Unterkommen

Mit Glatze und Sträflings-Kluft zu reisen, war in der DDR praktisch unmöglich, sogar mit Fahrkarten. Schon zwei Dörfer hinter Greifswald hielt der Zug, bis die dunkelblauen Transportpolizisten heran waren, mir den Ausweis wegnahmen und uns in einem Barkas wegfuhren. Im Revier bekam ich den Auftrag, die Wand mit dem Honecker-Bild zu stützen, während Laila jedem Bullen jeder Schicht zeigen mußte, daß sie nichts Unnatürliches unter ihrer Jacke versteckte. Sie durfte dafür auf einem Stuhl in der Mitte des Zimmers sitzen und wurde tatsächlich nie angefaßt, aber wahrscheinlich wuchs der Aktenberg des Reviers in diesen Stunden explosionsartig. Wenn sich auch noch das Volkspolizei-Kreisamt und die Pioniere von der Arbeitsgemeinschaft Junger Verkehrshelfer für Laila interessiert hätten, hätte mich das nicht gewundert.

Erst gegen Abend änderte sich die Situation zu unseren Gunsten. Die Sträflingspolizei hatte niemanden nach uns geschickt, und trotz Lailas Anrufung der sowjetischen Botschaft erschien auch niemand von der Staatssicherheit. So bekamen wir endlich die Partner-Zelle des Reviers,
wo sich Laila auf die Pritsche legte und ich mich davor hinsetzte und mich an sie anlehnte, ihre rechte Brust mein Kissen.

"Dämlicher Witz von Dimitri", sagte Laila und gähnte. "Das war der Dicke, weißt du. Ohne Geld und Papier von Wladiwostok bis Moskau kommen, das ist eine Übung bei uns. Eine der leichteren Übungen... Und da war ich mal gut drin. Eigentlich war ich in allem gut, sehr gut. Vor dir..."

"So wütend war der ja auch", sagte ich schuldbewußt.

Am nächsten Morgen bestätigte ein amtliches Fernschreiben Lailas Identität und Harmlosigkeit, und der Revier-Chef ließ uns Kaffee machen und bezahlte für die Vortags-Peepshow seiner Genossen mit den eigenen Frühstücks-
broten. Die MITROPA war wegen einer Schädlingsbekämpfung für zwei Tage geschlossen.

In Berlin-Lichtenberg wurden wir beim Umsteigen verhaftet, diesmal ohne Hinweise besorgter Bürger, ganz einfach von der Streife auf dem Bahnsteig. Acht Mann eskortierten uns zu zwei Ladas, die uns wegbrachten: eine Fünf-Minuten-Sache, und auch die Fahrt dauerte nicht lange. Nur ein paar Meter Keller-Gang hinter der Garage wurde ich von einem Vernehmer erwartet, der schon die Ärmel des Anzughemdes bis hinter die Ellenbogen aufgekrempelt hatte. Mein Geständnis half mir gar nicht. Eher war das Gegenteil der Fall.

"Und für so blöd hältst du mich? Ich soll dir glauben, daß du einen Hauptmann der Sowjetarmee geschwängert hast? Weißt du, was wir hier mit solchen Perverslingen machen?"

"Sie werden mich gehen lassen", fragte ich und fing eine Ohrfeige, die aber nicht sehr weh tat.

Ich blieb trotzdem bei der Wahrheit und verschwieg ihm nur, wo ich Laila erkannt und aufgehalst bekommen hatte, und auch, daß die Armee nur eine Umschreibung war, behielt ich für mich. Wahrscheinlich hätte er den Vergewaltiger eines KGB-Hauptmanns auf der Stelle kastriert, aus reiner Selbstverteidigung.

Die Haft war also unangenehmer als die in der Provinz, aber zum Glück war sie kürzer. Am Ende hatten wir nur unseren und den nächsten Zug verpaßt, und auf dem Leipziger Hauptbahnhof dauerte alles nur fünfzehn Minuten. Inzwischen war durchgestellt, wer da wohin reiste. Wir wurden endlich von einer Bullentaxe zum Wohnheim in der Straße des 18. Oktober gebracht, und damit begannen unsere Probleme eigentlich erst.

