“Mit dem Kronprinzen sollen Sie zwar im OP gewesen sein”, sagte der Diensthabende Intensiv,  ließ Schwester Sabines Schultern los und leckte seine gebissene Unterlippe.  “Ich habe Sie aber immer für eine Lesbierin gehalten.”     

“Mich? Mich für eine...” Schwester Sabine atmete mit weit offenem Mund und lief krebsrot an. “Aber das hat noch nie... Und wieso, wie können Sie...?”

Der Diensthabende Intensiv grinste. “Sie müssen sich doch gar nicht verteidigen! Weder ist das strafbar noch ist es eine meldepflichtige Infektion. Es ist nur ein wenig schade.” Er hatte vor der dummen Gans seine recht intakte Ehe eingeschwärzt. Er hatte ihre eher durchschnittliche Anstelligkeit und Figur gelobhudelt und hatte ihr sogar die Gelegenheit gegeben, sich einfach überrumpelt zu fühlen. Nun mußte sie eben die Quittung für ihre Zickigkeit wegstecken. “Sie finden mich im Sprechzimmer.”

“Aber das hat noch nie einer zu mir gesagt!” Schwester Sabine starrte durch die offene Tür auf die Plasttapete des Korridors. “Man muß doch mal keine Lust haben dürfen, Herr Doktor! Und ich kann auch gerade nicht, das vor allem!” Der Diensthabende kam nicht zurück, um den Ausdruck zurückzunehmen, und vielleicht war das sogar  besser  so.  Wie es im Ledigen-Wohnheim hieß, war jede Affäre schneller herum als der Slip unten, und die Station mußte Schwester Sabine als die Jüngste sowieso immer wischen.

“Immer unsereinen tatschen sie an”, schimpfte sie.  Sie öffnete das Fenster, das außer von ihr auch von niemandem geputzt wurde. “Als hätten die uns mit diesen Diensten bei diesem Wetter nicht  eh schon am Arsch...”  Aus dem Schwesternzimmer  der Chirurgie sah Schwester Barbara, die wegen derselben Wohnheim-Ordnung und der ewigen Sonntagsdienste auch mit dreiundzwanzig noch keine Familie hatte. Für eine Schwester ohne Familie aber genügte ein Bett im Wohnheim und blieben die Sonntagsdienste. Sie hätten sich gut darüber unterhalten können, doch die Schwestern winkten sich nur kurz und zuckten die Schultern.

Schwester Sabine ging  nach dem Wischzeug, und weil Sonntag war, wählte sie einen neuen weißen Lappen. Wie der Lappen unter all dem Schaum und Dampf im roten Eimer verschwand, erinnerte er an den erhofften scharfen Stations-Brief an die Wohnungskommission. Der war nun wieder außer Sicht, weil die Schwester dafür nicht scharf genug gewesen war.

Den Patienten in Kabine Zwei grüßte Schwester Sabine gar nicht erst. Seit zwei  Wochen hatte dieser Patient nur noch Ohren für die Engelschöre und wurde von  der ganzen Station als Unbekannter Pharao  gehaßt. Er war an jenem Mittwochabend  eingeliefert und versorgt worden, an dem der März-Regen plötzlich auf den Straßen vereist war. Am Donnerstag morgen hatten dann Schwestern und Ärzte gleichberechtigt, aber vergeblich nach seinen Papieren und dem Krankenblatt gesucht. 

‘Da kann sich der geile Doktor-Gockel noch steigern’, dachte Schwester Sabine und stieß den Schrubber unter das Bett des Unbekannten Pharaos. ‘Er kann sich daran erinnern, daß ich in dieser Nacht die Sachbearbeiterin dieses verrückten Schlachthofs war, und alle werden mit Vergnügen annehmen, daß eine Lesbierin auch Karteikarten klaut. Mir werden sie diese Mumie in die Kaderakte schieben, obwohl der Ganz Alte entschieden hat, daß die Mumie auf der Station bleibt und am Leben erhalten wird. Bis die Unterlagen oder die Verwandten auftauchen oder ein anderes  Wunder geschieht.’ Der Wischlampen verfing sich an einem der Betträder.

