1.

Auch Uhlmann hätte alle diese Kreons, Neros und Mars-Despoten erschlagen.

Im vorletzten Stadium des Cäsaren-Wahnsinns klatschten sie alle Nasen lang in die fetten Hände, und immer dann sprangen von imponierenden Treppen magere und platte Tänzerinnen ins Bild. Sie trugen züchtige Bikinis, trippelten von rechts nach links und hin und zurück über die Bildschirme, und wenn sie lasziv werden sollten, bogen sie die flachen Köpfe und Oberkörper nach hinten. Die Sünden-Königinnen dieser Ensembles schüttelten dazu die Schultern, und diese Szenen waren wirklich zum Tyrannenmorden langweilig. Wenn die Chefagentin das wußte, würde sie es ihrer Stripperin einfach nicht gesagt haben, und wußte sie es selbst nicht, dann würde sie es jedenfalls nicht von Uhlmann erfahren.

Uhlmann hatte lange genug gebraucht, so taub und blind zu werden, daß er diese Art Aufträge annehmen konnte. Innerlich protestierte er immer noch gegen die Zumutung, die Eröffnungsfeiern der Buletten-Tempel auf dem Prenzlauer und dem Lichten Berg filmen und verschneiden zu sollen, aber nur als Video-Proletarier konnte er sich die schwache Hoffnung machen, Nele von ihrer Lehr-Lesbe zurück zu gewinnen.

“Tja, immer nehmen sich die Sieger die schärfsten Weiber als Sklavinnen”, hatte Lamme Uhlmanns Entdeckung kommentiert, ohne vom bunten Schulungsmaterial aufzusehen. “Seit Kassandra ist das so, und nicht mal wir haben eine Versicherung dagegen im Angebot.”

“Sag bloß”, wollte Uhlmann einen Witz ansetzen und zündete sich eine Zigarette an, obwohl die vorige noch in einem Aschenbecher voller zu früh ausgedrückter Kippen qualmte.

“Und dann hat sie dir das vor fast einem Jahr selber gesagt”, behauptete Lamme.

“Wirklich? Und warum sollte sie das getan haben?”

“Was weiß denn ich?” Lamme hob den Solar-Taschenrechner, um ihn effektvoller auf die Papiere werfen zu können. “Vielleicht sollte das die Scheidung sein? Vielleicht wollte sie ja schon vor der Kehrtwende mal wieder Sex mit dir?”

Uhlmann bog die Unterlippe, zwischen die Zähne und kratzte mit den Zähnen gegen den Strich der Bartstop­peln. Er addierte die Tisch- und Bett-Zänkereien, Neles Party-Sucht und den neuen gebrauchten “Trabant”, und dabei bekam er heraus, daß er wohl ein ziemlich großes Problem hatte. Außer der Fitness-Wiese Lord Baskervilles, der Gänge der Kaisers-Kaufhalle und dem Korridor des Arbeitsamtes kannte er kaum eine Gegend seines neuen Landes, und die Leichtzigaretten kamen nicht gegen die billigen Kalorien in erdnüssen, Schokoladen und Ölsardinen an. Sogar für den Sex, den er noch vertrug und brauchte, mußte er nur bis elf vor dem ersten Farbfernseher hocken bleiben, und umgekehrt schleppte die Briefträgerinnen tonnenweise Kataloge ins Haus, anstatt einen dünnen Brief mit dem ersten Vorstellungstermin in den Kasten zu stecken. Obwohl er das vor Nele und Lamme  immer bestritten hätte, schrieb Uhlmann ja heimlich Bewerbungen für alles außer der Anstellung als Versicherungsvertreter. 

Trotzdem war Uhlmann skeptisch gewesen, als Lamme ihm den Koffer mit der gebrauchten SVHS-Kamera, finanziert mit den Prämien für die Rentenversicherung von Achtzehnjährigen, auf den Küchentisch stellte.

“Zweihundert Mark für Stunden bei einer Goldenen Hochzeit”, sagte er düster zu seinem Dolmetscher.

“Wenn der Wasserpreis steigt, wird der nicht mal sein Kaffeewasser verdienen”, zischte Nele. “Das kannst du ihm ausrichten!

