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19.Das Zimmer hinter der Glaswand war aus lauter Katalogbildern zusammengesetzt. Eine aus ihrem Rahmen quellende schwarze Ledercouch, passende Sessel und Hocker füllten das Zimmer nicht aus, und die Tischchen und Regale aus Messing und Rauchglas waren mit den Teppichflecken der Wildschweinfelle gekontert. Ein riesiger Fernsehapparat krönte einen Wagen mit einem Doppelschacht-Videorecorder und einer designten HiFi-Anlage, und in allen vier Ecken ragten überdimensionierte drahtlose Lautsprechertürme. Anders als in meinen schwülen Kapitalisten-Träumen machte es mir jedoch keinen Spaß, mich zwischen zwei Jahresgehältern zu bewegen. Alleingelassen setzte ich mich auf die Kante eines der Sessel, was bei seiner Polsterung eine ziemliche Arbeit war. „This ist the end, my friend“ wußte Jim Morrison Bescheid, und seit im Ostdeutschen Rundfunk Apocalypse Now gelaufen war, war genau dieses Lied mein postkommunistisches Manifest: Kein noch so mieses Gefühl und keine Whisky-Stromschnellen können dich abhalten, my friend, mit einem schmutzigen kleinen Auftrag in die größte Scheiße zu tuckern. This is the end... Obwohl ich nach soviel Vorspiel fest mit zwei mindestens italienbraunen Gorillas gerechnet hatte, kam Gabriele Herrmann nur mit zwei goldgemusterten Glastassen und einer Kaffeekanne zurück. „Falls Sie beim ersten Schluck an eine Vergiftung denken“, sagte sie beim Eingießen des Kaffees. „Ich nehme immer etwas schärfer geröstete Bohnen und sehr viele davon.“ Sie setzte sich auf die Couch, aber in die mir nächste Ecke, und sie rieb die ledernen Schenkel aneinander und blieb dann mit leicht gespreizeten Beinen sehr ruhig und steif sitzen. „Jetzt trinken wir miteinander Kaffee“, sagte ich viel zu schnell. „Ja! Ja, aber ich mag diese aktiven Männer, Geschäftsmänner, nicht! Denn...“ „...jetzt trinken wir Kaffee. Ich verstehe!“ Gabriele Herrmann wollte mich ansehen, und sie kannte diesen rhetorischen Trick, dabei nr die Nasenwurzel des Schaustücks anzupeilen, überhaupt nicht. Wieder hatte sie den Kopf zurückgebogen, und unter diesem abschätzenden und abschätzigen Blick wurde mir heiß. Ihr mußte auffallen, daß ich nicht einmal in diesen unkonventionellen Anzug gehörte, nur zwei Kiefernholzsessel mit schlecht gestopften Kissen besaß und wegen einer Frau hier war, die vielleicht längst ebenso aussah wie der für sie eingetauschte Mercedes. „Man vergißt hier drin, wo man ist“, versuchte ich mich trotzdem in Konversation. „Und ich würde Sie auch deshalb wählen... Weil Sie wissen, was Stil und Großzügigkeit ist! Ein Dorf aus solchen Häusern, das wäre...“ „Wenn Sie unbedingt so schnell zur Sache wollen! Gut, ich wollte Sie fragen, ob Sie mir einen Katalog machen können, in diesem Sinn.“ Ich nickte eilig. „Und Ihr Garten gäbe auch noch solche Fotos her, aber dann...“ „...dann würde es schon schwierig! Ich weiß! Eine seriöse Agentur würde ablehnen, weil es ihr eigenes Image ruinieren könnte... Aber...“ Gabriele Herrmann brachte ihre Linke gnadenlos ins Ziel. Sie bewegte den vom weichen Leder umspielten Arm nur langsam, aber er hypnotisierte mich so, daß ich ihr widerstandslos meine Hand ließ. „Sie haben doch draußen unsere Bäuerinnen gesehen... Zwei von den wenigen, denen ich Arbeit geben konnte! Die LPG ist leider kaputt, der Tagebau Gott sei Dank, und wenn hier mit allen banküblichen Sicherheiten und ökologischen Gutachten ein See und eine Feriensiedlung entstanden sein werden, werde ich nicht mal mehr an die Tür dieses phantastischen Häuschens kommen, um den Urlaubern die Schlüssel ausgeben zu können! Und ich bin fast die Jüngste im Dorf!“ Mit dem Letzten log sie, wie ich aus dem Schaukasten des Deutschen Hofes wußte, aber ich war ein viel zu roter Sack, um mir vorstellen zu können, daß auch das übrige ein Satz aus einem Horrorstück war. „Ich soll also für Sie lügen, mit meinen Worten ausgedrückt. Investoren an der Nase hierher führen...