9.

Als das Telefon wieder klingelte, war es mitten in der Nacht, und ich stieß mir den Kopf am Gitarrenkoffer, stolperte über meinen gesammelten Sozialismus und stieß mir die Schulter am Türrahmen.

Natürlich war dieser kleine Selbstmord unsinnig. Auch wenn es nicht ihr erster gröberer Alkohol-Mißbrauch gewesen war, mußte Beate auf und zwischen beiden Ohren ausreichend taub sein.

„Hier ist die Zeitansage“, brummte ich. „Es ist soeben...“

„...eins durch, genau“, schimpfte Hanne.

„Solange verkuppelst du inzwischen unsere guten Ost-Frauen an kapitalistische Lustgreise?“

„Es ist eins durch, und Beate ist immer noch nicht zu Hause!“

„Das ist doch ganz logisch, Mensch! Sie liegt ja auf meiner Couch.“

„Und?“

„Und sie ist ein bißchen blau“, sagte ich.

„Und? Na, hat sie dir nichts gesagt?“

Ich holte tief Luft, weil die Hanne, die ich gemocht hatte, diese Offenbarung nicht überlebt hätte. „Sie ist hierher gekommen, hat einen Gorilla aus dem Fenster geworfen und hat zu trinken angefangen. Das war es eigentlich.“

„Sie hat dir nicht erzählt, daß sie lesbisch ist?“

„Warum sollte sie sowas erzählen“, fragte ich und gähnte herzlich.

Hanne kreischte verzweifelt auf. „Doch weil sie eine Lesbe ist! Und nicht irgendeine, sondern eine kommu..., chaotische!“

Ich behielt den Hörer am Ohr, während ich über Beate hinweg nach der Zigarettenschachtel und dem Feuerzeug angelte.

„Hanne, Hannelore“, sagte ich und verschluckte mich an diesem Namen und am Rauch. „Bestimmt meinst du masochistisch, Hanne! Und dann hast du mich bestimmt nicht verstanden! Deine ältere Tochter hat heute mittag einen Typen umgebracht. Aber mach dir keine Sorgen, ja? Ich lasse sie ausschlafen, und dann kommt sie heim!“

Ich legte den Hörer einfach auf, quälte mich auf die Knie und tastete auf dem Teppich nach der Steckdose der Leitungsverlängerung.

Daß die Liebe von Achtzehnjährigen keine achtzehn Ehejahre überlebte, war einigermaßen normal, und daß Hanne mit dem alten Engagement und in neuem Out fit nun reiche Rentner betreute, hätte ich trotz der vielen Abendtermine aushalten können. Unerträglich war mir geworden, daß sie bei jeder Gelegenheit die Hannelore machte und wahrscheinlich als Angela Merkel enden würde. Dazu kam, daß inzwischen Hanne den Großteil unseres Geldes verdiente, woran mich freilich nur störte, daß sie davon unnötig viel an wahrlich nicht bedürftige Friseure, Stylisten und Visagisten verteilte. Außer den Freizeiten Beates, die aussah wie Hanne als FDJ-Sekretärin, gab es also nichts mehr, was wir am Telefon klären konnten.

Im Aufstehen rammte ich das Whisky-Faß auf meinen Schultern gegen den Schreibitsch, und weil ich in einem Fleck Vollmond das Foto sah, ging ich eben mit Liane Huber auf die Luftmatratze.

Obwohl die Rohstoffe und Beate im Hause waren, mußte ich auch das Sonntagsfrühstück machen, und als es auf dem Couch-Tisch stand und ich vorsichtig an ihrer Schulter rüttelte, bedankte sich Beate mit dem Killerblick eines Angora-Kaninchens.

„Wieviel muß man denn nun trinken, um Notwehr plus Unfall zu vergessen“, fragte Beate umso kläglicher. „Au, Mensch! Sogar geträumt habe ich von diesem Scheiß-Skin!“

„Es war keiner“, sagte ich. „Es war ein kleiner Gangster, der die Sprüche von der Bedeutsamkeit und den Erfolgsaussichten der Existenzgründer so ernst genommen hat wie deine Mutter.“ Ich hustete den Kaffee bis auf die Steppdecke. „Oder... Oder es war mein zweiter Klient!“

„Hannelore“, stöhnte Beate.

„Hat angerufen.“

„Und? Na, hat sie dir nichts gesagt?“

„Ah, ja! Genau so hat sie gefragt!“

Ich sah Beate lange an. Selbst ihr Katergesicht hatte diese schmalen, aber deutlichen Backenknochen und ein eckiges Kinn, und mit der scharfen, wie gebrochenen Nase, albino-bleich und mit ihren Indianerhaaren sah sie wirklich ein bißchen autonom aus.

