![]() |
||||||||||||||||||||||||||
|
11.„Ja“, meldete sich der Stasi-Mann über Hubers leerer Wohnung. „Tag, Genosse Siebert! Hier ist Markow! Erinnern Sie sich noch?“ „Sie kommen mit dem Roman nicht weiter?“ „Exakt! Ja, und falls die Witwe nicht plötzlich zurück ist, wollte ich...“ „Ist sie nicht.“ „Dann wollte ich Sie fragen... Es ist vielleicht blödsinnig, aber ich wollte Sie fragen, ob Sie sich an diese Reise erinnern... Nach Bayern... Solche Zettel stecken doch immer in allen Briefkästen.“ „Aber eben auch immerzu!“ Siebert schnaufte ärgerlich. „Na, gut, warten Sie! Meine Frau sammelt diese Prospekte, um mir zu zeigen, wo überall wir noch nicht waren und welche Geschenke wir uns entgehen lassen.“ Während er seine Frau oder die Werbe-Biblio- thek suchte, starrte ich wieder auf das Foto der Verschwundenen. Mit Beates Augen, dem lesbischen und dem chaotischen, gesehen, war Liane Huber von den Männern ud vom Sozialismus enttäuscht, und nun fielen mir zum ersten die Rehfarbe der Augen und der Sommersprossen auf. Hoffentlich zu einer Zeit, in der die Ozonschicht noch in Ordnung gewesen war, hatte sich die Verschwundene im Dekolleté der FDJ-Bluse kross braten lassen. Die heißeste Body-Painterin hatte ihr Punkt für Punkt einen Schmetterling verpaßt, der aus dem Busen kroch und zugleich abhob. Ich verdrehte die Augen, als ich mich dabei erwischte, mich beim Telefonieren zwischen den Beinen gerieben zu haben. „Schnäppchen Tours“, sagte Siebert plötzlich. „Die waren es! Und wenn Sie mal ‘nen Tagebau besichtigen wollen, sage ich Ihnen die Nummer!“ „‘n Tagebau kenne ich! Da habe ich als Pennäler mal in den Ferien sozialistische Katastrophe geleistet. Aber die Nummer hätte ich gerne!“ „Und wir sind einmal mit, mit Schnäppchen Tours! Zwei Stunden Sächsische Schweiz, nach vier Stunden Verkaufsveranstaltung!“ „An der Sie doch gar nicht teilnehmen mußten!“ „Aber wo hätten wir hin gesollt? Rechts ein Tagebau, links ein Tagebau, eine geschlossene Kirche und ein Gebrauchtwagenhandel... Mehr ist nicht dran an Vlauwitz, wie der Name schon sagt.“ „Wie?“ „Wie der Name schon sagt“, wiederholte Siebert. „Und vorher haben Sie ‘Vlauwitz’ gesagt?“ Ich legte den Hörer auf, weil ich in der rechten Hand das Foto hatte und dringend eine Zigarette brauchte. Das Muster der Verkaufsveranstaltungen hatten wir in meiner Umschulung zum arbeitslosen Werbefuzzi bis zum Erbrechen durchgekaut, und einen Scheidungsgrund sah ich darin noch immer nicht. Wenn ich aber übersehen hätte, daß dem Verschwinden von Liane Huber eine Fahrt nach Vlauwitz gefolgt und dem Besuch von Frieder Huber eine Fahrt nach Vlauwitz vorausgegangen war, hätte ich mir gleich eine andere Existenz gründen können. Zum Beispiel als Moderator von Verkaufsveranstaltungen. „Er hat dich im Tagebau verscharrt“, sagte ich zu Frau Liane Huber. „Und als er Nachgucken war, warst du verschwunden, und deshalb ist er zu mir gekommen! Richtig?