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'Nicht mit mir’, dachte Deadrick, als er in der BERUF(E)- Spalte wieder Schriftsteller las, ‘nicht schon wieder ich. Ein Nobelpreis pro Dienstzeit reicht doch, zumal ICH nichts davon habe, nicht einmal ein Dankeschön des Trägers abkriege. So gering ist die Abteilung noch nicht einmal jetzt besetzt, da Washington mehr auf die wirklichen Aktionen setzt, daß wir nicht jedes Jahr einen frischen Mann für das Management einsetzen knnten.’ Wahrscheinlich aus Streß, wie ihn Deadrick auf sich zukommen sah, entstanden doch die Fehler. Deadrick dachte an die Preisverleihung an Marquez, der sich danach als ein ganz rotes Schwein herausgestellt hatte. An den Ort, wo der Verantwortliche jetzt Dienst schob, dachte Deadrick lieber nicht. ‘Na, Beharrlichkeit ist, wie der Dichter sagt, die erste Tugend des Geheimdienstmannes,’ sagte sich James Deadrick und hob das Dossier wieder, sah wieder hinein. ...introvertiert bei gleichzeitig stark ausgeprägtem Geltungsdrang, las er leise vor. Er übersprang einige Zeilen. Sexuelle Aktivitäten: offenbar normale Veranlagung (nicht voll verifiziert). Die Angaben kamen Deadrick immer bekannter vor. Noch einmal sah er weiter oben nach. ...mißtrauisch; hohe Arbeitsintensität, Verzicht auf geselliges Leben; mehrfach nachdrücklich geäußerte Haßgefühle gegenüber Stalin... Deadrick war sicher, genau diese Daten schon einmal vor sich gehabt zu haben, und zwar, er mußte nur kurz nachdenken, unter der Reg.Nr. 64/5/23. Ein gutes Gedächtnis war auch eine Tugend eines Geheimdienstmannes. Also war sein erster Nobelpreisträger schon wieder an der Reihe. Deadrick grinste, denn er mußte an Kartstein denken. ‘Junge, alles, was dort drüben Buchstaben zu Papier bringt, die nicht absolut systemkonform sind’, hatte ihm Kartstein, der außer vereidigter CIA-Berater auch Ost- und Literatur-Experte war, damals gesteckt, ‘gilt für uns grundsätzlich als Dichter.’ Deadrick hatte das für eine etwas zynische Weisheit gehalten, aber entweder war es ein Krankheitssymptom oder eine Nachricht vom Ende der freien Welt gewesen. Das Ende der freien Welt mußte nahe sein, wenn hinter dem Eisernen Vorhang nur noch so systemkonform geschrieben wurde, daß kein neuer Nobelpreis-Anwärter greifbar war. Wahrscheinlicher war aber wohl, daß Kartstein schon damals verkalkt gewesen war. Wie es nach aller Logik mehrere Dissidenten geben mußte, mußte es Vorzeichen für den Gehirnschlag gegeben haben. Kein Mensch mit Kartsteins Diensterfahrung, Intelligenz und sexueller Aktivität klappte aus heiterem Himmel heraus zusammen, um als Oberkellner bei McDonald’s wieder aufzuerstehen. “Es ist nicht so, daß ich diesen Auftrag nicht gern übernähme, Sir!” Deadrick legte den Computerausdruck vorsichtig auf den Schreibtisch des Stellvertretenden Direktors. “Aber meines Wissens ist der Nobelpreis noch nie zweimal an denselben”, Deadrick hüstelte und lächelte ironisch, “Schriftsteller vergeben worden. Ja, und ich fürchte...” “An denselben”, fragte Fritz “Sugar” Sakharow irritiert. Er holte das Papier mit dem Pfeifenstiel zu sich heran und kramte im Querfach des Schreibtischs nach seiner Lese-Lupe. Er war nicht nur kein ganz junger mehr, sondern einer der ganz alten Hasen im Spionage-Geschäft. Nur deshalb war er nur der Stellvertretende Direktor, weil der Direktor vom Kongreß gewählt werden mußte. Die liberalen Eierköpfe aber, selbst die als rechte Republikaner getarnten, hätten trotz ihrer patriotischen Phrasen nie einen Mann im höchsten Amt der Firma bestätigt, dessen Herkunft ungewiß war und dessen Namen auf den besseren Lohnlisten mehrerer Geheimdienste stehen sollte. “Wie ich sehe, James”, sagte Fritz “Sugar” Sakharow gefährlich leise und gemütlich, “hat dieser Mann bisher nicht einen einzigen Roman veröffentlicht. Den ersten Gedichtband verschiebt der Verlag von Quartal zu Quartal, und von