35.

Sie war keine Rentnerin. Sie hatte auch noch nicht im Wartezimmer gesessen, und als ich ihr die Tür aufhalten wollte, wich sie in den kleinen Korridor aus.

"Sie sind kein Zahnarzt", sagte sie kennerisch.

"Nein?"

"Sie sind vom Finanzamt oder 'n Immobilien-Verbrecher oder so... Jedenfalls hat Gabriele vor Ihnen gewarnt."

Sie war jung, aber fast quadratisch, und ihre Frisur hatte den Dorf-Friseur in den Ruin getrieben. Sie sah so selbstgemacht aus wie das graubraune, sackartige Kleid.

"Vielleicht bin ich ja auch von der Polizei?"

"Das könnte auch sein! Das wäre auch logisch... Ich bin Sabrina, Sabrina Moser. Und mein Vater war hier Volkspolizist, vor..."

"Verstehe schon! Markow, Michael. Doktor Michael Markow... Aber meine Freunde nennen mich 'Marlowe', nach..."

"Verstehe schon!"

Sabrina Moser sah sich in Heikes kleinem Korridor um, als sei ihr Vater noch im Amt und sie in eine Verschwörung des Volkes geraten.

"Und wegen wem sind Sie hier?"

"Nicht 'wegen was'?"

Sabrina Moser kicherte kurz, höhnisch. "Was ihnen passiert ist, ist ja immer dasselbe."

"Darüber müssen wir uns mal unterhalten, in Ruhe."

"Bei uns, ja? Oder gleich bei 'nem Kognak im Fickbunker? Sie meinen, wenn eine schon so aussieht wie ich, sollte sie wenigstens lebensmüde sein?"

Ich durchsuchte die Jackentaschen eifrig nach der Zigarettenschachtel, aber vielleicht wurde Erik auch zum Nichtrauchen gezwungen und hatte sich bei seiner Transportarbeit heimlich bedient.

"Sie haben doch das Motiv, Sie Marlowe! Das Motiv und fünf Leichen..."

"Fünf", fragte ich skeptisch.

"Fünf Einheimische. Angeblich gibt es im Tagebau außer dem Panzer auch noch einen Schrott-Jaguar von der Mafia. Und nach der fünf kommt die sechs, und das möchte nicht ich sein, klar?"

Sabrina Moser bewegte sich entschlossen auf die Tür des Wartezimmers zu, aber wahrscheinlich war ich schon ein bißchen süchtig nach unsanften Begegnungen mit dem angeblich schwachen Geschlecht. Ich drehte mich ihr in den Weg.

"Das Motiv habe ich gerade nicht!" Ich zog das Portemonnaie und fingerte die Karte heraus, auf der ich völlig harmlos war. "Schreiben Sie mir halt! Oder ist der Postminister auch in dieser Verschwörung?"

"Texter", las Sabrina Moser halblaut. "Na, dann schreiben Sie doch mal was über die Veteranen unseres Aufschwungs! Von der Tellerwäscherin in der Dorfkneipe zur erfolgreichen Sklavenhalterin, Das Lied von tödlicher Rache oder so."

"Gabriele?"

"Nein, Sabrina bin ich. Sabrina Moser!" Sie faßte an mir vorbei nach der Klinke, und ich gab nach, weil ich eben nur ein bißchen süchtig nach Gewalt war.

Bevor sie sich über mich hergemacht hatte, hatte Heike eine halbe Pizza verdrückt, und der Rest lag kalt geworden auf dem zweiten Teller bereit. Rotwein war eingegossen, und sogar meine Zigarettenschachtel und das Feuerzeug in der abgegriffenen Lederhülle bekam ich zurück. Es war die Küche unseres desillusionierenden Frühstücks, aber Heike hatte getan, was sie konnte, um das zu tarnen.

Ich war gerade bei der zweiten Zigarette, als Heike noch einmal herein sah, im blaßgrünen Kittel und mit dem Stethoskop um den Hals.

"Ach, immerzu dieses Dörrfleisch!"

"Habe ich gesehen..."

"Dörrfleisch und nun noch Sabrina!"

"Was?"

"Du kennst Sabrina Moser nicht? Unsere Paranoia tremens? Hypochondrisch, grün und feministisch lila."

Ich trank einen Schluck Rotwein und machte einen tiefen Lungenzug, um meine Arglosigkeit konzentrierter spielen zu können.

"Krause kenne ich, Gabriele... Dich und den Schweinekastrierer, Erik, eine verrückte Gräfin, Laabs und die Titten der Nackten Lust. Ich meine: das ist nicht wenig, besonders letzteres nicht... Aber ansonsten bist du mit dem Dörrfleisch nicht schlecht dran. In punkto soziale Kontakte..."

"Na ja", sagte Heike ebenso falsch. "Es ist halt nicht viel los hier!"

"Tagsüber..."

Heike seufzte. "Ich war dumm, den Morgen, ja! Ich hätte dich lieber ans Bett fesseln sollen! Für diese Pausen..."

"Tja, darüber mußt du dich nun mit Gabriele einigen!" Ich drückte die Zigarette aus, stand auf und stellte mich hinter Heike, um ihr die immer noch überenge Hose gegen den Hintern zu drücken. "Sie will mich an ihren Computer fesseln, nämlich."

"Fesseln, das ist bei ihr keine Metapher, Süßer! Und ich hab das Gefühl, daß das der Grund ist", flüsterte Heike und schob ihre Hände zwischen sich und mich. "Sabrina wird den Blutdruck auf irgendein Gift schieben, das nicht ihr Fett ist... Und Laabs will mich bei den Verkaufsveranstaltungen dabei haben, für alle Fälle. Aber dann wäre es schön, wenn nichts mehr zwischen uns wäre!"

"Wenn zwischen uns nichts mehr wäre?"

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