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Die Sache mit Jesus hatte Er Römern und Juden gleichermaßen übelgenommen, und Er gab den Mongolen die zähen Steppenponies, damit sie die Slawen gegen die Germanen trieben, bis die Vandalen auf ihrer Flucht Rom eroberten und ausnahmen. Der Nahe Osten dagegen strafte sich wie immer selbst. Die Guerilleros der Zeloten-Front verschonten die römerfreundliche und gottesmörderische Priesterschaft nicht länger, Pilatus praktizierte im Bündnis mit der Oligarchie die Taktik der Verbrannten Tempel, und schließlich brachen die ausgehungerten und neidischen Nomadenstämme in das einst Gelobte Land ein. Währenddessen brachte Er das Testament Seines Sohnes in Ordnung. Unvorsichtig bei der Wahl der Schüler, die Wahl Judas Ischariots bewies es, und im jugendlichen Zorn über die Verbrechen der Welt, die noch weit vor ihrer kritischen Phase war, hatte Jesus allerorten die Hoffnung auf ein schon nahes Jüngstes Gericht genährt. Schwand nun der Glaube an diese Generalabrechnung, schwand auch der Glaube an den strafenden Gott, erstens. Um sie vor den römischen Repressalien zu schützen, jedem Personenkult abhold und übervoll der Liebe zu allen Armen, hatte Jesus vor den Jüngern nie seine Ehe mit Maria aus Magdala erwähnt, nie seine sieben Töchter. Breitete sich nun der Glaube an Seine Enthaltsamkeit aus, wäre die Sekte der Christen schon mit der nächsten Generation ausgestorben. Das zum zweiten. Vor allem aber mußte Er Jesus immer wieder zur Geduld mit der Römischen Kirche mahnen. Natürlich hurte sie mit dem Kapital und mit jeglicher Staatsmacht. Sie ernährte Heere arbeitsscheuer Einfaltspinsel, hielt die Bauern ihrer Ländereien wie Sklaven, log im Konkreten und verbog ihre Heiligsten Schriften, aber sie war, eher deshalb als trotzdem, eine mächtige Organisation. Zu gegebener Zeit wollte sie der HERR für seine Zwecke einsetzen, während Jesus eiferte, ein Zweck, der unheiliger Mittel bedürfe, sei kein heiliger Zweck. Es gab keine Ketzerbewegung, nicht die proletarische der Manichäer, nicht die nationale der Waldenser, nicht die nationaldemokratische der Bogomilen, die nicht wenigstens mittelbar von Jesus gestiftet worden war. Jesus selbst hatte die Idee breitgestreut, seinen wortverdreherischen Jünger Petrus umgedreht zu kreuzigen, und fast alle späteren Bischöfe von Rom verfolgte er mit derselben Inbrunst. Nicht für Gebete oder geschenkte Kirchen erlöste er sie von ihren Feinden oder Geschlechtskrankheiten. Er wandelte das Gift in ihren großen Weingläsern nicht zu harmlosem Weinstein, und einmal ließ er zur selben Zeit sogar zwei Päpste ausrufen... Kurz: was Jesus lange nicht begriff, war die Idee der Entfremdung. Seine Ideen waren und bleben doch die Seinen, aber einmal in der Welt lebten sie ihr eigenes Leben darin, bis sie zurückgehen und zurückführen wrden zu ihm. Etwa um das Jahr 1000 packte der HERR Seinem Sohn darum Hegels Gesammelte Werke auf die rechte Armlehne des Himmlischen Throns, weil Er endlich den Plan Ocllo, Seinen Gegenplan zur Erschaffung der mißratenen Ersten Welt, in Angriff nehmen wollte. Jesu erstes Hüsteln über dem Buch Phänomenologie des Geistes enthielt alle Philosophie Spinozas, im späteren Kopfkratzen war bereits der Marxismus zu hören, und als sich Jesus erkennend die linke Hand vor die Stirn schlug, wetterleuchtete zum ersten Mal die Theologie der Befreiung. Der HERR, unterwegs zum Titicaca-See, erschrak sich über das plötzliche nahe Licht nicht wenig, doch Er sah wieder einmal, daß das Licht