“ Ernsthafter war dieser Verdacht nicht, aber es war der einzige Anhaltspunkt, den ich hatte. Ich ging in das Kram-Zimmer und schaltete den Recorder ein, aber die Batterien waren zuweit herunter. Nach dem Netzkabel mußte ich eine ganze Weile suchen, und ich verfluchte Beates Ordnungsfimmel, obwohl ich die Strippe bestimmt auch vorher nicht sofort gefunden hätte. Das Kabel lag sogar durchdacht auf der kaputten HiFi-Kompaktanlage, aber inzwischen war zuviel Zeit vergangen, als daß ich noch einmal bei Siebert anrufen und glaubhaft das Staatsmonopol Telekom beschimpfen konnte. Ich stellte den Recorder auf den Schreibtisch, steckte und schaltete ihn an und nahm mir wieder das Farbfoto vor. „Wir hatten das beste Verhältnis“, erinnerte sich mein toter Klient. „Jedenfalls bis zur Wende... Daß ihr Institut zugemacht hat, hat sie einfach nicht so einfach verkraftet. Und meine Termine und Anrufe... Man kann es ja zu etwas bringen, in der Branche, wenn man entsprechend rotiert. Na, ja... Und die Miete muß bezahlt werden, und ein großes Auto mußte es auch sein... Aber davon abgesehen...“ Wenn Siebert die Wahrheit gesagt hatte, hatte mein Klient also gelogen, und ob ich wirklich nicht weiterkam oder ob der Magen nur zu laut protestierte, bekam ich nicht mehr heraus. Jedenfalls war mir die Zigarette bis an die Finger heruntergebrannt, und als ich nach der nächsten langte, war die Schachtel leer. Entsprechend schlimm sah der Aschenbecher aus, und als ich in die Küche ging, um ihn in den Mülleimer auszukippen, war mir der Kühlschrank doch viel näher als die Lösung des Falls. Ich setzte Wasser für den Synthetik-Kartoffelbrei auf, stellte den Tiegel auf die Herdflame und holte die Fisch-Stäbchen aus dem Tiefkühl-Fach. Außerdem war es höchste Zeit etwas zu essen, was beim Training nicht wieder hoch kam. Murads Gesicht wollte ich schon sehen, wenn sich Beate ihm als seine beste Schülerin vorstellte, und vor diesen Augenblick hatte Edzard Reuter noch den Nachmittagsstau gesetzt, und nach Victoria würde ich auch wieder einmal sehen müssen. Victoria war meine Tochter, die nach Hannelore kam, und deshalb stieß ihre Begeisterung gleich nach dem Begrüßungs-Küßchen an Grenzen. „Wenn du in solchen Hosen zu einem Personalchef kommst, Papa, dann kriegste nie einen vernünftigen Job!“ „Ein schlaues Kind bist du“, sagte ich und holte die beiden Überraschungseier aus der Jackentasche. „Wenn du so weiter machst, wirst du bestimmt auch mal Heiratsvermittlerin.“ „Besser als ‘n Knasti“ sagte Victoria und setzte sich wie zum Bewerbungsgespräch vor die Überraschundseier, sehr gerade und die Beine neben- statt übereinander. „Stimmt das, daß Bea einen Asylanten umgelegt hat und die Würstchen nur noch in Scheiben kriegt, im Knast?“ Ich stöhnte. „Wenn du so weitermachst, wirst du nicht nur Heiratsvermittlerin, sondern Jugendministerin... Und eher war das schon ein Skinhead, und das ganze ein Unfall.“ Victoria schüttelte das erste Plasteei dicht an ihrem Ohr. „Ein Dino? Doch, könnte sein!“ „Und ich liebe dich trotzdem!“ Ich legte Victoria eine Benjamin-Blümchen-Kassette in den Video-Recorder, drehte ihr die Cola-Flasche auf und schlich dann zur Kinderzimmertür. Beates Bett war noch bezogen und das Bücherregal war noch nicht ausgeräumt, aber insgesamt sah das Zimmer nicht mehr nach einer Plantage für schwarze Jeans und Spitzenblüschen und abgerissene T-Shirts aus. „Hier kommt bald ein absolut geiles Schlafzimmer rein“, ermordete mich Victoria rücklings. „Mit Fellen und Spiegeln... Und ich kriege das kleine Zimmer! Schade, aber ja allein, andererseits! Und Onkel Rolf kauft mir ein Hochbett“ „Weil er immer gebügelte Hosen und deshalb einen vernünftigen Job hat...“ „Quatsch! Er ist doch Mamas Compagnon“, sagte Victoria. „Und sagst du Bea nachher, daß sie die absolute Heldin ist, in der ganzen Penne? Und wieso zerschneiden die im Knast die Würstchen schon vor dem Kochen?“
|
|