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32.Als ich vor unserer ehemaligen Haustür nur bei Haase klingelte, atmete Beate wie eine entbundene Elefantenkuh auf. Seine Wohnung lag in derselben Etage wie Hannelores, aber vor Doris und dem Professor würde ich mich nicht als Sadist und Spießer zu erkennen geben. "Nimmst du mich einfach mit", flüsterte Beate eifrig, als wir mit dem Fahrstuhl nach oben fuhren. "Ich würde schon gern mal in so 'ne Show, und mit dir ist das doch sicher!" "Was soll ich mit zwei Terranos, hm? Dort und mit dir, da kann ich sicher sein, zwei zu kriegen. Oder als Schnäppchen 'ne Kugel zu fangen." "Papa! Ich bin sechzehn, so gut wie!" "Eben, das meinte ich ja." Ich klingelte noch einmal an der Wohnungstür, es schabte am Spion und gleich darauf tat Doris einen Freudenschrei. Sie klinkte nur kurz auf und lief davon, um uns anzumelden oder sich als Hausfrau umzuziehen. Haase thronte in seinem Fernsehsessel, von seinem medizinischen Korsett steif gehalten, und er prostete uns mit einem Bierglas zu. "Na, ihr verdammten Ästheten? Dollys blaues Blut mit so'm Zeug zu verdünnen und ihr außerdem allen Hurenkalk abzuraspeln..." "Wir haben auch Doris zu ihr gesagt", hielt Beate sofort dagegen. "Fast immer." "Ist ja gut, solange ich noch Schonzeit habe!" Doris kam tatsächlich in einem tiefblauen, sehr geschlossenen Hausanzug zurück, der seidig glänzte und weit teurer und aufregender aussah als ihr nackter Körper. Sie war zur Dauerwelle und beim Goldschmied gewesen, und Haase hätte sich durchaus formell bedanken können. Doris sah wie die zu junge Frau eines geilen alten Professors aus, die sogar am Warten auf die Erbschaft Spaß hatte. "Ich hätte morgen nach Bea gesehen, ehrlich! Stimmt's, mein Häschen?" Haase knurrte ärgerlich. "Wenigstens vor Leuten könntest du mich deinen Rammler nennen! Aber gut, daß du kommst, Marlowe! Ich habe nämllich zwei Nachrichten für dich." Haase schwenkte das Bierglas gegen Beates Gepäck. "Dolly! Siehst du nicht, daß Bea hier übernachten will?" Die Frauen grinsten einander an, schüttelten die Köpfe und verschwanden mit den Reisetaschen in die Schlafzimmer. Ich setzte mich brav in die Couchecke und zündete mir eine Zigarette an. "Es war definitiv nicht das KGB", sagte Haase. "Ach, ja? Hast du denn dort angerufen?" Haase steckte die Zunge zwischen den Zähnen vor, und trotz seines Zwergenmaßes erinnerte er mich irgendwie an den Kanzler. "Jeder kann das KGB anrufen!" "Klar, und sie antworten auch jedem ganz ehrlich. Wie das ja jeder Geheimdienst tut." "Jedem, der die richtige Nummer weiß... Und so ein jeder bin ich." Haase blinzelte und klopfte mit dem Zeigefinger an die Lippen. "Ich habe Andropows Niere gesehen, als der Rest von Andropow für den Rest der Welt noch lebte, und ich sage dir, sage dir noch vor Wegner: für offizielle sowjet..., also russische Stellen hat Huber nicht gearbeitet." "Und die gute Nachricht?" "Das war die gute Nachricht, Marlowe! Die schlechte ist, daß der Mercedes erstens wirklich an die Mafia gegangen ist, zweitens bei Omsk ein Panzer T 72 fehlt und in der Wüste von Fort Zinna zwei Portionen Panzermus zuviel lagen." "Das waren drei schlechte Nachrichten", erinnerte ich ihn, "aber zum Glück nicht alle für mich. Oder doch?" Haase puzzelte ein bißchen mit diesen Fakten, und nach nicht einmal zehn Minuten hatte Gabriele den Panzer samt tschetschenischem Fahrer gekauft, um damit zum Treffen mit den Schutzgeld-Kassierern einer nichtrussischen Mafia zu fahren. "Und so schlecht ist diese Neuigkeit nun auch nicht"; sagte Haase und angelte und öffnete mir eine Bierflasche. "Na, schließlich hat Beate den Panzerfahrer ja aus deinem Fenster geschmissen." "Durch mein Fenster, durch... Kennst du übrigens Dürrenmatt?" "Strittmatter? Den Schriftsteller?" "Jaja, Dürrenmatt. Den Strittmatter der Schweiz... Ungefähr so hat er mal geschrieben: eine Geschichte ist erst dann richtig erzählt, wenn sie die denkbar schlimmste Wendung genommen hat." Haase verzog die Mundwinkel nach unten. "Du willst mir unterstellen, daß ich diesen Dürrenmatter kenne? Daß ich nach vierzig Jahren im kommunistischem Leichenschauhaus nötig hätte, gerade den Texter der Milka-Kuh abzuschreiben? Aber für meinen Freund hältst du dich auch weiter, ja?" "Nein, nein, nein! Ich