Begutachtung

Der Wolfmensch von Hierro hatte seine Irrenärztin überfallen: so stand die Geschichte in der Zeitung und kam sie im Fernsehen, als ich über die Flugplätze und an die Kranken-Bahre gefesselt in die Geschlossene Anstalt gebracht wurde. Der dazu abgebildete Mann war freilich eher ein Bärenmensch, der mir überhaupt nicht glich, das angebliche Opfer war blond, und der Bericht war offfenbar so ungenau, daß mir eine ganze Spezialeinheit spanischer Fallschirmjäger witziger Weise eine Art Zaumzeug anlegten. Eine Ärztin zu beißen, das wäre mir damit nicht mehr gelungen, aber davon gab es im Männertrakt auch gar keine. Außerdem genügte mir ja, erst einmal den deutschen Geheimdienstlern entkommen zu sein.

Ich wurde in eine schmale Einzelzelle gesteckt, von der aus ich nach einem Klimmzug auf Berge und Palmen sehen konnte, und zur Essenszeit hatten die Wärter ihren Spaß mit mir: Ich löffelte mir die Suppe in den aufgesperrten Mund und besabberte mich beim Schlucken. Erst nach zwei Wochen bekam ich eine alte deutsche Fernsehzeitung und nach einer längeren Pantomime auch Schreibzeug und einen Briefumschlag. Dafür waren die Unterlagen für den Spanisch-Kurs an der Fernstudien-Akademie Axel Anderson Hamburg nur drei Tage unterwegs. Auch den mit bestellten CD-Player wollte jemand für mich bezahlen, und mit den Vokabeln und der Grammatik kam ich ganz gut zurecht. Wegen des Zaums haperte es sicherlich mit der Aussprache, was den Wärtern im übrigen auch gefiel.

 Während der Siesta nach der siebten Lektion packten mich zwei bullige Pfleger unter den Armen, und sie schleiften mich durch lange, sehr stille Gänge bis in in das Sprechzimmer des Anstalts-Frauenarztes. Es machte ihnen auch keine weitere Mühe, mich auf den gynäkologischen Untersuchungsstuhl zu heben, und darauf banden sie mich mit reichlich Mullbinden fest.

Der fast quadratische Arzt mit einer grau umkränzten Glatze legte am Fenster irgendwelche Folter-Werkzeuge zurecht, bewegte den Instrumenten-Wagen auf seinen quietschenden Rädern hin und her und drehte sich erst um, als wir allein waren.

"Dimitri", fragte ich unsicher.

"Was für dich kein Anlaß zu Freude ist", sagte Lailas Ausbilder und ehemaliger Chef und bewegte ein Skalpell vor meinen Augen hin und her. "Offiziell sind wir Professor Doktor Sanchez und ein namenloser Verrückter, und das ist eine prima Gelegenheit für meine Rache. Du weißt warum!"

"Ich habe deine beste Agentin geschwängert", sagte ich und gähnte unwillkürlich. "Mein halbes Leben zuvor..., ich weiß."

"Das habe ich damals immer behauptet, ja", sagte Dimitri, kicherte und fing an, das linke Bein meines Anstalts-Pyjamas aufzuschlitzen. "In Wirklichkeit war das aber der Teil der Operation, der noch geklappt hat. Aber weil ihr immer weiter geheckt habt, ohne Wohnung und ohne Arbeit, und weil ihr trotzdem nie in den Westen seid: dafür sollte ich dich wirklich kastrieren, Genosse Bert!" Mit einem Ruck riß er den ersten Stoffstreifen ab. Dann begann er, auch das zweite Hosenbein aufzuschlitzen. "Nach unserer Planung müßtest du längst in Deutschland in einer zweithöchsten Etage sitzen: Geheimdienst, Regierung, irgendeine Partei... Und wo finde ich dich?"

"Und wo sitzt Laila", fragte ich.

"Das könnte ich dir natürlich sagen, aber danach müßte ich dich umbringen." Dimitri faßte mir zwischen die Beine, dehnte meinen Sack und hob das Skalpell für den finalen Hieb. "Immer noch neugierig?"

Ich stöhnte und schüttelte den Kopf.

