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Ich werde sein.Silicon Plain“Würden Sie von diesem Mann einen Gebrauchtwagen kaufen?” Kennedys Vorsprung vor Nixon war mit 113.000 Stimmen so dünn gewesen, dass man ihn auf diesen Slogan zurückführen kann, ohne damit der Werbe-Branche Wunderkräfte anzudichten. Und außerdem wurde er in Amerika gesprochen. Dort gestatteten sie ihren Präsidenten ja, fremde Völker unter Napalm zu braten, wenn sie nur leutselig und umsichtig den Gartengrill bedienen konnten... Gegen die deutsche Wiedervereinigung hätte aber auch diese Warnung nicht geholfen. Dass sie ihren Staatschefs nicht einmal das rechtzeitige Wenden der Würstchen zutrauten, verbürgte Wessis wie Ossis die Hoffnung, nicht in die Pfanne gehauen zu werden, und sie kauften ihre ersten Gebrauchtwagen sowieso, wo sie herum standen: entweder am Dorf-Ein- oder am Dorf-Ausgang. Dazwischen waren die Schweinezüchterinnen als Stil-Beraterinnen und die Hilfsheizer als Versicherungs-Vertreter aus den Jahrzehnten der Lüge auferstanden, und Brecht hätte dazu nicht weniger düster gefragt: „Und was WIRD der Elektriker?“ Zugegeben: Wir waren in der Agentur nicht gut auf die auch noch palmenlose Kolonie zu sprechen, die wir als Staatsbürger und Steuerzahler mit besaßen. Wir hatten unsere Vor-Ort-Hauptstadt und die ministeriellen Kunden verloren, aber keinen Fuß in die Türen der neuen Staatskanzleien bekommen. Weißwurst-Strategen kürten Biedenkopf zum Ludwig II. von Sachsen, MacPommes wurde als Praxis eines Tierarztes geführt und die thüringische Aufklärung mündete in den Kampf für die Namensrechte der Klöße. „Wenn das so weiter geht, muss ich eine Fabrik für Mauerteile gründen“, maulte Uwe bei einer Grillparty. „Dann kann ich euch in Aktien bezahlen, und ihr werdet es nicht bereuen!“ „Aber wenn wir bald auf dem Sachsenring Motocross fahren können und der Dom wie deren Frauenkirche aussieht“, variierte und giftete Caren, Senior-Texterin der anderen Unit, „dann haben wir mit Tanja immerhin schon eine richtige Volkskommissarin in der Firma…“ „Unsere Frauenkirche, das waren nun wirklich die Amerikaner“, sagte ich vorsichtig. „Oder waren es die Engländer?“ Mein Beitrag zum Event war sowieso, vor gekochte und panierte Kohlrüben-Scheiben im gas-geheizten Wok zu braten. Das war ein Arme-Leute-Rezept meiner Oma, um Jagdwurst-Scheiben zu sparen, aber inzwischen war es für mich schon eine Erinnerung an die fröhlichen Kindertage. In würzigen Semmelbröseln das eigenartig feste, sehr saftige und nur leicht süße Fruchtfleisch… Mit den afrikanischen, chinesischen und mexikanischen Soßen bekleckert war es eine Delikatesse, aber der rheinländische Standard waren halt die Bio-Filets und Tofu-Bratwürste. „Keine Politik“, erinnerte einer der Männer. „Und keine Ossis! Äh, also ich meine als Thema… Das hast du doch jetzt nicht falsch verstanden, Tanja?“ „Tanja ist ja nur noch zum kleineren Teil Ossi! Ihre Titten waren doch auch die Amerikaner…“ Sie waren nette und nüchtern sogar politisch korrekte Kollegen. Hätte ich über den Spruch nicht gelacht, hätten sie ihn sicher auf die Liste der Tabu-Themen gesetzt, und ich konnte wirklich gut darüber lachen. „Bei uns gab es ja so etwas nicht! Aber… Wieso du dir diese Wampe hast ansetzen lassen, verstehe ich nicht!