“Wenn der Wasserpreis steigt”, wiederholte Klaus Lammert gähnend, “wirst du ihrer Meinung nach nicht mal mehr das Kaffeewasser verdienen.”

Uhlmann straffte den Rücken und holte die Luft für den lange geplanten Gegenschlag. “Wenn ich auf Geschäftsfrauen scharf wäre, das lasse bei Gelegenheit mal durchblicken,  würde ich mit Beate Uhse schlafen!”

Klaus Lammert duckte sich über den runden Küchentisch und schwieg.

“Auch einmal pro Olympiade”, höhnte Nele. “Denkt er, das macht mich eifersüchtig? Und macht die Oma an?”

Klaus Lammert stöhnte, und Uhlmann bekam rote Ohren. Als esse er nicht ohnehin zuviel, zog er die Pfanne mit der Paella näher und schaufelte den beträchtlichen Rest auf seinen Teller.

Nach einer Weile knirschte Nele mit den Zähnen. Langsam, sehr langsam rutschte sie mit dem Stuhl so, daß Uhlmann sehen konnte, wie sie die Knie auseinander bog und Lord Baskerville am Halsband dazwischen zerrte. Lord Baskerville war Neles Schäferhund, und obwohl er seinen neumodischen Konservenfraß nicht stehen ließ, gehörte er zu Uhlmanns rotgrüner Partei. Die Wahlergebnisse hatte der Lord nur aus Solidarität mit Uhlmann beheult, aber auf seiner Spielwiese hatten Mitsubishi und Ford ihre Maschendraht-Kraale errichtet und in seinem angestammten Revier hatte er unlängst einen ersten Wessi-Kampfhund gewittert. Wenn Nele also den braungrauen und unrasierten Kopf des Lords auf ihrem Schoß wollte, war das wohl ein unmißverständliches Friedensangebot an seinen Zwillingsbruder Uhlmann.

“Das Letzte übersetzt du ihm vielleicht doch besser nicht”, flüsterte Nele noch zusätzlich. “Oder?”

Auch Uhlmann wollte sich überwinden. “Okay!” Er angelte den Geschäfts-Kalender aus dem Telefonregal. “Da gehe ich eben morgen früh zu dieser Frischfleisch-Agentur, die ihre Stripperin konservieren will. Ich wollte...” Uhlmann biß sich einen Augenblick und eine Ewigkeit zu spät auf die Zunge.

Nele gab Lord Baskerville einen Klaps zwischen die Ohren, griff ihr Rauchzeug vom Tisch und bewegte sich wie eine Traumwandlerin. Sie kroch in die Toilettenkammer, dem Kühlschrank gegenüber, durchquerte stumm die Küche und verschwand im Schlafzimmer. Nele konnte freilich nicht ahnen, daß ihre eigentliche Rivalin die eher zu gut angezogene Chefagentin war.

“Ich, ich bin”, stotterte Uhlmann, mit einem Mal heiser. “Guten Tag!”

“Ham wir seit ‘nem Jahr nicht mehr. Kommt auch so schnell nicht wieder rein.” Die Chefagentin stieß die linken gepflegten Finger in die Lockenwolke über der Stirn. Sie war fast so groß wie Uhlmann,  aber sie hatte sich ein Katalog-Kleid übergezogen  und war auch sonst aus der bunten Katalog-Welt herübergekommen. “Aber es ist nett”, witzelte die Chefagentin weiter, “daß Sie sich vom Aufschwung unterscheiden und uns nicht warten lassen.”

Uhlmanns Jeans kratzten die Papageien im Kunstseide-Urwald der Chefagentin, weil in ein und demselben Korridor Stoffkulissen mit Theaterscheinwerfern kämpften, Hochglanz-Plakate zwischen eine Schuhsammlung rutschten und zwei Katzen in Uhlmanns Stimmung waren.

“Das ist ‘n Kabarettext, den ich können müßte”, meldete sich aus der Küche der Mann seiner Chefin. “Willste ‘n Kaffee?”

