Der invertierte Columbus

Bilibino ist, solange sein Kraftwerk nur mit den gewohnten kleinen Havarien zu tun hat, eine nette und im Vergleich sehr kleine Stadt aus dem sozialistischen Betonplatten-Baukasten: nur halb hoch, rechtwinklig und ohne Behutsamkeit auf eine künstliche Lichtung im unendlichen Wald gestellt. Ein Fluß gehört dazu, schon für die Kühlung der Reaktoren nötig, und an ihm entlang kann man sich, so unmöglich das auf einem normalen Atlas aussieht, noch eine ganze Weile nach Nordosten von der Stadt entfernen.

Dort ragen sofort kahle graue Berge aus den uralten, langsam wachsenden Lärchen- und Silbertannen-Wäldern, und die Landschaft erinnert an amerikanische Familien-Filme über das Lachsangeln und Kinderfreundschaften mit Wölfen und Grizzly-Bären. Von den Mücken einmal abgesehen: bei deinem Weg hang auf schwitzt du so, dass du Anorak und Strickjacke öffnest, und du blickst auf einen tiefblauen Strom mit langen Sandbänken aus jungen Felsen zurück. Die Teppichweber von Kujan Bulak am Werk und zehn Grad mehr, dann ist das der weltbeste Platz für einen Sommerurlaub in der unberührten Natur, denkst du dir und gefrierst beim kräftigen Luftholen. Du wanderst ja schon durch den Hochsommer von Bilibino…

Inzwischen pickt dir Google von einem Dutzend Internet-Seiten drei Dutzend Bilder der Gegend, und nach 2 bis 3 Werktagen bringt dir die Post für je 9,90-Amazon-Euro einen Band der modernen Stammessagen von Juri Rytchëu. Es ist nicht mehr nötig, was ohnehin schwierig, teuer und mühsam wäre, dort hin zu fahren, und niemand muss jemandem, der von dort zurückgekehrt ist,  länger zuhören. Umso freundlicher, Kollege Leser, Kollegin Leserin, dass du trotzdem so lange durchgehalten hast!

Wenn ich zurzeit vom Computerstuhl vor den Bad-Spiegel wechsle, komme ich mir nämlich wie Dustin Hoffman als Little Big Man vor. Nur der Raucherhusten belebt mich noch, und nur mit den riesigen und zu drei Vierteln geschlossenen Augen ertrage ich die Jahrhundertfalten der Stirn und der Mundwinkel, die Tränensäcke für eine Sintflut über Ostdeutschland. Weder die neuen natürlichen Farben noch die Shampoos für mehr Fülle und Glanz werden mit den von Wut und Wechseljahr verschwitzten, zwischen enttäuschter Hoffnung und oberflächlichem Spaß gespaltenen und von Schlammcatcherinnen und der weltweiten Endzeit ausgerauften Haaren fertig. Die Mumie, die ich dort spätnachts oder frühmorgens spiegele, hat wenn schon kein Mausoleum, dann den ruhigen Zerfall verdient, aber oft genügt eine einzige ungünstige Kopfkissen-Falte, um mich wieder an die ehrenamtliche Arbeit zu treiben: Ich sehe mich eben als die einzige mir bekannte Überlebende des letzten Siegs der Roten über die blonde Arroganz der Konjunktur-Kavallerie, die ihr verlorenes Volk wieder zusammen zu trommeln versucht, obwohl sie höchst ungern in der Verfügungsmasse klapprig gewordener Kriegs-Unterhäuptlinge, kommunaler Tippi-Verwaltungen und altersirrrer Medizinmänner gelebt hat. 