Schwester Sabine mußte auf die Knie und halb unter den Unbekannten Pharao, um den Stoff los zu bekommen. Beim Zurückkriechen stieß sie sich den Kopf, und sie heulte schon, bevor sie sich  aufrichtete und den größeren Grund zum Heulen entdeckte. Der Schrubberstiel war ihr zwischen die Drähte geraten, an denen das Leben des Patienten hing. Die Drähte und Kabel waren abgerissen und hatten schon ausgependelt. Der Atemschlauch zuckte im Takt des Gummi-Blasebalgs. Aus einem Schlauch tropfte Infusions-Lösung. Schwester Sabine biß sich auf die Hand mit dem Wisch-Lappen und riß mit der freien Linken an den blonden Locken. Mit Sicherheit würde man ihr die gleich hinter der Knast-Tür abschneiden. Dann berührte Schwester Sabine mit den Fingerspitzen den Geräteturm, der auf der Station Die-Kaiser-Wilhelm-Gedächtnis-Elektronik genannt wurde. Die Apparate hätten sie gnadenlos verraten müssen, aber tatsächlich blinzelte nur ein grünweißes Auge: letzte Chance, allerletzte Chance! Mit zitternden Fingern stöpselte Schwester Sabine die Drähte neu. Sie brachte alle irgendwie unter und vergaß auch nicht, das Atemventil in das Mundloch der Mumie zu stecken. Sie heulte noch, aber sie atmete schon auf, als es vor der Kabinen-Tür Alarm klingelte. 

Bis alle eventuell benötigten Ärzte beisammen waren, verging geraume Zeit. Doktor Lehmann versuchte ausdauernd, die Station Inneres zu erreichen, aber dort lag der Telefonhörer für die Dauer des Frühstücks zwischen den Hibiscus-Töpfen, für die die Station in der ganzen Klinik bekannt war. Die Diensthabende Chirurgie vessprach, sich sofort auf den Weg zu machen, nur würde sie wegen des Tagebaus im Innenhof außen um die halbe Klinik herum müssen. Als der Diensthabende Intensiv endlich vom Telefon loskam, kam auch noch die abgelöste Nachtschicht aus dem OP, die Oberschwester und der Kronprinz. Bis die beiden oberflächlich in Ordnung waren, versteckte sich Doktor Lehmann in der Besenkammer, und er lauerte durch den Türspalt,  bis ihm beide den Rücken zuwandten. Der Kronprinz des Kronprinzen wollte er schon bleiben.

“Die Innereien frühstücken sich gerade”, meldete Doktor Lehmann laut, und er mußte seine Wut nicht einmal spielen. “Und die Chirurgie schickt uns eine Frau Fleischermeister, auf dem kürzesten Weg. Aber nur Gott weiß, wie lang der inzwischen ist...” Er mußte ihr für ihr Geziere fast dankbar sein, aber Doktor Lehmann schrie trotzdem ärgerlich nach der lesbischen Gans. Sie hätten ja in Kabine Eins gehen können. “Schwester Sabine”, schrie Doktor Lehmann. “Sind Sie  außerdem noch taub?”

“Da haben Sie aber Glück, Herr Kollege”, sagte der Kronprinz und  schaltete  die Klingel neben der Kabinentür eigenhändig  ab, “Glück, daß wir zufällig noch im Hause waren, nicht? Wo doch gar nicht zu vermuten war, daß der Unbekannte Pharao  gerade heute seinen Fluch loswerden wollte...”

“Unsere Schicht hat er nämlich ganz normal verpennt. Also dann mal ran an die ägyptische Bulette!” Die Oberschwester, die Doktor Lehmann immer für ein Ober-Neutrum gehalten hatte, klinkte die Tür auf und ging voran.

“Schwester Sabine”, brüllte Doktor Lehmann noch einmal, “wo bleiben Sie denn, Sie verdammte...”

