|
|
2.
Nehmt nun aber, Menschen einer fernen Zukunft, bitte
nicht an, wir seien so hart gewesen wie die Traumbrote
der Somalis Eurer Zeit! Kein magischer Badezusatz machte
unsere Häute härter als die aller anderen Menschen, und
die Schmerzensschreie der Mitmenschen fuhren uns sogar
ganz ungefiltert in die Seelen. Wo ein Mann starb, an
der Tür seiner Hütte gekreuzigt, tröstete uns nicht
einmal die Annahme, vielleicht sei ja auch er der
uneheliche Sohn irgendeines Gottes; daß in unserem
Studierzimmer Bücher mit den Auflösungen aller
Welträtsel standen, konnten wir ebenso wenig glauben:
wir kannten einige ihrer Verfasser und, weit wichtiger,
einige Flecken unserer Welt.
Nein, mein
Überlebensmittel hieß Blanche, von der Ihr schon wißt,
daß sie Ausländerin war, und deren Schicksal einiges
erklären kann.
Sie wurde in der Großfamilie eines
aithiopischen Medizinannes geboren, der unter der
Fellsandale seiner vierten Frau stand, und im zarten
Alter von neun Jahren wurde Blanche durch muselmanische
Sklavenfänger aus dem Dorf ihrer Kindheit entführt. Sie
war die schwarze Rose eines saudischen Harems und die
dunkelste Matratze eines Beiruter Puffs, ehe sie
vierzehn war, denn mit vierzehn Jahren wurde sie das
einzige Beutestück eines lahmenden Kreuzritters.
Während
all der Würfelspiele auf dem Heiligen Rückzug immer aufs
Neue verloren, gelangte sie in den Besitz eines
spanischen Kardinals und aus dessen Nachlaß an die
Heilige Inquisition. Etwa drei Jahre reiste Blanche
danach als Lehrmaterial eines Schnellkurses für
Hexenpeiniger durch alle Reiche Westeuropas, ehe sie mit
dem übrigen Inventar an die Fugger verpfändet wurde,
weil der Bischof von Rom rasches Geld für die
Missionierung Kroatiens brauchte. Das Römische Pfand
wurde seinerseits der Grundstock der Fugger-Stiftung für
Allgemeine Gerechtigkeit, und für Blanche fand sich nur
eine Verwendung als Beischläferin und Köchin des Henkers
von Nürnberg.
Später behauptete Blanche im Spaß, nicht
mehr zu wissen, in welcher Funktion sie ihren
Lebensgefährten in die Lähmung getrieben habe; nicht zu
beschönigende Tatsache ist jedoch, daß sie die Krankheit
des Mannes volle zwei Jahre vor dem Senat verheimlichen
konnte, indem sie in seiner gewöhnlichen Vermummung alle
anfallenden Arbeiten zur höchsten Zufriedenheit
erledigte. Als Blanche von einem ebenfalls lüsternen
Richter bei ihrem privaten Verhör einer ihr
gleichalterigen Hexe überrascht wurde, begriff sie in
Sekunden, daß sie den alten Mann töten und danach
fliehen mußte. Eine schweizerische Satanskirche gewährte
Blanche Asyl, bis der Nürnbergische Hochadel, um ihre
Auslieferung zu erzwingen, seine Bestellungen von
schwarzen Katzen und Präzisions-Mess-Instrumenten
stornierte. Immerhin ermöglichten ihre Brüder und
Schwestern Blanche die Flucht aus der Auslieferungshaft,
sicher, daß eine Aithiopierin den verschneiten
St-Gotthard-Paß nicht würde überwinden können. Wohl das
größte Wunder ihres Lebens war, daß Blanche die Tortur
dieser Wanderung ohne Frostblasen überstand, wie es zum
bis dahin heitersten Augenblick ihres Lebens wurde, daß
sie am 1. März ihres dreiundzwanzigsten Jahres in das
Eis eines eher unbedeutenden Nebenflusses der * * brach.
Nur Blanches Augen rollten noch weiß in ihrem wie
geschnitzten Gesicht, als ich sie endlich am Ufer hatte,
und ich riß mir wie geplant meine Wintersachen vom Leib.
Ich hatte vorgehabt, just an diesem Tag und just an
dieser Stelle mit einem ganz anderen Leben aufzuhören,
aber mit aller durch das doppelt drohende Erfrieren
vervielfachter Kraft stieß ich die steifen dunkelen Arme
und Beine in Hemdsärmel und Beinkleider, wickelte ich
das schwarze Eis in meinen abgeschabten Wolfsfell-Mantel
und trug es die zwei Kilometer bis zur Burg
Wolfenwasser.
Zumindest darin ist Euch, Menschen
der Zukunft, verbürgt, daß mich nicht nur Eitelkeit
behaupten läßt, auch ich wurde Blanches
Überlebensmittel. Einen ganzen Monat lang ließ ich das
aufgetaute schwarze Fleisch unberührt, von einer Grippe
gewürgt, und mehr war nicht nötig gewesen, um Blanche
Wurzeln schlagen, die Burg umranken und alle Räume
füllen zu lassen. Es kostete die letzten Taler meines
Erbes, daß Blanche uns zwei Kühe in den Stall stellte
und die halb zerfallene Folterkammer mit schneeweißen
Hühnern bevölkerte, das Doppelbett meiner Mutter
ausbessern und zwei Reihen Mauersteine abreißen ließ,
aber ich bereute das nie.