Es war freilich nicht besonders romantisch, den gerade gefundenen Mann fürs Leben unbefriedigt im Bett liegen zu lassen, das verschlafene Kind in den kalten und überfüllten Kopeken-Bus mit den klappernden Türen zu stopfen oder über die schwangere Oma von nebenan hinweg zu stürmen, weil die inoffizielle Trommel meldete, dass sich wie die Bison-Herden den Herbst-Lagern der späten Sioux ein Transport mit Wintermänteln und Filzstiefeln dem einzigen Kaufhaus näherte. Nicht nur zu spät dort anzukommen, war deprimierend, sondern auch die Erfahrung, nicht genau so gewachsen, angeschwollen oder abgemagert zu sein, wie die Staatliche Plankommission beschlossen hatte…

Aber nur in Bilibino konnte es einem eben passieren, mit dem in Packpapier geschnürten Wintermantel zwischen den Knien am an diesem Tag ganz unbeachteten Kassetten-Stand den Kopf zu schütteln und schon damit einem der seltenen Ureinwohner die Freude seines Lebens zu machen. Auf der für Sekunden ausgestellten Melodija-Kassette ertrank Wyssozkis Stimme in der Estraden-Musik.

„Sie wollen die nicht, Genossin“, fragte er erschrocken. „Habe ich das richtig verstanden?“

„Aufgeteilt, aber solo habe ich die Lieder alle. Ja…“

„Das ist schön für Sie“, sagte er leise, starrte mich lange an und schüttelte den Kopf, als ich noch immer nicht das Portemonnaie vor kramte. „Aber kaufen müssen Sie die trotzdem, Genossin! Und dann jemanden suchen, der Ihnen dafür eine Fuchs-Mütze anbietet… Nur so zum Beispiel. So machen wir das hier!“

„Ich kenne hier doch kaum jemanden…“ Ein bisschen spät klatschte ich mir die Hand gegen die Stirn. „Na, die Ohren werden mir zu Recht abfrieren! Denn verkaufen werden Sie mir so eine Mütze bestimmt nicht, richtig?“

Der Tschuktsche grinste breit und indianisch listig.

„Natürlich nicht! Es ist ja verboten, diese Felle privat zu verkaufen…“ Er fasste mir vorsichtig an den Ellebogen. „Aber vielleicht mögen Sie ja Karate?“

Ich lachte sehr deutsch.

„Oh, Junge, du hast wohl diese Polarnacht noch nichts vor?“

Schon als  Kenner von immerhin dreißig Polarnächten konnte er über den Witz nicht lachen, und dazu bekam er Ohren wie um Polar-Mitternacht und noch keine Fuchs-Mütze eingetauscht. Ich war nach dem kurzen Sommer und schon mitten im kurzen Herbst zwar überhaupt nicht auf Bräutigam-Schau, aber vielleicht war er ja auch Nachtschicht-Operator im Kernkraftwerk und Teetrinker, und ein GAU pro Jahr schien mir irgendwie genug. Also wartete ich erst einmal ab, bis er die Kassette bezahlt hatte und aufatmete.

„Und Tee oder Karate… Wozu willst du mich einladen?“

„Sehr gern würde ich mir Ihre anderen Kassetten überspielen“, sagte er und hob den Packen mit meinem Wintermantel auf. „Den Tee trinken wir gleich, und zum Karate kommen Sie in meine Schule?“

„Wenn ich irgendwo her eine Mütze kriege…“

Am Anfang ließ mich Konstantin nur wie alle anderen Schüler und Schülerinnen zu knappem Gebell hüpfen, Arme und Beine hochreißen und den polaren Winter prügeln, aber im Frühjahr stieß er mir, obwohl er alle meine Musik überspielt hatte und ich seine Familie kannte, zum ersten Mal unsentimental die Ferse in den Bauch. Die ganze Gruppe lag auf dem Boden der Turnhalle und hatte die Bauchmuskeln dafür angespannt, aber nur ich starb zuerst und verschluckte mich dann beim Ein- und Ausatmen am Lachen. Konstantin war meine bis dahin originellste Beziehung. Er verband nicht nur das traditionelle japanische mit dem mörderischen koreanischen Karate und mit ein paar Fallschirmjäger-Tricks, sondern war wahrscheinlich der einzige Sensei und Weltmeister des  Kyokushinkai-Orgasmus und ahnte das noch nicht einmal.