gut und noch in beruhigender Entfernung war. Über das Wasser zu schreiten, war für Ihn sowenig ein Problem wie für Seinen Sohn, zumal der See seit der Schöpfung schon ziemlich verschilft war, und auf einer der Schilfinseln ließ sich der HERR nieder. Unter praller Sonne und in kalter Hochgebirgsluft, weder zu Luft noch zu Wasser noch zu Lande, an einem ganz unvergleichlichen Ort wollte Er die unvergleichliche Ocllo schaffen und um wirklich gottähnlicher Menschen willen begatten. Er goß sie aus Kupfer und gerade so groß, daß sie Ihm bis zur Schulter reichte. Er machte sie nur so breit wie eine Seiner Schultern, und Er ließ Spuren des Rußes an ihr, als Haare und Farbe der Augen. “Hirschkuh und Pantherkätzin, Wölfin und Schwarze Witwe”, sprach Er sie an und beseelte sie so, “Sklavin und Göttin, Tänzerin und Guerillera! Mutter, Schwester und Geliebte der Neuen Menschen: Ocllo!” So maßlos liebte der HERR Sein jüngstes Geschpf, daß Er sich Ocllo in einer Gestalt ihrer Farben zeigte. Wie ein gewöhnlicher Neuer Mensch gewann Er das Ufer nur im Schilfboot, stellte Er den Guanacos nach und fieberte Er der Geburt Seines ersten Kindes mit ihr entgegen. (Noch nie hatte Er längere Zeit mit der Mutter eines Seiner Söhne zusammen gelebt.) Neun Monate lang war Ihm keine Arbeit zu niedrig, wenn Er sie nur Ocllo abnehmen konnte, und schließlich sprang Er, siedend vor Freude, in den eiskalten See. Im Hocken und mit der Leichtigkeit eines unverzärtelten Tieres hatte Ihm Ocllo den gleichfalls kupfernen Sohn Manco Capac geboren. Er enthielt sich ihres wunden Schoßes und ihrer immer von Milchtropfen glänzenden Brüste ein Menschenjahr lang, doch als Er am Morgen nach der nächsten Liebesnacht in Ocllos Augen ihre zweite Schwangerschaft las, beschloß Er das einzige Wunder ihrer Gemeinsamkeit. Nach nun Tagen nur sollte Ocllo die Zwillinge gebären, und am nächsten Abend waren diese ein Jahr alt, und da es immer wieder so geschah, wuchs Seine Familie in den sechzehn Kindheitsjahren Manco Capacs zum Stamm, ja zum Volk. Die Schilfinseln faßten die Vielzahl der Menschen kaum noch, ihre Abwässer und Abfälle vergifteten den See und die Guanacos umgingen die Landschaft der Fallen und Pfeile in immer weiteren Bögen. So kam die Zeit, zu der Er die Neuen Menschen ausschicken mußte, mit dem Kontinent zu leben, wie Er mit Ocllo gelebt hatte, lebte und weiter leben wollte: ohne Gewalt und also ohne Gedanken an Tode, die mehr als ein Einschlafen waren, der Mensch als Gatte und Geliebter der Natur, Bruder und Schwester im Allgemeinen Genug. Wäre Er nicht der HERR gewesen, hätte Er sich wohl zu Tode erschrocken, als auch Ocllo am Tag des Auszuges aus der Schilfhütte kroch, mit einem Bündel wie es alle ihre Kinder gepackt hatten. Sie weinte, aber Er erkannte sofort, daß sie Ihn dennoch verlassen würde. “Unter allen Göttern und Menschen hätte ich nur dich gewählt”, sagte Ocllo, “aber ich habe dich nie wählen können. Du hast mir auch nie Schmerzen bereitet, und darum hänge ich noch mehr als an dir an Manco Capac, der mir einmal Schmerzen bereitet hat. An deiner Seite gibt es kein Alter, sagst du, und mithin keine Jugend, der ich nachtrauern und mich lustvoll erinnern kann.” “Diese typisch weibliche Logik”, knurrte Er ärgerlich, aber unter Seinen Tränen sah er wieder einmal, wie gut ihm Ocllo gelungen war. Auch konnte Er nur der Gott der Güte bleiben, wenn Er auf- und ausgehen ließ, was Er gesät und geschaffen hatte. Überhaupt erinnerte Er sich erst da daran, daß Er Gott, der HERR war, und Er erschrak