14.

Zuletzt hatte mir Meister sogar eine Kalaschnikow borgen wollen und hatte Doris außer der Pistole auch noch einen alten Toyota überlassen, damit sie Beate zur Schule bringen und den Schuleingang bewachen konnte. Dabei sah Doris am Morgen danach nur noch wie eine mißhandelte Ehefrau aus, und die Killerbiene Beate spielte die Pazifistin und Karate-Tigerin.  

Am Verrücktesten war freilich, daß ich mir Vlauwitz vorgenommen hatte, ohne zu wissen, warum. Auch auf der Fahrt dorthin fiel mir keine vernünftige Erklärung ein, und dabei hielt ich mich sogar an sämtliche Geschwindigkeitsbegrenzungen, Überholverbote und ähnliches..

Gerade eine Arbeitshypothese bekam ich hin: während Frieder Huber am Rand der Schnäppchenfahrt einen Mercedes gekauft hatte, war seine Frau entführt worden. Logisch wäre zwar gewesen, wenn Huber das Geld nun für Lianes Freilassung ausgegeben hätte, aber es gab ja auch diesen Witz: Hunderttausend Mark oder wir lassen ihre Schwiegermutter wieder frei.

Ich fuhr wieder von der Tagebau-Seite her in das Dorf, und obwohl es an einem späten Vormittag war, sah Vlauwitz so verschlafen wie um Mitternacht aus. Allerdings bellten die Hunde nicht, und die Leuchtschrift des Bordells war nicht eingeschalten.

Seinen großen Parkplatz unterhielt der Deutsche Hof allerdings auch tagsüber zu Recht. Nun standen dort fünf große Reisebusse, und statt Cindy Lauper begrüßte mich Heino mit blauem Enzian.

Vor den Foto-Kästen standen zwei ältere Männer, die sofort die Köpfe zu schütteln begannen, als sie mich aussteigen sahen.

„Der Eingang“, fragte ich von weitem.

„Um die Ecke“, rief der Jüngere der beiden und wedelte eifersüchtig mit dem Arm. „Aber es geht schon eine Stunde!“

„Drei Stunden sind mir auch genug“, sagte ich und zupfte an der Lederjacke, die nur knapp über die Pistolentasche reichte. „Und viel Spaß... In Vlauwitz, meine ich!“

Auch der Seiteneingang, der in die ehemalige LPG-Kantine führte, hatte seinen Türsteher. Er ließ mich nur in die Aluminium-Glas-Schleuse.

„Ja, bitte?“

„Ich wollte was essen. Wenn Sie mich also für ein Bauernfrühstück plazieren würden...“

„Sind Sie für eine unserer Reisen angemeldet“, fragte der Nachwuchs-Rentnerfänger. „Dann dürfen Sie selbstverständlich hier rein! Obwohl... Die wirklich vorteilhaften Angebote unseres Unternehmens sind diesmal mehr für unsere Senioren und Seniorinnen bestimmt, die ja auch den Großteil unserer Reisegruppen stellen.“

Ich hätte dieses Modell für Pickelcreme, Mundwasser und den Aufschwung Ost auch ohne den gelben Karate-Gürtel beiseite schaffen können, aber ich wollte ja an seine Hintermänner.

„Ich weiß“, sagte ich darum ebenso freundlich. „Eigentlich wollte ich Raub- und Lustmörder studieren, aber dann haben sie mich in der Berufsberatung auch auf Direktmarketing umgelenkt. Das ist dasselbe, nur viel einträglicher, nicht?“      

Der Mann hatte Mühe seinen Unterkiefer aufzufangen, und obwohl ihm sein Rhetorik-Trainer das garantiert als geschäftstötende Unsicherheitsgeste vorgemacht hatte, rückte er an seiner Berliner Olympia-Krawatte und zupfte er an den Manschetten des Billig-Anzugs.

„Ich darf Sie dann doch bitten, den Eingang freizumachen“, sagte er vorsichtig.

„Erraten, Kumpel“, verpaßte ich ihm noch eine Zappelrunde. „Ich wollte nicht zu den Omas, sondern zu den Nutten. Die Bilder mußt du doch gesehen haben, drüben! Bloß die Tür ist zu! Die Tür zu den offenen Mösen ist zu... Komisch, nicht?“

Außer, daß er wieder putzig zappelte, bekam der Jüngling nun auch noch rote Ohren, aber er rief noch immer nicht nach dem Pappi.