“Nein, nein, ich bin keine Lesbe”, heulte Schwester Sabine hinter dem Kronprinzen der kopfschüttelnd an der Kaiser-Wilhelm-Gedächtnis-Elektronik schaltete. “Aber man wird doch mal seine Tage und keine Lust haben dürfen! Deshalb bringt man doch keinen Unschuldigen um! Nicht absichtlich! Ich doch nicht! Und ich habe hier nie nur ein Löschblatt geklaut! Einen von den grünen OP-Kitteln, ja, aber einen ganz alten...”

“Kindchen!” Wie es niemand außer ihr hätte wagen dürfen, drängelte die Oberschwester den massigen Kronprinzen beiseite. Sie versuchte, Schwester Sabine aus ihrer Zuflucht zu ziehen, ihr wenigstens den Schrubber wegzunehmen. “Das ist doch keine Tragödie, so etwas kommt doch jeden Tag vor! Und den Brei von Motorrad-Raser, letztens, den haben Sie doch wirklich tapfer weggesteckt!”

Der Kronprinz zog sich einen halben Schritt zurück, und in die entstehende Lücke schob sich der Diensthabende Intensiv. Er verstand  die Heularie zur Hälfte, und den Rest folgerte er aus den falschen Anschlüssen am Geräteturm.  Er brachte die Sache unauffällig in Ordnung und grinste in sich hinein. Jetzt würde sich die Kleine nach seinem Belieben langlegen müssen, egal ob sie Jungfrau, Lesbierin oder ganz geschlechtslos war.

“Da hat der Schrecken ohne Ende also wenigstens sein Ende mit Schrecken gefunden”, sagte Doktor Lehmann, schaltete die Geräte ab und drehte die Gasflaschen der mechanischen Lunge zu.

Schwester Sabine starrte ihn an, als fürchte sie, ihr Hals sei als nächstes an der Reihe. “Er hatte mir doch gar nichts getan”, heulte sie auf und riß den halb aufgegebenen Schrubberstiel wieder an sich. “Ich hatte doch nichts gegen ihn! Aber wohnen Sie mal mit noch drei Weibern drei Jahre in einem Zimmer!”

“Ich könnte mir das sehr spaßig vorstellen, für meinen Teil”, sagte der Kronprinz. “Mädchen, Sie waren seine Kranken-, nicht seine leibliche Schwester! Sie sind doch sonst nicht so zimperlich... Also, Herta, dann gib ihr, hm, geben Sie ihr eine Spritze!”

Nur wenig später stolperte Marietta Sommer in die Kabine, die Diensthabende Chirurgie. “Ach, unser Amenophis also”, keuchte sie und trat an das Bett, mit lehmverschmierten Turnschuhen und einer abgeschabten Lederjacke über dem Kittel. “Entschuldigen Sie, Kollegen,  aber nun graben die auch auch noch auf der Straße nach Braunkohle. Na, wenigstens atmet er wieder ruhig.” Sie versuchte angestrengt, die eigentliche Szene zu übersehen. Ein dicklicher und  schon dünnhaariger Orang Utan verdrehte einen Mädchenarm, assistiert von einem fetten Gorillla und einer typischen Kupplerin. Marietta Sommer strich die schulterlangen, fast schwarzen Haare hinter die Ohren, um möglichst unattraktiv auszusehen und verschont zu bleiben. “Und wie ist der Puls?” 

Doktor Lehmann bleckte die Zähne. “Ganz den Umständen entsprechend”, höhnte er. Die Frau Kollegin hatte auf dem Ball zum Tag des Gesundheitswesens seinen Lesben-Satz mit einem kurzen “Ja, na und?” pariert und hatte ihre Rechnung noch offen. “In diesem Stadium einer Erkrankung, Frau Kollegin”, Doktor Lehmann brachte das Wort ‘Frau’ in eine aufreizende Schwebe, “stimmen Atmung und Puls immer auffallend berein.” Er zog seinen Kittel straff und schlug über dem Unbekannten Pharao theatralisch das Kreuz.

Marietta Sommer blinzelte ungläubig und biß sich auf die Unterlippe. Nur weil ihr keine geeignet gemeine Antwort einfiel, machte sie sich noch einmal an der Mumie zu schaffen. Sie kam mit den Fingern zwischen den Halsverband und tastete nach der Schlagader.

