Laodse

Bevor ich auch nur beginnen konnte, mich zwischen Hunger und Gewissen, Widerruf und Nikotin-Entwöhnung zu zerquälen, brachte Laila aus der Makrelen-Boutique am S-Bahnhof außer dem Sonntags-Räucherfisch auch noch den Job der rheumatischen Arbeiterveteranin mit. Natürlich gab ich ihr auch zu bedenken, daß sie bei so einer Beschäftigung wenig orientalisch-geheimnisvoll riechen würde, aber vor allem hielt ich die Nachricht für ein bloßes Wochenend-Wunder. So leicht entkam man doch keiner Repressalie einer zentralstaatlichen politbürokratischen Diktatur!

Trotzdem konnte Laila am Montag darauf den Arbeitsvertrag unterschreiben, und sie behielt die Arbeit auch noch, nachdem sie zu Weihnachten neben ihrem Karpfen-Schafott Heiner Müller und seine bulgarische Frau kennengelernt hatte. Nur weil Laila mit ein paar Fischen kurzen Prozeß machte, mußte kein Mensch die Zigarre aus dem Mund nehmen, und sie wußte sehr gut, daß sie einen höchst philosophischen Beruf ausübte. Auf die launige Frage des Theater-Genies sagte sie ihm den entsprechenden Lao-Dse-Vers auf: den großen Staat regiert man, wie man kleine Fische brät...

Es wurde keine wunderbare Freundschaft, es wurde nicht einmal eine Aal-Gegen-Freikarten-Beziehung daraus. Müller erwähnte diese Episode weder in Stück noch Interview, und er kaufte seine Fische von da an entfernter von seiner Wohnung, aber Laila fand durch diese Begegnung zur Lyrik. Über der Feiertags-Ente assoziierte sie, wie sie die Diktatur des Proletariats abstechen, aufschlitzen und ausnehmen, ihr Salz in die Wunden streuen und sie endlich in die Pfanne hauen würde, und bevor sie zur Silvester-Schlächterei aufbrach, trug sie mir als Hausarbeit auf, das sprachlich zu verknappen und an die "neue deutsche literatur" zu schicken.

"Klar veröffentlichen die das", prophezeite Laila. "Wir hatten auch einen Kurs, wie wir als leicht kritische Dichter auffallen können, und in Russisch könnte ich das ganz alleine!"

Laila behielt mehr als recht. Die Zeitschrift teilte ihr nicht nur mit, daß sie den Text drucken würde, sondern bat um drei, vier weitere Texte, und von da an setzten wir uns jeden Freitag Abend hin und bastelten ein paar Texte nach den Richtlinien des entsprechenden KGB-Workshops. Kurz vor der Moskauer Olympiade war der Schauspieler und Liedermacher Wyssozki gestorben und damit interpretierbar geworden, und weil uns dessen Nach-
dichtung druckreif gelang, übersetzten wir gleich noch ein paar Gedichte von Brecht ins Neu-Deutsche.

Von der und für die Veröffentlichungen zu leben, wäre unmöglich gewesen, aber als Zulagen zu Lailas Verkäuferinnen-Gehalt waren die Honorare sehr anständig, und der Schriftstellerverband lud Laila als Schreibende Verkäufe-
rin besonders gern zu allen möglichen Seminaren, Vorträgen und Lesungen ein. Es ging wohl niemandem mehr um ihr quasi proletarische Herkommen, aber sie verstand es sehr gut, die Ladentheken-Gespräche zu politischen oder ästhetischen Wahrheiten zu vertiefen, und sie sah phantastisch aus, parfümierte sich gründlich und war nach keiner Versammlung und keinem Empfang unter den Tisch zu trinken.

Ich beneidete sie ein bißchen um die Gelegenheiten zu Gesprächen und um Bekanntschaften, die von Berufs wegen mir zugestanden hätten, und manchmal kam es bei Ausstellungseröffnungen oder wichtigen Lesungen auch zu peinlichen Situationen. Flüchtige Bekannten trauten mir armem, arbeitslosem Schlucker wegen Lailas Begleitung eine märchenhafte, jeden irdischen Wert überwuchernde Potenz zu, und manche Freunde deuteten mir vorsichtig gehemmt Lailas Seitensprünge nach oben an.