“ Gabriele Herrmann zuckte mit der Schulter, die dafür geschaffen und überzogen schien, Männer zu noch ganz anderen Schweinereien zu bewegen. „Und auch noch umsonst?“ „Nicht einmal hier wachsen diese Häuser ganz von selbst, Doktor Markow! Ich baue darauf, sozusagen, daß Sie für das bißchen Unanständigkeit keinen ganz unanständigen Preis haben. So vielleicht...“ Ihr Kinn kam noch eine Winzigkeit höher, und sie behielt den Mund ein wenig offen. Zwischen den Schneidezähnen blinkte ein schmaler Goldstreif. „Sie kennen mich nicht“, sagte ich seriös, und dann reagierte ich doch auf die herrischen Falten zwischen Nasenflügeln und Mundwinkeln, auf das leichte Zucken des Kinnmuskels. „Aber Sie haben Menschenkenntnis, Frau Herrmann!“ „Sagen Sie doch Gabriele!“ Und Gabriele zog am Halskettchen eine Uhr aus der ledernen Jacke. „Aber bitte nie ‘Gabi’!“ Sie legte die Präsentations-Mappe unaufgeschlagen auf den Tisch. „Zeit für Ihre Diskette hätten wir noch...“ „Aber“, sagte ich, streckte die Hand nach der Mappe aus und stand dann doch noch vor Gabriele auf. Abgesehen davon, daß die ganze Sache Haases Spiel war, war die Runde damit wohl an Gabriele gegangen. Mein Konzept und Alibi war abgelegt, und mit ihrer Galerie korrumpierte sie mich so sehr, wie sie mich mit dem Arbeitszimmer einfing. Im Korridor zielten kleine Hallogen-Lampen auf alte russische Ikonen, und mitten in meinem Straßenblick am Monitor vorbei nahm mich Gabriele in eine dreischenkelige Zange. Die Kante des Computertischs drückte gegen meinen linken Oberschenkel, im Rücken spürte ich das helle lackierte Bücherregal und von vorn rieb mich die Lederschulter der Bürgermeisterin. Sie lehnte im Chefsessel um den Windows-Start abzuwarten, und darum las ich mit schrägem Kopf die Titel sämtlicher Rechtsratgeber, einer Sammlung von Fach-Lexika und der Literatur zur üblichen Geschäfts-Software. Hinter Gabriele war auch ein bunteres, schon in den alten Zeiten gefülltes Bücherregal, und allmählich wurde ich auch noch gefühlig. Die Vernunft erinnerte mich an Villon und Genet, aber das rötlich schimmernde Schwarz des Haars kochte eine Gier in mir auf, die sich fast schon als philosophischer Vers tarnte: Gangster mögen keine Lyrik. Ich erkannte „Der Meister und Margarita“ und in Höhe der mit dem Leder kämpfenden Brüste „Kindheitsmuster“. Alle Bücher, nach denen wir einmal angestanden hatten, standen bei Gabriele noch immer griffbereit, und während Gabriele konzentriert auf den Monitor sah, griffen ihre kurzen und starken Finger zielsicher in in die neben dem Mouse-Path liegende F 6-Schachtel. Schnell zog ich das Feuerzeug aus der Jackentasche, aber meine Dienstleistung war ihr keine Kopfdrehung wert, und genauso ungerührt markierte sie zwei Zeilen und schob sie hinter einen Nebensatz. Auch einen Rechtschreibfehler korrigierte Gabriele mit drei kurzen Hieben auf die Tastatur, und ich bekam Schüler-Ohren und konnte mir gut vorstellen, wie Gabriele die rund geschnittenen dunkelroten Fingernägel in meinen Schnüffler-Hals schlagen würde. „Schön, ja“, sagte Gabriele besonders tief und rauh. „Fast zu schön, um wahr zu sein.“ Sie sah mich an, wieder mit zurückgebogenem Kopf, aber diesmal standen ihre Zähne aufeinander und ihre Unterlippe ragte mir ein wenig entgegen. „Ich sollte Sie an den Gemeindecomputer fesseln, Doktor Markow, bis das alles steht!“ „Michael“, sagte ich eilig. Ich hatte auf eine Anrede gewartet, um mich mit diesem Angebot zu revanchieren, und nur deshalb ging ich nicht sofort zum Geständnis in die Knie. Sie hatte meine Lebensversicherung als Fälschung entlarvt, wußte ich trotzdem, und in diesem Moment griff Gabriele auf das Wandbrett und schaltete den Drucker an. „Aber eigentlich genügt auch ein Ausdruck, um meine Bauern schlau zu machen... Wir haben ja etwas anderes vor!“
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