Uhlmann knurrte ergeben. Die Chefagentin führte ihn in das Wohnbüro, wo an der teuersten Ost-Schrankwand Haftzettel mit Terminen klebten, auf Samt-Sesseln halbfertige Zeltstoff-Jacken lagen und über dem Sofa mit der elektrischen Nähmaschine statt Familien- Theaterfotos hingen. Auf einem der Fotos stand  die Chefagentin als jüngere Regisseurin blumenumstellt vor einem beachtlichen Vorhang, und der Mann seiner Chefin hatte schon einmal  den Schädel aller Hamlets halten und besprechen dürfen.

Uhlmann stapelte die Näharbeit um und rückte einen Stapel unausgefüllte Versicherungs-Urkunden beiseite, um Platz im Sessel zu haben und den Alu-Koffer mit dem Camcorder auf dem Sofa unterzubringen. Er nahm die arg gebrauchte Maschine heraus und begann mit den gepaukten Handgriffen, nach denen sie meistens lief.

“Wenn Sie wirklich gut sind”, begann die Chefagentin und stellte Uhlmann eine goldgerandete Sammeltasse hin.

“Oh, in Wirklichkeit bin ich nicht einmal gut.”

“Wenn Sie wirklich gut sind und die Kleine Glück hat, wird sie sich vielleicht in der MITROPA Döbeln ausziehen dürfen.”

“Im Selbstbedienungs-Abteil”, witzelte der Mann seiner Chefin.

Er allerdings klang gehässig, als habe ihn die Stripperin trotz Drei-Tage-Bart und Miami-Vice-Kostüm abblitzen lassen. “Obwohl sie auch was für’s CRAZY HORSE Paris wäre: kreuzlahm, bißchen überreif und bißchen schwanger.”

“Paris ist doch nicht halb so crazy wie Döbeln”, widersprach Uhlmann. Er hatte die Frau auch noch nicht tanzen sehen. “Aber auch wenn sie nur bis in die MITROPA-Küche kommt... Fünfhundert waren ausgemacht, die Hälfte sofort!”

Die Chefagentin nickte. “Udo, der Umschlag muß in der Konzeption für den Kirchentag stecken.” Sie steilte die Locken beidhändig und räkelte sich in ihrem Sessel, wohl um Uhlmann zur Frage zu provozieren, warum sie sich nicht selbst auszog. “Ich mußte sie im Paket nehmen”, erklärte die Chefagentin, während Uhlmann zu Ende rauchte. “Sozusagen als Anhänger an ‘ne irsche Folklore-Band. Falsche Iren sind das einzige, was zur Zeit geht.”

“Mir ist auch immer öfter nach irischer Folklore”, gestand Uhlmann, “nach nordirischer...”

“Jetzt ist nicht Staatsbürgerkunde!” Udo, der Mann seiner Chefin, warf den Briefumschlag in den Kofferdeckel.  “Wir müssen sie nämlich genau an der Promille-Grenze zwischen Nonne und Schnapsdrossel erwischen.” Er sah durch den Spalt der Tür zum Nebenzimmer und drehte sich zu Uhlmann. “It’s show time!”

Uhlmann nahm den Sucher vor das rechte Auge, stand auf und sah in ein geräumiges, unaufgeräumtes Kinderzimmer. Vielleicht konnte er seinen Anfangsfehler beim Schnitt sogar nutzen, das gestochen scharfe Spielzeug-Regal hinter dem verschwommenen Zappeln. Als die Entfernung und die Blende stimmte, verwackelte Uhlmann durch sein höchst unprofessionelles Aufatmen. Er hatte nicht die Tochter der Chefagentin im Visier. Die Tänzerin war klein,  aber eher vierzig  als vierzehn,  und in ihrem straffen schwarzen BH  wogte genug für die MITROPA von Dresden. Uhlmann zoomte diesen Effekt: den kalten Glanz des Stoffes und das beginnende Schwitzen. Trotzdem war Neles Wut ganz und gar unangemessen gewesen.

