Sklaven-Marketing

Es war wie eine Weihnacht im Sommer. Im ganzen Land jubelten die schafsdummen Hirten, und wir hockten wie eine fliehende Heilige Familie in unserem - bis dahin Neid weckenden - Mahlsdorfer Garten. Vor der Datsche lärmte unser Quartett ziemlich tierisch, Laila gab Salman die Brust, und ich trank für die ganze Familie.

Die "Armeerundschau" war schon eingestellt, als Zivilangestellter konnte ich nicht einmal überlaufen, und meine gesammelten Parade-Aufnahmen waren nicht einmal in meinen Augen die Sicherheit für einen Kamera-Kredit. Ich hatte Texte für einen zweiten Gedichtband zusammen und hatte einen Roman fertig, aber auch darauf konnten wir keine Existenz gründen. Ob in Griechenland, in Peru oder auf der Osterinsel: immer hatten die Missionare als erstes die Künstler verbrannt, auf Stößen der eigenen Bilder und Bücher.

"Und wenn wir doch nach Grosny gingen", fragte ich zaghaft. "Wir lassen den kleinen Shaitan umtaufen, dein Führungsoffizier ist jetzt bestimmt Chef-Mufti eurer Inquisition und wird weiter für dich zu tun haben, und ich..."

"Eben", sagte Laila. "Du kannst weder Ungläubigen die Kehle durchschneiden noch Autos schmuggeln! Da kannst du genauso gut hier nichts tun!"

"Man kann alles lernen", murrte ich. "Außer Versicherungsvertreter! Versicherungsvertreter werde ich nie! Eher..."

"Ja", überlegte Laila. "Sobald Salman in den Kindergarten kann, könnte ich auf den Strich gehen."

Ich lachte zynisch auf. "Na, bestimmt können wir noch was anderes, womit man Geld verdienen kann!"

"Bestimmt. Und was?"

Das Wodka-Glas wurde nur noch halb voll, so daß ich einen wirklichen Grund hatte, zum Kühlschrank zu gehen. Trotz des verbilligt angelegten Vorrates im Gefrierfach und im Wandregal war abzusehen, daß ich schon vor dem Oktober im Einheits-Supermarkt oder in der Alkoholikerwüste ankommen würde, und durch die Tür sah ich den Großen beim Duschen mit dem Wasserschlauch zu, bis meine Hand gefroren war. Was kostete eigentlich ein Kubikmeter Wasser, in D-Mark?

"In Tschetschenien dürfte ich bestimmt nicht trinken", fragte ich, zurück im Hauptzimmer. Laila war zur Zeit zwar verständnisvoll und vertrug selbst nicht wenig, aber es war eben kein billiges Hobby.

"Und solange könntest ja du es machen", sagte Laila und drückte Salman vorsichtig zwischen ihre Brüste.

"Was?"

"Na, womit wir was verdienen können..."

 Ich lachte, an diesem Nachmittag, und an jedem Wochenende kaufte ich mir den "Tagesspiegel" mit den Stellen-Anzeigen, aber ich las die Angebote so unbetroffen, wie ich die auf dem Arbeitsamt ausliegenden Zettel ansah, vor dem alles erklärenden Kopschütteln meines Beraters. Rundherum wurde kein Schweinekastrierer, kein Bild-Journalist und eigentlich überhaupt niemand gesucht.

Als es mir Laila nach dem Mitternachts-Stillen wieder einmal mit dem Mund gemacht und mich gleich darauf feucht geküßt hatte, fragte ich sie doch.

"Du hast das doch nicht ernst gemeint?"

"Aber in jeder Beziehung", sagte sie. "Aber bisher hast du nur Absagen bekommen."

Sie stand aus dem Bett auf und holte zwei Schnellhefter, von denen der eine so voll war, wie die Klammern erlaubten. Auch wenn die Briefmarken noch nicht teuer waren, hatte sie für die entsprechenden Zeitungen und Chiffre-Gebühren einen beträchtlichen Teil unseres Kindergeldes in meine Prostitution investiert.