Ich, Michael von
Wolfenwasser, wuchs als Bastard eines Grafen und
Obristen auf: zwischen Oma, Mutter und Tanten und im
Bewußtsein, die größten Chancen des Lebens schon verpaßt
zu haben. Unsere Burg blieb in Ausstattung und Besuch
hinter denen des Umlandes zurück, wiewohl es mir
materiell an nichts Nötigem fehlte und ich in Büchern
früh Kontakt zu Helden und Gelehrten fand. Spornten
anderswo Turniere die Jungen an, sich zu stählen und für
Reisen in die Welt zu schwärmen, so kannte ich mich früh
in der Führung eines Haushalts und in den wichtigsten
Angelegenheiten der Welt aus, - allerdings dünn und
weich wie Pergament. Als ich die Universität zu * * *
bezog, änderte ich meine Lebensart nicht, und die
Dispute jener Jahre festigten sie weiter. Ging ich doch
als der theoretische Besieger der Kreuzzugsgegner aus
ihnen hervor, als der weitsichtigste Reichsverweser und
geschickteste Kritiker Roms. Auch Verse gelangen mir
immer besser, und hätten in der Stadt und auf dem
Erdkreis diese Fähigkeiten mehr gegolten als Geburt und
Rauf- und Trinkfestigkeit, hätte ich mein Glück wohl
machen können. Stattdessen wurde ich sogar der
Universität verwiesen, die den Nachwuchs der
Ritterschaft und des irdischen Reiches auszubilden
hatte, nicht deren Überwinder, und ich verdingte mich
abwechselnd bei in wechselnder Gnade stehenden Städten
und Höfen. Ich war Hofnarr und Stadtweiser, verliebte
mich oft und verlor meine Lieben an witz- und
geistlosere Ritter des unmittelbaren Erfolges. Wie das
Leben andern Menschen meiner Zeit die sieben Häute von
der Seele schnitt und schmirgelte, so füllte ich meine
Seele mit Wissen, Worten und Klängen, bis sie die
schützenden und beengenden Häute absprengte.
Dreiunddreißig Jahre war ich alt, im Resignationsalter
der jungen Propheten, als ich zum ersten Mal lange in
einen Spiegel sah, ins Portemonnaie danach, und
beschloß, aus der verlorenen Welt zu gehen. Im
vorangegangenen Frühjahr war Burg Wolfenwasser bis auf
mich ausgestorben, was meinen Entschluß bestärkte, und
daß die Kalender das nahe Ende des Winters verhießen,
wärmte meine kalte und staubige Küche nicht mehr auf.
Ein verregnetes Frühjahr und ein kühler Sommer konnten
diesem Winter folgen, und nach all meiner Erfahrung mit
der Welt würde auch das nächste Jahr nicht das Jüngste
Gericht über ihre Widerwärtigkeiten und Verbrechen
bringen. In der Nachbarschaft brachten zugewanderte
Raubritter alles Gemeindeland und die schönsten Mädchen
an sich, und in den Verlagsstädten waren weder Traktate
noch Gedichtsammlungen gefragt. Allerorten wurde statt
Weisheit Weißgold gesucht, und meine Schreiben um eine
mir angemessene Anstellung wurden mit dürren Worten
abgewiesen. Nur kurz erwog ich, mich wie ein besiegter
römischer Tyrannenmörder in mein Schwert zu stürzen: aus
meinen Studien kannte ich genug Fälle, in denen
geringere Anlässe gebogen worden waren, bis sie die
Ausrottung ganzer beschuldigter Familien rechtfertigen.
Den in Burg Wolfenwasser vorhandenen Stricken mißtraute
ich, weil sie mich von Kind auf kannten, und vor Gift
ließ mich meine Freude an gutem Essen und gutem Wein
zurückschrecken. So verfiel ich darauf, mich meinen
Namensvettern hinzugeben, den nimmersatten, doch sich
brüderlichen Wölfen und dem weichen, aber allbesiegenden
Wasser.
Nicht zufällig also traf ich mit Blanche
zusammen, die mir mit kalter Berechnung die Fiebernächte
lang von sich erzählte: für ein Zucken religiöser
Inbrunst konnte sie mich mit meinem durchschwitzten
Kissen ersticken. Um Milch und Rühreier für meine
Genesung erlaubte ich ihr, sich ihren Traum von einem Zu
Hause zu erfüllen, und nach einem Monat legte sie sich
schier zugewachsen und neu neugierig auf das erste Bett,
für das sie selbst gesorgt hatte. Es gäbe keinen Gott,
sagte sie wie eine Liebeserklärung, und wenn es ihn
gäbe, gehörte er in die finsterste Klapsmühle der von
ihm erschaffenen Welt. Dafür gäbe es immerhin sie,
antwortete ich ihr, und wenn es sie nicht gäbe, gäbe es
mich nicht mehr. Ihre steile Oberlippe und die breitere
untere Wulst wolle ich für den Rest meines Lebens
anbeten, ihre Nüstern und ihre Löwinnenkiefer. Meine
Zunge ließ auf den Halbmonden ihrer Brüste jene
violetten Säulen wachsen, die nun unseren Himmel tragen.
In Ewigkeit, Amen!
| |
Caput 1
Caput 2
Caput 3
Caput 4
Caput 5
Caput 6
Caput 7
Caput 8
Caput 9
Caput 10
Caput 11
Caput 12
Caput 13
Caput 14
Caput 15
Caput 16
Caput 17
Caput 18
Caput 19
Caput 20
Caput 21
Caput 22
|