Yossif

Da ihre Genossen für Laila alle nötigen Papiere und für mich eine Checkliste angefertigt hatten, war es kein Problem, am Jahrestag der Großen Sozialis-
tischen Oktoberrevolution zu heiraten, und genau einen Monat später wurde in der Uniklinik unser erster Sohn geboren. Damals war es noch nicht möglich, zumindest nicht üblich, daß die werdenden Väter dabei zusehen durften, und ich hätte auch gar nicht die Zeit dafür gehabt. Eine Studentin aus meiner Seminargruppe hatte für sich eine Dachwohnung entdeckt, in der für das Wohnungsamt weiter ein Mitarbeiter des FDJ-Zentralrats hauste, und dieses kleine, braun gerauchte, ofenbeheizte und in der Küche etwas schimmelige Juwel hatte sie uns überlassen. Absolut freiwillig hätte sie das getan, schwor mir Laila, und es war auch nicht notwendig, daß sie für den Einzug die SMAD mobilisierte. In der Wohnung standen ja noch gebrauchte Möbel herum, ich kaufte zwei Kästen Bier, und wir kamen in der Seminar-
gruppe schnell überein, daß eine Renovierung als Beitrag zur Geburten-
steigerung ein guter Grund war, die FDJ-Versammlungen des nächsten Vierteljahrs zusammenzuziehen.

Yossif... Noch während wir auf ihn warteten, hatte er mich zu mehr Initiative und Mut vor Schreibtischen angetrieben, als ich je zuvor bewiesen hatte, und er war für mich seit dem ersten Geschrei in meinen Armen ein Geschenk der Götter, von Partei- und Staatsführung und der Vereinigten und besonderen Oberkommandos.

Es begann mit seinem Namen: Halb ein entfernter, aber direkter Nachfahre des Propheten, halb ein preußisch exakter und mit Heines Sprache aufwachsender deutscher Freund hieß das Baby nach dem Vater der Völker und Sieger über Hitler. Mir mißfiel das zwar, aber Laila hatte der Büro-
Schwester diesen Namen bereits buchstabiert, und das bewegte den Genossen Yasir so, daß er uns ein Ölgemälde schickte, auf dem er sich in der Pracht all seiner Orden als Führer durch eine Berglandschaft mit zahmen Wölfen reckte. Die schon verloren geglaubte Tochter, der glücklich gefundene Schwiegersohn und alle ihre künftigen Kinder würden nun in den sozialistischen Städten und traditionsbewußten Bergdörfern Tschetscheniens willkommen sein, und nie würde es uns am Hammelfleisch der Gast-
freundschaft und dem Beistand von Bluträchern fehlen. Der Brief freute und ärgerte Laila etwa gleichermaßen, und wir nahmen die pauschale Einladung auch nie an, aber wir hoben sie natürlich auf und erzählten allen Kindern schon früh, wo sie lag.

Nachdem Yossif aus ihrem Bauch heraus war, war Laila noch schöner als mit diesem Bauch, zwar breit in den Schultern und vom Kampfsporttraining muskulös, aber eben auch fein und klein, und ihre Brüste waren noch runder und zudem saftig geworden. Sie stand zu jedem Stillen klaglos und schnell, wie für einen Einsatz hinter den feindlichen Linien auf, und sie vergaß über ihrer Buchführung zu den Millilitern Milch, über Größen- und Gewichts-
tabellen, Terminen beim Kinderarzt und einer ganzen kinderpsychologischen und pädagogischen Bibliothek die geheimen Telefonnummern, speziellen Befehlslinien und erpobten Kontakte. Meinerseits war ich von den Debatten abgelenkt, die seit der Biermann-Ausbürgerung nicht abrissen, und ich war zufrieden blind für alle Frauen außer der, die für Yossif und mich heizte und kochte, die Nachrichten aller Fernsehsender protokollierte und in ihrer Vergangenheit immer noch eine unglaubliche Geschichte fand, die sich auch irgendwie beweisen ließ: Etwa die Geschwindigkeit, mit der Laila hinter dem Löwenhaus im Zoo vom Kinderwagen weg war, die zufällige Ratte am Schwanz packte und mit einem Schlag auf den Boden tötete, überzeugte mich davon, daß sie sich tatsächlich schon so ernährt hatte und das Nager-Fleisch nicht einmal schlecht schmeckte. Außerdem war Yossif wahr-
scheinlich das einzige Kind der Welt, dem nie ein Kuscheltier geschenkt wurde: er schlief auf einem Mount Everest solcher Kreaturen, die Laila auf jedem Jahr- und Weihnachtsmarkt schoß, exakt mit der Mindestzahl der nötigen Treffer und zur Verblüffung der Standbesitzer manchmal auch aus der Hüfte oder mit nach dem Zielen geschlossenen Augen.

