RSD 10

Vom Prinzip her kannte ich die Halle. Diese konkrete Halle war freilich kleiner, obwohl ich mich nackt, mit den hinter dem Rücken gefesselten Händen und noch immer zwischen den Schwergewichtlern hätte verloren fühlen müssen. Wie für Gundulas Fotoapparat beleuchtet war ich auch, und der dicke Mann im schlecht sitzenden Anzug schritt aus dem Lichtkreis und klopfte auf Stahl.

"RSD Djesjatch!"

"Karascho, otschen karascho", sagte ich leise. "Und fliegen wir nur zur Raumstation oder gleich zum Mond?"

"Drei einzeln lenkbare Atomsprengköpfe, und wir werden 140 Stück davon stationieren..."

"Aber... Ist das nicht geheim", fragte ich verwirrt.

"Das nicht mehr, und für Sie doch sowieso nicht", sagte der dickste Hund des KGB. "Wollen Sie nicht mal wieder ein Stückchen damit fahren?"

Der Linke meiner Entführer ging zu der Lafette und öffnete die Einstiegsluke, während mich der Rechte am Ellenbogen vor schob. Ich atmete auf.

"Towarischi", sagte ich. "Das ist ein Irrtum! Ehrlich! Mir ist doch egal..."

Sachlich, beinahe freundlich drückte mein Begleiter mir den Kopf so tief, daß ich mich nicht stieß, und zum ersten Mal sah ich das Innere des Fahrzeugs. Kontroll-Lämpchen, Leselichter und ein sehr grün leuchtender Radar-Schirm beschienen ein mageres Gesicht mit großen braunen Augen in tiefen Höhlen. Nicht ihre Mähne, nicht einmal das kürzeste schwarze Haar, nur der Ort der Gegenüberstellung verriet, daß die Person im Sträflingsgrau Laila war. Auch mit ihren Brüsten hatte der KGB etwas gemacht, was ich nicht glauben konnte: sie waren wie weg.

"Nicht böse sein, Bert!" Laila streckte mir die Hand entgegen. "Und fühl mal, bitte!" Sie holte meine Hand in die Jacke aus Sackstoff, auf warme und straffe Haut. "Deshalb mußte ich es ihnen doch sagen..."

Etwas zuckte: meine Hand, die ganze Gefangene oder nur ihr Bauch. Es war mehr als eine Überraschung, aber für einen Schock war das zu natürlich. Ich maß die Wölbung mit der Hand, fand die darauf ruhenden, sogar schon schwereren Brüste und rechnete. Anfang Dezember würde ich leibhaftig Vater werden, wenn wir drei diese Nacht überlebten. Ich schob mich wieder ins Freie, in die Halle zurück.

"Und? Bringt ihr uns jetzt um?"

"Genosse..." Der Dicke breitete die Arme aus. "Sie werden Ihre Genossen doch nicht für Unmenschen halten! Laila Yasirwona hätte mir doch gleich sagen können, daß es nicht Spionage, sondern Liebe war!"

"Glauben Sie denn jedem auf's erste Wort", fragte ich mißtrauisch. "Und kann ich jetzt wenigstens meine Unterhose wiederhaben?"

"Das..." Er zeigte auf Lailas atomares Gefängnis. "Das war meine beste Agentin, Sie gewissenloses Schwein! Perfekt in Deutsch und Englisch, als Scharfschützin und..." Er machte eine wegwerfende Handbewegung. "Und jetzt ist sie ein schwangeres Wrack, das man in ihrem Bergdorf steinigen würde! Und kennen Sie ihren Schwiegervater?"

Ich senkte den Kopf und verneinte vorsichtig.

"Eben! Und wo erwischen meine Männer Sie?" Wieder wechselte er die Tonart, und diesmal legte er mir gleich den Arm in den Nacken. "Das muß Laila Yasirowna natürlich nicht erfahren. Und Laila Yasirownas Vater..."

"Genosse Yasir..."

"Genau!...würde sich unter bestimmten Umständen vielleicht sogar geehrt fühlen, wenn Sie..."

"Alles klar", sagte ich und nickte. "Geben Sie mir meine Unterhose und die Socken, und ich bringe für Sie irgend jemanden um! Wie wäre es mit dem Papst? Nein? Ich... Ich soll für Sie spionieren?"

Der Blick des Chefs war vernichtend, aber einer der Entführer schloß die Handschellen auf, der andere brachte meine Klamotten, und von irgendwo schaltete ein Dritter den Scheinwerfer aus. Der Aufwand für ein zweites Rendesvousz, an das ich nur nie geglaubt hatte, schien mir unmäßig, aber in den Sekunden, in denen ich den Pullover über dem Kopf hatte, verschwanden die drei Geheimdienst-Leute laut- und spurlos. Nur die mobile Abschußrampe stand noch am Platz, und ich sah fast ein bißchen ängstlich nach, ob wenigstens Laila und mein Kind noch darin hockten.

