![]() |
||||||||||||||||||||||||||
|
Wann und warum das große Teeglas überläuftAuch nach so vielen Philosophen, nach Sokrates und Hegel, Platon und Charly, gibt es noch eine Menge spannende, unbeantwortete philosophische Fragen. Zum Beispiel die, wann eine ganze Menge Sandkörner ein Sandhaufen ist. Die meisten Leute sagen einfach: also wohl spätestens bei einer Milliarde, genau bei 1.000.000.000 Sandkörnern. Und darüber lachen die Philosophen von heute und fragen: Und wenn wir davon nur ein Sandkorn wegnehmen, also 999.999.999 liegen lassen, dann sind die kein Sandhaufen mehr? Auf diese Frage weiß noch niemand die richtige Antwort, und nur ein paar ganz ruhige und vorsichtige Leute haben eine andere sehr komplizierte Frage beantworten können: die, wann denn ein volles Teeglas überlaufen muß. Die meisten Leute sind sich auch da ganz sicher, daß das beim nächsten Stück Würfelzucker passieren würde, aber wenn das mal stimmt, haben sie nur zu sehr umgerührt. In einem bis zum Rand vollen Teeglas kann man nämlich (wenn ich mich richtig erinnere) noch 128 Würfelzucker auflösen... Über etwas ganz Ähnliches mußten Charly und Fritze gleich zu Anfang ihres Gespensterbuches nachdenken. Damit niemand sagen konnte, ihre Idee mit dem Umverteilen der Rechte, der Wälder und des Feuerholzes sei Spinnerei und ginge niemals. „Warum ist diese Idee sovielen schlauen Männern noch nie gekommen“, würden die Professoren, die Waldbesitzer und Feuerholz-Händler fragen, „und wieso hat noch niemand diese Umverteilung versucht, hä?“ Das würden Charly und Fritze sogar noch eine Menge reiche Leute zugeben, daß die Welt ein ziemlich großes Teeglas der Ungerechtigkeit sei. Aber dieses Teeglas war in tausenden Jahren noch nie übergelaufen: warum sollte das da plötzlich im Jahr 1848 nach der Geburt von Jesus passieren? Deshalb fingen Charly und Fritze den ersten Abschnitt ihres Gespensterbuches mit dieser Erklärung an: Ungerechtigkeit und das Schimpfen darauf und das Kämpfen dagegen hat es eigentlich schon immer gegeben, und eigentlich haben die Menschen noch nie etwas anderes getan: die, denen fast alles auf der Welt gehörte, haben ordentlich gefeiert und alles versucht, damit die Welt so blieb, wie sie war. Und die, die fast nichts besaßen, hatten schon immer von einer ganz anderen Welt geträumt und immer wieder versucht, die Welt für sich zu erobern. „Die Geschichte aller bisherigen Gesellschaft ist eine Geschichte von Klassenkämpfen“, schrieb Charly auf, und Fritze verlangte, daß er das Wort „Klasse“ noch erklärte. Sonst könnte ja jemand denken, daß sie zum Beispiel Schulklassen meinten. Für sie waren Klassen aber Caesar und seine Familie oder sein Sandalenmacher und dessen Familie oder die Sklavenfamilie, die die Sandalen blank putzen mußte. Die Ritter und Könige waren eine Klasse, und außer der gab es noch die Klasse der reichen Seidenmacher und Bierbrauer und die Klasse der armen Kuhbauern. Mal hatte sich von allen fleißigen Armen nur ein einziger Mann über die faulen Reichen aufgeregt, und ein anderes Mal waren tausende Bauern und ein paar hundert Bäuerinnen losgezogen, um eine Raubritterburg niederzubrennen. Die römischen Generale hatten die wieder eingefangenen Sklavensoldaten des Spartakus an Kreuze nageln lassen, um sie umzubringen, und die Arbeiter von Paris hatten umgekehrt dem König und jedem Grafen, den sie erwischten, den Kopf abhacken lassen. Wer sich nicht davon ablenken ließ, daß die Armen einmal Sklaven, später Bauern und gerade eben Arbeiter hießen, der merkte also: immer wieder war das große Teeglas der Ungerechtigkeit und ihrer Geduld übergelaufen. Allerhand war schon passiert, und immer war das Kampf-Glück hin und her gegangen - nur wirklich vertragen hatten sich die Armen und die Reichen noch nie. Wenn es in einer Stadt mal so ausgesehen hatte, dann hatten entweder die Armen oder die Reichen oder alle beide Klassen nur besonders heimlich geübt, wie sie die andere Klasse umbringen konnten. „Und diesmal werden es die Armen schaffen“, sagte Fritze und sah gar nicht so glücklich aus, weil seinem Vater und seinem Onkel ja ein paar Stoff-Fabriken gehörten. „Denn diesmal...