Ein Gesetz über den Holzdiebstahl

Als Charly gerade mit dem Studium fertig und Zeitungschef geworden war, wußte allerdings noch niemand, daß alle Gesetze mit eingebildeten, zänkischen Beinahe-Noch-Affen angefangen hatten. Die meisten Leute glaubten, die allerersten Gesetze habe Gott selbst dem Schafhirten Mose diktiert, damit er sie in Steinplatten ritzen konnte. Und alle späteren Gesetze, glaubten die meisten Leute, habe Gott den Königen und ihren Ministern und Beratern vorgesagt. Ein Gesetz kam damals also ziemlich direkt von Gott, und deshalb durfte darüber nicht groß geredet und gejammert werden. Schon gar nicht in einer Zeitung. In der Zeitung, meinten die meisten Leute und vor allem der König, dürfe nur stehen: dies und jenes ist Gesetz, und deshalb muß alles genauso gemacht werden. Punkt.

Charlys Zeitung machte das anders. Wenn die Berater, die Minister und der König wieder einmal über ein Gesetz nachdachten, dachte Charly nämlich mit und ließ das auch drucken. Er dachte wie Hegel über die Gesetze nach, und da wissen wir inzwischen, was er in die Zeitung schrieb: "Jein, Herr König und die Herren Minister! Jein, also genau so und zugleich völlig anders..."

Eines Tages dachte Charly über ein vorgeschlagenes "Gesetz gegen den Holzdiebstahl" nach. So hieß das Gesetz, obwohl es etwas anderes meinte. Eigentlich wollten die Fürsten und Waldbesitzer den Bauern und anderen Armen verbieten, in den fürstlichen und allen Wäldern trockenes Holz zu sammeln und im Winter daheim zu verbrennen.

"Und damit haben sie auch ganz recht", schrieb Charly. "Der Wald gehört ihnen ja, und darum dürfen sie bestimmen, was mit den Hirschen, Pilzen und sogar den heruntergefallenen Ästen gemacht wird." Das dachten die Waldbesitzer, die Minister und der König auch, aber das wäre ja noch nicht wie bei Hegel gewesen. Und deshalb schrieb Charly weiter: "Wenn ihnen der Wald aber gehört und schon immer ganz und gar gehört hat, dann müssen wir natürlich mal überlegen, ob das noch immer so ist und so bleiben muß. Denn wenn irgendwo trockenes Holz herumliegt, hat ja auch der recht, der es gebrauchen kann und deshalb aufsammelt. Darum ist dieses Sammeln einerseits Holzdiebstahl, aber andererseits auch völlig in Ordnung."

Das hatte Charly, wie man sagt, "streng nach Hegel" überlegt, und der einzige Unterschied zwischen Hegel und Charly war: Hegel erzählte so etwas immer nur Studenten der Philosophie, während Charly es in eine Zeitung schrieb, die jeder kaufen konnte. Oder klauen. Hegel redete mit seiner Dialektik immer über ganz wichtige Dinge, über die Gottes Ideen, die Geschichte der Philosophie oder die Geschichte der Könige. Charly dagegen schrieb über trockene Äste und Bauern und arme Leute. Das war der einzige Unterschied zwischen Hegel und Charly, aber er reichte für einen zweiten Unterschied aus: Hegel war dafür Professor in Berlin geworden, Charly bekam dafür wütende Briefe von den Waldbesitzern aus ganz Deutschland.

"Herr Marx, Sie verdammter Philosoph der gemeinen Holzdiebe! Das kann schon sein, daß diese unrasierten Bauern in gestopften Socken das Recht haben, mein Holz zu klauen! Aber weil das mein Wald ist und weil wir dieses tolle neue Gesetz haben, lasse ich diese stinkenden Verbrecher trotzdem vom Gendarmen vermöbeln, haha! Und Sie, Herr Philosoph Marx, sollten mal dran denken, wie es Ihrem Kollegen Sokrates ergangen ist!"

Wegen der Drohung mit Sokrates dachte Charly wirklich noch einmal nach, und dabei fiel ihm auf: die Waldbesitzer hatten recht. Wenn die Reichen ihre Wälder, ihr Eigentumsrecht und die Gendarmen hatten, die Armen aber nur ein philosophisches Recht, dann waren diese Sachen ziemlich ungerecht verteilt. Damit beide Seiten gleich gut dastanden, mußte Charly der einen also etwas wegnehmen und es der anderen geben. Und mit den Wäldern und den Gendarmen konnte er das nicht machen... Also mußte er den Reichen eben ihr Eigentumsrecht ganz wegnehmen...

In den nächsten Wochen las Charly noch einmal all die dicken Bücher von Hegel. Ganz genau wollte er überprüfen, ob er diesen wichtigen Philosophen richtig oder falsch oder noch gar nicht verstanden hatte. Im Prinzip, fand Charly, hatte er ihn schon richtig verstanden.

Immer galt "Jein", aber beim Stolpern über ein paar trockene Zweige hatte er bemerkt: dieses "Jein" bedeutete manchmal ein kleines bißchen mehr "Ja" und ein anderes Mal ein kleines bißchen mehr "Nein". Bei Hegel hätten beide Seiten, die Waldbesitzer und die Holzdiebe gleichmäßig rechtgehabt. Bei Charly kriegten die armen Holzdiebe ein kleines bißchen mehr recht: weil sie keinen Wald besaßen, aber doch heizen mußten...

Das war nur so eine Philosophen-Idee, die noch kein wirkliches Feuer machte. Aber Charly war auch auf diese Idee mächtig stolz.

Charly

Charlys Frühstücks-Idee

Von den Philosophen
Womit die Philosophen ihre Mäntel verdienen
Ob der Mensch nur ein zu großes Hähnchen ist
Warum die Athener den Philosophen Sokrates umbrachten
Platon und der Tyranno
Wie Platon frühstückte

Die Idee von der ordentlichen Unordnung

Fritze in Berlin
Der Philosoph mit den drei Vornamen
Hegels Kinder
Wie Charly und Fritze Freunde wurden
Was Charly und Fritze an Hegel so sehr gefiel
Von den Gesetzen
Ein Gesetz über den Holzdiebstahl
Was Charly und Fritze beim Bier einfiel

Die Gespenstergeschichte

Der Kommunismus
Wann und warum das große Teeglas überläuft
Caesar und die Kaiser
Der neue Caesar - das Geld
Aber... Aber?
Wo das Gespenst blieb

Die Idee vom Backstubenwunder

Von dummen Ideen in schlauen Köpfen
Wie man durch das Tauschen leben und reich werden kann. Oder nicht.
Einfache Merksätze über den Reichtum
Schaufensterbummel
Das Backstubenwunder
Der Mörder ist immer... der Bäcker!

Die Idee, unsterblich zu werden

Andere Köpfe mit anderen Ideen
Bakunin, der Grizzly
100 Tage Frühling
Die Idee, faul zu sein
... und kein Ende ...