Noch exotischer allerdings wurde es, wenn ich drei Wohnblocks weit zu Besuch schlitterte und Konstantins Frau praktisch im Schein des Polarlichts die Tomaten und Gurken aus ihrer Kolchos-Gärtnerei zu Salat schnitt. Amal schimpfte dann auf die barbarische Küche der Schwieger-Großeltern, deren Highlights rohe Walross-Leber, ungeräucherter Walspeck und das Mark aus frisch abgehackten Rentierbeinen waren, und ich nickte zu ihrer Mutmaßung, dass es solche Mengen frisches Gemüse um diese Jahreszeit höchstens noch in den Moskauer Devisenhotels gäbe. Von Amal hörte ich auch zum ersten Mal, dass man auf Rentieren reiten konnte, und Djamila und Aischa hatten das schon getan und bewunderten ihre Mutter, die in einer frühere Kolchose dafür so monströse und beinahe afrikanische Tiere wie Pferde genommen hatte.

Ich fing den Hühnerflügel auf dem Löffel und zupfte mit den Lippen an der Haut, als erwartete ich trotz der jahrelangen Gewöhnung, darunter eine Fleischfaser zu finden.

Konstantin lachte und goß mir und sich noch einmal Wodka ein.

„Ich weiß: Asiaten sind Asiaten, wie Chruschtschow entdeckt hat, und wir Chinesen sehen alle gleich aus. Aber Amal ist mehr eine Baumwoll-Chinesin aus Kirgisien, und der Rabe, der ihre Welt geschaffen hat, hieß Allah… Du kannst das ruhig fragen, Tanja!“

„In Wirklichkeit bin ich natürlich in der Partei“, widersprach Amal. „Und mein Großvater war schon Doktor und Parteisekretär am Frunse-Museum, als deiner gerade erst die Schamanen-Lehre angefangen hat!“

„Neulich war der doch noch Ingenieur und an unseren schlechten Straßen schuld“, erinnerte ich mich und schüttelte gleich den Kopf über mich.

Die Stimmung war trotzdem erst einmal verdorben, denn rund um den Kältepol der Welt waren die Straßen nicht von Ingenieuren gebaut und Kohle, Diamanten und Gold nicht von Bergleuten gefördert worden. Aus der Ferne erkannte man nicht, ob die Sonne den Schnee über den gelben Knochen eines Mammut-, eines Nomaden oder eines GULAG-Friedhofs wegbrannte, und es war mit unserem multinationalem Perestroika-Leben wie mit den Ebenen des Sommers. Blumen und Moosbeeren leuchteten in saftigem Grün, aber Rasen und Moos überzogen nur einen Sumpf auf ewigem Eis. Wenn man sich andererseits auf irgendeinen Gedenkstein zurückzog, hockte man dort bald verbiestert und allein, weil die Freunde sich in grotesken Sprüngen entfernten. An einem anderen Abend lachte gerade Amal darüber, lieber als nur freiwillig dort hin umgezogen zu sein, wohin ihr Großvater nur von zehn NKWD-Ochsen hin zu schleifen gewesen war. Und lieber als freiwillig, erklärte Konstantin, bedeutete, dass sie den größtmöglichen Abstand zu Afghanistan gewählt hatten, wo er zwei Jahre lang nicht wenige Glaubensbrüder seiner Frau getroffen hatte. Er stand vom Stuhl auf, drehte uns den Rücken zu und zog die Wodka-Flasche am Faden hoch, bis der Hals durch das Lüftungs-Fensterchen zu greifen war.

„Aber ich glaube, die waren ganz froh darüber!“

„Froh, daß du sie... getroffen hast“, fragte ich vorsichtig.

