, aber diese meine Neigung entging der Künstlerin, und sie fuhr mit noch wilderer Klage fort. "Ein einfaches Bekenntnis, man oder frau wolle dem Drachen nicht das Recht zum Überfall auf aufbegehrende Gemeinden zugestehen, und schon fiel der Drachen mit ganzer Wucht und Wut und Furchtbarkeit über den Protestanten her. Für Stunden warf er uns dann in seine Verliese, drohte uns oder unseren Eltern an, uns oder ihnen die Studienplätze und einträglicheren Berufe zu nehmen, und blieben doch noch etliche unerschrocken..." Heidi Hohlfeld hielt inne, um mich ihren eigenen Schrecken nachfühlen und mich sammeln zu lassen, und während dieser Zeit ging sie mit müden Bewegungen daran, heißes Wasser auf den Tee zu gießen. "Wer aber dennoch unerschrocken blieb, und ich spreche aus Erfahrung, der oder die wurde gar aus dem Vorstand der Zunft der Porzellanmaler ausgestoßen! Nicht zu reden von all jenen Hofdichtern, die weit über Schildau bekannt wurden, weil ihnen der Drache zur Strafe ihrer Widersetzlichkeit wenn nicht gerade das Dichten und Fortschmuggeln ihrer Dichtungen, dann aber doch den Zugang und den Vortrag bei Hof verbot!"

Um mein Gesicht auf eine Art zu verziehen, die nicht als Geringschätzung solcher Widerlichkeiten mißverstehen zu war, trank ich einen Schluck Tee aus einer übrigens unbemalten Tasse und tat, als hätte ich mir Lippen und Zunge verbrüht. "Mich deucht, schon von gräßlicheren Taten diverser Drachen gehört zu haben", keuchte ich dazu.

"Gewiß", bestätigte mir Frau Hohlfeld und vermochte nur noch, zu flüstern. "Der Drache nahm sich heraus, Schildau vorzuschreiben, welche drei Sorten Wurst auf die Tische aus der einzigen Möbelmanufaktur kamen, wann Erdbeeren oder Chinaäpfel zu kaufen waren und verfolgte jene, die Zeichnungen frischer und farbenfroher Bekleidung in die Stadt einzuschmuggeln suchten. Wer aber des Regiments überdrüssig wurde und versuchte, heimlich die Stadtmauer zu überwinden, der wurde erschossen oder gefangen gesetzt, bis sich eine fremde Stadt seiner erbarmte und dem Drachen Lösegeld zahlte. Nein, wir hatten nichts zu lachen", schluchzte Frau Hohlfeld und ich glaubte ihr jeden Seufzer.

"Es lag nahe, den Widerstand gegen eine solche Kreatur zu organisieren", schnitt ich ein weiters Thema an. "Aber Sie werden einem Fremden sicher das Unverständnis des Namens verzeihen..."

"Oh, ja", schluchzte Heidi Hohlfeld. "Schließlich war ganz Schildau unzufrieden, und wir Mutigsten verfielen im Hinterzimmer einer Kirche darauf, zur Bewegung Neue Schwatzsucht aufzurufen. Alle Bürger sollten versuchen, den Drachen und das Heer seiner Helfer in Gespräche über unsere Sorgen zu verwickeln, denn inzwischen sprangen soviele Feiglinge über die Stadtmauern, daß der Drache wie gelähmt war. Die glorreiche Zeit unserer Montags-Demos begann, und es wurde tatsächlich viel über sovieles geredet, daß der Drache erst heiser, dann kleinlaut wurde und plötzlich nicht mehr in der Öffentlichkeit erschien. Unsere Bewegung hatte also gesiegt..."

Durchaus mit diesem Ergebnis meiner Untersuchung zufrieden, bat ich Frau Hohlfeld, mir ein vielleicht im Archiv der Bewegung oder in einem alten Schulbuch der Revolution entgangenes Porträt des Drachen zu zeigen. Darauf begann die Porzellanmalerin, auf Bücherregalen und im Küchenschrank zu kramen, und sie wies mir das eine oder andere gedruckte oder gemalte Bild gütig lächelnder Greise. Über jedem schüttelte sie jedoch sofort wieder den Kopf.

"Der nicht! Nicht so ganz, nicht allein", erklärte sie dazu, und als der Inhalt des Geschirrschranks vor mir aufgebaut und alle Bücher zu Seiten meines Stuhles aufgestapelt lagen, schluchzte Frau Hohlfeld lauter als zuvor. "Das kenne ich! Diese Sensationslust, diese Neugier, ja dieses Mißtrauen, ich, Heidi Hohlfeld, könne gar nicht Porzellan bemalen! Aber ich bin nur nicht dazu gekommen, seit ich mir unsere Bewegung ausgedacht und so stark gemacht habe! Sehr gut kann ich malen, wenn es erst wieder Zeit dazu ist, und ich war trotz meiner kritischen Einstellung Mitglied des Vorstands der Zunft der Porzellanmaler!" Frau Hohlfeld drehte die Tassen mit den blumenumkränzten Porträts der alten Männer und sagte, für einen Augenblick doch gefaßt und unaufgeregt. "Der Drache war, was diese Köpfe trug und nährte, nicht einer von diesen, sondern ihr Zusammenspiel." Ich nickte, schon deshalb zufrieden, weil diese Auskunft meinem Grafen von Branntheim ohne Zweifel bares eingespartes Geld wert sein würde. "Aber sprechen wir lieber von der Gegenwart", sagte Frau Hohlfeld, auch im Jubel nicht ohne Wehmut. "Wir haben jetzt einen Jockel Auerhahn über den Archiven! Meine Nachbarin, die in der Anzug-Manufaktur fronen mußte, hat einen kleinen Laden für bunte Seidenjacken aufgemacht, und jeder kann endlich reisen, wohin er will und dabei frei seine Meinung rufen."

Mir, dem das wenn schon nicht das Leben, dann doch sein nicht unwesentlichstes Zubehör schien, war nun ein zustimmendes Nicken möglich. Solchermaßen versöhnlich verabschiedeten wir uns, und Frau Heidi Hohlfeld brachte mich noch vor ihr noch immer grau mit dem Einsturz drohendes Haus.

Allerdings entging mir nicht, daß sie unter Einsatz ihrer ganzen zierlichen Gestalt versuchte, das wegen Geschäftsauflösung ausverkaufte Schaufenster der Nachbarin zu verstellen. Die Straße entlang rollten zwei schwarz gestrichene, von Rappen gezogene Wägen, in denen sich junge Männer und Frauen die Messer und Schlagstöcke ihrer Reiseausrüstung vorwiesen und von denen sie uns laut einluden, doch mitzukommen.

"Zigeuner zu Zigeunersteaks", johlte die Bande und warf mit Apfelsinenschalen nach Frau Hohlfeld und mir. "Die Neger zu Afrikas Löwen! Schildau den Schildauern!"

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