Die Grotten von Gomorrha

Eine der ersten Cruise Missiles auf Kabul schlug in der Tankstelle neben "Die Grotten von Gomorrha" ein, und im ersten Augenblick dachte ich, Glück gehabt zu haben. Das Teil der Zapfsäule, das durch das Fenster geflogen kam, traf den Rashid, den Besitzer, zwischen die Augen und spaltete seinen Schädel. Ich saß ihm unverletzt gegenüber, die Schachfiguren waren nur unwesentlich aus den Quadraten gerutscht und nur die Teeschalen liefen unappetitlich über. Vom Explodieren der Tanks und den weiteren Einschlägen abgesehen blieb es still, um uns herum und im Haus, und als ich Herr über mein Zittern geworden war, konnte ich in aller Ruhe an meiner Legende arbeiten. Ich zog die blutbespritzte Uniform aus und schmiß sie zusammen mit der überflüssigen Tee-Tasse durch das geborstene Fenster, ging ins Schlafzimmer und holte die frisch gewaschene Burqa aus dem Schrank. Daß der Besitzer des Etablissements seine Neu-Erwerbung gründlich getestet und ausgiebig angelernt hatte, würde selbst dem Taliban-Geheimdienst nicht verdächtig vorkommen, und wenn ich mich nun bis zum Eintreffen von Rettern in eine Mauerecke des Schlafzimmers drückte, paßte das ebenfalls noch. Das entsetzte Klageweib hätte ich stimmlich nicht hinbekommen, vom Akzent meiner Pashtu-Hilferufe ganz abgesehen.

Erst als die Tankstellen-Reste heruntergebrannt oder gelöscht waren und die Taliban-Feuerwehr die umstehenden Häuser kontrollierte, ging mir auf, wie falsch der Plan gewesen war. Wer auch immer "Die Grotten von Gomorrha" erben mochte, würde wahrscheinlich nicht mehr auf einer alten Gehaltsliste des KGB stehen und zumindest nicht wissen, daß ich ein Ziehkind der Krähe und Schützling von Laila war. Auch in der recht kühlen Nacht schwitzte ich unter meinem Schleier, und endlich wurde die Tür aufgestoßen, beiläufig sachlich.

Der Feuerwehr-Taliban hielt die Tür für Rashids Sohn auf.

"Bist du verletzt, Roberta?"

"Nein! Nein, Herr" flüsterte ich.

"Oh, Allah", sagte der trauernde Sohn. "Hätte es nicht diese leicht ersetzbare Hure treffen können? Na, komm! Los, die schöne faule Zeit ist vorbei!" Er wedelte ungeduldig mit der Hand.

Während ich langsam aufstand, versuchte ich krampfhaft, mich an die jüdisch-arabische Folklore zu erinnern. Die Juden trauerten ja allem, sogar den Monatsblutungen so lange hinterher, daß darüber Kriege gegen Supermächte zu Ende gehen würden. Allerdings fiel mir nur ein, daß die Kriege der Supermächte in Afghanistan Jahrtzehnte dauerten und verloren gingen. Ödipus fiel mir ein, und wenn Freud recht hatte, stand mir wohl einiges bevor, wenn Rashid erst einmal unter der lehmigen Erde war. Sein Sohn war Mitte zwanzig, und dessen Bart reichte nicht nur dogmatisch aus der vor das Kinn gehaltenen Faust, sondern signalisierte eine geradezu imperialistische Überproduktion von Testosteron. Ich sah mich nach Fluchtwegen um, während ich dem neuen Puff-Vater aus der Privat-Wohnung in den Hof mit den Frauen-Ställen folgte, aber vom ganzen Haus war nur das eine Fenster im ersten Stock zerstört worden. Die Festungsmauern reichten weiter hoch über die Verschläge, und in der Mitte des Hofs standen die Kneipentische mit den in Friedenszeiten von Mittag bis nach Mitternacht immer besetzten Holzhockern, hinter dem Gefängnistor - Rashids ganzer Stolz.