wollte dir sagen, daß ich dir diese beschissene Panzergeschichte bis auf das letzte Knöchelchen der überfahrenen Mafiosi glaube, und..." Es kostete mich einige Anstrengung, aber um des Effektes willen mußte ich die Bierflasche wenigstens zur Hälfte in einem Zug schaffen. "Und ich habe im Tagebau und in Notwehr einen großen Opel zu Schrott und vielleicht zwei Typen in kleine Stücke gefahren..." "Und sie decken das", freute sich Haase. "Das ist doch phantastisch! Dann kriegen wir sie ja endlich! Da haben sie den Bullen soviel zu erklären, daß selbst Wegner nebenbei auf die Sache mit dem Mädchenhandel kommen wird!" "Fein! Und deshalb denke ich gar nicht mehr dran, auch nur den Pfarrer von Vlauwitz schief anzusehen. Nicht mal die Jungferngeburt werde ich ihm anzweifeln." "Also... Darauf brauche ich 'n Kognak", sagte Haase. "Und die erste eigene Zigarette, nach diesem Boxkampf..." Auf dem Weg zum Barfach der Schrankwand stellte ich Haase den Aschenbecher auf die Thronlehne, und ich goß ihm vorsichtshalber einen dreifachen Napoleon ein. "Ich kaufe mir'n Fax", beschloß ich spontan. "Dann kann ich den Katalog auch von daheim machen..." "Das würdest du fertigbringen?" "Ja, das geht heutzutage... Ich faxe die Entwürfe, und Gabriele malt drin rum und schickt sie zurück. Das braucht nicht mehr Zeit, als ob ich bei ihr hocke... Und es hat einen entscheidenden Vorteil!" "Panzer fahren keine zwei Treppen hoch", folgerte Haase und kippte den dreifachen Napoleon wie einen halben Fürst Bismarck. "Ich meinte: du bringst das fertig, für Mädchenhändler zu arbeiten?" "Für mutmaßliche Mädchenhändler nur! Und dieses Mädchen, falls es überhaupt gehandelt wurde, war an die dreißig, Mann! Und der Katalog wird bezahlt, im Unterschied zu dem Sprung unter einen Panzer..." "Dann bist du kein Detektiv!" Nun prostete ich Haase zu, und aus den Tiefen der Ostpri- vilegierten-Wohnung brachte Doris gerade zur richtigen Zeit den Hefter mit den Kosten-Voranschlägen und die Blätter mit dem Lay out. "Du hast mich doch ziemlich gut kennengelernt, Doris? Würdest du mich da für einen Detektiv halten?" "Naja... Aber für keinen guten!" "Und singen kannst du auch nicht", meldete sich Beate zurück. "Obwohl das Liedchen ganz gut war, vorhin..." "Ihr könnt mich alle mal!" Doris lächelte, nahm den Kopf schief und schielte zu Haases Sessel. "Wenn der Professor es erlaubt, gerne!" Wahrscheinlich wollten sie mich nicht bewußt fertigmachen. Ich war es einfach, und in diesem Moment kam es nur hoch. Halbwegs konnte ich nur eine Sache, und selbst dafür wollte zur Zeit nur Gabriele bezahlen. "Na, schön, du Söldner", zischelte Haase. "Dann nimm zur Kenntnis, daß du mir noch Geld für den Monitor schuldest! Und die Skalpe der Kerle, die hinter deinem Rücken über Dolly sind, auf die du aufpassen solltest!" Ich war mir nicht sicher, ob Haase wirklich nur vom Rückfall in die Nikotinsucht so bleich war. Er leuchtete in seinem schwarzen Sessel wie ein weißglühender Gartenzwerg, und vor ihm bekam Doris rote Ohren und Beate größere Augen als der Wolf als Rotkäppchens Großmutter. "Und trotzdem, du Liedermacher, kriegst du von mir, du von mir, tausend Mark, wenn du mir das dreißigjährige Mädchen bringst!" "Habt ihr jetzt echt Probleme", fragte Beate. "Sag es mir, Professor! Ich kriege ihn bestimmt eher rum!" "Oh", freute sich Haase über die große Gelegenheit zur Erpressung. "Wir hatten nur eine kleine Meinungsverschiedenheit über den Mädchenhandel..." "Nur in Akzenten", kapitulierte ich. "Ich wollte ?ne dreißigjährige Witwe nicht ?Mädchen? nennen, was aber wirklich nicht bedeuten sollte, daß man sie meiner Meinung nach einfach verkaufen darf. Wirklich nicht!" "Sieh mal! Nur diese eine Sache mußt du noch rauskriegen: ob du jemanden umgenietet hast und sie die Leiche beiseite geschafft haben", handelte Haase. "Ein bißchen Zeit, um Wegner rumzukriegen, brauche ich so und so, und da ist am Besten, du bist dort! Dann werden sie besonders unvorsichtig sein, weil sie ja glauben, dich jederzeit umlegen zu können!" "Sie können das auch jederzeit tun!" "Ja, klar", brachte Beate ein bißchen ökonomisches Schulwissen ein. "Das ist das Risiko, und Gewinn ist der Ertrag des Risikos, sozusagen." |
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