„Ja, klar! Gleich nach der Verwundung und Gefangennahme durch sie war die Verwundung und Gefangennahme durch uns das, was ich um keine Preis hätte erleben wollen.“ Er stellte die bereifte Flasche auf den Tisch und holte drei ziemlich große Gläser aus der verglasten Kommode. „Aber natürlich ist auch die Mauer mitten durch Berlin ein Problem, nicht?“

An den Sommer-Wochenenden gelang es Amal manchmal, eine Flasche Wodka gegen einen Liefer-LKW des Gemüse-Kombinats zu tauschen, und dann fuhr uns Konstantin als alle seine Frauen in irgendein unentdecktes Tal oder auf irgendeine Lichtung. Zur Freude seiner Töchter hackten wir das Holz  für das Lagerfeuer mit den Handkanten, und Amal hing einen Suppenkessel über die Flammen, zerrte Fleischstücke auf einen Eisenstab oder spießte einen Lachs auf. Da waren wir aus den Wäldern und Tälern der Gegend auch gut versorgt wie nur noch die Moskauer Devisenhotels.

„Wenn wir unser Gold auf eigene Rechnung verkaufen würden, Wal-Fleisch nach Japan exportieren und eine Fährlinie für amerikanischen Touristen eröffnen“, überlegte Konstantin dabei, „dann könnten wir sicher eine Unabhängige Republik gründen: mit Achtung vor unserer Natur und ohne Schlendrian, Bürokratie und Korruption der Russen...“

Ich erschlug an meiner Stirn sieben Mücken auf einen Streich.

„Mal ganz abgesehen davon, daß wir uns nur in ihrer Sprache verstehen... Ohne Korruption säßen wir jetzt in eurer Küche, und wenigstens teilt mir ihre Bürokratie immer genug Uran zu.“

„Habt ihr das Knacken eben gehört“, versuchte Amal, die beiden Pioniere abzulenken. „Wollt ihr nicht mal sehen, ob das ein Wolf war?“

„Und ich möchte in deiner Republik schon Ministerin werden“, setzte ich fort. „Für mehr als die Gehälter der Regierung reichen uns die Rubel dann bestimmt nicht...“

„Die Walrosszähne“, sagte Amal ärgerlich. „Die Währung wird so heißen und wird daraus bestehen, und als Minister kann Konstantin endlich wieder die Vielweiberei einführen.“ Sie lachte und zeigte mir die Zunge. „Bloß deshalb denkt er sich doch diesen Unsinn aus!“

„Aber sogar die Letten, Esten und Litauer wollen jetzt unabhängig werden“, beharrte Konstantin auf seinem separatistischen Thema. „Und die wohnen nun wirklich noch in den Vororten von Moskau!“

Beim Teetrinken im Kraftwerk verliefen diese Gespräche etwas vorsichtiger. Dort tauschten Ukrainer, Georgier und Weißrussen distanziert Nachrichten von zu Hause, und alle waren sich einig, dass gerade die Tschuktschen keine Chance und keinen Grund hatten, sich von Russland abzuspalten. Für sie war ja ihre ganze Zivilisation russisch, von der Schrift bis zum steinernen Haus, von der Gurke bis zum Filzstiefel. Allerdings waren im Kraftwerk auch nur die Reinemachfrauen und die Frauen am Kantinen-Tresen Eskimos, wie die Rand-Moskauer die Einheimischen nannten, obwohl die Tschuktschen zu den Eskimos etwa so standen wie die Russen zu den Baschkiren oder die Usbeken zu den Tadshiken. Wir saßen bei diesem Gespräch unter einem Wandgemälde auf dem Lenin die Delegierten der Völker des Ostens begrüßte, und das Kraftwerk hatte ja eine eigene kleine KGB-Abteilung, aber Monat für Monat war mir mehr, als trieben wir auf einer Frühlings-Eisscholle ins Polar-Meer. Unter unseren Füßen knackten unsichtbare Spannungen, und an den Rändern unseres noch riesigen Eisblocks war dieses Knacken schon tödlich laut.