"Ich war wirklich gern Literaturhistoriker", hatte er mir beim ersten Rundgang gesagt. "Aber was soll ich dem Goldenen Zeitalter der Toleranz nachtrauern, wenn ich mir an der Intoleranz der Vielen eine goldene Nase verdienen kann?"

Von außen waren die Riegel der Stalltüren nur mit einem stählernen Stift gesichert, und Innen war auf jede Bequemlichkeit verzichtet. Nicht einmal um käuflichen Sex ging es hier ja, sondern darum, daß die Gotteskrieger ihren Feinden der kleineren Stämme die größt-mögliche Schmach antuen konnten. Wenn man es ein Glück nennen wollte, den Anfang eines Befreiungskrieg dafür zu überleben, war diese Geschäftsphilosophie mein Glück. Mein Herr blieb im Hof stehen, während ich die Burqa der Flucht aus- und das Kleid der Schande anziehen mußte: ebenso unförmig und dicht, aber im Gesichtsgitter und über dem Hintern mit sorgfältig umsäumten Löchern.

"Du riechst streng", sagte der junge Mann, an der angst-verschwitzten Burqa schnüffelnd. "Amerikanerin?"

"Nein, bei Gott", sagte ich eilig die Wahrheit. "Deutschland, Germany, Alemagne..."

"Na, eine Weiße jedenfalls..."

Er drückte die Bretter-Tür zu und legte den Riegel vor, und mir blieb nur die Wahl, in der vollkommenen Dunkelheit auf dem Holz-Bett zu sitzen oder mich darauf zu legen. Ich mochte den Krieg noch nie, trotz der Zeit bei der "Armee-Rundschau" und den Killerschlägen der Selbstverteidigung, und ich war mit dem Auftrag zu Ousama geschickt worden, einen Krieg durch den Tyrannemord zu verhindern. In diesem Augenblick aber waren mir die fernen Explosionen zu fern und zu wenig, und ich hoffte, daß in den Pausen Wolkenbrüche von Fallschirmjägern auf das verdammte Land niedergingen.

Das Licht, das später durch die Fugen der Tür fiel, war so minimal, daß ich nicht einmal versuchte, mit den Fingernägeln zwischen den Brettern zu kratzen, und als es in der Kammer schon heiß wurde, reichte es immer noch nur, um die auf dem Boden hereingeschobenen Schalen zu identifizieren. In der flacheren Schale gab es groß gekochten Reis mit Erbsen, und in der niedrigen Schüssel war ein bißchen Wasser, in dem auch gleich noch ein Waschlappen lag. Später verlangte eine Hand das Geschirr zurück und bot dafür ein stinkendes, schon benutztes Blechgefäß an, daß nach ein paar Minuten nach nebenan mußte.

Im Unterschied zu Hierro bekam ich ganz genau mit, was mit mir geplant war und wie das Ekelhafte heraufgezogen kam. LKWs fuhren vor, die Stiefel einer ganzen Kompanie schlurften, das Lachen wurde lauter, und endlich stoppten Schritte genau vor meiner Tür.

"Speziell für die Offiziere und Geistlichen", sagte der Herr über die Öffnungen meines Schleiers kumpelhaft. "Roberta, eine Amerikanerin... Als Spionin gefangen und von meinem seligen Vater noch selbst eingeritten! Das ist wie die Schwester des Großen Shaitan entehren! Roberta ist das verfluchte Amerika, ist diese ganze verdammte ungläubige Welt!"

"Und wie wir sie besiegen werden", versprach der andere Mann. "Halte solange die MPi!"

Biographische Skizze

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Kapitan Laila
Außerordentliche Komission
RSD 10
Unterkommen

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Yossif
Yunost
Kubanisch-Polnische Revolution
Laodse

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Sklaven-Marketing
Der Schleim
Musterung
Schwitzbäder
Die Grauen Grizzlys
Private Aufnahme

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IG Bettl und Brettl
Die Schwarze Göttin
Back on stage
Da unten
Und tiefer
Video Star

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Begutachtung
Campus
Samson

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Rushdie und die UCK
Internet
Safari
Circus Maximus

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Die Höhle der Wölfin
Auf der Flucht
Die Grotten von Gomorrha
Die Nordallianz

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