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2.Es war nicht das Licht am Ende des Tunnels, sondern immer noch der Manta. Wie seit zwei Monaten schon verstellte er die Tür zum Seitenflügel, und er leuchtete selbst in dieser diesigen Nacht gelb, weil in meinem Büro Licht brannte. Was das hieß, war ziemlich eindeutig. Nur Beate, die längst zu Hause sein mußte, kannte das Versteck des Schlüssels, und nur Haase konnte es gefunden haben. Ihn erschreckten auch geländerlose Treppen nicht, weil er ohnehin an den Wänden entlang schlich, und unter den sandverstopften Fußabtreter würde er gar nicht erst gesehen haben. In seinem Alter bückte sich ein Mann nicht mehr leichtfertig, und eine mehrfach überstrichene und dreimal geflickte Tür war ohnehin die größere Herausforderung seiner Pedanterie. Mit den wundgeklopften Fingern mußte Haase die Plombe des Stromzählers überprüft haben, bevor er sich seiner pathologischen Dialektik bedient hatte: einen Schlüssel zum Allerheiligsten suchte man am besten in der Nähe des Profansten. Tatsächlich war der vom brüchigen Linoleum verdeckte Spalt zwischen dem zweiten und dem ersten Dielenbrett vor der Toiletten-Kammer leer. Sein Scharfsinn hatte Haase erst vor meinem letzten Whisky verlassen, nachdem er auch noch die geschmuggelten Camel und die wegen Beate versteckten Pornos aufgespürt hatte. Nun lag er im aschegepuderten Maßanzug und schnarchend auf meiner Lieblings-Farbigen, die einmal als Wendy und einmal als Belinda das prinzipiell Gleiche tat. Wahrscheinlich wäre der obszöne graue Zwerg nicht einmal aufgewacht, wenn ich ihn aus dem Fenster geworfen hätte, und darum trug ich erst einmal die Gitarre in das Kram-Zimmer. Ursprünglich hatte ich vorgehabt, in diesem Zimmer zu wohnen, aber inzwischen hatten sich darin meine drei oder vier Leben soweit vermischt, daß ich nach der Jogginghose suchen mußte. Die Jeans der letzten noch nicht komischen Größe war mir ebenso ein Kostüm wie die beiden Anzüge aus den letzten beiden Winterschluß-Verkäufen, und der Auftritt war zu Ende. Er war so beschissen zu Ende gegangen, daß mich Haases Auftauchen ja gar nicht überrascht hatte. Während ich in das rechte Hosenbein fuhr, schwankte ich und setzte den politischen Bücherstapel in Bewegung. „Du, Marlowe“, meldete sich Haase von meinem Büro- und Schlafsofa. „Würdest du deinen Schwanz echt zwischen solche Zähne stecken wollen?“ „Es wäre nicht nötig gewesen, nur nett, wenn du gefragt hättest, wie es war! ‘n Kaffee?“ „Wenn du als Sänger nur halb so schlimm bist wie als Privatdetektiv“, sagte Haase, während er sich ächzend aufsetzte. „Andererseits ist es natürlich schon ein Dienst an der Menschheit, daß du nur nebenberuflich Privatdetektiv bist.“ Ich tappte hinter Haases Rücken in die Küche, barfuß, weil ich mich nicht erinnerte, wo meine Gorilla-Hausschuhe abgeblieben waren, und ihm diesen Triumph nicht auch noch gönnen wollte. Es war schon eine ziemliche Pleite, daß die Sterberate unserer Klienten bei hundert Prozent in nur zwei Tagen lag. Ich war in der Stimmung, Haase mit Kaffee zu vergiften, obwohl er gar nicht mein Klient war, und zumindest würde ich uns den Kaffee nur aufbrühen. Mich störte das nicht, während Haase es nicht fertig bringen würde, Whisky in eine Tasse zu gießen, die er nicht bis zum Grund leeren konnte. Ich fror an den Füßen und klebte mit den Sohlen an dem Linoleum, aber ich blieb auch nach dem Aufsetzen des Wasserkessels in meiner Küche, in der es an diesem Abend nur noch einen Kanten verschimmeltes Brot, eine Büchse Ananas-Stücken und einen durchdrehenden Büchsenöffner gab. Alles andere hätte mein stiller Teilhaber, der mich auf die Idee mit dem selbst erlebten Kriminalroman gebracht hätte, ohnehin schon aufgefressen gehabt. „Okay“, gab Haase nach und warf mir die weichen Hausschuhe in die Küche. „Es war also eine Katastrophe, dein Comeback!