Ich hätte Rainer und meinen Kollegen Dichtern warnend von diesen Geräuschen schreiben müssen, aber weil ich nicht wusste, wie lange der KGB in solchen Briefen nach geheimen Codes suchte, schrieb ich sie nicht und floh ich mich lieber in die wochentäglichen Kiais. Wie in den Schichten die Neutronen in meiner Messtrecke blitzten, so versuchte ich an den Feierabenden in die Pratze, in Konstantins großen gepolsterten Lederhandschuh, zu schlagen und zu treten, und so schwitzte ich im Winter und wurde ich mit den Temperatur-Wallungen des Frühjahrs fertig. Jeweils zwei gelbe, orangene und blaue Kyu waren minimal in achtzehn Monaten zu gewinnen, und ich brauchte noch immer begabte einundzwanzig Monate, bis mir Konstantin mit einem Ruck den steifen Gürtelknoten zu ziehen konnte und beim anschließenden Kumite mit dem Schienbein das Schienbein brach.

„Gut, dass dir das nicht im Winter und in der Jaranga passiert ist“, sagte Konstantin, als er mit mir im Krankenwagen zum Röntgen und Eingipsen fuhr. „Die Familie hätte dich dann zum Erfrieren in den Wald geschickt, zumindest früher. Vielleicht…“

„Du musst dich wirklich nicht entschuldigen, Sensei“, sagte ich und zerbiss  eine Serie vom Straßenpflaster kommender Schmerzstöße. „Es war ja mit Sicherheit mein Fehler!“

„Nein, Unsinn! Amal und die Mädchen kommen nach den Ferien nicht wieder hier hoch…“

„Scheiße! Du, Konstantin… Dann brauchst du vielleicht noch mein anderes Bein?“

„Oder Urlaub“, fragte er. „Ich könnte einen Jeep besorgen, und ich würde versuchen, erst um die Schlaglöcher und dann um die Wurzeln zu fahren…“

„Zu deiner Familie, in den Wald? Und du denkst, darauf hätte ich jetzt noch Lust?“

„Es ist gerade Anfang Herbst…“

Zwei Wochen wollten mich die Ärzte noch in der Nähe behalten, und es beruhigte mich einigermaßen, dass Konstantin in dieser Zeit für mich einkaufen ging und Amals Fellanzug vorbei brachte, damit ich langsam mit dem Gedanken an eine Expedition anfreunden konnte. Er saß immer sehr schüchtern auf dem Gästestuhl, als hätte er mich noch nie verprügelt, und nicht einmal, dass ich mich verkehrt auf die Schlafcouch legte und das Gipsbein abspreizte und auf den Fußboden stützte, provozierte ihn. Darum fragte ich ihn schließlich, was eigentlich eine Jaranga war, und zweieinhalb Tage später half er mir aus dem Auto und in so ein rundes Tippi aus Walrosshäuten.

Das Zelthaus stand einen halben Tag Querfeldein-Fahrt vom nächsten Holzdorf, und es enthielt einen uralten dunkelbraunen Mann, der von einer alten Tante und zwei tschuktschischen Matronen gestützt und bewegt wurde. Die Frauen ersetzten ihm auch die Augen und flüsterten ihm laut ins Ohr, und die alte Tante hielt seinen Arm, während mich Konstantin vorsichtig gegen die zitternde Hand schob, die mich von der Stirn bis zu den Beckenknochen abtastete. 

„Großvater… Du weißt schon: der Schamane“, erklärte Konstantin. „Großvater, das ist Tanja. Aus unserem Deutschland…“

„Eine Gefangene“, fragte der Alte in einem mühsamen Russisch. „Durfte sich da jeder eine mitbringen?“

Die alte Tante zeigte mit der Hand, dass der Schamane eine ziemliche Meise hatte.