“ Lange Zeit hatten die Reichen die Armen nicht nur mit ihren Wächtern und Soldaten und allen möglichen grausamen Strafen erschreckt. Dazu hatten ja auch noch die Philosophen, die Lehrer und die Priester der meisten Kirchen immerzu Platons Ideen rumerzählt: Gott habe die Familien der ersten Reichen aus Gold geformt, und wenn es deshalb in einer Familie immer nur Könige oder doch Grafen und zumindest Ritter gegeben hatte, konnte Gott doch nicht plötzlich wollen, daß diese Familie irgendwann einmal arbeiten müsse. Blablabla... Eigentlich war das eine verdammt schlechte Ausrede, aber sie wurde eben überall immer wieder wiederholt. Doch seit Platon diese Idee gehabt hatte, war die Welt viel komplizierter geworden. Dämliche Königsöhne hatten, um nicht arbeiten zu müssen und jeden Tag Bier trinken zu können, ihre Schlösser verkauft, und die Söhne von ein paar Schmieden und Schuhmachern hatten so fleißig gearbeitet und so schlau Geschäfte gemacht, daß ihnen nun außer den Schmieden und Schuhfabriken auch diese Schlösser gehörten. Diesen Fabrikbesitzern konnte also niemand mehr erzählen, daß die Welt sich nicht verändert hätte, seit Gott sie gemacht hatte. Dann antworteten die nämlich mit dem Philosophen Hegel: Na, wenn alles schon immer so war, dann heißt das nur, daß ab jetzt alles anders werden muß! Und die arm gebliebenen Schmiede, Schuhmacher und Bauern, die die größte Menge aller Leute waren, dachten bei dieser Streiterei den Professor Hegel noch ein Stückchen weiter: „...dann heißt das nur, daß wirklich und tatsächlich alles ganz und gar anders werden muß! Und zwar bis morgen früh um sieben!“ Außer dem Denken, so war Charly und Fritze aufgefallen, war aber noch etwas anders geworden. Früher waren immer nur die Sklaven eines ganz besonders gemeinen Sklavenhalters unzufrieden und aufständisch geworden, die Bauern von ein paar Dörfern, die einem ganz besonders räuberischen Raubritter gehörten. Inzwischen aber wohnten in einer Straße und arbeiteten in einer Fabrik mehr Leute zusammen, als in tausend Sklavenhütten gewohnt und auf hundert Feldern gearbeitet hatten. Die unzufriedenen Bauern hatten sich immer nur sonntags in der Kirche getroffen, aber die unzufriedenen Arbeiter standen in derselben Werkshalle, gingen nach Feierabend in dieselbe Kneipe und hörten durch die dünnen Wände der großen Häuser noch spät nachts ihre Nachbarn schimpfen. Manche Arbeiter konnten ja schreiben, und wenn sie einen Wutbrief zum Beispiel in eine Kiste mit Schuhsohlen steckten, dann war der Brief schon am nächsten Tag mit der Eisenbahn ans andere Ende des Landes gefahren. Dort wurde das Leder an die Schuhsohlen gemacht und wurde der Brief gefunden, und ein Arbeiter, der lesen konnte, las seinen Kumpels von der Wut der anderen Arbeiter vor... Daß soviele Arme auf einmal wütend werden konnten, war das Neue in der immer gleichen Wut, und deshalb würden die Reichen nicht wie in allen Jahrtausenden zuvor erst diese hundert und dann jene tausend Wütenden verhaften oder erschlagen lassen können, bis sich keiner mehr zu schimpfen traute. Im Jahr 1848 oder nur wenig später würden die vielen wütenden Armen zugleich losbrüllen, und die wenigen Reichen würden auf der ganzen Welt keine ruhige Ecke mehr finden, um sich zu verstecken und in aller Ruhe ihre Armeen zusammentrommeln zu können. Das große Teeglas der Ungerechtigkeit war nun endlich zum Überlaufen voll.
|
CharlyCharlys Frühstücks-IdeeVon den Philosophen Die Idee von der ordentlichen UnordnungFritze in BerlinDer Philosoph mit den drei Vornamen Hegels Kinder Wie Charly und Fritze Freunde wurden Was Charly und Fritze an Hegel so sehr gefiel Von den Gesetzen Ein Gesetz über den Holzdiebstahl Was Charly und Fritze beim Bier einfiel Die GespenstergeschichteDer KommunismusWann und warum das große Teeglas überläuft Caesar und die Kaiser Der neue Caesar - das Geld Aber... Aber? Wo das Gespenst blieb Die Idee vom BackstubenwunderVon dummen Ideen in schlauen KöpfenWie man durch das Tauschen leben und reich werden kann. Oder nicht. Einfache Merksätze über den Reichtum Schaufensterbummel Das Backstubenwunder Der Mörder ist immer... der Bäcker! Die Idee, unsterblich zu werdenAndere Köpfe mit anderen IdeenBakunin, der Grizzly 100 Tage Frühling Die Idee, faul zu sein ... und kein Ende ... |