Der Billig-Recorder auf dem Fensterbrett verzerrte Sinead O’Connor bis zur Unkenntlichkeit, und das Rauf- und Runterschieben von Strumpfhaltern und Strümpfen war für Uhlmann nicht erotischer als das Auf und Ab der Balken in einer Wahl-Hochrechnung. Die dunkelblonden Haarspitzen am Rand des winzigen Höschens interessierten ihn zwar, waren aber zu schlecht zu sehen, und nach den Spuren der vom Mann seiner Chefin diagnostizierten Schwangerschaft konnte Uhlmann nur kurz suchen. Der antistalinistische Widerstand von Döbeln brauchte einen Streifen, bei dem er sich cäsarisches Format träumen und reiben konnte, und zumindest die Miet-Tänzerin war steif genug für diese Vorstellung.  Es war zum Tyrannenmorden langweilig.

Uhlmann sah Hausfrauen-Fingernägel mit dem BH-Verschluß kämpfen, und es überraschte ihn, daß die Tänzerin ein einziges Mal geschickt wurde und im Takt blieb. Sie präsentierte ihm die Titten in dem Augenblick, in dem sie die Trauergarderobe von riesigen Brustwarzen zog und fast daumendicke Zitzen offenbarte. Daß seine Jeans sofort spannten, ärgerte Uhlmann nun aber schon, und vor Häme atmete er zu stoßweise für eine ruhige Aufnahme, als die Frau sich auch unglücklich an der Akrobatik versuchte. Sie kniete sich hin und arbeitete sich in den Spagat, und sie bog den Oberkörper weiter zurück, als ihr nach der ganzen Nummer zuzutrauen war. Vor Anstrengung zuckend und sachlich schnell fuhren die Hände an den Schenkeln entlang nach oben, und mit einem verzweifelten Ruck entfernten sie auch noch das letzte Stückchen Stoff von ihrem sichtlich beleidigten und unprofessionell nassen Körper.

“Black”, rief die Chefagentin, aber in ihrem unaufgeräumten Kinderzimmer gab es natürlich keinen Lichttechniker.   

Die Hallogen-Lampen brannten weiter, und Uhlmann zoomte die angestrahlte Möse, ging zwei Schritt näher in die Knie und fand ohne Mühe den Schalter für die Makro-Einstellung. Nun sah er die Haare wie das Drahtgewirr um fleischige Wülste, in denen wie eine Knospe oder die Spitze einer gebunkerten Rakete die Klitoris-Spitze abwartete.  Irgendwie bekam die Stripperin all dies mit, aber sie kam nicht schnell genug aus ihrer Position, um abwehren zu können.

“Entschuldigung”, sagte Uhlmann, wieder in ziemlich sicherer Entfernung, “aber wenn Ihnen die letzte Szene weniger gefällt als mir, lösche ich sie eben.”

Die Stripperin heulte auf wie frisch gekündigt, und die Chefagentin stieß Uhlmann und Udo ziemlich grob in das Wohnbüro zurück. Die Tür knallte, aber das Heulen blieb unerträglich.

Uhlmann legte den Camcorder auf seine Schaumstoff- Matratze, ließ sich in den Sessel fallen und merkte erst dann, daß er wie nach einem eigenen Entblößungstanz schwitzte.

“Und? Habe ich untertrieben”, triumphierte Udo, der Mann seiner Chefin. Er goß Uhlmann Kaffee nach und mußte ihm die Zigarette fast zwischen die Finger stecken.

“Das Gesicht”, überlegte Uhlmann leise.

“Klar, Sitting Bull wäre neidisch drauf gewesen. Aber da sieht man ja nun nicht mal bei ihr hin!”

Uhlmann schüttelte den Kopf. “Habt ihr’n Foto von ihr, ‘ne Karteikarte oder so?”

Uhlmann langte nach der Tasse, und seine Finger wußten schon, was er einfach nicht in den Kopf bekam. Uhlmann schwappte Kaffee auf die Untertasse und zog eine breite Spur über das rechte Hosenbein bis hinauf zum Hemdkragen.

“Oder laß es”, flüsterte Uhlmann dem Mann seiner Chefin nach. “Laß es ruhig! Das..., das ist..., war... Meine Frau, meine Ex-Frau.” Uhlmann kicherte. “Und amtlich ist sie sogar meine Witwe.”

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