„Der Krieg ist in Afghanistan“, schrie sie den alten Mann dann an. „Af-gha-nistan, Opa! Die Deutschen sind längst besiegt und unsere Freunde!“

„Ach, es gibt eben zu viele kalte Länder, und nicht einmal ich verstehe, warum Stalin die alle erobern muss. Was kann in Afghanistan schon groß zu holen sein? Stimmt das, Konstantin?“

„Irgendwie ja“, sagte Konstantin, half mir beim Hinsetzen und ließ sich neben mir auf irgendwelche Felle fallen. „Obwohl es da im Sommer sehr heiß werden kann…“

„Ja, ja, ja… Immer diese dumme Geschichte! Sag selber, Deutsche… Aber ehrlich! Wenn hier die Sonne einen ganzen Sommer ohne Nacht scheint, aber bei euch immer nur wenige Stunden: wo muss es dann wohl wärmer sein?“

Ich sah Hilfe suchend zu Konstantin, aber der hatte den Kopf in den Nacken gelegt und starrte auf den blauen Fleck im Zelthimmel.

„Also manchmal ist es in Deutschland sehr kalt“, antwortete ich diplomatisch. „Da bin Ich sehr froh, bei Ihnen zu sein… Und ich glaube auch nicht, dass Sie mich wirklich im Wald aussetzen werden, nur weil mir Konstantin das Bein gebrochen hat.“

„Wir sind doch keine Aiwanalin…“

„Keine Eskimos“, übersetzte Konstantin und stieß mir den Ellenbogen in die Seite.

„Unsere Frauen bleiben bei uns, weil wir gute Männer für gute Frauen sind“, beruhigte mich der Schamane. „Noch nie haben wir einer die Beine brechen müssen…“

„Das war auch nur ein Unfall, Großvater! Beim Kampftraining! Tanja ist eine Kriegerin, eine ziemlich gute.“

„Sie ist auch sehr klug“, behauptete der Schamane. „Eine kluge deutsche Kriegerin, und sie belügt einen alten Mann nicht: mit der hast du eine gute Wahl getroffen, Kostja! Und die wird dir sicher Söhne gebären!“

Mein Sensei und meine noch ganz platonische Liebe bekam Mädchen-Ohren und schwitzte so, dass er geradezu eine Illustration zur Klima-Lehre seines Großvaters war. Ich lehnte den Kopf an Konstantins Schulter, fühlte mich gut aufgehoben und wollte dem Schamanen ewig weiter zuhören. Ich fürchtete mich nach Amals Warnungen auch davor, aus der einheimischen Küche bewirtet zu werden, aber vor allem wollte ich erfahren, wie die Welt aussah, wenn sie jemand seit Jahrzehnten von diesem fremden Ende her betrachtet hatte.

„Verträgt sie sich mit deiner ersten Frau und den Mädchen“, fragte der Großvater in Richtung des Enkels. „Das ist nicht all zu wichtig, aber besser wäre es schon! Und es ist sehr gut, dass der Genosse Stalin doch noch zu der Einsicht gelangt ist, dass wir nach unseren alten Bräuchen leben müssen! Wir sollten auf seine Gesundheit trinken, Freunde!“

Konstantin sah mich unsicher an, und weil ich nicht protestierte, holte er erleichtert Luft.

„Auf unsere alten Bräuche sollten wir trinken...“

Ich war.

Die Verlobung
Levi´s
Das Nest
Frank. Und fast frei.
Star Trek
Grimms Märchen
Die deutsche Ideologie
Der invertierte Columbus
Wolf auf Pilzen
Zwischensumme

Ich bin.

Jeremias
Vorspiele
Galeeristin
Matka
Ehemals
Erkennen
Aphrodite
USP
Maßnahmen
Aspasia
Rückwege

Ich werde sein.

Silicon Plain
Das achte Kreuz
Aschermittwoch
Stockholm
Marketing
Sympathy for the Devil
Das Regionalwetter
Circenses
Frühstück mit Nazis
San Antonio de la Florida