Nobelpreis kann also gar nicht die Rede sein.” Deadrick erhob sich aus dem Besuchersessel, um sich formeller entschuldigen zu können. “Dann verzeihen Sie, Sir! Die Charakteristik schien mir ganz eindeutig auf W-261 hinzuweisen, auf Ignat Isaakowitsch Wertow.” “Äch!” Fritz “Sugar” Sakharow nuckelte an der kalten Pfeife. “Sagen Sie erstens Solshenyzin, wenn SieSolshenyzin meinen! Und was ist zweitens an einem Schriftsteller eindeutig, Deadrick, James? Und an diesem insbesondere?! Daß er introvertiert ist, ja? Daß er publicity-geil ist und Stalin haßt? Meinten Sie das, James? Na, gut, sexuell normal veranlagt mögen nur wenige sein... Sonst wären sie ja kaum Schriftsteller geworden... Aber gerde das ist, wie ich eben lese, ja noch nicht verifiziert.” “Trotzdem, Sir!”Deadrick suchte die Konfektions- und die Geheimtaschen seines Jacketts nach der Zigarettenschachtel ab. Sie lag auf der Sessellehne. “Ich müßte jeden Kontakt mit einem Schriftsteller ablehnen, Sir, außer einem Kontakt zum Zweck einer Beendigung mit extremem Nachteil. Leider, Sir!” “Mit was? Äch, sagen Sie doch Liquidierung, wenn Sie Liquidierung meinen, verdammt!” Fritz “Sugar” Sakharow besah James Deadrick durch die Lese-Lupe. “Liegt das am Alter oder an der Gegend, junger Mann? Wir, dazumal und dort, sagten direkt...” Deadrick wartete eine Weile. Er zündete sich eine Zigarette an und rauchte sie mit vorsichtigen Bewegungen zur Hälfte auf, ehe er sich erlaubte, eine Gedächtnislücke des Stellvertretenden Direktors anzunehmen. “Endlösung”, half er schließlich aus. “Jaja, das auch, Sie Klugscheißer! Und Große Proletarische Kulturrevolution...” “Sagten Sie Kulturrevolution, Sir?” “...oder auch Zerschmetterung der bucharinistisch-trotzkistischen Scheusale.” Fritz “Sugar” Sakharow lehnte sich in seinem Sessel zurück. “Heilige Inquisition”, flüsterte er verträumt. “Christen-Grillen, jaja. Aber das war vor Ihrer Zeit, glaube ich, und das führt uns auch von unserem Fall weg. Beendigen, sagten Sie so? Nein, nicht beenden, sondern eröffnen sollen Sie mir diesen...” Er beugte sich tief über den Tisch und schob die Lupe über den Computer-Ausdruck. “Sagen wir ‘eröffnen’?” “Nein, Sir. Das ist in der Firma nicht üblich.” “Es sollte üblich sein, wenn ‘beenden’ üblich ist. ...diesen Kerl.” James Deadrick bedauerte, nicht mehr zu sitzen, denn nun hätte er sich erheben müssen, um diesen Selbstmord zu begehen. “Ich kann nicht, Sir”, flüsterte er. “Ich bitte Sie, Sir, nicht an meiner Loyalität zu zweifeln! Ich bin bereit, mit extremem Nachteil zu beenden, wen die Regierung zu beenden wünscht, aber...” “Nunununu”, unterbrach Fritz “Sugar” Sakharow ihn ärgerlich. “Nunununu! Sie sollen ihm ja nicht die Schreibereien veröffentlichen! Sie sollen ihm noch nicht mal den Nobelpreis verschaffen, Deadrick!” Er lehnte sich gegen die linke Armlehne des Sessels und begann, ohne Eile die Fächer des Schreibtisches aufzuziehen. Das gesuchte Paket lag im vierten, im untersten Fach. Fritz “Sugar” Sakharow griff den Packen, richtete sich ächzend auf und warf das Material bis hart an die Kante, vor der Deadrick stand, die Hände an den Hosennähten. “Das übergeben Sie erstens, und zweitens fragen Sie ihn, was er für die Überarbeitung verlangt.” “Trotzdem, Sir...” Deadrick wackelte mit den Händen. Er warf die heruntergebrannte Zigarette in den Aschenbecher, von dem die Hälfte der Firma behauptete, er sei aus dem Schädel Che Guevaras gefertigt. Die andere Hälfte, die den Stellvertretenden Direktor für einen Mehrfach-Agenten hielt, hielt den Aschenbecher für älter, für das einzige größere Stück von Trotzkis Hirnschale. Deadrick zog seine Dienstausweise und die Dienstwaffe. “Lieber...” “Mann Gottes”, stöhnte Fritz “Sugar” Sakharow. “Sie riskieren Ihre Stellung, Ihre Pensionsansprüche? Sie riskieren, wie Sie sich umständlich auszudrücken pflegen, eine Beendigung mit extremem Nachteil... Wovor