"Diskrete Fotografen und Fotomodelle", erklärte Laila den Schriftwechsel vor dem grünen Registerblatt. "Bar-Personal bis hierher. Und Sklaven..."

"Sklaven?"

"Logo! Kolonien schafft man sich wegen der Sklaven an. Aber das ist ein mieser Trick von Professionellen. Auch wenn 'kfI' da steht."

"Aha!"

"Na, 'kein finanzielles Interesse'", erklärte Laila gut gelaunt und ohne eine Spur schlechtes Gewissen. "Und dabei haben doch wir das, und zwar ziemlich heftig, nicht? Tja, wenn du eine Frau wärest... Jede Wette, daß..."

Ich war froh, daß ich keine Frau war, und sie war es ja auch, und zusammen mit ihren Brüsten und unseren Kindern, mit ihren Flötenkünsten und ihrer Schamlosigkeit war es genau diese organisierte Verrücktheit, die uns beieinander gehalten hatte. Schließlich war es für sie weder leicht gewesen, vom KGB in den Ruhestand und nach Deutschland entlassen zu werden, noch dort, danach und nach jedem Kind wieder in irgendein Arbeitsleben zurück zu finden, und nach diesen zehn Jahren war ich mir eigentlich sicher, daß uns eigentlich nichts Schlimmes und Unüberwindliches bevorstehen konnte. Davon wollte ich zwar nicht reden, aber ich konnte mir sogar gut vorstellen, daß eines schönen Nachmittags nach der Wiedervereinigung ein guter altes Freund von zu Hause bei ihr auftauchte und sie mit Fotos, Fotokopien und Aktenvermerken zu einer Arbeit erpreßte, von der sie uns alle leicht und gesund ernähren konnte. Ich fühlte mich wie an einem zweiten Hochzeitstag oder am Tag ihrer sechsten schmerzarmen Geburt.

Für mich war das Thema mit Lailas Geständnis und der statistischen Auswertung so gründlich abgeschlossen, daß ich mich auch danach nicht für unsere Post interessierte und sogar wieder anfing, mit der der Nationalen Volksarmee enteigneten "Praktika" zu fotografieren. Ich nahm mir vor, den Umbau unserer Kaufhalle und die Veränderung des Viertels zu dokumentieren, aus Sparsamkeitsgründen. An die Details eines so kleinen Reviers konnte ich mich erinnern, die Sujets konnte ich gründlichst vorauswählen, und die belichteten Filme konnte ich liegen lassen, bis wir - wodurch auch immer - zu mehr Geld gekommen waren.

Um so härter traf mich, daß Laila mir einen Monat später zum Nachmittags-Kaffee auch eine Anzeigen-Seite mit einem roten Filzstift-Quadrat servierte: "Tabul. Odt. Soldat (36 / 176 / 74) sucht Drill, Ausbld. u. 24/7-Dienst (OV, AV) bei solv. Senior." Im obersten Drittel der ersten Spalte stand Weiß in Blau "ER sucht IHN" und zwei Anzeigen vor der markierten Schwarz auf Grau "Harte Seiten".

"Du spinnst", flüsterte ich. "Ich verstehe nur die Hälfte, aber sag mir sofort, daß das ein blöder Zufall ist!"

Laila sah mir in die Augen, verzog den Mund zu einem Lächeln und schüttelte dann langsam den Kopf.

"Du hast fünf Kinder zu ernähren, Bert", sagte sie leise.

Biographische Skizze

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Kapitan Laila
Außerordentliche Komission
RSD 10
Unterkommen

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Yossif
Yunost
Kubanisch-Polnische Revolution
Laodse

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Sklaven-Marketing
Der Schleim
Musterung
Schwitzbäder
Die Grauen Grizzlys
Private Aufnahme

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IG Bettl und Brettl
Die Schwarze Göttin
Back on stage
Da unten
Und tiefer
Video Star

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Begutachtung
Campus
Samson

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Rushdie und die UCK
Internet
Safari
Circus Maximus

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Die Höhle der Wölfin
Auf der Flucht
Die Grotten von Gomorrha
Die Nordallianz

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