„Und die Opas beim Einsteigen lieber zweimal zählen, Kleiner! Am Ende hat sich einer verklemmt!“

„Was... Was wollen Sie eigentlich? Das ist ein ganz legales Geschäft, Sie... Sie...!“

„Auch bei legalen Geschäften kann sich mal wer verklemmen“, sagte ich weise, klopfte ihm an die zuckende Schulter und drehte um.

Irgendwie fühlte ich mich high. Wenn ich den Pfarrer und den Gebrauchtwagenhändler auch so beeindruckte, konnte ich um zwölf auf dem Parkplatz High noon geben. Es war eine riskante Methode, im Minenfeld Lambada zu tanzen, aber ich hatte ja auch noch zwei Ersatzmagazine in der Tasche.

Den Gebrauchtwagen-Handel von Vlauwitz hatte ich auf der Nachtfahrt übersehen, weil er auf dem Friedhof stattfand. Trotzdem warb er wie jeder neumodische Schrottplatz mit neuen TÜV-Plaketten für alle Fahrzeuge. Auch das Versprechen großzügiger Inzahlungnahme und günstiger Finanzierungen war nichts besonderes.

Ich bemühte mich wie jemand umzugehen, der nicht gerade einen Jeep losgeschlagen hatte, und beim Verstecken der Pistole kam ich auf die Idee, den Kugelschreiber und irgendeinen Musterungsbescheid der Heilsarmee aus den Innentaschen zu holen. Vor einem dunkelgrünen Toyota Tercel blieb ich stehen und begann, die Tafel auf dem Armaturen-Brett abzuschreiben.

„Guten Tag!“

„Tag, Hochwürden!“

Der Händler war ein bißchen zu eifrig, fand ich, und er sah nicht wie ein Mann aus, dem ich einen Gebrauchtwagen abkaufen würde. Er kam wie eine verkalkte Ballerina auf mich zu, aber er war im selben Rhetorik-Kurs wie der Rentner-Fänger gewesen. Er breitete die Arme aus, um Vertaulichkeit und eitle Freude über sein eher schmales Angebot zu signalisieren.

„Es stört Sie doch sicher nicht, daß ich Atheist bin, Hochwürden?“

„Sagen Sie doch einfach Krause!“

„Krause?“

„Ja, das bin ich! Und die Toten sind natürlich längst umgebettet.“

„Natürlich“, sagte ich, obwohl ich es nicht für natürlich hielt, die verstorbene Verwandtschaft mit auf Schnäppchen-Touren zu nehmen.

„Der Tagebau, Sie verstehen! Ohne die Wende wäre das alles schon weg.“

„Verkaufen Sie wirklich Autos“, fragte ich sehr direkt. „Na, ich meine: in Ihrem Dorfgasthaus habe ich ja auch nichts zu essen gekriegt.“

Krause zuckte die Schultern und tanzte um mich herum. Er tat, als wolle er mir den Blick auf seine Rostlauben räumen, und putzte an Klinken und Spiegeln, und während er mir vom großen Interesse der umwohnenden ehemaligen Bauern und Bergleute schwärmte, drängte er mich immer mehr zur Mitte des Friedhofs. Ich rechnete fest damit, daß jeden Augenblick meine verpaßten Besucher auftauchten, und stand deshalb ganz überrascht vor einem schneeweißen Nissan Terrano.

„Aua“, sagte ich ehrlich. „Da gebe ich Ihnen glatt meinen Passat in Zahlung und bringe meine Erbtante um. Einverstanden?“

„Setzen Sie sie lieber rein“, sagte Krause stolz. „Na, nicht die Erbtante! Eine Freundin, Ihre Frau...“

Wenn das ein Witz sein sollte, dann war es ein gut gespielter Witz, und ich lachte kurz und schielte zwischen Krause und zwei Platanen hin und her. Hinter den Bäumen schimmerte weiß das Dorfbordell, Hubers Mercedes war von hier aus nach Polen gefahren und das allwissende Schmuddelkind hatte Liane Huber nach Afrika verkauft.

„Wie alt“, fragte Krause.

