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8.
Die Post hatte nahe dem Rathaus gestoppt, weshalb
ich seine Beschreibung bei der Durchsicht meiner Notizen
bereits an diese Stelle gerückt habe.
Tatsächlich
aber fielen uns in Schildau zuerst die bunten Täfelchen
auf, die vielleicht einst den Namen der Stadt gestiftet
hatten. Sie hatten von der Ortseinfahrt an den
graufleckigen Häusern jene Farbtupfer gegeben, welche
die Hinfälligkeit der Straßen hervorhoben, und mit ihnen
schien jeder Schildbürger jedem anderen mitteilen zu
wollen, welches sein Name und Beruf war. Hier meldete
Eddie gelb auf rot, daß er die Bratwürste briet, die bei
Harry rot auf gelb Brätli hießen, während zwischen ihnen
Carola grün auf lila ihren Namen für wichtiger als das
Angebot der dünn weißen Bratspezialitäten hielt.
Auf dem Platz vor dem Rathaus lümmelte Franz im Schatten
seiner Wurstküche, benebelt vom Dampf der Bratwürste
seines Nachbarn Ludwig. Unter dem Schild Conny's
Bedruckte Unterhemden sahen wir Stapel bedruckter
Unterhemden, während Socken-Paul Fünfer-Packs Socken in
die Sonne gelegt hatte. Zum Glück für die
Reisenden-Wirtschaft der Stadt aber hatten all jene
Unternehmer jeden lautstarken Versuch, ihre Waren an die
Vorübergehenden zu verkaufen, aufgegeben, und wir mußten
ihnen nur den Rücken kehren, um uns von der
quadratischen Majestät des Rathauses unterwerfen zu
lassen.
"Du wirst Herrn Norbert ganz schön suchen
müssen", sagte Blanche, um wenigstens etwas gegen diesen
Eindruck zu sagen. "Und du solltest am besten zwei Säcke
Licht mitnehmen."
"Wenigstens im
Kreis kann ich da nicht laufen", witzelte ich mit, und
schleifte die Reisetaschen zwei Schritt näher auf den
Nachmittagsschatten des Rathauses zu.
"Darf ich
Euch bitten", fragte ein Mütterchen und hielt uns, wie
wir es in Schildau nicht anders erwarteten, ein Schild
entgegen. "Tschorsch, mach schon! Die Feder!"
Das
Mütterchen und ihr aus der Tiefe des Schattens
heranschlürfendes Männchen baten uns um ihre
Unterschrift gegen den Abriß des Rathauses, und wir
machten spaßeshalber drei Kreuze auf ihr Schild.
"Er soll da ja morgen unsere Brötchen verdienen",
erklärte Blanche und nahm dem alten Mann auch noch einen
grob bedruckten Zettel ab. "Und wißt Ihr, wo wir um
Quartier für die nächsten Wochen nachsuchen können?"
"Ihr kommt von Westen", riet Tschorsch und zeigte
auf eine schwaz beschriftete gelbe Tafel neben den auf
einer Pappe erklärten Schildauer Kirschen : Zu Dieter'
Zimmernachweis 5 Minuten, 3. Quergasse links, 2. Hof.
"Tschorsch", zischelte das Mütterchen vorwurfsvoll.
"Die wären doch was für Siegfried und Adelheid,
Mensch!"
"Ach, ja", erinnerte sich Tschorsch und
faßte nach dem Henkel meiner rechten Reisetasche, um
seinen Fehler zu korrigieren. "Mein Sohn... Er vermietet
das eigene eheliche Schlafzimmer, sehr günstig.
Allerdings war er..."
"Tschorsch", mahnte Blanche
gleichzeitig mit dem Mütterchen, und beide lachten.
Auch der Sohn der beiden alten Leute empfing uns
freundlich, das Zimmer schien uns ein Vorschuß auf
meinen im Dienst des Staates zu erzielenden Gewinn, und
zum Dank für den Rat und die Wegweisung unterschrieben
wir auf dem Schild der beiden alten Leutchen noch
einmal: ich mit dem vollen Titel und Blanche mit ihrem
vollem Namen Adhana Yätbarök Wädäddäm Asgöemgum.
In den Preis des Zimmers war unsere Teilnahme an den
Mahlzeiten der Familie inbegriffen, und so saßen wir am
ersten Abend so lange mit unseren Wirtsleuten zusammen,
wie Blanche es mochte, die Fragen der beiden blonden
Töchter zu beantworten. Sie mühte sich redlich um
Erklärungen, warum sie schwarz war, und sie gab in
dutzenden Büchern angelesene Beschreibungen Aithiopiens
als Erinnerungen an das Dorf und die Spiele ihrer
Kindheit wieder. Ihre Biographie verkürzte sie auf die
Nennung aller Orte, deren Bordellpritschen sie kannte,
und als Grund für das Verlassen ihres
Kindheitsparadieses nannte sie den Kindern und den
kindlich gespannt zuhörenden Wirtsleuten Abenteuerlust.
"Oh, wie ich Euch darum beneide", seufzte Frau
Adelheid. "Beirut, Zürich und Granada! Wie Ihr sicher
wißt, war uns einfachen Schildbürgern ja bis vor kurzem
verboten und unmöglich, die Mauern unserer Stadt und der
ihr zugehörigen Gemeinden zu verlassen. Wie ich Euch
darum beneide..."
"Und ich erst", sagte Blanche.
"Wie ich Euch darum beneide..."
Die Wirtsleute
sahen sich verwundert und ein wenig gekränkt an, und ich
zupfte Blanche am Saum ihrer weißen Bluse und
verabschiedete uns bis zum nächsten Morgen.
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