"Ich glaube, ich muß euch nur heiraten", sagte ich.

"Ja... Und sei bitte wirklich nicht böse", sagte Laila.

Sie ließ sich von mir beim Aussteigen helfen, und draußen sah sie sich erst einmal das Fahrzeug an.

"RSD djesjatch", sagte ich. "Gelb statt grün, drei einzeln steuerbare Sprengköpfe... Höchstgeschwindigkeit weiß ich nicht, aber gegen Mittag könnten wir damit in Leipzig sein."

"Spinner", sagte Laila und lachte.

Vor der Halle, die in einen mit Birken bewachsenen Hügel eingelassen war, wartete ein Lada mit Vorhängen an den Fenstern und an einer Trennscheibe, um uns zu einem Bahnhof zu fahren. Laila setzte sich steif auf die Rückbank und wies mit knappen Handbewegungen an, daß ich mich weder am Stoff der Fenster noch an dem vor ihrem Bauch zu schaffen machen durfte. Es war eine ziemlich lange Überlandfahrt, und als der Beifahrer uns die Tür aufklinkte, standen wir vor dem kleinen Bahnhof auf dem Rügendamm in Stralsund.

Der Mann war ein Hauptmann, aber er salutierte ehrfurchtsvoll vor meiner kleinen, kahlen und ein wenig unförmigen Frau in ihrem Sträflingsanzug. Mir gab er die Hand. Der Bahnhof war noch verschlossen, und Laila küßte mich und durchsuchte dabei meine Hosen- und Jackentaschen nach Mikrofonen. Dann faßte sie mich an der Hand und zog mich nach links, auf die Brückenmitte. Es war morgendlich kalt, und ziemlich windig.

"Nimm das nicht persönlich", sagte Laila und legte meine Hände an die Seiten ihres Bauches. "Man kommt da doch nicht ohne Risiko raus. Und eigentlich überhaupt nicht... Und du hast mir sogar richtig gefallen! Ehrlich!"

So kurz nach der befohlenen Verlobung trafen mich die freundlichen Sätze wie Hammerschläge auf Herz und Hoden, und der Schmerz stachelte die Vernunft an. Mit ein bißchen Mühe konnte ich ja noch alle Worte, die wir bisher gewechselt hatten, zählen. Nicht mal Lailas Familiennamen und Geburtstag kannte ich, vom gefährlichen Beruf ihres so leicht zu ehrenden Vaters ganz abgesehen: alles keine Indizien für eine ordentliche Liebe. Ich war zur richtigen Zeit am richtigen Ort gewesen, und es gab aus hundert-
tausenden Ehen dieser beschissenen Welt bestimmt hunderttausende Kinder die mit weniger Lust gemacht waren.

"RSD 10, NATO-Code SS 20", wechselte Laila das Thema. "Dafür, daß wir die bei euch gesehen haben, würden die uns im Westen eine Hochzeitsreise nach Hawaii spendieren. Wetten?"

"Ich werde es ihnen aber nicht verraten!"

"Ej, sieh mich an", verlangte Laila. "Ich war ein Vierteljahr in der Dunkel-
zelle, okay? Und da habe ich rausgefunden, daß es mit dir schön sein könnte! Auch ehrlich! Und das, das und ein Kind sind doch nicht wenig für den Anfang!"

"Euch muß doch kalt sein..."

Mir war auch kalt sein, auch in der Jacke, die ich für Laila auszog, und wir klapperten mit den Zähnen, wieder zum Bahnhof unterwegs. Die Frühschicht der Werft, die uns nun entgegen kam, starrte Laila erschrocken an, und am Fahrkartenschalter bekam ich rote Ohren, weil ich nicht genügend Geld für zweimal Leipzig dabei hatte. Laila fingerte hinter dem Aufnäher mit ihrer sechsstelligen Registriernummer und schob einen Hunderter durch die halbrunde Öffnung in der Glasscheibe. Die ganze Sache stank also immer noch, aber wir waren ja auch noch ganz am Anfang.

Biographische Skizze

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Kapitan Laila
Außerordentliche Komission
RSD 10
Unterkommen

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Yossif
Yunost
Kubanisch-Polnische Revolution
Laodse

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Sklaven-Marketing
Der Schleim
Musterung
Schwitzbäder
Die Grauen Grizzlys
Private Aufnahme

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IG Bettl und Brettl
Die Schwarze Göttin
Back on stage
Da unten
Und tiefer
Video Star

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Begutachtung
Campus
Samson

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Rushdie und die UCK
Internet
Safari
Circus Maximus

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Die Höhle der Wölfin
Auf der Flucht
Die Grotten von Gomorrha
Die Nordallianz

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