sich zum zweiten Mal fast zu Tode, weil Er als Gott den paradiesischen Kontinent längst besiedelt wußte. Immer wieder einmal war im Wechsel der Eis- und Warmzeiten zwischen Asien und Amerika jene vermaledeite Hügelkette aus dem Meer getreten, über die asiatische Stämme in Ocllos Reich gezogen waren. Ärgerlich raufte Er sich den Bart, denn als Gott war Er erneut vollbärtig, und das ausgeraufte Barthaar wurde ein goldener Stab. “Den stoßt auf jedem Rastplatz in den Boden”, verfügte Er und legte den Stab in Ocllos Hände. “Und wo er dabei in die Erde eindringt, sollt ihr Moskau gründen, die Hauptstadt der Weltrepublik aller Werktätigen. Sie wird herrlich gedeihen, aber irgendwann wird da ein kleiner pockennarbiger Mann mit Schnurrbart auftauchen, und den laßt um meinet- und euretwillen genau sowenig in die Nähe des Roten Platzes wie das Flugzeug von Matthias Rust! Sonst gnade euch Gott!” Und der HERR fuhr zum Himmel auf, und im Gleißen der Sonne entschwand Er Ocllos Augen. Jesus machte Ihm erst einmal einen Kaffee francaise, sehr stark und mit sehr viel Cognac, und neben die Tasse legte Ihm Jesus einen aufgeschlagenen Marx-Band. “Der Kommunismus ist erst als Resultat der großen Industrie möglich”, zitierte Jesus vorwurfsvoll. “Ein Autoritätsbeweis ist gar kein Beweis”, sagte der HERR und knirschte ärgerlich mit den Zähnen. “Habe Ich Recht, wird Marx das nicht schreiben, und wenn Marx das schreibt, wird irgendetwas schief gegangen sein. Dann fällt ja erst recht nicht ins Gewicht, daß ich mich verplappert habe.” Tatsächlich schlug der Gegenplan zur Erschaffung der Alten Welt sensationell fehl. Daß Ocllo den Namen der Hauptstadt falsch verstanden hatte und als Cuzco bekannt machte, war noch der harmloseste Fehler. Nur einen Tag und neun Monate lter als Manco Capac erwählte sie ihren Sohn zu ihrem neuen Gatten, und mit erstaunlicher Konsequenz verwirklichte sie alle in der ersten Ehe gehörten Worte so, daß der HERR jedes Wort bitter bereute. Der HERR hatte besonders gern an ihren Ohrlppchen geknabbert und dazu geäußert, von ihnen könne Er nie genug kriegen: prompt befahl Ocllo ihrem Volk, die Löcher für Ohrringe geduldig, aber gewaltig zu weiten, und bald reichten allen die Ohrläppchen bis zu den Schultern. Weil alle Menschen Brüder und Schwestern sein sollten, befahl Ocllo ihrem Stamm, nur untereinander zu heiraten, und folglich waren ihr alle Zweibeiner, die bereits in den Bergen um Cuzco lebten, nicht weniger, aber auch nicht mehr als die ihr vom HERRN untertanen Tiere. Wie in der Schilfhütte auf dem Titicaca-See achtete Ocllo auch in ihrem steinernen Haus in Cuzco vor allem darauf, daß um sie niemand Not litt. Jedermann sollte über alles Nötige verfügen, sich und seiner Familie das Leben zu verdienen, und wer zu alt oder zu krank für diese Arbeit war, sollte doch Obdach, Kleidung und Nahrung haben. Der besseren Kontrolle wegen ließ Ocllo alles in ihrem Reich produzierte Getreide, Fleisch und Erz in Vorratshäusern zusammentragen, und aus diesen verteilte sie mit genau geknüpften Schnürchen-Befehlen, die die Knoten-Berichte der Dorfbeamten über Geburt, Tod, Ernte und sonstige Produktion beantworteten. Manco Capac behauptete zwar, daß das Heer von Knotenmachern, Briefträgern und Inspektoren zuviel des von den Anderen Erwirtschafteten verzehrte, aber tatsächlich waren zu den Erntezeiten noch Lebensmittel aus den letztem und vorletzten Ernten übrig. Die Brocken des blauen, weißen und gelben Metalls umgaben die Lagerhäuser wie künstliche Gebirge. “Allen