"Und Laila Yasirowna war ja auch gar nicht amüsiert über das, was sie aus deiner Wohnung in Köln hörte... Du unter einer dermaßen fette Kannibalin! Nein, wirklich, Genosse Bert! Aber wir sind ja kein Unmenschen..." Dimitri ließ mich los und legte das Sklapell in eine Metallschale auf dem Instrumenten-Wagen. "Laila Yasirowna wünscht lediglich, daß du deine Schuld vor ihrem Land abarbeitest, und gut!" Er beugte sich zu meinem Ohr. "Und es wäre nicht ungefährlich, für uns beide nicht, wenn du Oberst Laila Yasirowna noch einmal enttäuschen würdest!"

"Oberst", fragte ich verwirrt. "Du spinnst! Und hier drin kann ich nicht viel für sie tun, fürchte ich."

"Du mußt ja nicht ewig hier drin bleiben", sagte Dimitri. "Obwohl: Professor Doktor Sanchez kann auch das anordnen, ohne Weiteres."

Ich war mir nicht sicher, mit welchen Sätzen er log, und ich wollte ihm eigentlich nicht erlauben, meine Jahre mit Laila zu besetzen. Keinem Satz wollte ich glauben, keiner Akte und keinem Foto, aber daß er mit irgendeinem falschen Papier als Gutachter in die Anstalt gekommen war, war ja trotzdem deutlich.

"Und ich könnte auch dem Ehemann deiner Psychiaterin eine Besuchs-Erlaubnis besorgen", drohte Dimitri und grinste. "Oder soll ich deine schwarze Göttin wissen lassen, daß wir den Termin dieser Geburtstagsfeier durch dich erfahren haben... Und wo sie dich findet, natürlich..."

"Soll ich mal wieder einen Papst ermorden", fragte ich resigniert. "Oder eine andere Agentin heiraten?"

"Das wirst du herausfinden, wenn es soweit ist", sagte Dimitri und ging zur Tür, um die Pfleger hereinzulassen.

Die Männer wunderten sich nicht über meine kaputte Hose, hörten sich die Diagnose im Spanisch der achten Lektion an und brachten mich dann unaufgezäumt in meine Zelle. Bei soviel Entgegenkommen hätte ich gleich noch einen Englisch-Kurs bestellen sollen, um mich auf den Besuch der CIA vorzubereiten, die mir vielleicht eine sonnenbraune kalifornische Jungfrau verschaffen würde. Einen Eisschrank voll Coca Cola konnte mir sicher der Mossad besorgen, und dem kubanischen Geheimdienst wollte ich für ein paar Flaschen weißen Havanna-Rum und etwas Zitronensaft gefällig sein.

Mit ein paar solchen Veränderungen war aus der Zelle ein Büro zu machen, in dem sich alle Informationen verkaufen ließen, zu denen ich noch Zugang hatte: die Essenszeiten, die Namen der Pfleger und meine neuen Vokabeln. Las ventanas están abiertas. Mehr konnte ich für niemanden tun, und eigentlich konnte ich nichts, was diese Art Leute gebrauchen konnten.

Tatsächlich passierte eine Ewigkeit lang gar nichts. Irgendwann konnte ich mit den Wärtern über ein Besteck aus Plaste verhandeln und über Fußball reden, den sie in ihrer Bereitschafts-Ecke nahezu pausenlos sahen. Weil ich sie für Sadisten hielt, spielte ich ihnen den Fußball-Fan vor, und von da an kamen wir richtig gut miteinander aus. Während der Siesta ließen sie mich aus der gekalkten Gummizelle und ließen mich im Hof in den Schattenstreifen der Wände schleichen, was eine Art Lebensmittel war. Der Gedanke, nur ein Samenspender und ein Fleischköder des KGB gewesen zu sein, während Laila, ach: Laila..., hätte mich da wohl noch umgebracht. Daran war ja nichts. Aber trotzdem...

Biographische Skizze

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Kapitan Laila
Außerordentliche Komission
RSD 10
Unterkommen

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Yossif
Yunost
Kubanisch-Polnische Revolution
Laodse

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Sklaven-Marketing
Der Schleim
Musterung
Schwitzbäder
Die Grauen Grizzlys
Private Aufnahme

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IG Bettl und Brettl
Die Schwarze Göttin
Back on stage
Da unten
Und tiefer
Video Star

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Begutachtung
Campus
Samson

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Rushdie und die UCK
Internet
Safari
Circus Maximus

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Die Höhle der Wölfin
Auf der Flucht
Die Grotten von Gomorrha
Die Nordallianz

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