Auch vom Nachdenken, ob und wann Laila begonnen haben könnte, mich doch zu lieben, befreite mich Yossifs Da Sein. Mir war herzlich egal, wie man eine Seligkeit nennen mochte, in die erst vorm Einkaufen der Baby-
Frühjahrsmode einbrach, daß wir drei schon ein Problem hatten: ein Finanzielles.

Daß meine Mutter und meine Tanten nach der plötzlichen Einladung zu meiner Hochzeit mit einer schwangeren Türkin eine halbe Stunde gebraucht hatten, um über den Ärger hinweg zu kommen und sich an den Gedanken zu gewöhnen, hatte uns über den Winter gebracht. Der erste Kinderwagen und die Grundausstattung wurden ja billig bis umsonst an Bekannte und die Kinder von Bekannten weitergegeben, und kleine Zuzahlungen zu den kleinen Stipendien waren auch etwas übliches. Nach dem Wehrdienst bekam ich ein größeres Stipendium (um die zweihundertfünfzig Mark, glaube ich), und Kindergeld stand uns zu, aber eine mittellose und nicht arbeitende Studenten-Gattin war im ganzen, im ganzen auch wirklich nicht unsozialen Sozialsystem der DDR nicht vorgesehen.

Und unser Problem wuchs: Im Mai wurde Lailas Bewerbung zum Studium abgelehnt, die für Kulturwissenschaft, die philosophische und vorbeugend jede weitere. Sie war ja auch in den Westen abgehauen, witzelten wir, bis auf ihre Beschwerde die Botschaft tatsächlich ausrichtete, daß Laila passiert war, was sich ganze Republiken noch zwanzig Jahre lang vergeblich wünschten: sie war aus der Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken ausgeschlossen worden.

Es gab ein Konsulat und es gab ein Haus der deutsch-sowjetischen Freundschaft, wo sie Laila weder als Dolmetscherin noch als Pförtnerin anstellen wollten, und keine Schule mit Russisch-Spezialklassen und kein Verlag mit günstigem Profil durfte Interesse an Lailas landeskundlichen Vorträgen und Außen-Gutachten haben. "Keine Leute" war damals die Erklärung für jedes nicht reparierte Wasserrohr, für die Termine in den Auto-Werkstätten und das zu lange Warten auf ein Bier, aber Laila fand auch in Kaufhallen und Kneipen, die die entsprechenden Schilder in den Fenstern hatten, nur für zwei, drei Tage Arbeit. Dann holte sie der Fluch ihrer Herkunft oder Desertion auch dort ein, zuverlässig und unerklärt.

Irgendwann schlug ich Laila vor, in dieser Angelegenheit bei Dimitri anzurufen, aber da schüttelte sie entschlossen den Kopf. Uns würde schon etwas einfallen, vielleicht würde ein Wunder geschehen, und in Yossifs und unseren Augen konnten wir ja jede ausdenkbare Weltreise unternehmen.

Biographische Skizze

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Kapitan Laila
Außerordentliche Komission
RSD 10
Unterkommen

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Yossif
Yunost
Kubanisch-Polnische Revolution
Laodse

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Sklaven-Marketing
Der Schleim
Musterung
Schwitzbäder
Die Grauen Grizzlys
Private Aufnahme

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IG Bettl und Brettl
Die Schwarze Göttin
Back on stage
Da unten
Und tiefer
Video Star

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Begutachtung
Campus
Samson

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Rushdie und die UCK
Internet
Safari
Circus Maximus

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Die Höhle der Wölfin
Auf der Flucht
Die Grotten von Gomorrha
Die Nordallianz

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