“ Man durfte derlei wirklich nicht addieren und problematisieren, sondern musste es an die duftende Luft über dem Grill lassen, damit es sich in die Nachbar-Gärten verzog. So aß ich meine Kohlrüben-Schnitzel, ließ Neugierige davon abbeißen und tat der Belegschaftsversammlung auch noch den Gefallen, vor aller Augen ein großes Glas Wodka zu trinken. Sie waren nun einmal, und besonders in Köln, die Römer, und da kam ich als Clown statt als Gladiatorin doch noch ganz gut weg. Ich betrank mich gesittet, ohne meine bekannte besondere Beziehung zu Uwe hervor zu kehren, und im Pool ließ ich mich von einer zum Staunen mitgebrachten Freundin in die Arme nehmen und an den Wassermelonen streicheln. Irgendwie waren wir doch alle ein bisschen lesbisch, kicherte sie, und sogar die Kerle standen heimlich auf Frauen, haha! Eine spannende Frage eigentlich: Obwohl ich Elena, Cypress und Helga kannte und von ihnen biblisch erkannt worden war, hatte ich darüber nie wirklich nachgedacht. Es tat mir schließlich gut, wenn ich von ihnen genommen wurde, und es gefiel mir längst, da auch keiner etwas schuldig zu bleiben, aber ob das mit „lesbisch“ richtig beschrieben war? Wenn ich an eine Beziehung dachte, scannte ich immer Leute, die von legerer Kleidung als geschwänzt ausgewiesen wurden, und Uwe hätte sich erstens über diesen Verdacht scheckig gelacht und zweitens nur mit ziemlichen Skrupeln nachgefragt, wenn er mir mit einer weiblichen künftigen Geschäftsbeziehung gekommen wäre. Immerhin trug ich meine neuen Brüste wie eine Uniform. Ich gehörte damit in eine besondere Gruppe, und mein Verhältnis zur gemeinen Welt vereinfachte sich. Wie bei der Eisenbahn-Fahrt eben. Der Zug kann Verspätung haben, ein Punk kann die Schuhe auf den Nachbarsitz legen, und die ganze Reise mag so einem Zivilisten zu teuer sein. Ja, im Moment der Begegnung mit der Uniformierten wird sich ein Erste-Klasse-Passagier sagen, dass sie eigentlich seine Angestellte ist, nur eine kleine harmlose Behördenmaus… Trotzdem ist klar, dass er brav den Fahrschein zeigen muss, und dass er in den Augen der Mitreisenden vernichtet ist, als Trottel oder Betrüger, wenn die Uniformträgerin Grund zur Beanstandung findet. Der Unterschied war, dass ich in meinen Alltagsklamotten nur derartige Phantasien anregte, in der Abendgarderobe gleichsam das Abteil betrat und mich erst an der Bettkante als absonderliche Respektsperson enthüllte. Was hatte er Märchenhaftes an sich oder welche Ungeheuerlichkeit erwartete ich, dass ich gerade ihn erwählt hatte? Bedeuteten die großen Titten nicht, dass ich es mit einer ähnlich großen Zahl von Eigentümern großer Schwänze oder großer Aktiendepots trieb? Und kamen wir davor, dabei oder danach darauf, dass ich wie Adams Eva nur natürlich triebgesteuert, anhänglich und eigenwillig war, dann nahm der Typ das als sensationelle Entdeckung oder als perfektes Theater. Mein kleinstes Einmaleins kam als höhere Mathematik rüber, und es war wie eine Audienz bei Katharina der Großen, wenn ich während des Duschens erlaubte, dass der Potemkin des Abends zum Pinkeln ins Bad kam. Wirklich schlecht benahm sich nie einer, zumindest nicht deshalb, weil ja aus BILD und RTL bekannt war, was meine Uniform beziehungsweise die Rangabzeichen kosteten. Freilich ist dort auch zu lesen, zu sehen und zu hören, dass es bei Brustvergrößerungen zu Komplikationen kann. Verständlich. Einerseits sind diese Geschichten oft anrührend, und andererseits… Als Stein und Sand ist der Rohstoff zwar fast unbegrenzt vorhanden, und die Verarbeitung in den Richtungen Computer-Chip oder Silikon-Gel würde kaum zum Erliegen kommen. Aber denken sie sich ein Deutschland, in dem alle BILD-Leserinnen ihre Brüste ausbessern, ja ideal formen lassen wollen! Neben schmerbäuchigen Ehemännern, für deren beste Stücke es noch immer keine praktische Form der Vergrößerung gibt… Nicht mehr der Hunger, sondern diese Möglichkeit würde alle Beschäftigten in den erbitterten gewerkschaftlichen Kampf um Lohnerhöhungen treiben. Die Schönheitschirurgie würde die Auto-Branche in ihrer volkswirtschaftlichen