![]() |
||||||||||||||||||||||||||
|
15.Haase lag noch auf der Intensiv-Station, aber das war wohl ein Kollegen-Privileg. Schon für die Treppe zu den anderen Stationen hatten der Schwung und die Farben des Aufschwungs nicht mehr gereicht. „Schädelbruch“, flüsterte Haase beleidigt. „Es war eine vornehme, ziemlich dünne Vase... Kristall, ja, aber eben ziemlich dünn... Ich weiß nicht warum, aber es war Mielkes Leuten verdammt wichtig, daß der Mann an Herzschlag gestorben war.“ Ich schüttelte den Kopf. „Ich habe Dolly mit, falls du das fragen wolltest.“ „Sie will also nicht...“ Haase blies die Backen auf. „Da wühlst du dein Lebtag in Leichen, Marlowe... Da bist du wirklich der ostdeutsche Quincy... Du guckst doch Fernsehen? Und wenn die spannendsten, die Westtoten kommen, feuern sie dich, und nicht mal eine Hure will dich heiraten! Und dann sagt ihr Linken, das Furchtbarste wäre der Verlust der Utopien! Hör auf!“ „Hör du auf! Oder mach wenigstens Pause!“ Ich kaute auf meiner Unterlippe herum und sagte es ihm dann doch grob. „Bea hat einen Mafiosi aus dem Fenster geschmissen, bei mir... Sonnabend. Und als die Verstärkung anrückte, war Dolly allein dort... Das ist es!“ „Du hast telefoniert“, sagte Haase sehr leise. „Nach vierzig Jahren Stasi telefonierst du einfach so in der Gegend rum, du Idiot!“ „Wieso sollte ich denn nicht telefonieren?“ „Er wußte es! Der Typ, der das Andenken an meinen einzigen falschen Totenschein zerdeppert hat... Er wußte, daß ich wußte, woher der verdammte Mercedes war. Und das konnte er nur direkt von Wegner oder frisch aus der Leitung haben... Es wäre doch Quatsch, nicht, wenn ich Dolly gerade wegen der Sache ‘n Skandal mache? Nein?“ Bevor Haase ganz ins Private abhob, erstattete ich ihm den Bericht über meine Expedition nach Vlauwitz, aber weder das Angebot des Autohändlers noch die Vision der Bürgermeisterin beschäftigten den Professor merklich. Mit einem Show Down aber konnte ich sowenig dienen wie mit einer echten Information, und weil ich wenig zu erzählen hatte, redete ich wohl ziemlich viel. Auf Westdeutsch hießen solche dämlichen Angewohnheiten „die Sozialisation“, und Haase begannn zu grinsen. Er lag ziemlich winzig und sehr steif in seinem chromglänzenden Gitterbett, aber sein Gesicht wurde immer fröhlicher und schadenfroher. „Und, Marlowe? Hat sich Dolly um dich gekümmert?“ „Ziemlich verbissen“, sagte ich, stand auf und holte die beiden Whisky-Fläschchen aus dem Amsterdamer Duty Free aus den Hosentaschen. Sie waren mein Andenken an die gute alte Zeit, in der so eine Dichter-Reise noch etwas besonderes und vielleicht einmaliges gewesen war, aber ich hatte nichts andres in ihrem Format mehr bekommen. „Wir sind ja Kumpels“, sagte Haase zufrieden und schob die Flaschen unter die Decke, nahe seinen kaputten Rippen. „Und“, fragte Doris, als ich aus dem Zimmer kam. „Wie hat er es aufgenommen?“ „Gratuliere zur Verlobung“, sagte ich und nahm ihr die Handtasche mit der Pistole ab. Dann setzte ich mich neben Beate auf die Bank. „Ich werde bestimmt Politikerin“, sagte Beate giftig. „Den ganzen Tag so aufmerksame Leute um mich, das ist wirklich groß!“ „Das laß dir mal gesagt sein, Schatz! Als Politikerin, Kind und Lesbe... Du würdest die drei Kerle nicht so geübt wegstecken, klar?“ Beate blies die Backen auf. „Ich kriege ja gleich zehn! Und furchtbar schwarze Männer!“ „Dolly hat also nicht nur ‘n Huren-, sondern auch ein Plappermaul! Und du findest das witzig?