haben Sie bloß Angst?” Deadrick schwieg und sprach schließlich nur, weil er auch beim Schweigen einen roten Kopf bekommen hatte. “Ich... Ich liebe meine Frau, Sir. Und ich hätte sie über diesem Auftrag beinahe verloren, in der Sache Wertow. Ich meine Solshenyzin, Sir.” “Die Russen, ja, klar.” Sakharows Stimme war nicht ohne Mitgefühl, obwohl er grinste. “Haben Ihre Frau also gegen den Strich gebürstet, sozusagen?” Deadrick schluckte. Er kam sich ohnehin lächerlich vor und hatte seine Zukunft fast schon in der Registratur abgegeben, da konnte er auch mit der ganzen Wahrheit herausrücken. “Das nicht, Sir. Und es war ein Deutscher, ein Ostdeutscher aber. Ein ostdeutscher Dichter, Sir, hat einen Enthüllungsroman über die Operation geschrieben. Und er beschreibt darin eine meiner dienstlichen Unterredungen mit Professor Kartstein, Sir.” “Kartstein, Kartstein...” Fritz “Sugar” Sakharow überlegte, mit den Zahnprothesen knirschend. “Ist das nicht der Professor, der als Bulettenheini... Ist der etwa auch deswegen...?” “Möglich, Sir! Jetzt, da Sie es erwähnen... Sir, als ich mich mit Kartstein traf, um die Operation zu besprechen, hatte er eine dreiundzwanzigjährige Schlampe aus New York im Bungalow, die ihm erzählt hatte, sie brauche ein bißchen Sonne. Er hatte erst zu spät gemerkt, daß sie lesbisch war... Und wahrscheinlich noch ist, Sir, wenn Sie mir diese Bemerkung gestatten. Jedenfalls ließ sie sich von der grauhaarigen Witwe einer bekannt gewesenen Schauspielerin den Hintern massieren, wie sich Kartstein ausgedrückt hatte.” “Und?” Der Stellvertretende Direktor stopfte sich die Pfeife, rauchte sie bedächtig an und machte erst danach wieder Miene, weiter zuzuhören. “Seinen Nobelpreis hat Solshenyzin doch trotzdem bekommen, wenn ich mich recht erinnere.” “Das schon, Sir!” Deadrick wagte nicht, die Hauptutensilien seines Berufes wieder in den Taschen zu verstauen, aber er setzte sich ein wenig erleichtert auf die Kante des Besuchersessels. “Aber wir waren mit der Unterredung noch nicht einmal ganz zu Ende, als die beiden bei Kartstein auftauchten. Sie waren lesbische Exhibitionistinnen, nämlich.” “Ja, und?” “Ja, und wir planschten mit den beiden ein bißchen im Pool herum, und weiter passierte gar nichts, rein gar nichts. Sie waren schließlich lesbisch. Aber dieser Ostdeutsche schrieb in seinem Enthüllungsroman: trockneten sich gegenseitig ab und zogen sich in den Wohnraum zurück, wo sie sich auf dem schweren Teppich niederließen, zwischen Kissen und Schaumgummipolstern. Und meine Frau glaubt mir bis heute nicht, wie es wirklich war, Sir. Obwohl sie mir inzwischen verziehen hat...” Fritz “Sugar” Sakharow lachte. Er hatte in einer Laufbahn unzählige Ausreden anhören müssen. Die Männer hatten sich vor ihm auf Blutsverwandtschaften, auf diverse Götter oder die Menschenrechte berufen, um ihre kleinliche Angst vor Gefangennahme, Folter und Hinrichtung aufzuwerten, und Sakharow hatte noch jede Ausrede durchschaut. Ohne zu zögern hatte er solche Feiglinge, wie er seit einiger Zeit zu scherzen pflegte, mit vergiftetem Wein zu Khomeini geschickt. Deadricks Erklärung aber war so idiotisch, daß Fritz “Sugar” Sakharow sie ernst nehmen mußte. “Hätten Sie dem Mann doch auch einen Nobelpreis verschafft”, wieherte der Stellvertretende Direktor. “Das wäre eine Rache gewesen, James! So genau Bescheid zu wissen, nicht, und dann selbst...” Er öffnete die Schreibtischtür zu seiner Rechten, die Büro-Bar, um sich und Deadrick Whisky on the rocks zu machen. “Okay! Kharasho, bueno... Ich halte Sie zwar für einen großen Spießer, James, mitsamt Ihrer Ehe-Tussy, aber...” Wieder wurde er von Lachen geschüttelt. “...aber die Ehe ist ja nun wirklich ein vergleichsweise ewiger Wert, verdammt! Ich werde mit dem Secret Service telefonieren... Vielleicht leihen die uns 007, James Bond.”
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