Bedeutung verdrängen, und die Schönheitspflege würde vom sozialen Privileg zur Massenbewegung werden. Erneuerte Frauen würden ihre Schlaffis am Kühlschrank und im Fernsehsessel zurück lassen, um in den Bars und Discotheken groß geschwänzte Exemplare auf die Bühnen zu pfeifen, und auf der Geburtstags-Party von Deutsche-Bank-Ackermann würden junge Hartz-IV-Empfängerinnen ältlichen Prinzessinnen Schau und Dates stehlen. Nicht stalin- oder che-bärtige Männer, sondern rundum pralle Frauen würden den Kapitalismus in die Knie zwingen… Vor allem deshalb muss neben der Schleichwerbung für diese Dinge ebenso in die Öffentlichkeit, dass es teuer und riskant ist, mit dem eigenen Körper auch das eigene Leben besser in den Griff zu bekommen. Die Schönen und Reichen sind zwar schöner und reicher, aber auch nicht immer glücklich, und für jederfrau ist das schon gar nichts. Deine Falten und deine Titten siehst du zwar immer tiefer, Arbeitnehmerin oder Hausfrau, aber am Rand des Bad-Spiegels erscheint wenigstens noch manchmal das unrasierte Gesicht deines mürrischen Ernährers und Mösenstopfers. Und freilich sieht er sich die Fotos der drallen rosigen Schweinchen gern an… Aber er weiß doch, was er an dir nicht fertig gebackener Quarktorte hat: Du bist zufrieden mit ihm, im Grunde. „Ich gehe ja öfter ins Fitness-Studio als ins Krankenhaus“, antwortete ich in einem Vorstellungs-Small-Talk auf die Routine-Frage nach den Rückenschmerzen. Uwe grinste. „Und sie legt sich auch viel hin…“ Der potenzielle Kunde überprüfte die Anspielung mit einem langen Blick in meine Augen, und deshalb blieb mir nichts anderes übrig, als die Ermordung meines Chefs aufzuschieben. Aber etwa damals begann ich, eine Liste seiner Vergehen zu führen, die ich ausrollen wollte, wenn er mich zu einem Besuch bei seinem Freund mit dem Sauna- und SM-Keller überredet hatte. Schön am Kreuz, der Uwe, und ich würde seinen Sack über den Eiern fassen und fragen, ob er mit mir auf den Strich oder mir lieber die verdiente Teilhaberschaft verbriefen wollte… Und selbstverständlich konnten wir uns sehen, und nicht im Fitness-Center, sondern in einer Tabledance-Bar, wo wir uns über die Gymnastik der mageren Hühnchen amüsierten und an etwas anderes dachten: Er an meinen privaten Lapdance, seine schwitzenden Hände an meinen Bällen, und ich an seine Entscheidung für die Werbeagentur mit einer Chef-Kontakterin, die diesen Titel zu Recht trug. Er schob mir ein paar der am Eingang getauschten Bar-Dollars zu, und der Tänzerin entging diese Geste nicht. Sie spreizte die sehnigen Schenkel noch beim selben Musikstück vor mir, und ich faltete ihr Trinkgeld mit der Linken und zupfte mit der rechten Hand nahe der Hüfte an den Seiden-Bahnen meines Kleides. Die Reibung des Stoffes machte meine Zitze hart, bevor sie unter der feinen Naht hervor kam, und für einen Moment flackerte in den Augen des Mädchens Panik. Ich war nicht die Konkurrenz, sondern die Übermacht, und sie hielt mich wohl für eine professionelle Bisexuelle. Dann freilich entfalteten die symbolischen Geldscheine ihren Zauber, und in weniger als dem Sicherheitsabstand umkreiste ihr weiches Brustfleisch meinen Planeten der Lust. Ich schob ihr den Schein hinter das Strumpfband, dabei mit dem Fingerrücken ihre Haut berührend, und wir wechselten einen Blick, bevor wir beide zum gemeinsamen Finanzier sahen und ihm in verteilten Rollen eine Vorstellung gaben. Das konnte ich nicht wirklich „lesbische Neigung“ nennen. Nein, das so genannte „andere Ufer“ hatte ich eher geographisch und politisch erreicht. Ordentlich aufgemacht und teuer angezogen lebte ich im Westen und im Kapitalismus, und ich trauerte meinem ersten Leben