23.

Doris konnte ihrem Verlobten Professor nicht mehr als eine Nase voll Parfümgestank gegeben haben. Kaum war sie in der Vorzugs-Intensivkammer verschwunden, stand sie schon wieder auf dem Korridor und ließ die blondierten Locken in Richtung Türspalt schaukeln.

"Würde ich dich nicht anders kennen, du Detektiv, würde ich dir heute nacht den Arsch zunähen."

Beate kicherte hämisch, weil sie allen potentiellen Mördern zum Trotze lieber in meinem Büro gewartet hätte, trotz ihrer pazifistischen Grundeinstellung auch mit der Pistole im Gürtel des Karateanzugs.

Ich klopfte mir an die Lederjacke, obwohl ich die Fotos ganz bewußt eingesteckt hatte, und schob los, um Haase die Freude zu machen. Sollte er sich als der bessere Schnüffler fühlen und sich ein bißchen mit den Augen aufgeilen, wenn uns das nur einen Besuch in der Vorhölle ersparte. Im Unterschied zu Friedhöfen gab es in Krankenhäusern ja keine frische Luft und nicht einmal genug Grün.

Selbst Wegner saß in Zivil auf dem Besucherstuhl, und er machte selbstverständlich keine Anstalten, gerade für mich aufzustehen.

"Wo drei Genossen sind, ist die Partei", grüßte ich vor allem ihn. "Gründen wir heute ?ne Parteigruppe oder was?"

Haase ächzte vor Vergnügen und schob den Oberkörper ein Stückchen höher. "Jaja, das mußt du dir schon gefallen lassen, roter Kommissar! Wende-Gewinnler, du! Vietnamesen-Schänder..."

"Professor!" Wegner stöhnte wie ein übergewichtiges Rennpferd beim Gewinn einer Frankreich-Reise. "Ich verstoße immerhin gegen ziemlich alle Dienstvorschriften, indem ich hier..."

"Mensch bin", sagte Haase und reckte den rechten Mittelfinger.

Um mich nur vor einem Profi zu blamieren, zog ich den Briefumschlag aus der Jackentasche und schüttete die Fotos auf die Bettdecke. Wegner machte aus dem dicken einen langen Hals, aber unser beider Dozenten-Schlumpf war trotz des Rippenbruchs schneller. Haase hielt die Aufnahmen dicht vor die Leselampe und kroch dann darauf zu. Etwa so komisch mußte diese Schlangenart aussehen, die sich seitlich vorwärts bewegte.

"Mußtest du dich unbedingt ins Bild drängeln, du Liedermacher", nörgelte Haase. "Später, in meinem Alter, wirst du jammern, wie alt du geworden bist, anstatt dich über das glitschige Euter zu freuen!"

"Polaroids halten sowieso nur paar Jahre, sagt man."

"Ach", fragte Haase und stierte die Fotos gleich noch einmal an. "Ach, jetzt noch einmal jung genug sein..." Vorsichtig hob er die Linke vor das Gesicht, um die Beweglichkeit seiner Finger zu überprüfen. "Nur einen Tag noch mal jung genug sein, um diese Ohren zu sezieren... Na, das gab es doch einfach nicht, bei uns!"

Wegner nahm ihm die Fotos ehrerbietig, aber mitleidslos weg.

"Naja", sagte er und grinste mir ins Gesicht. "Wenn sich Ihr Verdacht auf Mädchenhandel bestätigt, sind Sie mit diesen Beweisen natürlich wegen sexueller Nötigung dran, Herr Doktor Markow."

"Plädiere auf sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz", vermittelte Haase. "Merkst du ja, Marlowe! Dieser Probe-Sherlock gibt nichts auf deine romantische Theorie!"

Wegners Schulterzucken sollte wohl ein geringschätziges Bedauern signalisieren.

"Die einzige Unklarheit ist nach unseren Erkenntnissen, woher der Tote das Geld für den Mercedes hatte. Es ist weder über das private noch über das Geschäftskonto gegangen. Wofür bekommt ein Versicherungsangestellter hunderttausend in bar? Wenn Sie das wüßten... Andererseits haben wir aber bereits einen Verdächtigen, einen registrierten Autoschmuggler..."

"Nur seine Fingerabdrücke haben Sie", berichtigte Haase. Er drückte beide Hände gegen das aufgerichtete Kopfteil des Bettes, um ein Sitzen zu imitieren. "Fingerabdrücke aus dem Schrottwagen... Wir sind ja auch ehrlich zu dir gewesen, von Kommunist zu Kommunist."

Wegner zog die Augenbrauen hoch.

"Na, habe ich dir nicht gesagt, daß Marlowe Bullen noch nie leiden konnte? Und ich habe dir gesagt, wo er was ermittelt!"

