31.

"Bleibe mal ganz ruhig", empfing mich Meister. Er hatte das Telefon im Verkaufsbüro aufgegeben, um mich im ersten Hinterhof zu stellen. "Und die Jungen helfen auch, nebenbei."

"Welche Jungen?"

"Na, Dolly ist doch ausgezogen, und sicher hat sie sich nur alleine gefühlt!"

Ich drängelte an Meister vorbei und ruckte die Lederjacke aus seiner Hand, und wer auch bei Beate war, würde Glück haben, daß ich die russische Pistole im Fahrersitz des Passats versteckt hatte.

Daß aus meinem Büro-Schaufenster die DDR-Fahne hing und daß das Treppenhaus nach Hundepisse roch, hätte ich noch verschmerzen können. Die Hunde räumten auch meinen Korridor widerstandslos, aber neben meiner Couch saß eine hakennasige Dürre mit nur einer grünen Strähne in der Frisur der Nackten Lust. Ihre Kette war sogar zwischen Nasen- und Ohrring gezogen, und ihr Knebel war eine Fuselflasche.

"Beas nich da", lallte das Mädchen. "Aar hassuma n Mark?"

Um seinen Hunden beizustehen, schlurfte aus meinem Kram-Zimmer ein heimlicher Millionär. Er trug offenbar den ersten Jeans-Anzug der Welt, und er sah so grau und gebrechlich aus, daß das auch gut sein konnte.

"Drushba!" Er salutierte mit zwei Fingern vor der Stirn. "Geht klar, Alter! Du bist in Ornung, und ich steh echt auf deine Musik!"

"Vieralle", schwor das Mädchen. "Un hassun Mark or nich?"

Ich atmete tief durch, obwohl es das Verkehrteste war. Die Hunde fühlten sich in meinem Wohn-Büro deutlich wohler, als ich das je gekonnt hatte, und in der Küche war alles Geschirr und waren alle Gläser meines Haushaltviertels ausgestellt. Ungewaschen.

"Wosn Beahn", spielte ich mit. "Und is echt cool, mal 'n astrein Fan zu treffen! Alles Spießer sonst!"

"Hassune Kippe", setzte das Mädchen müham an, fing die Schachtel aber ziemlich geschickt. Es holte ein Wehrmachts-Feuerzeug am Eichenband aus dem grauen Unterhemd, das bei dieser Gelegenheit von der bleichen Brustfalte rutschte. "Alle?"

Schnell bückte sich auch der Millionär nach dem Geschenk, und großzügig teilte er auch mir eine von meinen Zigaretten zu.

"Kalt der Sommer", sagte ich. "Und issn sozialistischer Wettbewerb drin? Ich hole Kaffe und ihr macht den Abwasch?"

"Jule", fragte mein Fan, und Jule wischte das Problem mit einer Armbewegung aus dem Raum. "Is gebont! Und wir trinken Gorbatschow, wa?"

"Gorbis aukay!"

Meister stand noch im Hof, als ich auf diese elegante Art floh, und er grinste ein bißchen schadenfroh.

"Das kriegst du nicht mehr rin in Beate", sagte er. "Daß sie doch nicht allen Abfall der Welt sammeln und aufpeppen kann..."

"Weiser Satz! An den denke mal beim nächsten Manta!"

Meister zischte gefährlich.

"Und wie du die wieder rauskriegst, bin ich wirklich neugierig!"

"Ich auch."

Als ich zurückkam, war Beate schon eingeflogen, und ich kriegte nicht einmal raus, ob nicht doch sie den gehaßten Abwasch gemacht hatte. Stumm packte sie die Tasche aus, zwei Kilo Nudeln, je ein Kilo Tomaten und Hackfleisch, den Kaffee und die Flaschen. Auch die Töpfe setzte sie auf, und nach einem Kontrollblick ins Wohn-Büro langte sie in das rohe Fleisch.

