"... hat in der Geschichte eine Rolle gespielt ..."

Der Zeitungskarrikaturist definiert den Kapitalisten durch einen Anzug, wie er bei Auszeichnungs- oder Begräbnisfeierlichkeiten üblich ist, und durch eine Zigarre von jenem Kaliber, das einst Fidel Castro und Che Guevara bevorzugten. Der Kapitalist ist auch dick, und mit diesen Attributen versehen steht er dem normal gestalteten oder abgehärmten Arbeiter, dem hungernden Kind gegenüber. Solche Darstellungen haben eine Tradition in der Geschichte des sozialistischen Plakates, können darauf verweisen, Gestaltung der privaten Aneignung des gesellschaftlich produzierten Mehrwertes sein zu wollen, und können für sich die gute didaktische Absicht, vielleicht eine gewisse Wirkung reklamieren. Sie mögen zu Zeiten die Leiblichkeit des einen oder anderen Bundeskanzlers oder Bourgois getroffen haben...

Die Wirklichkeit dagegen ist eine andere: gravierende Übergewichtigkeit ist bei den "unteren Schichten" der entwickelten kapitalistischen Gesellschaft weit mehr als doppelt so häufig wie in den besseren Schichten. 1 Der Arbeiter in den entwickelten Ländern des Kapitalismus steht, ob nun zu üppig oder egsund ernährt, den Menschen in der "dritten Welt" ebenfalls feist und feindlich gegenüber. 2

Das Problem der Klassenspaltung, obwohl an Personen gebunden, ist nicht personifizierbar: "Kapitalist sein heißt nicht nur eine rein persönliche, sondern eine gesellschaftliche Stellung in der Produktion einnehmen. Das Kapital ist ein gemeinschaftliches Produkt und kann nur durch eine gemeinsame Tätigkeit vieler Mitglieder, ja in letzter Instanz aller Mitglieder der Geselslchaft in Bewegung gesetzt werden." 3 Der christliche Ursprung seiner Gedanken läßt Ernesto Cardenal formulieren: "Oft ist der Kapitalist ein guter Mensch. Selbst Karl Marx sagt, der Kapitalist an sich sei nicht schlecht. Es mag schlechte Menschen unter den Kapitalisten geben, aber normalerweise ist der Kapitalist ein guter Familienvater, der keinem übelwill. Aber er lebt in einem System, indem er ausbeuten muß..." 4

er schwarze Anzug, die Zigarre und der Speck der Abziehbild-Kapitalisten sind letztlich das Nachthemd, die Strickbrille und die Schlafmütze des Wolfes im Großmutter-Bett, das Beiwerk, welches das welthistorische Rotkäppchen ablenkt.

Kein Weg scheint mir allerdings auch, den Kapitalisten dieser Äußerlichkeiten zuzüglich der Haut und der Muskeln zu entkleiden und ihn quasi als Skelett auf dem Totenbett auszustellen: "Bourgeoisie: herrschende Grundklasse der kapitalistischen Gesellschaft. Im Gegensatz zur beherrschten und ausgebeuteten Grundklasse dieser Gesellschaft, der Arbeiterklasse, deren Angehörige nur über ihre Arbeitskraft verfügen, ist die B. im Kapitalismus Eigentümer der entscheidenden Produktionsmittel (Produktionsinstrumente, Fabriken, Transportmittel, Bodenschätze usw.). Sie exixstiert und entwickelt sich auf der Grundlage der Ausbeutung der der Lohnarbeiter. Die Klasseninteressen der B. unddes Proletariats sind objektiv gegensätzlich und unversöhnlich, d.h. antagonistisch..." 5 Auf solche Weise ist die Bourgeoisie so richtig, so umfassend, so erschöpfend dargestellt, wie jedes Skelett dem Gerichtsmediziner richtige, umfassende und erschöpfende Auskunft über den lebendigen Menschen zu geben vermag.

Fürden Nicht-Experten gebiert jede Antwort bestenfalls eine Frage: wie kann ine bunte Gesellschaft mit Päpsten und Gangstern, Kaviarschlingern, Feinschmeckern, Bulettenfressern und Tellerabkratzern, Striptease-Tänzerinnen und Bandarbeitern usw. auf zwei Grundklassen reduziert werden? Verfügt die Arbeiterklasse nicht auch über ihr Bankkonto, ein reiches Angebot an Videobändern, Haustieren usw.? Ist eine Ausbeutung, die dem Ausgebeuteten ein gutes Leben garantiert, vielen ein besseres Leben als in Ländern ohne Ausbeutung, noch bei diesem Namen zu nennen? Ist der Interessengegensatz nicht spätestens seit 1945 immer wieder und immer besser versöhnt worden?

Diese und weitere Fragen finden (uns bekannte) Antworten im System marxistisch-leninistischer Kategorien , im Reichtum unserer Weltanschauung, gewiß. Das Problem, das sich stellt, ist nur: ist eine Antwort, die dem Augenschein, der Erfahrung, dem tagtäglichen Nachdenken auf den ersten Blick nicht entspricht oder gar widerspricht, eine Einladung, nach komplexeren Antworten zu suchen? So vorgestellter Marxismus stellt sich indie Ecke des Studierzimmers, des Tempels, des Verschwörer-Quartiers - stellt sich abseits der meisten, von und für deren Lebensinterssen gehandelt werden soll.

Marx' und Engels' Definitionen waren von anderer Art. Wir finden Merkmale nicht festgehalten, sondern ingang gesetzt, in ihren historischen Gang; nach einem großen Hegelschen Gedanken ist ihnen die Definition eines "Gegenstand selbst" die Rekonstruktion der "Geschichte des Gegenstandes". Daraus gewinnt das definierende Kapitel "Bourgeois und Proletarier" im "Manifest der kommunistischen Partei" verblüffende Wirkung. 6

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1 Vgl.: Gärtner, E.: Arbeiterklasse und Ökologie. Frankfurt am Main 1979, S. 140 f.

2 Vgl.: Castro, F.: Die ökonomische und soziale Krise in der Welt und ihre Auswirkungen auf die unterentwickelten Länder, ihre düsteren Perspektiven und die Notwendigkeit, zu kämpfen, wenn wir überleben wollen. Dresden 1983, S. 184 ff.

3 Marx, K.; Engels, F.: Manifest der Kommunistischen Partei. In: MED, Bd. 4. Berlin 1977, S. 475. online

4 Cardenal, E.: Meditation und Widerstand. Gütersloh 1070, S. 119

5 Buhr, M.; Kosing,A.: Kleines Wörterbuch der marxistisch-leninistischen Philosophie. Berlin 1975, S. 52 f.

Marx, K.; Engels, F.: Manifest..., a.a.O., S. 462 - 471.

Warum das hier steht