nie weniger nach. Nur etwas zu ernst bewegte ich mich durch die Spaßgesellschaft, aber ich kannte nun einmal ihre Begrenztheit und Vergänglichkeit. Mein Finger war schon über dem roten Knopf gewesen, mit dem ihr Treiben zu beenden war, und der Reaktor IV war explodiert, wie die Hirn-Äderchen eines Bluthochdruck-Kranken platzen konnten, jederzeit. Vor allem aber lauerten um die Colonia Claudia Ara Agrippinensium die tschuktschischen Heerscharen aller Kontinente, und wenn ich meinen Erkundungs-Auftrag vergaß oder verriet, würde ihnen auch das Einnicken der Torwächter genügen. Unaufhaltsam sickerten ihre Spione und Saboteure ein. Feurige Brasilianerinnen löschten in den Bordell-Wohnungen die Hitzewallungen der Römer und Germanen, und freundliche Muselmanen demonstrierten schon mal vor den Döner-Spießen, wie sie mit ihren langen Messern umzugehen verstanden. Das Rechnen übernahmen von Gelben zusammen gesteckte Computer, und den Schnee lieferten uns die Schwarzen… Ich sah da keine bunten Engel gegen den Dom streiten, keine Folkolore-Gruppen nur mal so durchziehen, und aus der ältesten und der jüngsten Geschichte konnten alle wissen, dass Mauern da gar nicht halfen. Die Lange Chinesische Mauer verteidigte den Reichseiniger und Bücherverbrenner Yíng Zhèng nicht, sondern trieb ihre Bauarbeiter in den Aufstand gegen diesen Herrn der Tausenden Ton-Krieger. Die römischen Kaiser wussten mit dem „Hadrians-Wall“ weniger anzufangen als die späteren englischen Straßenbauer und heutigen Touristen-Büros, und der Limes stand noch 1400 Jahre in Deutschland herum, bevor ihn der Hausbau der Neuzeit anfraß. Und obwohl der Bauherr gerade noch hundert Jahre Haltbarkeit garantiert hatte, verkauften die Ostdeutschen ihre etwa 14 Milliarden DDR-Mark teure Mauer für ein Zehntel Begrüßungs-Westgeld... Meine Mutter war damals mit dem Personalausweis meines Vaters zum Kassieren nach West-Berlin gefahren, weil die Polizei ihren Staat noch längst nicht aufgegeben hatte. Sogar neuartige Verbrechen wurden angezeigt: Akten-Vernichtung und Machtmissbrauch. Auch der Sport-Unterricht war wie üblich weiter gegangen, erinnerte sich Margit, als ich meinen ersten Besuch als die Tante Tanja aus Köln machte. Unabhängig vom gefühlten Alter und dem frischen Vorbau war ich ja die Tante von Neffe Adrian und Nichte Gitta, die Ossi-Bruder und Wessi-Schwester waren. „Wie das weiter gehen sollte, konnten wir uns allerdings nicht vorstellen“, sagte Margit und prostete mir mit dem von mir mitgebrachten Whisky zu. „Aber wir konnten doch nicht gleich wieder die Kommunisten wählen!“ Ich schlürfte ein bisschen. „Wieso ‚die’? Du warst doch selber in der Partei! Und Papa, Mama…“ „Gerade deshalb mussten wir halt mal von uns absehen“, sagte Schwager Wolfgang und verschluckte sich am Lachen. „Na ja, sicher waren wir unter der Diktatur richtig opportunistische Schweine… Aber nie wieder! Jetzt wählen wir die Schweine nur noch.“ „Oder auch nicht“, widersprach Margit. „Es sieht ja keiner…“ Beide wollten weder über meine sowjetische Verbannung noch über meine neuen Brüste reden, oder ich war die erste Vertrauensperson, der sie ihr Unbehagen im neuen Haus und in den Jogging-Anzügen für die Gartenarbeit gestehen konnten. Beziehungsweise Gewissensbisse wegen des Verrats am Staat der Parteiarbeiter und Dopinganbauer... Und immer wieder stimmten sie den Refrain an, dass sie an den heutigen wie den gestrigen Scheußlichkeiten unschuldig waren und nichts dagegen tun konnten und mussten, weil es ihnen persönlich gut ergangen war und erging. „Die Grünpflanze da“, seufzte Margit, vom Whisky sentimental. „Das ist ein Bananenbaum. Verstehst du? Ein Bananen-BAUM…“ Sonntagnachmittag kamen unsere Eltern vorbei, zu Erdbeer-Torte mit selbst geschlagener Sahne, und ich half Margit beim Tisch Decken - in einem poncho-weiten Sweatshirt. Es verbarg meine körperliche Neuerwerbung recht vollkommen. „Tanja, hast du dir das wirklich gut überlegt“, fragte meine Mutter vorsichtig, als ich schon die Reisetasche in den Kofferraum stellte. „Und du bist doch deshalb keine Hure oder so etwas ähnliches?