das Doppelte zuzuteilen, dafür reicht es nicht”, überlegte Ocllo mehrere Wochen lang, “aber einigen etwas mehr zu geben, hieße, Neid, Raub und Totschlag säen.” Sie ging in ihrem einfachen, spitz ausgeschnittenen Kleid auffällig unter ihrem Volk um, als die gebrechlichste der Frauen. Die nahrhaften allgemeinen Maisfladen und Fleischsuppen, an denen alles Volk gut gedieh, hinderten nicht, daß Ocllo abnahm. Erst als sie ihre Krankheit nach Wochen als neue Segnung ihres Leibes verstanden hatte, kam ihr die staatsfördernde Idee. “Laß uns”, sagte Ocllo zu Manco Capac, der ihr den noch kaum geschwollenen Bauch streichelte, “einmal in zwei Jahren alle bis dahin erwachsenen Männer verheiraten! So wird unser Volk und werden die ihm untertanen Zweibeiner fast so schnell wachsen wie die Vorräte. Ein paar Leute in jedem Dorf aber sollen nicht in die Felder gehen. Sie sollen vom restlichen Überschuß ernährt werden, damit Wir den jungen Leuten zur Hochzeit ein kleines Häuschen schenken können.” “Und was ist mit dem Erz”, fragte Manco Capac. “Das von der Farbe der Sonne, zu der unser aller Vater aufgefahren ist, soll die Hälse und Häuser aller schmücken, die mit uns vom Titicaca-See nach Cuzco gezogen sind. Die anderen mögen mit dem mondfarbenen Metall genauso verfahren, und das blaue...” Manco Capacs liebende Hände waren weniger lindernd als die des HERRN, und der künftige Inka Sinchi Roca trat Ocllo schmerzhaft gegen die Galle. “Das blaue Erz werfen wir weg, und wir wollen es nie wieder fördern lassen, ayayayay!” Der HERR zuckte zusammen. Noch auf Seinem Himmlischen Thron, der einfach der älteste und am höchsten stehende Sessel der Welt war, fühlte Er die Schmerzen der Schwangerschaft mit, und Er ahnte schon die noch ferne, aber aus europäischer Sicht schon unvermeidbare Invasion der Spanier. Die Kindeskinder der Kindeskinder von Ocllos Kindeskindern würden nun nicht gelernt haben, aus dem blauen Erz Stahl zu kochen, und sie würden in Feder-Uniformen gegen Lanzen und Rüstungen stürmen. “Auch dieses Paradies geht den Menschen verloren”, wehklagte Er, “Ayayay, paloma!” Jesus gab Ihm erst einmal einen Schluck Chicha zu trinken, des Schnapses, den er nach Ocllos Rezept herstellte, und er tröstete seinen alten HERRN auf seine sonderbare Art. “Die Ohren müßte man der Bande langziehen, hätten sie sich das nicht längst selber besorgt”, schimpfte Jesus. “Mit welchem Recht haben sich diese Fußgänger von einem Hochgebirgstümpel her denn über alle gesetzt, die viel früher, zahlreicher und mühsamer über die Beringstraße eingewandert sind? Daß sie unehrliche und gierige Beamte ohne Gnade in Schluchten oder Giftschlangengruben werfen, ist ja nett und aller Ehren wert. Aber warum, zum Teufel, haben sie die Beamten erst in solchen Mengen erzogen? Hätten die Moskito- und Heuschrecken-Schwärme nicht genügt?” “Nur so kommen sie doch ohne das Scheiß-Geld und die Marktwirtschaft aus”, erinnerte der HERR. “Und du darfst nicht übersehen, daß nicht zuletzt Dank der Beamten nichts, kein Gold und kein Getreide, für die private Anhäufung von Reichtümern übrig bleibt.” “Darum steht ihnen das Zeitalter der Gier immer noch bevor”, nörgelte Jesus. “Nur wer es mit allen Höhen und Tiefen durchschritten hat, wünscht sich darüber hinaus. Die ideologische Verdammung des Allzu-Menschlichen, solange man es ohnehin nicht haben kann, und das schreibt immerhin CHE GUEVARA, führt nur zu Gier und Korruption, sobald es irgendwie erreichbar scheint!” “Du immer mit deinen Autorittsbeweisen”, kreischte der