“Ich bin nicht in der Stimmung, Ihnen was Gutes zu wünschen, und  Ihre Erfahrung habe ich auch nicht,  Herr  Kollege...”  Sie strahlte den Orang Utan an, bis sein Chef aufmerksam wurde und von der kleinen Schwester abließ. “...aber, Herr Doktor, so einen Puls wünsche ich Ihnen, spaßeshalber.” 

Der Kronprinz hielt den Diensthabenden Intensiv mit einem unwirschen Blick auf. “Na, das gäbe erst Probleme”, sagte er und fand den Puls am Handgelenk des Unbekannten Pharaos sofort. “Unser Alter überdüngt heute seine Tomaten, und wo der Ganz Alte angelt, weiß zwar jeder...  Aber wegen dem Unbekannten Pharao wird sich kein Fahrer zum Köder machen wollen...  Wer also,  in drei Teufels Namen, kann jetzt die Verantwortung über- nehmen?”

“Behalten Sie ihn doch einfach weiter hier”, schlug Marietta Sommer das Nächstliegendste vor.

“Verehrte Frau Kollegin...” Der Diensthabende Intensiv  wußte die abgelöste und die ablösende Schicht seiner Station hinter sich, und das gab ihm wieder Oberwasser. “In sieben, acht Stunden walzen die Sonntagsfahrer zurück, und ich möchte lieber noch nicht wissen, wieviele frische Mumien wir morgen früh in den Betten und auf Eis haben.”  

“Unterbesetzt sind wir auch”, assistierte die Oberschwester, “dramatisch unterbesetzt. Es wird zwar kaum noch einmal Glatteis geben, aber...”

“Nein, bitte, ich möchte kein Eis!” Schwester Sabine stand auf, schwankte und stützte sich auf den Geräteturm. “Mein letzter Wille war doch, daß ich vielleicht nicht  ganz  hingerichtet werde!”

“Aber jetzt, spätestens jetzt, müßte mal jemand  nachsehen”, beharrte Marietta Sommer, “was dem armen Kerl überhaupt fehlt. Das müssen Sie doch zugeben, Kollegen!”

“Gern, gern geben wir das zu”, sagte der Kronprinz und legte den Arm auf die Schultern der Oberschwester. “Wir sehen das genauso. Nur dieses Nachsehen gehört nicht mehr zu den Aufgaben unserer Station. Die Verbindung zwischen uns und dem Patienten ist gekappt, bildlich und buchstäblich,  bis zu seinem nächsten Unfall.”

“Man kann mich doch nicht verurteilen, nur weil ich keine Lust hatte und keine Lesbe bin. Oder?” Schwester Sabine streckte die Arme nach der Ärztin aus und wandelte wie im Traum. “Ja, und dann hatte sich der Lappen verklemmt. Das war eigentlich alles.” 

Facharzt Marietta Sommer durchsuchte die Lederjacke nach den Zigaretten und nach dem Feuerzeug. “Und wenn ich ihn mitnehmen würde, nur mal angenommen, müßte ich ihn wohl auch selbst über die Schützengräben im Hof schleppen?” Sie setzte das Schwesterlein auf das Bett des Unbekannten Pharaos.

“Einen Krankentransport könnten wir Ihnen schon besorgen”, sagte der Kronprinz. “Das gehört ja wieder zu den Pflichten und Privilegien unserer Station.”

Marietta Sommer fand das Rauchzeug in den Kitteltaschen. “Solange kann ich aber nicht wegbleiben. Also gut: Schicken Sie mir den Amenophis nach, immerhin! Und die Kleine da.” Sie wedelte mit der Hand vor der Stirn der Schwester, die offenbar einen wenig verwunderlichen Nervenzusammenbruch hatte. “Unser Alter wird mich zwar ohne Anästhesie am Kopf operieren...” Sie schnappte nach der Zigarette und ließ das Feuerzeug schnappen, noch halb in der verwünschten gefliesten Folterkammer.