“ „Wie kommst du denn darauf? Sogar ‘ne liebe alte Bekannte habe ich getroffen!“ „Die vor der Tür steht und zwischen den Beinen schwitzt“, sagte Haase hämisch. „Da gehe ich natürlich!“ Es traf sich, daß in diesem Augenblick das Wasser kochte, und ich goß es in die großen Sechskant-Tassen aus schwarzem Glas und beeilte mich, Haase den Kaffee vorzusetzen. Er dachte freilich nicht ans Gehen. Er hatte schon wieder Wendy Fuck’O’- Matic vor und schüttelte über ihrem Prachtfoto den Kopf. „Du würdest es also tun, trotz dieser Zähne... Na, du hast nicht Nein gesagt! Marlowe, Marlowe!“ „Man spricht das ‘W’ nicht! Im Unterschied zu dem ‘W’ in meinem schönen russischen Namen Markow... Und die Volkspolizei ist mir dazwischen gekommen, du Arsch!“ Haase schlürfte ein wenig Kaffee und spülte ihn mit einem Schluck aus der Whisky-Flasche nach. „Wegner, ich weiß! Mein alter Student und lieber Kumpel Wegner... Er war bei deiner Frau, und bei dieser Gelegenheit hat er bei mir vorbeigesehen.“ „Und?“ „Nn, du zuerst!“ „Ich hab seinem Butler ‘n Autogramm auf das Tatort-Foto gegeben... „ Ich stöhnte, aber ich würde Haase weder meine erste CD noch Margit verkaufen können, die blond und ein wenig hakennasig war. „Der Idiot von vorgestern hatte seinen Kalender zur Ermordung mitgenommen! Und mit meiner Telefonnummer drin! Ich werde nicht verdächtigt, und einen Zusammenhang zu unserem Fall hat nicht mal dein Stasi-Kumpel gesehen. Ende!“ Haase nickte, und nun war sein Interesse für Wendys neue Seite eindeutig gespielt. Er wartete nur ab, bis ich mir eine Zigarette nahm, ihm eine anbot und mich hinter den Ohren kratzte. „Und von der russischen Armeepistole hat er dir nicht erzählt?“ „Von was für einer Pistole?“ „Von der Makarow, Towarisch Markow. Kugeln fliegen ja im Allgemeinen nicht wie Vögel herum. Gewöhnlich kommen die aus so etwas: aus Gewehren oder Pistolen. Was würdest du bloß ohne mich machen, junger Mann?“ Ich verschluckte mich am Kaffee. „Ich besitze immerhin einen Fahrrad-Verleih auf Rügen, habe einen erotischen Roman geschrieben und eine CD gemacht und betreue die Werbung von Meister und Wagner-Immobilien!“ „Hoffentlich leben der Verlag und deine Werbekunden länger“, höhnte Haase. „Und das hat Wegner dir auch nicht gesteckt, daß es ein Nahschuß ins Genick war?“ „Hör auf“, sagte ich. Ich rieb mir die Augen, daß sie in den Höhlen knarrten. „Ich sollte seine Alte finden, nicht seinen Mörder! Und wahrscheinlich hat er nicht mal dafür das Auftragshonorar überwiesen, bevor er sich verpißt hat.“ „Hast ja kein Postamt, nur einen Geklautwagen-Händler auf ‘m Hof!“ „Ja, ja, Meister“, sagte ich mechanisch und stutzte dann doch noch. „Du, Haase! Das sagst du doch nicht nur so?“ Haase schlürfte seinen Kaffee, als liefe eine Melitta-Kamera mit. „Herr Frieder Huber wurde mit einer russischen Armeepistole hingerichtet, Towarisch Markow, und zwar vorgestern abend. Mittag hatte er bei einem Italiener gegessen, und der spätere billige amerikanische Whisky dürfte mit ziemlicher Sicherheit aus dieser Flasche stammen.“ Haase schlürfte den Rest und setzte die die PennyPacker-Flasche hart auf dem Couch-Tisch ab. „Nun kannst du sie wegschmeißen, und dann dürfte das nicht mehr zu beweisen sein...“ „Du meinst, er wurde auf dem Rückweg von hier ermordet?“ „Aber vielleicht war das Zufall! Vielleicht wollte die ruhmreiche Bruder- und Sowjetarmee auch nur mit seinem Mercedes abziehen!“ Haase gähnte. Weil er diese Attribute in sibirischer Kälte gepaukt und noch auf dem vorletzten Parteitag heraustrompetet hatte, klang der Satz ein wenig zynisch, und geschäftlich hoffte er das wohl gerade nicht. Unsere Anzeigenkampagne hatte nur diesen einen Leser gehabt, und selbst ein unbezahlter mordsgefährlicher Fall wäre eine Art Anfang gewesen. Ich gähnte zurück. „Es war sowieso deine Idee, Professor! Und ich habe nebenan noch ‘ne Luftmatratze.“
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