In irgendeiner depressiven Minute fragte ich denn auch einmal vorsichtig danach, aber Laila lachte absolut überzeugend.

"Warum sollte ich mit einem von denen pennen, hej? Es genügt doch, mit ihnen solange zu saufen, bis sie den Wunsch für die Realität nehmen! Keimfrei und ohne Gefahr einer Enttäuschung..."

"Und wir steinigen dafür ja auch niemanden", sagte ich großzügig und ein bißchen egoistisch. "Ich habe ja selber schon, wenn mir eine gefällt..."

"Aber mir gefällt keiner von denen", sagte Laila entschieden. "Okay, wenn ich mal Jane Fonda treffen würde... Oder wenn du im Knast und kurz vor der Hinrichtung wärest: dann, und wenn nicht mal mein Anruf in Moskau helfen würde, dann schon. Völlig klar!"

Ein anderes Mal, als wir uns so geliebt hatten, daß wir beide eigentlich schon um unser drittes Problem mit Lailas Pillen-Allergie wußten, fing ich aus Sentimalität davon an. Es war nur eine unpraktische, keine sozialistische Moral, die Laila alternativlos an einen Mann band, auch wenn ich das war.

"Oh, da machst du dir jetzt aber was vor", sagte Laila. "Erstens hatten wir auch dafür einen Kurs, und ich..."

"...war auch da die beste", gab ich ihr zu.

"...habe da nichts gelernt, gesehen oder gehört, was nicht auch mit dir ginge", variierte Laila.

Trotzdem bedeutete diese Schwangerschaft eine harte Entscheidung. Fidel war eine Herausforderung für ganze Mal-Klassen geworden, aber das neue Baby mußten wir in Alkohol einlegen oder ganz bewußt bekommen. Wir entschieden uns ohne allzu langes Nachdenken, und als Laila wenig später bei einer Werkstatt Schreibender Soldaten das Lyrik-Seminar leitete, verweigerte sie dem kommandierenden Oberst noch auf dem Abschluß-Bankett das Wodka-Gläschen in Ehren.

"Ja, und kriege ich dich anders rum", fragte er ärgerlich und noch direkter.

"Du kannst ein Autogramm kriegen, Genosse Oberst", sagte Laila und legte ihm die vorsätzlich eingesteckten Akt-Fotos wie einen Grand Ouvert neben den Delikatessen-Teller."

"Und das schleppst du immer mit, Genossin Dichterin?"

Laila küßte das Schulterstück des Mannes. "Nein... Nur wenn der Genosse Fotograf einen Job braucht..."

 "Weil er dieses Motiv übersehen hat", sagte der Oberst beim Zusammenschieben der Fotos, "könnte ich den zuständigen Abteilungsleiter der 'Armeerundschau' entlassen... Und wenn du mich noch woanders küßt..."

Laila lachte und schüttelte den Kopf. "Und was wird mein Mann, wenn du die Bilder behalten kannst und ich dich nur anfasse?"

So bekam ich, wenn es die ganze Wahrheit war, meine Fotografen-Stelle beim Monats-Magazin der Nationalen Volksarmee. Der Fischladen schloß fünf Monate später für immer, und Laila ging mit derselben Energie, mit der sie ihre literarische Laufbahn betrieben hatte, an die pränatale Erziehung unserer Tochter. Noch bevor sie auf der Welt war, hatte Tania die "Odyssee" auf Deutsch, auf Russisch Puschkin und Majakowski, auf Englisch Ezra Pound, auf Spanisch Cesar Vallejo und den arabischen Koran angehört, hatte sie Mozart und Bach studiert und miterlebt, wie aufregend es war, eine tragende Frau zu lieben und zu fotografieren. 

Biographische Skizze

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Kapitan Laila
Außerordentliche Komission
RSD 10
Unterkommen

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Yossif
Yunost
Kubanisch-Polnische Revolution
Laodse

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Sklaven-Marketing
Der Schleim
Musterung
Schwitzbäder
Die Grauen Grizzlys
Private Aufnahme

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IG Bettl und Brettl
Die Schwarze Göttin
Back on stage
Da unten
Und tiefer
Video Star

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Begutachtung
Campus
Samson

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Rushdie und die UCK
Internet
Safari
Circus Maximus

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Die Höhle der Wölfin
Auf der Flucht
Die Grotten von Gomorrha
Die Nordallianz

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