Die Kubanisch-Polnische Revolution

Noch in diesem Herbst löste sich das Geld-Problem. Vorübergehend.

Jede ordentliche Kunsthochschule brauchte mehr Aktmodelle, als sie bekommen konnte, und Gundula versprach ihrem Dozenten ihre beste Freundin. Laila schüttelte in der Versteinerung ganz leicht den Kopf, aber 34 Mark für eine Stunde waren auch leicht hochzurechnen. Bei täglich zwei Stunden an allen fünf Tagen einer Woche wären wir für unsere Verhältnisse schwer reich geworden, durch weniger Körpereinsatz als bei der Messe. Gundula hob nach dieser Rechnung die Hände, aber Laila war schon darauf angesprungen. Auch die Hälfte würde noch ein gutes Gehalt sein, und an manchen Tagen sparte sie nach einer Einladung Mittagessen oder Kaffee.

Sie versteinerte in den Zeichensälen einfach, erzählte sie mir selbst, als müsse sie in einer Taiga voller Wölfe einen feindlichen Posten beobachten, und mit der Zeit wurde sie eine kleine Berühmtheit, die auch die Dozenten buchen wollten, allein und an extra zu bezahlenden Wochenenden. In einer der landesweiten Kunstausstellungen hing sich Laila einmal dreifach gegen-
über, auf einem Bild allerdings ohne Kopf, und als badende Kolchos-Nymphe schaffte sie es sogar auf eine Kunstpostkarte.

Vor allem in der Gewerkschaftszeitung "Tribüne" diskutierten die der Wertungs-Punkte wegen nach Dresden gereisten Kollektive der sozialis-
tischen Arbeit mit den Kollektiven der Deutsch-Sowjetische Freundschaft, ob es sozialistischer Realismus oder eine Beleidigung unseres Brudervolkes war, unsere Brüder-Weiber so unästhetisch fett darzustellen. Meine Kollegen Kulturwissenschaftler verteidigten in der "Bildenden Kunst" Rembrandt gegen die Attacken des Proletkultes, andere wurden von Laila an Malewitschs Röhren-Bäuerinnen erinnert, und nur einer der ersten DDR-Artikel mit feministischer Tendenz enthüllte das faszinierende Geheimnis von Modell und Künstler: die orientale Frau war kreatürlich dumpf schwanger, also nicht von der Gebär-Diktatur idealisiert, an ihrem Schicksal körperlich leidend und es doch besiegend - in der Anklage des sie raffiniert exhibitionierenden Kindsvaters und in der Provokation eines Diskurses über das Fortleben des Patriarchats.

Seitdem hasse ich das Wort "Diskurs", denn in diesem viel, sogar im Westen zitierten Artikel stimmte gar nichts. Fidel ist kein Chromosom weniger mein Sohn als Yossif, und wir hatten sehr hellsichtig, moralisch und wirtschaftlich diskutiert und gemeinsam festgelegt, wie wir auf Lailas Pillen-Allergie reagieren wollten. Wieder stellte sich Lailas Körper auf seine vorüber-
gehende Bestimmung ein und fand ein so schönes Übermaß, wie er davor und danach die reine Verlockung war, und außerdem tappste Fidel schon durch unsere Berliner Wohnung, als die Kunstausstellung noch über den ersten und den zweiten Schlußtermin hinaus verlängert wurde.

Die Drei-Zimmer-Wohnung war Dimitris Geschenk zu Lailas fünfundzwanzig-
stem Geburtstag und zehntem Jahrestag ihres Diensteides gewesen, und Laila hatte sie einer Erneuerung ihrer sowjetischen Staatsbürgerschaft und einem Büro-Job in der Lubljanka in Moskau vorgezogen.

"Weißt du noch", fragte mich Dimitri bei der Einweihungsfeier, und wir waren beide blau. "Die SS 20, damals? Ihr hättet euer Glück machen können, im Westen, mit dieser Information!"

"Und deine Leute dort hätten mal wieder ein paar Schießscheiben gehabt, wie?"

"Genosse... Werde ich meine beste Agentin erschießen?" Er erstickte mich erst in der Umarmung, dann mit einem feuchten Bruderkuß und flüsterte, wie aus Furcht vor den eigenen Wanzen, direkt in mein Ohr. "Ganz leicht hätte Laila Yasirowna euch rausbringen können, damals! Noch immer könnte sie das! Glaub es ruhig, Genosse!"

Ich nickte, so sehr als Selbstverteidigung wie aus Überzeugung.

"Ist doch ein gutes Land für Kinder, und ich habe einen prima Job..."

"Die Akademie der Künste... Weiß ich doch!"

"...der Wissenschaften", berichtigte ich ihn und schraubte eine neue Wodka-Flasche auf.