HERR. “Manchmal, und die Heilige Inquisition möge es mir verzeihen, zweifele ich selbst daran, daß du wirklich mein Sohn bist!” Jesus erbleichte und starrte auf seine Hände mit den Wundmalen von den rostigen römischen Nägeln. “Sollte ein Witz sein”, sagte der HERR und zupfte Jesus am Ärmel. “Mea culpa, mea maxima culpa! Komm, laß uns die Sache weiter im Auge behalten! In Europa machen sie noch immer immer neue Kreuzzüge, und damit haben wir nun wirklich nicht das Geringste zu schaffen.” Fünf Jahre nach Sinchi Roca wurde Mama Cora geboren, und Ocllo und Manco Capac lebten noch lange genug, um ihre Kinder zu ihren Ebenbildern heranwachsen zu sehen. Sie waren hundert Jahre alt, als ihre ersten Krankheiten allgemein bekannt wurden, aber für weitere vierzig Jahre half ihnen die Liebe ihres gewachsenen und glücklichen Volkes. Es opferte Lama-Junge, Hauskaninchen und Mais, und dem Rauch, der aus dem Sonnenfeuer der Altäre zur göttlichen Sonne aufstieg, mischte es die von der entstehenden Dichterkaste gefaßten Genesungswünsche bei. Aus Dankbarkeit für soviel Hingabe und Liebe überwanden Ocllo und Manco Capac immer wieder ihre Hustenanfälle, Fieberschauer und Verdauungsstörungen, und obwohl sie das Haus auf Anraten der Ärzte nur noch an windstillen, niederschlagsfreien, aber nicht direkt sonnigen Tagen verließen, arbeiteten sie unablässig am Wohl auch des entlegendsten Dröfchens. Ocllo bewegte ihre altersteifen Finger, um ein Stickmuster zu hinterlassen, daß von den kommenden Generationen in Stein und Gold und Gras vergößert werden sollte: den Plan des künftigen Cuzco, der Hauptstadt TAHUATINSUYAS, der Vier Weltreiche. Die Arbeiten wurden unverzüglich aufgenommen, und da die Eltern des Volkes keinen Schritt mehr laufen konnten, rechneten es sich die Männer der Gegend Rucana als höchste Ehre an, sie und alle künftigen Herrscher zu jedem beliebigen Ort zu tragen. Auf einer ihrer Inspektionsreisen empfingen die greisen Wohltäter einen Sonnenstich, die Abberufung zu ihrem vermeinten Vater. Der HERR dagegen legte erschüttert den linken Arm vor die Augen, weil man auch im paradiesischen Cuzco, als sei es das alte Ägypten oder das revolutionäre Moskau, die frisch verstorbenen Reichsgründer wie Brathähnchen ausnahm und wie Dörrfleisch aufbewahrte. Als der HERR einige göttliche Atemzüge später Seine Aufmerksamkeit erneut dem Großen Tal zuwandte, setzten dort Sinchi Roca und Mama Cora bereits das Werk ihrer Eltern fort. Sie taten es so gut sie konnten, und das war schlimm genug. Sinchi Roca hatte die kräftigsten Bauern zu Kriegern ausgebildet und in die westlichen Berge ausgeschickt, um der Weisheit Ocllos neue Untertanen zu gewinnen. Treue Liebe, wie sie Manco Capac Ocllo bewiesen hatte, sicherte sich Mama Cora durch das Gesetz. Bei der Strafe, lebendig begraben zu werden, mußten ihre Gesellschafterinnen und Haushälterinnen Jungfrauen bleiben. Daß der Herrscher in jedem Jahr zwei, drei Nebenfrauen heiratete, beanstandete die Herrscherin freilich nicht, da es den Bräuchen der Nachbarstaaten entsprach und die wichtigsten Gebräuche Cuzcos nicht verletzte. Nach diesen erbte der Erstgeborene Sohn der Ehe mit der leiblichen Schwester, und alles Land gehörte dem Inka zur gleichmäßigen Zuteilung an alle Bauern. Lloque Yupanqui, ein schläfriger Linkshänder und träumerischer Stubenhocker, nutzte seinen Thron allerdings schon, um darauf von seinem Nichtstun auszuruhen. Er weigerte sich sogar, eine seiner Schwestern oder nur Halbschwestern zu heiraten, um mit ihr Thronfolger und