"Nieder mit allen imperialistischen Hühnergefängnissen, sprach die Salmonelle", sagte ich. "Und das ist Ute, ja? Dein Verlobter?"

Beate beulte die Wange mit der Zunge aus. "Also... Wenn, wenn du schon dieseBegriffe brauchst, dann ist Ute meine Verlobte. Und das ist Jule. Papa, Marlowe! Es war beschissen kalt, den Abend! Hat geregnet!"

"Nicht in Vlauwitz. Und es gab sie im Dutzend, ja?"

"Fünf kommen noch, drei Jungs und..."

"...und zwei Skelette, klar! Und sogar den Hungerstreik hast du mitgemacht, ja?"

"Wir haben halt geteilt", sagte Beate und zerrte an ihrer eingefangenen Hand. "Ach, und ich hab Jule zum Arzt geschickt! Mit ´nem Krankenschein für mich... Bloß, falls da irgendein Alarm kommt, wegen irgendetwas..."

Ich sagte es der Clique und den drei Hunden erst nach dem Essen, bei ihrem Schnaps. Ich brauchte das Büro, um ab und zu solche Feten geben zu können, und ich versprach ihnen, daß ich Beate etwas ganz Brotloses studieren lassen würde. Etwa Philosophie oder eben Kulturwissenschaften.

"Und der Computer bleibt hier, Fernseher, Gitarre und Möbel", schlug ich einen Handel vor. "Die Bücher und die Platten. Sonst nehmt mit, was ihr brauchen oder verkaufen könnt, kay?"

"Biste doch auf den Geschmack gekommen", fragte mein Fan. "Haufen Scheiße zwingt dir das Schweine-System auf, nicht? Aber geht klar, Pionier-Ehrenwort!"

"Und wir müssen noch bei Haase vorbei, Bea!"

Beate stand wortlos auf und begann, ihre Notgarderobe und die Schulsachen zu packen. Sie zögerte das Ende ihres Ausbruchs aus meiner Spießerwelt nicht hinaus, aber mit gebrochenen Flügeln war so ein kleines dunkles Hühnchen eben nicht schneller.

Ich klopfte vorsichtig auf Jules Schulter, und sie rückte so weit an meinen Fan heran, daß ich an ihr vorbei an die Gitarre kam.

"Legende von einem unartigen Kind", sagte ich an, während ich die Saiten wenigstens bis zur Spielbarkeit straffte, "welches späterhin die Dichter Neruda und Volker Braun sowie den Herrn Minister Becher etwas lehrte: Das Rimbaud-Lied!"

Beate hörte mit schrägem Kopf zu, ihre Gäste husteten gelegentlich und kurz vor Ende hatte ich die Hunde endgültig davon überzeugt, daß da einer der ihren kleffte und heulte. Sie schnupperten an meinen Ohren und im Nacken.

"Doch als es März wird in Paris,
Geht Jean-Arthur Rimbaud
Rotzfrech spazieren durch Charleville
Und ist als einz´ger froh",

wurde ich laut.

"Zerfetzt, die Haare schulterlang,
Führt er mit Worten Krieg
Und macht selbst in dem Kaff bekannt:
Die Ordnung ist besiegt!
Liegt Fraun und Männern auf dem Bauch
Und ist grad siebzehn Jahr,
Ist Kommunist und Dichter auch:
Wie kaum ein größrer war!"

Jule verschluckte sich am Zigarettenrauch, hustete lange und brachte ihre Rede dann doch noch heraus.

"Nieg hört! Aar hassun Buch übig?"

Über allen machte Beate große Augen und nickte knapp.

"Aarnich vakaufn", sagte ich und blätterte den Stapel Poesiealbum durch, bis ich auf das schwarze Heftchen stieß. "Und übermorgen, spätestens, seit ihr ´ne nette Erinnerung, hm? Wie Rimbaud..."

Lieder und Fotos
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KGB & Allianz
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Vlauwitz
Die 2. Leiche
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