Auf der Flucht

Am 26. September wurde in der "Washington Post" zum ersten Mal die Vermutung geäußert, daß der Mann hinter Ousama bin Laden der CIA nicht nur bekannt sein müßte, sondern wahrscheinlich auch vom Geheimdienst ausgebildet worden war. Wenn ich richtig unterrichtet bin, wurde sie Mullah Omar am nächsten Tag gegen 17.34 Uhr afghanischer Zeit über Handy vorgelesen, und er informierte "den Gast", als der gegen 18.23 Uhr seine Badehöhle in Tora Bora verließ. (Alle Offiziellen nannten bin Laden so selbstverständlich "den Gast" wie sie Mohammad "den Propheten" nannten.)

Eine Gefahr bedeutete das noch nicht. Mullah Omar wollte einfach verhindern, daß es "Gequatsche" gab, und Ousama (ich war einer von elf, die ihn so nennen durften) war auf seine USA-Kontakte ja auch allgemein nicht wenig stolz. "Wenn Bert mich erschießen sollte, hätte er das längst tun können", sagte Ousama denn auch und ging in die Kinderhöhle, um mit seinen Söhnen wie jeden Sonnabend-Abend ein paar Runden "Moslem, ärger dich nicht" zu spielen.

Davon erzählte mir der Ohrenzeuge Mullah Asad am Sonntag, als wir nach dem Mittagessen am Pool seines Harems saßen und "Huren-Memory" spielten - das auf der obersten Kommando-Ebene der Taliban wohl beliebtetste Gesellschaftsspiel. Dafür wurden in der nächsten Stadt gewöhnlich 18 Frauen eingefangen, die immer paarweise schwarze, rote und weiße Reizwäsche, schwarze Netzstrümpfe und so weiter anziehen mußten, durcheinander gejagt wurden und dann auf Befehl für eine Sekunde die Burqa bis zum Kinn heben mußten.

Mullah Asad benutzte dazu allerdings immer die eigenen 16 Ehefrauen - und wir waren trotz dieses und einiger anderen menschenverachtenden Gebräuche gut befreundet, seit wir auf einer Patrouillen-Fahrt sehr interessant über diese Zahl diskutiert hatten. Er hatte mir nicht glauben wollen, daß ihm nach Mohammad nur vier Frauen zustanden.

"Aber der König Salomo hatte sogar 333", sagte Mullah Asad.

"Der war ja auch Jude", sagte ich.

Mullah Asad lachte. "Der König Salomo aus dem Koran? Und was will denn ein Schwanzloser mit sovielen Weibern, hej? Na, ein Verschnittener doch!"

"Beschnittener", berichtigte ich. "Sie pitzeln den kleinen Jungen doch nur die Vorhaut ab!"

Mullah Asad ünberlegte eine Weile, ob er mir den Hals durchschneiden sollte, schlug mir dann aber nur die Pranke zwischen den Schultern und lachte polternd.

"Und ich überlege schon seit dem ersten Partei-Lehrjahr, wo diese Teufel immer wieder herkommen!"

"Seit was für einem Partei-Lehrjahr", fragte ich, als er sich etwas beruhigt hatte.

"General Dostum, der Shaitan brate dereinst die Hoden dieses Verräters, war der Parteigruppenorganisator in unserer Auto-Werkstatt, und ich habe das Lehrjahr organisiert. Und das kannst du mir glauben, mein Freund, daß das für einen Analphabeten nicht einfach war!" Er hob die Kalaschnikow bis zur Hüfte und erschoß eine dreißig Meter entfernt stehende Kuh so, daß sie auf die melkende Bäuerin kippte. "Die Religion ist der Seufzer der bedrängten Kreatur wie sie das Gemüt einer herzlosen Welt und der Geist geistloser Zustände ist... Karl Marx! Ich weiß nicht, was das bedeutet, aber gegen die Russen hat der Zauberspruch immer geholfen, und wer weiß schon, ob man das nicht mal wieder brauchen kann. Allah ist groß, und seine Entschlüsse sind für uns nicht immer gleich zu begreifen."

