![]() |
|||||||||||||||||||||||||||||||||
|
"Wenn nur die Leute nicht wären!",ironisiert ein Gedicht von Hans-Magnus Enzensberger die hauptsächliche "Schwierigkeit der Umerziehung" für das Goldene Zeitalter, das Reich Gottes und das Absterben des Staates. Im geplanten Augenblick der Befreiung der Menschheit liefen die Leute zum Friseur; es gelüste sie nach Bier statt nach Hinterhertrippeln hinter der Vorhut. Nach solcher Bestandsaufnahme stöhnt quasi der Chor der Ideologen:
"Man kann sie doch nicht alle umbringen! Und seinerseits lüstern befindet der Chor, trotz des Vorbehalts:
"Ja wenn die Leute nicht wären Das Gesicht thematisiert die Kehrseite der Selbsterhöhung der Ideologen, die gedankliche Eniedrigung der "Leute", die gedankliche Verwerfung und Vernichtung der Wirklichkeit, in der es "nicht ideologisch" zugeht. In den Kriegen zwischen reformierten Fürstentümern und den Kräften der Gegenreformation wurde der Satz geprägt, dß Gerechtigkeit herrschen müsse, und ging die Welt darüber zugrunde. "Fiat justitia et pereat mundi!" Der italienische Futurist Marinetti schrieb in den dreißiger Jahren des 20. Jahrhunderts: "Der Krieg istschön, weil er dank der Gasmasken, der schreckenerregenden Megaphone, der Flammenwerfer und der kleinen Tanks die Herrschaft des Menschen über die unterjochte Maschine begründet. Der Krieg ist schön, weil er die erträumte Metallisierung des menschlichen Körpers inauguriert..." Daß sein System nicht mit der wirklichen Welt übereinstimme, entlockte Hegel sein "Um so schlimmer für die Wirklichkeit", und wie keine der ideologischen Formen frei von und vor solcher Zuspitzug gefeit war, so war es keine der Ideologien der bisher zur Herrschaft gelangten Klassen. Ob man den Unterdrückten präventiv absprach, Menschen zu sein, oder ob man alle Verdächtigen umbrachte und es Gott überließ, die Seinen heraus zu kennen, ob man jüdische Christus-Mörder, Brunnen- oder Funktionärsvergifter zu bestrafen behauptete, ob das Menschenrecht auf Eigentum den Massenmord an den Pariser Kommunarden oder eine angebliche "gesezmäßige Verschärfung des Klassenampfes beim weiteren Aufbau des Sozialismus" den Stalinschen Massenmord an der eigenen Partei und der Bauernschaft und Intelligenz rechtfertigte - die Annahme einer Ideologie durch welche Klasse auch immer, die Annahme der Auserwähltheit eines Volkes, eines Standes oder einer Partei über alle anderen, barg immer die Möglichkeit der Sanktion der Vernichtung aller anderen in sich. 2 Harmlos, ja praktisch und theoretisch unverzichtbar ist der Keim aller Anschauungen, die solche Konsequenzen trieben; im Bezug auf die ideologischen Formen ist er in dem Vorurteil zu sehen, das ihre grundsätzliche Arbeitshypothese ist, in der Erkenntnis der Einzigartigkeit und der sofort behaupteten "höchsten", "spezifisch menschlichen" usw. (geistigen) Möglichkeit der eigenen Tätigkeit. "Im rationalen Denken erweist sich die schöpferische Tätigkeit des menschlichen Erkenntnisvermögens", behauptet noch für den Hochschulgebrauch popularisierte marxistisch-leninistische Erkenntnistheorie. "Mittels der Abstraktion ist der Mensch in der Lage, von der äußeren Erscheinungsform der Gegenstände und und Prozesse zu ihrem Wesen vorzudringen und Gesetzmäßigkeiten aufzudecken. Auf die besondere Rolle, die das abstrakte Denken in den Gesellschaftswissenschaften spielt, wies Marx hin..." 3 Schon traditionell bleibt bei solcher Formulierung außer acht, daß die Rede von einer menschheitsgeschichtlich besonderen, noch immer episodischen Form rationalen Denkens, Abstrahierens usw. geht. Darauf verweist die traditionalistische afrikanische Kritik der "weißen", europäischen Philosophie, etwa die Hervorhebung der Emotion, Intuition, der Erlebnisfähigkeit entgegen dem kategorialen Problembewußtsein; darauf verweist die "Philosophie der Befreiung", deren Ansatz Alejandro Serrano Caldera aus Nikaragua erklärte: "Die kulturellen Auswirkungen des Rationalismus sind heute negativ für die Freiheit des Menschen. Die Vernunft Descartes' hat aufgehört, vernünftig zu sein." Wirkung des Irrationalismus im Rationalismus ist "eine Rationalität, die der Ausbeutng des Menschen dient, eine Rationalität als Nützlichkeit, als Leistung in den Unternehmen." 