Einen Absolventen hatte ihr die Station Inneres ausgeborgt, und von dem hatte Marietta Sommer erfahren, daß der dienstfreie Absolvent  der  Chirurgie unter Doktor Lehmanns Telefonnummer zu erreichen sein würde,  auf Doktor Lehmanns Gattin. Die Station Haut- und Geschlechtskrankheiten hatte eine noch junge, aber über ihrer Tätigkeit ausgedörrte Schwester gestellt, und der Kreißsaal konnte auf Grund  eines  momentanen Pillenknicks in der Geburtenrate eine kichernde Halb-Hebamme entbehren. Nicht einmal gut Kaffetrinken war mit dieser Mannschaft, mußte sich Marietta Sommer eingestehen, aber sie bat Babsi um eine dritte Kanne Mokka und verfluchte in Gedanken ihren Stations-Alten. Er hatte sich mit einem Ehekrach und mit der Flucht in die Kneipe verleugnen lassen, und noch anderthalb Stunden nach dem Alarm hatte er nicht einmal zurückgerufen, um sich nach der Diagnose des Unbekannten Pharaos zu erkundigen...

Mit dem Kaffee brachte Babsi die Nachricht, der Fahrstuhl sei in Betrieb, und dann beeilten sich doch alle wie ein eingespieltes Team.

Nur der Unbekannte Pharao durchkreuzte ihnen die sensationelle Operation. Als er nur noch ein namenloser nackter Mann war, fand sich an seinem Körper nicht einmal die Narbe einer alten Blinddarm-Entnahme, und seine Magerkeit erklärte sich wohl einfach aus den zweieinhalb Wochen künstlicher Ernährung. Außer dem Bewußtsein und dem Ausweis der Sozialversicherung schien ihm nichts zu fehlen.

“Sehen wir nun nach”, fragte der ausgeborgte Absolvent.

“Wenn Sie mir verraten, wonach wir suchen”, entschied Marietta Sommer, “dann dürfen Sie ihn eigenhändig anschneiden!”

“Der Alte meint doch immer, irgendwo ist jeder zum Schneiden krank”, erinnerte der werdende Chirurg. “Und ich hatte mir das anders vorgestellt, aber in irgendeinen Bauch wollte ich heute vormittag unbedingt. Verzeihung, die Damen!”

“Ich bin wirklich keine Lesbe!” Schwester Sabine war mit demselben Krankenwagen gekommen wie der Unbekannte Pharao, hatte in ihrem Putzkittel an der OP-Tür gewartet und fühlte sich entdeckt, als die Ärztin sich umsah. “Ich weiß auch nicht, warum mich Doktor  Lehmann zu Ihnen schickt, Frau Doktor. Ich hatte nur keine Lust, und dann...”

Marietta Sommer wußte, daß zumindest der Schlach- ter-Geselle hinter dem Mundschutz dreckig grinste, und zwischen dem grünen Mützchen und der grünen Maske sah sie Babsis eifersüchtige grüne Augen. “Raus hier, Sie Ferkel”, herrschte Marietta Sommer die kleine Schwester an. “Duschen Sie erst mal kalt! Und Sie, Schwester Barbara,  bestimmen die Blutgruppe, zählen die Leukozyten! Rauchpause für die übrigen.”

Marietta Sommer blieb bei dem asozialen Patienten zurück, der in ihrem Alter war und vielleicht nur wahr machte, was ihr schon lange das einzig Vernünftige schien. Mensch mußte sich ausruhen, während  die Welt ihre Kopfstände und Bocksprünge machte, und durfte nicht aufwachen, bevor die Welt wieder auf den Füßen stand und rund lief. ‘Vielleicht wäre ich wirklich keine gute Psychiaterin geworden’, beichtete Marietta Sommer sich und Amenophis, ‘nur dann hätte ich dem Studienplatz-Computer gehorchen sollen, als er mich auf Archäologie umlenken wollte. Denn halten Sie mich nicht für  eine selbsstlose Wohl- oder gar Wundertäterin!  Ich stehe Ihnen bei als Wundertochter einer Romanheftchen-Leserin, als skalpellsüchtige Provinz-Freiwillige und als übereifrige Büßerin für etwas, was ich vielleicht nur durch Babsis Willen und Geschick bin. Sie aber sind die Schwierigkeit, die mir deshalb fast alle wünschen, und wüßten die Kollegen, wer Sie sind und was Ihnen fehlt, und wüßte man, daß der Ganz Alte Eigenmächtigkeiten nicht haßt, sondern liebt, dann würden ganz andere Ihren Schnitt an Ihnen machen wollen. Also wenn Sie mir einen Gefallen tun wollen, und ohne mich lägen Sie jetzt lebendig in der Leichenhalle, dann geruhen Sie sofort, einen kleinen Blinddarm-Durchbruch zu bekommen oder ein bißchen Platz auf Ihrer Bahre zu machen!’