Vierzehn Tage später flog ich: aus der richtigen Akademie und aus politi-
schen Gründen, also fristlos. In Polen entstand eben Solidarnoscz, als Zusammenrottung von Katholiken wahrlich nicht mein Fall, aber mein Abteilungsleiter sprach von den Streiks als von "polnischen Zuständen" und "noch nie richtig gearbeitet", und dafür bot ich ihm eine linguistische Analyse an. Anders als im Eil-Parteiverfahren behauptet wurde, griff ich dem Ergebnis dieser Analyse nicht vor, aber es war eben sprachlich astreiner deutscher Nationalismus, ein faschistoides Rülpsen, egal von wem es kam. Daß der Abteilungsleiter es schon von einem Sekretär der SED-Bezirksleitung gehört hatte und in jeder S-Bahn hören konnte, in seiner Dienststellung fuhr er freilich Lada, machte die Sache für mich nicht besser, und die Gelegen-
heit zu Widerruf und Entschuldigung gab man mir auch gar nicht. Ich weiß nicht, ob ich dann nachgegeben hätte, als Vater von zwei Kindern mit einer nicht richtig arbeitenden Frau, aber ich bekam die Gelegenheit nicht, nicht einmal Bedenkzeit. An einem Tag sprach, am nächsten flog ich, und nach dem Abend dazwischen, an dem uns schon Fidels spätere Mittelohr-Entzünd-
ung beschäftigt hatte, kam ich Laila am nächsten Nachmittag überraschend mit der fertigen Katastrophe.

Eine Weile saß sie sehr still, für ihren Teint bleich, und dann preßte sie die Lippen aufeinander, um gegen das Lachen zu kämpfen. Sie verlor, hustete und lachte ziemlich verrückt.

"Entschuldige! Nicht böse sein, Bert! Aber... Aber dich..., dich werden sie an keiner Kunstschule zeichnen wollen!"

"Und als Bardame muß ich mich auch gar nicht erst vorstellen, ich weiß!"

"Höchstens im Westen! Da gibt es ja Schwulen-Bars..."

"Ja, alles gibt es im Westen", sagte ich giftig. "Und dein Josef Stalin mag das ja in Ordnung finden, aber mein Sohn heißt eben nach 'nem richtigen Revolutionär! Da..."

Ich kam wieder zu mir, weil es verdammt weh tat, wie Laila meinen Unter-
kiefer bewegte. Es knackte leise, und er steckte wieder in den Gelenken, und Laila atmete schwer, um das Heulen der Kinder zu übertönen.

"Hört auf", verlangte Laila barsch. "Und im Westen gibt es jede Menge Leute, die jede Menge Geld dafür bezahlen, daß man ihnen weh tut! Das war ein Spaß! Ein Unfall... Okay, karascho, bueno: es war gemein von mir."

Ihr Reden half nicht, und ich mußte wie jede verprügelte Ehefrau aufstehen, die Kinder umarmen und ein kleine Ewigkeit flüstern, daß gar nichts schlimm war und Mama und Papa sich weiter gern hatten, wie vorher, ja noch mehr als vorher. Auch Yossif prügelte sich in seinem Kindergarten doch ab und zu mit seinem besten Freund.

"Du hast mich in einem Witz unterbrochen", sendete ich ein Versöhnungssignal an Laila.

"Im blödesten Witz, den ich mir denken kann!"

"Und du trainierst das noch immer..."

"Quatsch", sagte die kleine Totschlägerin und hockte sich zu uns verheulten Männern. "Ich trage bloß die Einkaufstaschen, bisher... Hej, wollen wir von unserem letzten Geld ein riesiges Eis essen gehen?"

In der Nacht kam die Mittelohr-Entzündung zum Ausbruch, und wir trugen Fidel bis zum Krankenhaus, wo er auch noch ein Penizillin bekam, das er nicht vertrug. Das Fieber stieg, er schrie pausenlos, und wir hatten drei Tage lang richtige Sorgen. Das war die Art, wie uns Fidel fast noch als Baby half.

Biographische Skizze

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Kapitan Laila
Außerordentliche Komission
RSD 10
Unterkommen

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Yossif
Yunost
Kubanisch-Polnische Revolution
Laodse

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Sklaven-Marketing
Der Schleim
Musterung
Schwitzbäder
Die Grauen Grizzlys
Private Aufnahme

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IG Bettl und Brettl
Die Schwarze Göttin
Back on stage
Da unten
Und tiefer
Video Star

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Begutachtung
Campus
Samson

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Rushdie und die UCK
Internet
Safari
Circus Maximus

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Die Höhle der Wölfin
Auf der Flucht
Die Grotten von Gomorrha
Die Nordallianz

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