“ „Das wird bestimmt toll, Papa! Na, wenn du mit sechs Kugeln zehn Neger erschießt...“ „Freu dich nicht zu früh, Kleines“, sagte ich und klappte die Handtasche auf, weil vor dem Milchglas der Stationstür ein Schatten stehen blieb. „Sie haben dort nur eine Negerin! Allerdings eine, die Milch gibt...“ Einen Augenblick, bevor ich in diesen breitbeinigen Cowboystand gewechselt wäre und, beide Hände am Colt, durch die Scheibe geschossen hätte, verschwand der Schatten, und aus dem Dienstzimmer kamen zwei Schwester geklötzelt. Beate sah ihnen mit großen Augen nach, bis sie im Zimmer neben Haases verschwunden waren, aber für meinen Geschmack wären die beiden zu alt gewesen. Ich nahm mir wenigstens eine kalte Zigarette und fing an, Beate die zweite, fast jugendfreie Expedition nach Vlauwitz zu erzählen. Die Knochenbrecher waren nicht aufgetaucht, mein Lehrling hatte die Rentner doch nicht zweimal gezählt, und ich hatte zurück gemußt, bevor der gehobene Teil des Deutschen Hofes geöffnet hatte. „Und du hättest Hanne gegen ‘n Jeep tauschen können“, fragte Beate nach. „Oder war das ‘n Witz?“ „Ich werde es probieren müssen“, sagte ich grinsend. „Dann wüßte ich immerhin schon, wie die Frau auf dem Foto verschwunden ist. Vielleicht... Ich könnte dafür natürlich auch Dolly nehmen.“ „Oder gleich alle beide“, schlug Beate vor. „Ich bin bald achtzehn, und da muß schon ein Auto ran! Aber das ist es dann doch: Mumienhandel! Für ‘ne Negerin, die Milch gibt, würde ja sogar ich morden!“ „Hast du ja“, erinnerte ich. „Du hast schon einen unbekannten Ausländer auf deiner schwarzen Seele!“ „Towarisch Ibraimow, ach, ja...“ Margit nahm ihre Schultasche auf die Knie und holte das BILD des Tages heraus. Bevor er Beate begegnet war, war der unbekannte Ausländer ein desertierter russisch-tschetschenischer Panzerfahrer gewesen. Beates Mitschüler riefen Glatzen und Zecken zum Schüler-Kreuzzug gegen das organisierte ausländische Verbrechen auf, und eine Glatze aus der Senats-Innenverwaltung nannte Beates Ma-Geri Yulan Zivilcourage, meinte aber dasselbe wie die braun eingefärbte FDJ. Ein russischer General wies alle Gerüchte über Desertion und Kriminalität seiner Soldaten, Unteroffiziere und Offiziere zurück, was durch eine Ausnahme nur bestätigt und durch eine deutsche Freundin des neuen, demokratischen Rußlands obendrein korrigiert worden sei. Zumindest die Übersetzung war etwas verworren, aber ich konnte mir gut vorstellen, daß das niedliche Indianerspielzeug Bea für ihre autonome Mumie nun sogar die Matratze der KGB-Skins war. „Wir sind schon früher nicht so ängstlich gewesen, wie uns die Stasi und alle diese Verbrecher gern haben wollten“, las ich die Expertenmeinung von Hannelore Markow (37), Unternehmerin, vor. „Und es stünde besser um uns, wenn alle im Osten wären wie Beate: mutig und unternehmungslustig.“ „Und schwer andersrum“, ergänzte Beate und zerknüllte die Zeitung schon im Wegnehmen. „Wir behalten Doris und teilen uns den Terrano, okay? Was machen die bloß solange?“ „Ich schätze, das hast du auch schon mal gesehen.“ Ich zeigte Beate die kalte und am Filter schon ziemlich nasse Zigarette, und sie kam ohne Murren nach unten mit. „Gib mir auch eine“, verlangte sie allerdings, als wir in der Durchfahrt standen. „Papa! Marlowe! Oder willst du rote Zecke etwa, daß sich eine deutsche Frau für eine einzige Ami-Zigarette vor dir in den Türkendreck wirft?“
|
|