Kurz: Er war ein Widerling, falls er in den Kämpfen um Tora Bora gefallen sein sollte... (Aber es würde mich auch nicht allzu sehr wundern, wenn ihn das Fernsehen heute abend als neuen Bildungsminister des befreiten Afghanistans vorstellen würde.)

An jenem 30. September verlor ich unter dem Eindruck der Nachricht, aber ich lachte schadenfroh, weil zu dem letzten erkannten Paar, mit dem der Gewinner weiter spielen durfte, Mullah Asads erste Frau dabei war, wie er selbst schon kurz vor der 60. Der Mullah zeigte mir einen Stinkefinger, und ich verabschiedete mich mit der Komintern-Faust, weil ich trotz unserer Freundschaft lieber nicht mit seinen vierzehn übrigen Frauen allein bleiben wollte.

Als ich an der Küche vorbei kam, kickste es von dort. Ich blieb stehen, und die Köchin schwebte als das gewohnte afghanische Tagesgespenst heran, im modischen Blau.

"Hi, Bert", sagte sie mit Lailas Stimme.

Ich kniff erst mal die Augen zu und schüttelte den Kopf.

"Keine Fragen, jetzt! Du mußt sofort verschwinden! Befehl von Krähe."

"Krähe... Aber selbst dann fehlen noch zwei Codes."

"In der 'Washington Post' von morgen wird stehen, daß europäische Agenten eine Steinigung des Gastes vorbereiten, und hast du hier schon einen anderen europäischen Agenten gesehen? Eine gezielte Indiskretion, vermutet Samson..."

"Und wie soll ich dann wegkommen, aus diesem Loch im Arsch der Welt?"

"Immerhin hast du hier eine Freundin", sagte Laila. Sie beulte ihren Schleier in Richtung auf ein ebenso blaues Päckchen. "Und es ist ja eher unwahrscheinlich, daß einer der einfachen Idioten drunter sieht... War ein Witz, Mann! Du kriegst einen Jeep und zwei von Asads Leuten, bis Kabul."

Laila schloß die Küchentür hinter mir, und ich zog die Burqa über die Uniform, Koppel und Revolvertasche.

"Und wo sind die Kinder, übrigens?"

"Mann! Yossif hat selber süße russische Kinder", sagte Laila. "Fidel ist bei Fidel und Tanja bemüht sich in Moskau, in Mamas Fußstapfen zu reichen. Du solltest dir wirklich lieber Sorgen um dich selber machen, Berta!"

"Haha! Und... Ich meine: sehen wir uns mal wieder?"

"Wäre gar nicht gut für dich und Deutschland", sagte Laila und umarmte mich, so gut das eben ging. "Ich bin jetzt in einer Abteilung, die Sender für Lenkbomben versteckt. Aber klar... Ganz ausschließen kann man gar nichts."

"Also: Leningrad, zum Beispiel, fand ich ja schön..."

"Na, dann behalte es einfach so in Erinnerung", sagte Laila und klinkte die Küchentür wieder auf.

Nun standen zwei völlig normale Taliban im Korridor, die Kalaschnikow über die Schulter gehangen und eine Bazooka angelehnt. Sie ließen mir den Vortritt, aber bis wir im Jeep saßen, wurde ich den Eindruck nicht los, daß sie mich leicht zu einer anonymen Hinrichtung führen konnten. Was, wenn Laila für Krähe die Vergiftung des Gastes plante und nur die Konkurrenz los werden wollte? Ausschließen konnte man gar nichts. Vor allem in Afghanistan nicht.

Biographische Skizze

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Kapitan Laila
Außerordentliche Komission
RSD 10
Unterkommen

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Yossif
Yunost
Kubanisch-Polnische Revolution
Laodse

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Sklaven-Marketing
Der Schleim
Musterung
Schwitzbäder
Die Grauen Grizzlys
Private Aufnahme

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IG Bettl und Brettl
Die Schwarze Göttin
Back on stage
Da unten
Und tiefer
Video Star

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Begutachtung
Campus
Samson

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Rushdie und die UCK
Internet
Safari
Circus Maximus

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Die Höhle der Wölfin
Auf der Flucht
Die Grotten von Gomorrha
Die Nordallianz

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