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Kapitan Laila
Unsere gemeinsamen, wie gewohnt schief klingenden Grüße zum Tag
der Sowjetarmee überbrachten die anderen Genossen, und
gegen Ende des Programms spielten sie ein bißchen
schneller als geübt. Dem Gerücht nach sollte es beim
Empfang Eier mit echtem Kaviar und einen Tankzug voll
Wodka geben, und bisher hatten alle Gerüchte gestimmt.
Die Farbe reichte hier nur für das Kasernentor, die
Ehrentafel und den Papp-Lenin neben dem Ruhm des
Kommunismus. Sogar die Stämme der Birken um den
Exerzierplatz wirkten grau, und der grüne Ölsockel der
Korridore war mit ganz Ost- Wahrscheinlich starrten auch alle Soldaten auf sie, was sich aber mit ihrer Freude über meinen Versuch in der Kommandosprache vertrug, weil die Frau ja in der ersten Reihe saß. Eine Frau Kapitan. Sie war klein, aber ihre Schultern boten den breiten Rangabzeichen genug Platz, und auf ihrer schwarzen Mähne nahm sich die Mütze vom Format einer schweren Panzermine klein aus. "Chotjat li russkiji woinu", flüsterte ich sterbend, "chotjat li russkiji woinu?" Nur unser Bassist war geistesgegenwärtig genug, die Melodie wieder und wieder zu strecken. Als dem musikalischen Leiter hatte ich ihm ja auch gleich zu Anfang gestanden, daß ich nur wegen der Weiber ein Veteran der Singebewegung geworden war. "Chotjat li russkiji woinu", mißverstand der General meine Liebesreklärung als Aufforderung zum Mitsingen, und so mußten wir das Lied noch einmal ganz von vorn beginnen. Die Towarisch Kapitan lächelte, sah zu meinem Mikrophon und ließ ihren Blick am Mikrophonständer auf und ab rutschen, und mir fiel ein, daß sie bei ihrem Teint eigentlich gar keine Russin sein konnte und ihr als dem Trägersystem für die beiden taktischen Nuklearwaffen die Uniformjacke bestimmt maßgeschneidert worden war. Daß der ganze Saal die Refrainzeile mitsang, war natürlich auch beeindruckend. Als der Schlußbeifall zu Ende war, die Soldaten ihre Holzschemel packten und im Laufschritt zurück in den Schlafsaal brachten, begann ich zum ersten Mal und mit beachtlichem Geschick, den Stecker vom Mikrophon zu schrauben. "Mann, jetzt wird gesoffen", sagte der Schlagzeug-Unteroffizier. "Aber wenn die jemand klaut", fragte ich. "Wer wird schon in eine Russen-Kaserne einbrechen, um vier Ost-Mikros zu klauen", fragte der Technik-Stabsgefreite höhnisch. "Karamasow", sagte die Offizierin, direkt am Bühnenrand. "Klingt wie ein Witz, aber ausgerechnet Major Karamasow klaut, was er nur kriegen kann. Und tauscht es draußen gegen Wodka..." Statt das Wunder ihres akzentfreien Deutschs oder den literarischen Witz zu würdigen, verschwand nun auch der Technik-Stabsgefreite in Richtung des Buffets, den Generalen, Offizieren und Volkskünstlern hinterher. Außer dem ungefähren Buchtitel wußte ich nur, daß es der Titel eines Buchs von Dostojewski war, und von Dostojewski wußte ich nur, daß ich im Moment seinen begeisterten Leser mimen mußte. Mein wissend verächtliches Grinsen über den Techniker war also eine instinktive Regung, und erst nach unserem dritten Kind wagte ich mir, Laila diesen Reflex einzugestehen. Noch als namenlose Towarisch
Kapitan neigte Laila die Panzermine gegen den Ausgang
zum Nebenraum, wie für eine private Einladung, und ich
bewegte mein Kopf ruckartig in die andere Richtung. Dort
war gar keine Tür, aber die einzige Liebe meines Lebens
nickte. Kurz setzte sie sehr weiße Schneide- "Haben Sie denn schon mal eine Kurzstreckenrakete aus der Nähe gesehen, Genosse Unteroffizier?" "Hm... Ähm... Würden..., dürfen Sie mir denn eine zeigen?" Ich folgte der Frau durch den riesigen Saal und den geheimen Gang nach Sibirien, und es war eine astreine Enfternung von der Truppe, Spionage und strafbarer Abstinenzismus/Trotzkismus, auf dem letzten Stück Maßband. Auch Schnee lag in Sibirien. Es war sibirisch kalt, der Weg streckte sich gehörig, und dann stand an seinem Ende, vor der hohen Garage auch noch ein dampfender Posten. Nicht nur degradiert, auch erschossen, sah ich mich in dem Moment, bevor der Soldat salutierte und eine kleinen Durchgang in der Schiebetür aufriß. Ohne sich zu bedanken, schritt die Offizierin vor mir her ins erstaunlich warme Halbdunkel. Tatsächlich standen in der Halle
drei gepanzerte Fahrzeuge mit Abschuß- "Ich bin Bert", sagte ich trotzdem erst einmal. "Laila Yasirowna", bedankte sich Laila Yasirowna dafür, faßte mir an den Hintern und holte mich in ihren Unterleib. Irgendwelche Gestänge und Stellräder störten uns bei den Bewegungen und Berührungen, und außerdem wurde ich den Gedanken nicht los, daß ich doch leicht mit dem nackten Hintern auf den Knopf drücken konnte, der den dritten Weltkrieg auslöste. Aufhören aber hätte ich nicht mehr können, und mich beunruhigte wahrscheinlich auch nur, daß der Gegenschlag vor dem gemeinsamen Orgasmus kommen konnte. Ich war bis dahin mit noch nicht allzu vielen Frauen, aber doch mit zwei ebenfalls sehr stillen zusammen gewesen, und um so verrückter war Lailas Stillhalten. Es war zugleich Kapitulation und Ultimatum, und sie schien eine geheime Hand im Unterleib zu haben. Die Kaviar-Eier waren aufgegessen, als wir in den Saal des Empfangs kamen, aber es gab noch genügend dünne Scheiben Rinderbraten, und Laila goß mir so eifrig Wodka nach, daß ich bald ebenso besoffen wie meine Genossen war. Es war ein unsoziales Gelage, da sicher auch die Gerüchte über die Verpflegung der Mannschaften stimmten, und es war auch kein schöner, nur ein verständlicher Zug, daß ich im Bus nicht einmal mehr die Hand hoch bekam, um meiner Waffengeliebten zu winken. Daß das beinahe ein Happy End bedeutet hatte, legte ich mir am nächsten Tag zurecht. Wenigstens war niemand im Warschauer Vertrag mißtrauisch geworden, und nie wieder würde ich ja in dieser Kaserne singen und vögeln, als Singvögeler. Das Wortspiel blieb mir, und ich freute mich schon für den nächsten Vorsänger unseres Singeklubs. So toll war es gewesen, und so aussichtslos schien mir, auf eine zweite Begegnung mit meiner ersten und einzigen großen Liebe zu hoffen. |
Biographische Skizze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . |