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Das achte KreuzSo nahe wie Lenin oder dem, was von ihm übrig war oder als Lenin ausgegeben wurde, würde ich einem Revolutionär nie wieder kommen. Es gab in der Stadt zwar an die Zehntausend davon, aber auch Barbara legte meist Wert darauf nicht dazu gehört zu haben und hatte ein dreifaches Alibi. Allein mit zwei Kindern und als Angestellte der Stadt war sie erst auf die Straße gegangen, als aus den Demonstrationen Bekenntnis-Spaziergänge geworden waren. Künftig so mit zu regieren, hätte ihr gefallen, aber unter den Delegierten der Straße waren mehr Pfaffen gewesen, als Barbara damals in der ganzen Stadt vermutet hätte. „Deutschland, einig Vaterland“, wie vor dem Hotel der Wirtschafts-Verhandlungen gerufen wurde, schien ihr eine Selbstverständlichkeit, aber die Kanzler-Besichtigung war für Barbara ein so deutliches wie düsteres Omen gewesen: Die Tonne Kohl neben dem Modrow-Spargel, der gerade eine Regierung aller Parteien und Bürgerbewegungen gebildet hatte. Jedes Bild davon verriet, wie in der neuen Einigkeit alles verteilt sein würde, außer meinem vom Kölner Geld bezahlten Futon-Bett des Wochenendes. Seit der Dämmerung saß ich in meinem Drittel, an die Wand gelehnt, sah auf meine Eroberung herab und biss mir ab und zu auf den Zeigefinger, um sie nicht anzufassen. Ich wollte Barbara nicht aus dem gedehnten Kampf mit der Decke reißen, so kurz vor dem Sieg. Sie hielt die aufheizende Gegnerin in der Bein-Schere, und mit den Armen zog sie sie zwischen die Brüste. So mochte es das Publikum der „Fighting Cats“ in der letzten Runde, weil dann die Kämpferinnen die Füße aufsetzten, um nach dem Punkt der Befreiung oder der Übermacht zu tasten. An Barbaras Hüfte schob sich eine bleiche Fleischfalte zusammen, und die leicht zur Matratze gerutschte Brust straffte so ihre Haut. Vorsichtig spielte ich mit den Fingerspitzen in den Spitzen der schwarzen Mähne. Eine Stunde noch, und ich würde wie von der Seite eines Machos und Patriarchen aufstehen, um Brötchen zu holen und Kaffee und Eier zu kochen… Vor allem die Zeit, insbesondere diesen frühen Stunden, hatte bisher zu einem normalen Leben gefehlt. Nur jeden Donnerstag Morgen war es in mein Kölner Dasein eingebrochen mit dem Nachschlüssel meiner peruanischen Putzfrau. Eigentlich gehörte sie der Appartement-Vermietung, aber genau sie hätte ich mir selbst ausgesucht: gedrungen, gelbbraun und hakennasig wie die Tochter eines tschuktschischen Schamanen und einer Schnee-Eule. Halb belustigt und halb traurig schüttelte sie den Kopf, wenn sie mich beim Wechsel zwischen Bad und Küche ertappte, und sie setzte sich zum Kaffeetrinken auf heiße Kohlen. Meine Wohnung war der früheste Punkt auf ihrer Liste, und bestenfalls konnten wir uns stumm ansehen und ab und zu darüber lachen. Ihr fehlte sicher die Vorstellungskraft, dass ich mich in sie verliebt haben konnte, und ich erschreckte mich mit der Phantasie, sie durch so ein Geständnis in die russische Putze von Helga und Kurt zu verwandeln. Eine Guerilla von Schokoladenweihnachtsmännern für die Kinder, die sie sicher im halben Dutzend hatte, war meine intimste Annäherung, von den noch tropfenden Haaren über und den nackten Schenkeln unter dem Bademantel abgesehen. Trotzdem waren meine Mittwoch-Schlaflosigkeit und die Donnerstag-Verspätung die berechenbarsten Unternehmungen jener Monate, und ich ließ mich von Uwe zu einem Verrat des Grundes weder provozieren noch überreden. Er und sogar Jede in der Agentur konnte das Geheimnis meiner Schlankheit erfahren, den in Sibirien erwachsenen Hunger auf Grünzeug und Fleisch sowie den Frühsport der Karate-Mönche, wenn ich allein war. Mit der Arbeit verriet ich täglich und im übelsten Wortsinn irgendwelche Überzeugungen – etwa meine Verachtung von Büstenhaltern, wie ich sie nun im Extrem brauchte. Ich war auch halsstarrig genug, praktisch kleine Autos zu mögen, und wäre doch in einem geschenkten oder Dienst-Ferrari bis ans Ende der Welt gefahren. Meine Originalität bestand im Aussprechen der tabuisierten Alltags-Weisheiten und geringsten mehr Bauch- als Kopfschmerzen und so weiter und so fort. Da hatte ich gar kein ideales oder nur schönes Selbstbild, und dazu stand ich. Aber mit Arroganz und Unleidlichkeit bestand ich darauf, dass mein Kern-Brennstoff unter absolut meiner Kontrolle blieb. Ja, das ist vielleicht eine passende Metapher. Um den Reaktor Tanja stand ein gleichnamiges Kraftwerk mit allen nötigen Abteilungen, das eine Stadt dieses Namens erleuchtete, bewegte und erwärmte: Das Theater, die Sauna und die Bordellwohnungen. Mein Gehirn war das KTB, das Komitee für Tanjas Sicherheit, und mein Körper exerzierte als Zornrote Armee, von der Militaristin und Generalissima Tanja gefüttert, angezogen und vergöttert. Punkt und aus. Verhandelt wurde darüber nicht, und daran änderte nichts, dass ich meinen Brennstoff erst mit der staubsaugenden Indianerin entdeckte. Verlieben kann ich mich eben nur in Frauen, wenn sie klein und rätselhaft bunt sind und irgendwie in beschissenen Situationen stecken: Cypress bei ihren Einsamungs-Parties, die Inka-Prinzessin mit dem Reinigungsplan und später die Porno-Oma Monika, genannt Mona. Und zuletzt Barbara, Barbara und Barbara: die allein erziehende Mutter, die mütterlich strenge Bürokratin und glücklose, aber nicht unglückliche Hexe. Das ist das Isotop, auf das es ankommt, das anzureichernde Spurenelement im normalen Vorkommen von Spiel und Spaß mit Kerlen, die aber auch durch ein bisschen Phantasie und einen mittleren Dildo zu ersetzen sind – sogar Frank. Dafür gibt es das treffende Wort „Mikrokosmos“, und das ist in „Men In Black“ verfilmt, wo eine ganze Galaxis im Anhänger eines Katzen-Halsbands versteckt ist und das Universum, wie wir es kennen, die Glas-Murmel eines Aliens ist. So ein Vieh war mir Uwe, als er von seinen Freunden anfing, gesunden Freunden, und natürlich würden sie Gummis benutzen. Gerade weil er mich nicht für eine Hure hielt, wollte er mir dafür auch gar nichts versprechen, aber an die Gerüchte über mich und an den Verdacht seiner Frau sollte ich schon denken. „Ein Partyspaß wie mit deiner Cypress, bloß ohne schwarze Kuh. Und wolltest du noch nie wissen, ob du sieben oder acht Stiere schaffst?“ „Nee… Weil ich mir da schon sicher bin!“ „Dann machen wir es also.“ Ich lachte über das Wir, das in einer Beziehung stimmte. Zu dieser Probe auf seine Porno-Phantasien konnte Uwe nur und höchstens mich überreden, und ich war schon einige Male das magere Fleisch in fetten Sandwichs gewesen. Ich wusste also wirklich, dass das immer für die Kerle peinlich war, die nicht lang genug waren und zu früh spritzten, wenn sie die Stängel überhaupt hart bekommen hatten. Ich dagegen musste mich dafür nur ein bisschen locker trinken und locker machen… „Von mir aus“, sagte ich und stöhnte, demonstrativ gelangweilt. „Aber niemand aus der Firma dabei!“ „Ich bin doch nicht verrückt!“ „Doch, du bist verrückt! Denn wenn es mir Spaß macht, wechsele ich ja vielleicht in die Pornobranche…“ Ich war mir sicher, dass Uwe mich in diesem Augenblick liebte, weil ich ihm ja allen Anlass gab, mich verachten zu können. Frank widerspricht mir in diesem Punkt immer und manchmal richtig überzeugend, und vielleicht ist er darin ja ebenso die Ausnahme wie mit seinem Kommunismus. Ich bin mir aber eigentlich sicher, dass die Männchen nur mit Verachtung die Aggression vollziehen können, die das Eindringen in einen fremden Körper ist. Die Natur hat manchen Hengsten dafür sogar noch Penis-Knochen gegeben, Schlangen werden von Dutzenden Schlangen-Böcken eingewickelt und Kater reißen die niedlichen Kätzchen jedes Mal mit speziellen Widerhaken auf. Diese imperialistischen Aggressoren stoßen sich in den Abgang, und sie lassen in uns einen Schleim mit Millionen Mikro-Aggressoren zurück. Da sind die Variationen der Porno-Filme, das Beflecken von Gesicht, Brüsten, Bauch oder Hintern, viel ehrlicher als jedes Liebesgedicht: Man markiert uns damit als den Besitz, und bei manchen Insekten betoniert das Ejakulat die arme Kloake auch noch regelrecht zu. Und das stelle ich ganz objektiv fest! Persönlich habe ich das ja nicht ungern, und natürlich ist das einzelne Sperma-Fischchen eine spielend zu killende Kreatur, so wie das dickeste Geschlechtsteil durch ein einziges Wort zu entzaubern ist. Man muss zu der Keule, dem Kolben, dem Schwanz nur sagen: Pimmel. Und da hat es sich was mit dem großen Sieg des großen weißen Vaters in Washington! Also spätestens bei „Pimmelchen“: Der 11. September der Lotterbetten… Wir haben heute ja das historisch errungene Privileg, die kleinen Monster zu kennen, bei der Arbeit zu beobachten und dem Mikroskop foltern zu können. Die Männchen im Kleinen: neun Zehntel Schwanz und nur im Rudel fürchterlich. Sie brauchen einfach, um ihren Daseins-Zweck erfüllen zu können, die von ihren Herstellern eingerichtete monströse Welt, in der sie die biologische Lösung der kleinen, der Insektenwelt als bizarr darstellen. Ich meine: Ich möchte keine Bienenkönigin sein, die nach einer einmaligen Befruchtung im Luxusknast bis ans Lebensende Eier legen muss und sonst auch nichts kann. Aber das Modell „schwarze Witwe“ gefällt mir, wie schon weiter vorn erwähnt. Diese Spinne beginnt, im Augenblick seines Funktionierens das Männchen zu verspeisen. Wahrscheinlich schwillt das Kerlchen dabei noch an und zuckt umso heftiger, und es ist zugleich nützlich, glücklich und umweltverträglich entsorgt. Es kommt nicht erst dazu, ein Stück Regenwald abzuholzen, Zäune zu bauen und zu verteidigen mit giftigem Gespinst ein Weibchen anzulocken, einzusperren und wieder und wieder zu belästigen. Es müssen keine Zaun-Verteidiger angestellt, ernährt und ihrerseits mit Weibchen belobigt werden, keine Friedensrichter zwischen den Eigentümern und keine Ernährer der Chef-Begatter und ihrer Diener. Die Eunuchen der Gattung müssen nicht als Vermittler zum Großen Vater im Himmel durchgefüttert werden, und es braucht keine Weibchen-Anmaler, keine Stoffhändler, keine Palast-Architekten, keine Erfinder und Monteure von blitzenden Gehhilfen und keine Polizisten für deren Bewegungen. So eine Schwarze Witwe empfängt neues Leben, und danach gibt es keine Möglichkeit zu Raub und Räubermord, zu Eigenlob und Wiederholung, zu Spielanleitungen und Memoiren. Man könnte dagegen einwenden, dass es dann auch keine Entwicklung zu einer Zivilisation geben würde… Bloß: Sind wir wirklich weiter und ist wirklich Zivilisation, was in monotoner Wiederholung und mit wachsendem Aufwand doch nur auf diese eine Begegnung zuläuft? Und sicher würde eine Gemeinschaft Schwarzer Witwen schwerlich einen Heinrich Heine vorbringen… Bloß: Glauben Sie nicht auch, dass Heine selbst all seinen Büchern der Lieder die Laute jenes Moments vorgezogen hätte, indem ihm ein Muskelschlauch aller Erfüllung abgemolken und kräftige Kiefer alles Unwesentliche und Hinfällige weg gebissen hätte? Gerade er doch… Und ich will nicht leugnen, dass sich aus Vielem in der nun einmal entstandenen Welt Wissen, Vergnügen und Geld ziehen lässt. Vieles – wie die Erfindung der Mikroskope – hat auch die Willkür der Spermien gezähmt, und meine Erklärungen stimmen nur letztendlich und ungefähr Aber stellen wir uns den Großen Napoleon wenigstens manchmal als kleine, dicke und unersättliche Spermie vor! Den bösen Stalin als mürrisches, kantiges Mini-Vieh und die Päpste aller Religionen… Ihr Verhalten erklärt sich daraus besser, und es verliert von der lähmenden Schrecklichkeit und der angemaßten Größe. Wie ich es voraus gesehen hatte, so erging es mir im ehelichen Schlafzimmer de Party-Villa. Acht Kerle lachten sich Mut zu, als ich die Monde meiner Brust enthüllte und neckisch schaukeln ließ, während ich den Slip nach unten schob und die Füße in den Plateau-Schuhen heraus hob. Weil Uwe das in einem Video so gesehen hatte, wollte er mich in halterlosen schwarzen Strümpfen auf der Bettkante präsentieren. Meine Hand zitterte, als ich nach dem ersten, noch gar nicht fertig aufgeregten Kleinbürger griff, den Hals reckte und die Kiefer vor schob. Wie eine Mauer aus Milchreis-Klopsen standen Uwes ehemalige Kommilitonen und Kollegen mir vor dem Schlaraffenland, wo ich die Prinzessin werden wollte, und dahin musste ich mich nun durchfressen. Ich will niemanden mit Details schockieren oder gar langweilen, zumal meine eigentliche Leistung die Organisation des geträumten Selbstbewusstseins war, gefolgt von der Geduld, mir nur leberwurstharte Auswüchse in den Bauch zu praktizieren und sie ein paar befriedigende Augenblicke darin zu behalten. Vielleicht sprach sich die Großveranstaltung auf der Sommer-Party herum, vielleicht bekamen auch die satten Bourgeois noch einmal in Fahrt. Ich konnte und wollte nicht zählen, wie oft wo in mich eingedrungen wurde, und nach der achten Kreuzigung lag ich müde und schlaff und ließ ich mich benutzen, aber insgesamt… Die wenigen Male, wo ich vor zwei, drei Zuschauern und hintereinander empfing, waren intensiver. Und davon wiederum reichte nichts an die Balgereien heran, die in zweisamen Beziehungen passierten, mit Konstantin, Uwe, Frank und Barbara! Wenn die Macht zwischen uns wechselte, wenn ich mich erst verloren geben konnte, um bei der Zigarette danach zu triumphieren. Wie ich darum den Bäcker hasste, und noch nicht einmal für die Farben, Abzeichen und Girlanden der falschen Fußball-Mannschaft. Die vorsichtige Geschäftsführung verhinderte, dass Barbara ihre Pyramide aus Amerikanern, Windbeuteln und Mohrenköpfen bekam, aus Streuselkuchen mit vor quellendem Pudding, Erdbeer-Törtchen und Nussecken. Gut, dass ich da auch bei SPAR gewesen war, um wenigstens falschen Kaviar zu haben! Es war ein großer Augenblick, in dem Barbara die letzte Ecke des goldenen Toasts und die weißen Butterspäne mit schwarzen Perlen verzierte. „Du… Das ist unbezahlbar“, sagte sie vor dem Kauen und zwinkerte mir zu. „Das ist mein Tribut“, sagte ich in meine stahlblanke Kaffeetasse. „Den bekommen Königinnen von ihren Leibeigenen… Und du kannst heute Abend mit zum Turnier kommen.“ Ich kniff das linke Auge zu, um besser auf ihr Herz zielen zu können. „Aber du weißt, was Mona mit mir machen wird, wenn ich dabei verliere?“ „Und du mit ihr, wenn du gewinnst… War denn… er, Frank, schon mal mit? Ich grinste, biss von der Eierschecke ab und kaute den Matsch so gründlich, als wäre er hartes Brot. Dieser Er kannte mich immerhin tanzend, auch wenn er nur zu gern an die wiederholten Durchsagen geglaubt hatte, dass wir Mädchen nicht anzufassen und sowieso glücklich gebunden waren. Als Tänzerin konnte ich für ihn keine Hure sein, und ich war für ihn keine Hure, weil ich ja Öl-Wrestlerin war, aber Barbara wusste das nach Monas Heul-Besuchen und als Frau doch besser. Es gab mich nicht zwei oder drei Mal, und es gab für mich kein Privileg, sondern nur höhere Honorare. Sie konnte doch gar nicht hinter Frank zurück stehen, und obwohl sie mein hellblau-weiß kariertes Hemd als offenen Morgenmantel trug, begann Barbara zu schwitzen. „Ist okay. Du musst es dir nicht noch ansehen…“ Meine Stimme zitterte und für einen Moment hielt ich meine Unterlippe mit den Zähnen. Das war ja der Punkt, und es war die giftigste Auskunft der magischen Pilze. Barbara würde mich als Kämpferin aushalten, und sie würde am Tag des Jüngsten Gefechts im VIP-Gartensessel lümmeln, angestrengt oder überzeugend lächelnd: Klar hast du eine reelle Chance. Und es war, wenn schon nicht Teil eines Planes, dann doch Teil unserer Zukunft. „Nicht schon heute…“ Ich stieß die Finger ins Haar, über den Ohren, und schob sie zum Hinterkopf. Ich wühlte mich auf und machte mich schön, und zumindest spielte ich mit mir, zumindest nur für mich. Nimm mich oder lasse mich, hieß das, wie ich bin. Ich bin nicht nur verliebt, und ich bin kein Opfer, sondern ich bin eine Hure, die sich auch dafür liebt. Und ich war glücklich, mit Barbara und mit mir. |
Ich war.
Die Verlobung Ich bin.
Jeremias Ich werde sein.
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