„Und? Bist du lesbisch? Na, ich meine: mehr im Kopf, mehr hormonell oder nur, weil die taz das modern findet?“

„Und du“, fragte Beate und schielte über den Rand der großen Kaffeetasse. „Bist du jetzt gemein oder tolerant? Und hättest du was dagegen, wenn ich zu Ute ziehen würde?“

„Zu deiner Chaotin?“

„So chaotisch wie in deiner Wohnung sieht es bei Ute noch nicht mal beim großen Molli-Mixen aus! Papa!“

Ich kaute das Schinkenbrot wie medizinisch vorgeschrieben, um die pädagogische Entscheidung aufzuschieben. Einerseits würde Beate aus Anlaß des sechsundzwanzigsten Todestags von Che Guevara sechzehn werden, und andererseits war Ute bestimmt schon sechsunddreißig.

„Ich gehe rüber zu Meister“, verlängerte ich meine Bedenkzeit, „duschen!“

Meister hatte eine Wohnung im Haus gehabt, bevor er für einen Mercedes-Vorzugspreis die Genehmigung bekommen hatte, den Talkessel aus unseren drei zweiten Hinterhöfen für seinen nur leicht getarnten Schrottplatz zu pachten. So konnte ich duschen und würde ich mich im Winter an Meisters Etagen-Heizkörpern aufwärmen können, ohne daß die Wohnungsbau-Gesellschaft mein Büro als Vollkomfort-Gewerbefläche berechnen konnte.

Was dagegen der Vorteil war, den sich Meister aus unserer Kumpanei versprach, hatte ich noch nicht ganz heraus, aber ich fing ja mit dem Detektiv-Spiel ja eben erst richtig an.

„Dein Schwein möchte ich haben“, flüsterte Meister durch den Dusch-Vorhang.

„Ich weiß ja nicht genau, was zwischen euch war“, mißverstand ich ihn. „Aber daß du Bea eine Sau nennst, möchte ich nicht! Und ich habe vor allem nicht vor, sie zu verkaufen.“

„Idiot!“

„Doktor Id., wenn schon! Nee, laß mal! Ich kann dich ja verstehen!“

„Du, wenn die mal ‘n Job braucht...“

„Okay! Danke... Aber erst mal braucht sie die mittlere Reife und das Abitur!“

„Die mittlere Reife“, sagte Meister nachdenklich. „Du, Sherlock Holmes! Wenn das rauskommt, sind wir beide dran...“  

„Verführung und Duldung der Verführung einer minderjährigen Killerbiene, ich weiß!“ Ich drehte das warme Wasser ab und blieb einen Augenblick unter dem kalten Rest stehen. „Keine Sorge! Eine Bekannte von ihr, Ute, wird beeiden, daß Bea total andersrum ist!“ Ich streckte die Hand nach dem Handtuch aus.

„Lesbisch? Ich sag ja: dein Schwein möchte ich haben!“ An meiner Hand vorbei reichte mir Meister das Handtuch hinter den Duschvorhang. „Du, wo hast du sie eigentlich her? Können wir da nicht mal hin?“

Als ich wieder in meiner Büro-Wohnung war, hatte Beate unter dem Vorwand des Aufräumens eine Haussuchung durchgeführt und trank bereits wieder Kaffee. Neben ihrer Tasse hatte sie meine sechs Porno-Magazine gestapelt und starrte in das oberste.

„Deine neue Hannelore“, fragte Beate. „Wann stellst du uns mal vor?“

„Das ist mir zu riskant, seit heute morgen“, sagte ich und schielte nach dem Gegenstand ihrer Begeisterung.

Zwischen die Seiten, auf denen meine schwarze Belinda als Wendy zwischen zwei Weißen klemmte, hatte Beate das Foto von Liane Huber gelegt.

„Und ist sie schon wegen dir so fertig? Hat sie wohl auch ein bißchen Ordnung machen wollen?“

„Fertig?“

Ich nahm das Foto und nahm es dicht vor die Augen. Für eine Witwe sah Liane Huber immer noch jung und unternehmungslustig aus, und die schmuddelige Jung-Terroristin hatte recht gehabt: aus Frau Huber wäre problemlos eine verkaufte Braut zu machen gewesen. 

„Sieht sie denn fertig aus?“

Beate zuckte die Schultern. „Naja, vielleicht auch nur arbeitslos, vom Sozialismus enttäuscht und von den Männern nicht mehr befriedigt... ‘kay, vielleicht ist ‘fertig’ dafür ‘n zu hartes Wort.“ Beate stand auf und langte sich ihren Parka vom Schreibtisch-Stuhl. „Wenn ich nicht mehr bei Hanne versauern müßte, hätte ich auch öfter Zeit, hier mal aufzuräumen! Ab und zu...“

 

 

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