Thronfolgerin zu zeugen. “Als Bauer, der Kinder für Kinderspiele zeugt, warum nicht”, pflegte dieser Dritte Inka zu sagen, “obwohl ich nicht verstehe, wie ein Bauer Berge von Mais und Kartoffeln erntet und für den täglichen Mundvoll abliefern, aber angeblich Spaß am Leben haben kann. Ich jedenfalls habe nicht einmal Freude daran, der Gottkönig solcher Bauern zu sein.” Selbstverständlich wagten nur seine zahlreichen Brüder und Halbbrüder, über seine Ideen zu lachen, und eines Tages verfielen sie darauf, ein dümmliches, aber dickbrüstiges Landei auszuprobieren, zu verderben und schließlich in Lloque Yupanquis Bett zu stecken. So kam das Reich zu seiner Königin Mama Caua, die in Wirklichkeit eine sonnenverbrannte Bäuerin mit rauhen Händen und unbesieglichem Schweißgeruch war und einfach “Kaninchen” hieß. In “Kaninchen” pflanzte der fast schon verdorrte Inka im ersten Jahr Maita Capac und im dritten Mama Tutucucaray, bevor er im siebten Jahr an und in “Kaninchen” verstarb. Sowenig der HERR den ungeschickten, trägen und traurigen dritten Inka gemocht hatte und so großzügig sich seine Witwe nach den Trauerfeierlichkeiten seinen Brüdern und Halbbrüdern verschenkte: binnen Kurzem schien es dem HERRN, als habe das Große Projekt der Neuen Welt und des Neuen Menschen mit diesen beiden Herrschern noch einmal vor dem Schritt in den Abgrund geschaudert. Maita Capac war das Gegenbild seines Vaters, der geschickteste Krieger, hitzigste Raufbold und erfindungsreichste Henker seines Reiches. Er ließ Festungen und Folterkammern bauen, wo immer größere Dörfer standen, und er führte seine Kriege fast ausschließlich um Fleisch zum Abhäuten, Zerbrechen und Zerstückeln. Mama Tutucucaray war ebenfalls ein Gegenbild ihres Vaters, die geschickteste Spionin, hitzigste Schimpferin und erfindungsreichste Verschwenderin des Reiches. Für die Königliche Familie ließ sie eine Park anlegen, in dem alle Berge, Bume und Tiere des Landes in Gold nachgebildet werden sollten, und sie kürzte dem einfachen Volk die Rationen, um mehr Bauern in die Bergwerke abkommandieren zu können. Wer dagegen aufbegehrte, wurde ohne Rücksicht auf die Geburt ihr und ihres Mannes Spielzeug in immer raffinierter ausgestatteten Schreckenskammern, und wie beide das Gegenbild ihres Vaters waren, so lebten beide das zügellose Leben ihrer verwitweten Mutter fort. Auf einem Feldzug erfanden sie ihrem Heer die Wunderwaffe Runatinya. Gefangenen feindlichen Generalen wurden bei lebendigem Leibe die Eingeweide herausgerissen und die Bäuche dann mit trockenem Gras gefüllt und vernäht. Trug man diese Puppen dem feindlichen Heer entgegen, schlugen die verdrehten toten Arme gegen den prallen Wanst und erzeugten ein dumpfes, raschelndes und lähmendes Geräusch... “Unglaublich”, flüsterte der HERR. Er hatte bei Gott nicht vor, auch noch diese Schandtat Seiner Schützlinge zu entschuldigen. Es war das traurig triumphierende Grinsen des Sohnes, das Ihn soweit trieb. “Es ist weniger, was sie jetzt zum Leben bekommen, aber noch immer haben alle Menschen satt zu essen. Und das ist etwas, was den CHRISTlichen Ländern nicht nachgesagt werden kann!” “Der Mensch lebt nicht vom Brot allein”, sagte Jesus. “Und ich finde immerhin gut, daß sie dazu die Generäle nehmen. Aber das ist erst der vierte Inka! Den dreizehnten und, Pizarro sei Dank, letzten Schlächter stell dir schon immer mal vor!” Und Gott erbleichte und dachte sich, daß die Welt nur im Stück zu retten sein würde. Wenn überhaupt.
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