4 Den Produzenten spezialisierter künstlerischer Tätigkeit rühmt ihr Produzent nach, "durch die Schönheit wird der sinnliche Mensch zur Form, und zum Denken geleitete; durch die Schönheit wird der geistige Mensch zur Materie zurückgeführt und der Sinnenwelt wiedergegeben." 5 Das spirituelle Verhältnis zu Gott schreibt Johannes im ersten Brief an Kindlein und Väter, ersetzut alle anderen: "Habt nicht lieb die Welt noch was in der Welt ist. So jemand die Welt lieb hat, in dem ist nicht die Liebe des Vaters. Denn alles, was in der Welt ist, des Fleisches Lust und der Augen Lust und hoffärtiges Leben, ist nicht vom Vater, sondern von der Welt." 6 Auch der "reinen", technischen Wissenschaft ist die Entwertung des Menschen nicht fremd. "Die Menschen sind feindliche Soldaten und Zivileigentum zu verschonen ist sehr richtig", pries Samule Cohen, selbsternannter "Vater der Neutronenbombe" seine Erfindung; die Entwicklung von Massenvernichtugnswaffen war ihm eine "fesselnde Beschäftigung". 7 Im Instruemntarium geistiger Herrschaft leistet die Ideologie einer Klasse immer de Nachweis, daß die gesamte materielle und geistige Entwicklung der Menschheit in der Machtergreifung dieser Klasse kulminiere. "Nach uns die Sintflut", schrieb die Marquise von Pompadour ins Poesiealbum der Menschheit, einen Louis vor jener Revolution, mit der die Bourgoisie die "Naturrechte" der Menschen in Kraft zu setzen suchte. Die unter diesem Banner als nunmehr ewig eingerichtete Ordnung erschien so selbstverständlich, daß man nur ein weiteres halbes Jahrhundert später gegen das "Gespenst des Kommunismus" einwandte, "mit der Aufhebung der Privateigentums werde alle Tätigkeit aufhören und eine allgemeine Faulheit einreißen". (Manifest der kommunistischen Partei) Un obwohl auch Marx artikulierte, der Kommunismus "ist das aufgelöste Rätsel der Geschichte und weiß sich als diese Lösung", bestimmte er die welthistorische Leistung der Arbeiterklasse im o.g. Sinn unideologisch: das Proletariat erschien ihm bereits als "Auflösung der Gesellschaft als ein besonderer Stand"; die "Auflösung bisherigen Weltordnung" sei nur die Aussprache des eigenen Daseins als der "faktischen Auflösung dieser Weltordnung". 8 Zum ersten Mal erhob gerade nicht eine Klasse vermeintlicher Götte, Gotterwählter oder Tugenbolde Anspruch auf die Macht, ging es in aller Klarheit nicht darum, "was dieser oder jener Proletarier oder selbst das ganze Proletariat als Ziel sich einstweilen vorstellt. Es handelt sich darum, was es ist, und was es diesem Sein gemäß geschichtlich zu tun gezwungen sein wird." 9 Die Vergottung des Proletariats und der regierenden Arbeiterklasse ist erkennbar ein anderer, wieder ideologischer Prozeß, das geistige Fundament in der Vergottung der Führer der Arbeiterpartei und des Arbeiterstaates. 2 Vgl.: Benjamin, W.: Allegorien kultureller Erfahrung. Leipzig 1984, S. 434. Geschichte der Komunisitischen Partei der Sowjetunion (Bolschewiki). Kurzer Lehrgang. Berlin 1947, S. 439 - 446.; Medwedjew, R.: Die Wahrheit ist unsere Stärke. Frankfurt/Main , S. 49 f., S. 548f. 3 Dialektischer und historischer Materialismus. Lehrbuch für das marxistsich-leninistische Grundlagenstudium. Berlin 1980, S. 173. 4 Philosophie in Nikaragua - Aufbruch zu neuen Horizonten. In: Deutsche Zeitschrift für Philosophie. Berlin, 36 (1988) 4, S. 350. Vgl.: Hoffmann, G.R.: Wie und warum im subsaharischen Afrika Philosophie entstand. In: Wie und warum entstand Philosophie in verschiedenen Regionen der Erde. Berlin 1988, S. 223. 5 Schiller, F.: Über die ästhetische Erziehung des Menschen in einer Reihe von Briefen. In: Über Kunst und Wirklichkeit Leipzig 1985, S. 296. 6 Die Zitierweise der Bibel erfolgt wie üblich: Buch (Kapitel, Vers), also 1. Joh. (2,15). 7 Zu diesem Heft. In: Kürbiskern. München, 1981/4, S. 3 f. 8 Marx, K.: Zur Kritik der Hegelschen Rechtsphilsophie. Einleitung. a.a.O., S. 390 f. 9 Marx,K.; Engels, F.: Die heilige Familie. In: Werke, Bd. 2. Berlin 1985, S. 38.
|
|