“Aber der guckt ja”, kreischte die Halb-Hebamme.

Tatsächlich hatte der Patient die Augen geöffnet, aber ob er etwas sah oder nur glotzte, war nicht zu entscheiden.  Er bewegte den Kopf nicht, verzog nicht den Mund,  und als das ganze Operations-Team um ihn versammelt war, schob er die Hände über dasGeschlecht und schloß die Augen wieder.

“Die  angeborene  Schamhaftigkeit  des  mitteleuropäischen Machos”, sagte Schwester Barbara. “Wer die noch hat, was könnte dem schon fehlen?”

Die Diensthabende Chirurgie fuhr mit dem Zeigefinger über den geschorenen, aber nun schon wieder stoppeligen Kopf des Manness. “Können Sie mich verstehen? Sie sind hier im Kreiskrankenhaus, ich bin Facharzt Marietta Sommer und wüßte gern, wie Sie heißen.”

“Und was Ihnen fehlt”, ergänzte der doppelt enttäuschte Absolvent der Chirurgie. “Wenn Sie Ihr Auge ärgert, reißen wir es Ihnen raus, streng nach der Bibel.”

“Nach der Frisur und nach dem Blick zu urteilen, wollte man ihm wohl ein Gehirn einpflanzen”, witzelte der Absolvent Inneres.

“Sie sind entlassen”, beendete Marietta die Versammlung, “auf den Bauch Ihrer Dame! Sie, Herr Kollege, haben sicher noch ein paar Nierchen zu spülen... Und ihr wascht ihn bitte, Mädchen, bringt ihn ins Bett!” Marietta Sommer wußte nicht, ob sie rauchen oder duschen wollte, und als sie wieder im Sprechzimmer war, trank sie die erstbeste Kaffee-Tasse aus, zündete sie sich eine Zigarette an und schlich zum Frauen-Waschraum los.

Marietta Sommer verriegelte die Tür hinter sich,  zog sich aus und  bemerkte erst dann, daß die Dusche besetzt war. “Was denn, Babsi, schon fertig mit dem Kunden”, fragte sie und zog den Vorhang beiseite.

“Nein, bitte nicht”, flüsterte Schwester Sabine. Sie war ebenso kälte- wie schamrot, hatte schon blaue Lippen und zitterte. “Wenn  ich  ein eigenes Zimmer hätte, hätte ich bestimmt schon einen Freund. Und wir sind Ihnen auch alle sehr dankbar, daß Sie uns den Pharao abgenommen haben,  aber...  Aber ich bin wirklich nicht lesbisch! Kann ich nicht lieber wischen kommen, ab und zu?”

Das Letzte; Pharao;
Am Anfang; Vögelchen;
Nackt; Indianer;
Stalin; Kapitalisten;
Pinguinhahn; Chefarzt;
Hartmutchen; Persien;
Commune; Geil;
Knutschen; Kapital;
Kamel; Frühling;
Iljitsch; Weiß;
Philo; Sie Idiot;
Magenkrebs; Nele;
Königin; Grieche;
Elefant; Robin Hood;
Woman; Mordsleute;
Bulgarien; Marx;
Döbeln; Witwen;
Leopard; Senf;
Jesus; Thyl;
Hunde; Lamme;
Autsch; Platon;
Flußpferd; Saudis;
Tauben; "Arche";
Huacsar; Ratte;
Sihetekela; Lesbe;
Steaks; Giordano;
Linke; Das Recht;
Miststück; Sartre;
Genosse; Libre;
Nebuk...; Chesus;
Lennon; Dr. Schwarz;
Towarisch; Afrika;