“ Vater hielt mich neben der Fahrertür in der Abschiedsumarmung fest und flüsterte ebenso konspirativ. „Darf man seiner erwachsenen Tochter sagen, dass sie so richtig… geil … aussieht?“ Ich drückte Shirt, Luftpolster und Brust gegen seinen Arm, als ich mich zum Einsteigen drehte, und ich fuhr über die Dörfer zur Autobahn. Neue Asphaltbänder, die die Rückfahrt zur Reise verlängerten, weil ihre Breite und ihre Biegungen von den alten Bäumen bestimmt worden waren... Andy’s Tränke, Bernd’s Käse-Theke und Corinna’s Fußpflege… Jedes zweite Haus war als Unternehmen aufgeblüht, und nach dem unaufgeregten Wochenende sah ich das gelassen, ja freundlich. Die Schilder waren ausnahmslos scheußlich, aber die Leute nahmen endlich ihre eigenen Namen wichtig und trauten sich etwas zu. Xaver die Vermögensberatung, und Zacharias’ Game Palace war als Keim für ein sächsisches Las Vegas gedacht, e säggsschs Los Fägoss. Und nicht wegen der 30 und des angezeigten Schulkinder-Wechsels fuhr ich in den nächsten Ort langsamer ein, sondern wegen der Böcklin-Buchstaben auf einem zu Rosa geblichenen A-3-Plakat: 300 Meter bis zu Yvonne’s Intim-Vitrine. Nicht Ieffonnäh’s immerhin. Im in die Ziegelwand des Stalls gebrochenen Fenster lehnte eine Pappblondine im blauschwarzen Korsett. Vielleicht war der Hof als der Kunden-Parkplatz geplant, aber es war ja Sonntagabend und schon dämmerig, und am Laufdraht tobte ein mauerwilder Schäferhund. Wahrscheinlich musste sowieso nur eine lebenslustige Veteranin der demokratischen Bauernpartei ihre eigenen Katalog-Bestellungen vor der Nachbarschaft als marktwirtschaftliche Initiative tarnen. Ich gab langsam Gas. Ich tat es langsam, weil solche Orte ja den Bürgermeister von Fotoaufnahmen verwirrt fliehender Touristen bezahlen. Und ich gab Gas, um der Sentimentalität zu entkommen. Sicher wäre ich für die eingeborene Hällgo ein Geschenk des Westhimmels gewesen, dem sie die leere Gesinde-Kammer aufgeschlossen hätte, in der Hoffnung, dass ihr Gurdl dann die Wodka-Flasche beiseite stellte und ein neues Plakat an die Bäume und Laternenmaste fesselte: Ieffonnäh’s Sffingor-Globb oder so ähnlich. Meine Landsleute waren nicht dümmer und nicht ungeschickter als meine Kollegen, und die Hier Geliebenen waren mit ihren vierzig, fünfzig und sechzig Jahren sogar deutlich optimistischer. Nur würden mit Ollfrähds und Ffernorrs Schuppen-Firmen keine Erfolgsgeschichten a la Krupp und Siemens beginnen, jetzt nicht mehr und hier nicht. Die gab es schon, und sie waren verheerend genug gewesen, und ich selbst war schon aus der Gegend ausgewandert, in die nun die polnischen Wölfe nach sickerten. Sie hätten trotz der überholungsbedürftigen Stoßdämpfer und Sitzpolster Kohl eben nur seinen Gebrauchtwagen abkaufen sollen, statt ihm den Rest ihrer Seele und ihrer Tage zu überschreiben. Wunder konnte die D-Mark ohnehin nur verrichten, wo sie knapper war als die Träume von ihr, und ich schüttelte den Kopf und die Brüste wegen dieser holperigen Lyrik: „Kommt die D-Mark nicht nach hier, gehen wir zu ihr!“ Erstens drohte man mit so etwas nicht erst, und zweitens war gar nichts anderes passiert. Ich war selbst ein Beweis dafür. |
Ich war.
Die Verlobung Ich bin.
Jeremias Ich werde sein.
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