"Aber keine Puffmutter muß Hausfrauen kidnappen, bei dieser Frauen-Arbeitslosigkeit", spielte Wegner endlich mit. Es war vielleicht ein Zynismus oder eine frauenfeindliche Zote, aber Beate rauchte außer Hörweite und mir wurde er dadurch nicht wenig weniger unsympathisch. "Leute! Wenn ihr mir damit kommen würdet, daß die Politabteilung der Roten Armee in Vlauwitz Daimlers gegen Komsomolzinnen tauscht, dann, vielleicht... Aber weder Bild noch meinen Chefs kann ich damit kommen, daß ein erfolgreicher deutscher Versicherungsangestellter seine Frau gegen das Auto einer erfolgreichen deutschen Marke... Sie ist ihm weggerannt, erstens. Das sagen der Stasi-Nachbar und der vom späteren Opfer kontaktierte Privatdetektiv aus. Und daß der Mann mit grauem Geld ein nicht gerade grünes Auto bezahlt hat, ist dann nicht zweitens, sondern ein anderes ?Erstens?! Und die Geschichte geht allerdings logisch weiter! Zweitens: der Mann wird im wilden Ost-Berlin erschossen, und zu guterletzt fährt ein erkennungsdienstlich behandelter Autoschmuggler die ökologisch bedenkliche Karre an eine polnische Eiche..."

"Und daß dieser Agent ein paar Stunden, bevor er sich entscheidend verbessert hat, mich auf seine Frau angesetzt hat?"

"Zufall", fragte Wegner interessiert.

"Oder ein Vorwand..." Haase versank in seinem Kissen und rutschte wieder unter die Decke. "Für irgendetwas... Daß er nicht mal sagen konnte oder wollte, warum er seine Ost-Frau zurückwollte, habe ich ja von dir! Immerhin gibt es jetzt Negerinnen, die sich echt melken lassen, Mensch!"

"Und wenn das alles ist..." Wegner warf meine Erinnerungsfotos Haase vor und stand auf. "Wir ermitteln jetzt gegen die Wodka-Connection, sozusagen. Die Hypothese ist, daß ein ehemaliger Ministeriums-Angestellter Geschäfte mirt den ehemaligen Freunden gemacht hat. In irgendeiner Krise hat er bei Ihnen, Doktor Markow, Schutz gesucht..."

"Was logischerweise schief gehen mußte", machte Haase seinem erfolgreicheren Schüler ein Abschiedsgeschenk.

"Jedenfalls paßten in dieses Puzzle sowohl der tote Panzerfahrer als auch der kaputte Mercedes... Auf Wiedersehen, und nicht im Leichenschauhaus, bitte!"

"Könnten Sie trotzdem..." Es war ein Abschied von meinem Traumfall, und er fiel mir schwer, aber ich hatte nun einmal nicht Magnums Erfahrungen im Einbrechen und keine sexy Freundin am Polizeicomputer. "Nur um den letzten Zweifel auszuräumen... Könnten Sie nicht mal bei den Eltern der Witwe nachfragen, wann sie zuletzt von ihrer Tochter gehört haben?" Wegner grinste triumphierend. "Bis zu dieser Adresse ist mein Klient nicht gekommen, Mensch!"

Wegner nickte knapp, ging und öffnete dann noch einmal die Tür.

"Wenn ihr uns nicht hättet..."

Ich setzte mich auf seinen Stuhl, um Haase meinen überflüssigen Bericht zu erstatten. Daß der Professor währenddessendie Fotos anstarrte, störte mich eigentlich nicht. Irgendwie waren sie ja das Greifbarste, was ich aus Vlauwitz mitgebracht hatte.

"Und", fragte ich schließlich.

"Tja... Wenn doch wir auf der heißen Spur sind", sagte Haase nachdenklich, "dann liegt das Verbrechernest nur bei Vlauwitz, durch die ganze ärmliche Szenerie getarnt..."

"Oder?"

"Oder... Willst du das wirklich hören?"

"Entweder... oder..., damit benennen wir immer mindestens zwei alternative Möglichkeiten."

"Oder die Dorf-Domina hat mit dir gespielt, vom Anfang bis zum Ende dieser Wahnsinnstitten", überlegte Haase und nannte die Stichworte. "Sizilien... Den Doktor kennenlernen... An den Computer fesseln... Kostenlos saufen und vorfühlen und kostenlos saufen... Zuckerschnaps und Peitsche! Das wird es wohl gewesen sein!"

"Es wäre besser gewesen, du wärest gefahren... Verstehe ich dich richtig?"

Haase drehte ein wenig müde den Kopf. "Sie hätten sich das Durchklopfen sparen können, dann! Nein, nein! Du hast das schon gut gemacht!"

"Und wer ist nun der Täter? Und vor allem: wer ist nun der Täter von was?"

"Gute Fragen", flüsterte Haase, war aber immer noch höhnisch. "In einem Kriminalfall sind das sogar die wichtigsten Fragen! Aber von einem Privatdetektiv einem reglosen Kranken gestellt, sind sie ausgesprochen dämlich!"

Haase legte die Zeigefinger- an die Daumenkuppe, und das ziemlich große Loch konnte nur entweder meinen Kopf oder das Verlangen nach Doris bedeuten.

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