„Der Passat“, fragte ich und versuchte, ein überzeugendes Lachen hinzukriegen. „Denn meine Frau kennen Sie ja nicht, Sie Glückspilz! Unwürden, sozusagen,  Krause...“

„Die Würde eines Gebrauchtwagen-Händlers ist sein Scheckheft“, lenkte nun auch Krause ab. „Ich kann mir die Karre ja mal ansehen!“

„Unverbindlich“, sagte ich eilig. „Ich müßte ja wirklich erst mit meiner Frau reden... Aber ‘ne schöne Maschine ist das schon!“

„Und wirklich günstig! Obwohl die Bauern hier über den Preis mosern...“

„Und die Bergleute...“

Krause tanzte neben mir her über die Dorfstraße und auf den Parkplatz, und ich erwartete jeden Augenblick, daß er auf die Schuhspitzen ging und den sterbenden Schwan machte.

„Berlin“, las Krause das Nummernschild. „Aber von außen ganz in Ordnung... Machen Sie mal die Motorhaube auf!“

Ich stellte mich neben ihn, und wie ich es von einer Ballerina nicht anders erwartet hatte, faßte der Mann nicht das kleinste Teil an. Umso länger machte er den Hals, umso lauter schnüffelte er.

„Lassen Sie mir die Adresse hier“, sagte Krause. „Ich rechne das alles mal durch, und...“

„Tag, Krause“, unterbrach ihn Zarah Leander. „Guten Tag!“

„Gabi“, freute sich Krause und strahlte mich an. „Unsere Bürgermeisterin!“

Ich hätte wohl auch Gabi gewählt. Sie sah wie eine spätblühende Parteisekretärin aus: groß, noch ein wenig älter als ich und mit strengen Falten um den Mund. Die stalinschwarzen Brauen waren mit der Pinzette zu aufstrebenden Bögen diszipliniert, deren grauer Schatten auf den Lidern silber endete, und in Gabis auf- und nach hinten gekämmten Kunstlocken schimmerte die Vergangenheit rötlich.

„Wir haben selten Besuch aus Berlin. Jedenfalls tagsüber... Kann ich Ihnen irgendwie helfen?“

„Tja, ich muß dann wieder“, übergab mich Krause an die Dorf-Obrigkeit, und er kam nur zögerlich zurück, als ich ihm hinterher pfiff, um endlich mal eine von meinen Vistenkarten loszuwerden. „Und Sie hören von mir, Herr... Herr Markow!“

„Er ist mir empfohlen worden“, sagte ich und drückte die Motorhaube zu. „Und außerdem bin ich...“ Ich ging noch einmal an die Kassetten-Schachtel, in der ich die älteren Karten aufbewahrte.

„Dr. Michael Markow“, las die Bürgermeisterin vor. „Texter, freier Werbeberater also... Fahrradverleih.“

„Auf Rügen!“

„Gabriele Herrmann“, stellte sich die Bürgermeisterin vor. Sie hielt den Kopf ein wenig in den Nacken gebeugt, um mich über die Backen ansehen zu können, ein wenig von oben herab. „Sie sollten auch mit mir in Kontakt bleiben, Doktor Markow. Aus den Tagebauen werden einmal Seen werden, und dann brauchen wir bestimmt Werbetexte und Fahrräder. Sie haben eine gute Nase, doch!“

Es war primitiv, wenn alle möglichen Magazine und Videos eine Domina immer in Leder verpackten. Das dunkele blaue Kostüm und die großen Chrom-Ohrreifen der Bürgermeisterin brachte denselben Effekt, und weil sie am hellichten trüben Tag und in der Öffentlichkeit eines ausgestorbenen Dorfes zu tragen waren, wirkte das sogar noch stärker. Ich schob beiseite, weshalb ich eigentlich gekommen war, und überlegte krampfhaft, wie und wohin ich diese Frau zu einem Kaffee einladen konnte.

„Abends ist hier schon Tourismus, nicht“, fragte ich ziemlich unpassend und verbog den Kopf zum Eingang des Bordells.

Lieder und Fotos
Whisky
Neubau
KGB & Allianz
Marketing
Vlauwitz
Die 2. Leiche
Der Klient
Lesbische Chaoten
Der Stasi-Kristall
Schnäppchen Tours
Dolly
Heimsuchung
Nissan Terrano
Intensivstation
Bad Kleinen
Das Bein
Sizilien
Gabriele
Der Dorfchirurg
Im Kreml
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Der Kommissar
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Shutschka
Auto-Handel
Show
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Die Gnädige
Maulkorb
Rimbaud
Der Tausender
Ein Werwolf
Quizz
Dorfgeschichte
Besichtigung
Im Bett
Die Nackte Lust
Villon