Ich war ja für ein Doppelzimmer mit Palästinenser eingeteilt, und daß Lailas Koffer mit den bunten Kleidern und allen für eine Hochzeit notwendigen Papieren auf der oberen Etage des Doppelstockbettes lagen, half nicht wirklich weiter. Wie die Wachsamkeit unserer Staatsorgane und ihres Staats-
volkes, so unterschätzte der KGB auch die Macht einer eingetrockneten, schmalen und nachblondierten Wohnheim-Verwalterin in Sachsen. Ihr Verständnis für unsere Situation äußerte sie nur formal und als Einleitung zu einem Vortrag über illegale Mitwohner, eigenmächtig veränderte Zimmer-Belegungen und andere Schmach und Schande, die die Studenten einer Verantwortlichen wie ihr antun konnten. Wenn wir einmal verheiratet waren und wenn Laila auch mit dem Anrecht auf ein Internats-Bett studierte, dann konnten sich die Verwaltungen der Kulturwissenschafts- und anderen Wohnheime auf eine Ausnahmegenehmigung und einen Tausch einigen, mußten das aber noch lange nicht tun.

"Wo sind Sie her?"

"Aus Tschetschenien", sagte Laila sehr schüchtern.

"Und das ist weiter weg als 70 Kilometer", fragte die Verwalterin barsch nach. "Sonst müssen und können Sie nämlich jeden Tag heimfahren."

"Das ist noch ein Stück hinter Dresden", sagte ich. "Und wir müßten dann zu zweit wahrscheinlich ein Vier-Mann-Zimmer kriegen, weil wir doch ab Dezember zu dritt sind..."

"Ja, sind Sie denn sicher, daß das Kind lebend geboren wird", fragte die Frau mit der leidenschaftslosen Logik einer Rechenmaschine.

Mir blieb nur die Luft weg, aber Laila wurde in ihrem bunten Blumenkleid bleich und ihre Lippen zitterten.

Mahmood dagegen sah die Angelegenheit ziemlich gelassen. Schon seine Großeltern waren 1948 über Nacht aus ihren Betten vertrieben worden, und für eine Übergangszeit konnte er gut in irgendeinem anderen Zimmer untertauchen.

"Einen Harem und zwanzig Kinder könntest du hier unterbringen, ohne daß die Tante das merkt", sagte er, während wir Lailas wegen zum Fenster heraus rauchten. "Aber ich soll den Dolmetscher von Habbash machen, und der weiß es nächste Woche, wenn ich nicht richtig studiere..."

Verständig setzte ich mir Zeige- und Mittelfinger an die Schläfe und machte ein knackendes Geräusch, und Mahmood nickte.

"Nicht sofort, natürlich."

"Ich könnte mit ihm reden lassen", sagte Laila hinter uns und schlug einem braunen Plüsch-Bären die umgeknickten Ohren wieder hoch.

Mahmood lachte. "Du? Niemand weiß, wo der im Moment steckt!"

Laila grinste für eine Obdachlose zu spöttisch, und ich wollte keinen solchen Wettbewerb. Ich wollte eine heimische und zivile Lösung für mein Kind, und während ich mit Laila die paar Schritte lief, um ihr die Russische Gedächtnis-
kirche und die Deutsche Bücherei zu zeigen, erzählte ich ihr die kurze Vorgeschichte meiner Entführung. Sie liebte mich ja nicht, und Gundula schlief vielleicht wieder bei Thorsten, wenn sich Laila im Studio-Bett den Bauch mit Kakao bestäuben ließ. So konnten wir ein bißchen Zeit gewinnen.

"Richtig nackt", fragte Laila angewidert. "Und richtige Butter kommt auf den Bauch? Und das soll sozialistischer Realismus sein?"

"Es gibt auch andere Kunst", sagte ich ausweichend.

Laila faßte in den Anorak, legte beide Hände um die linke Brust und starrte ein bißchen auf das pralle runde Päckchen.

"Kunst? Du hältst das für irgendeine Kunst?"

"Na, ja... Aber es wird geil aussehen, und bestimmt bist du die erste Tschetschenin, die so etwas macht!"

Sie sah phantastisch aus: als Brust, mit ihrem zumindest eine Sünde verratenden Bauch und als eine skrupellose Agentin, die sich schon bei dem Gedanken an eine harmlose, kleine Ferkelei schämte. Plötzlich ließ Laila sich los, legte die Hände auf ihren Bauch und nickte zaghaft.

Biographische Skizze

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Kapitan Laila
Außerordentliche Komission
RSD 10
Unterkommen

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Yossif
Yunost
Kubanisch-Polnische Revolution
Laodse

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Sklaven-Marketing
Der Schleim
Musterung
Schwitzbäder
Die Grauen Grizzlys
Private Aufnahme

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IG Bettl und Brettl
Die Schwarze Göttin
Back on stage
Da unten
Und tiefer
Video Star

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Begutachtung
Campus
Samson

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Rushdie und die UCK
Internet
Safari
Circus Maximus

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Die Höhle der Wölfin
Auf der Flucht
Die Grotten von Gomorrha
Die Nordallianz

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