Uhlmann stöhnte leise, zur Probe.

Im Wohnbüro der Chefagentin war es verständnisvoll leise  geworden, und es wäre passend verrückt  gewesen, die Situation auszunutzen. Klein und schon nackt hätte sich Margit nicht ernsthaft wehren können, und außerdem war Uhlmann sicher, daß sie es nicht einmal gewollt hätte. Er hatte nie verstanden, was Margit eigentlich an ihm gefunden hatte,  aber er hatte eigentlich nie aufgehört, Margits Indianergesicht, ihren Großkopf und ihre großen Ohren zu lieben. Ihre Liebestöter aber lagen nicht länger zwischen ihnen, weder die Rentnerverschwörung zu Wandlitz noch die Kinder-Guerrilleros von  El Salvador,  weder die kranken Frösche noch die blanken Cruise Missiles.  Es gab sie alle  weiter, aber Uhlmann und Margit mußten sich nicht länger die Köpfe darüber  zerbrechen und die Münder damit voll nehmen, was sie beide gegen diese und für jene unternehmen konnten.  Alle hatten ihr Asyl, ihre Hilfskomitees und ihre Verträge, und daß sie nur noch sich hatten oder haben konnten, mußte sie wieder zusammenbringen, fester als je zuvor.

“Und du kriegst wirklich ein Kind”, fragte Uhlmann.

“Und du hast  wirklich  ‘ne Negerin”,  fragte Margit. “Wie  ist das? Ich meine: wie ist sie?”

“Bunt”, sagte Uhlmann. Er atmetete auf und setzte sich auf die Bettkante. “Ehrlich! Ich wäre ja selber nie drauf gekommen...”

Als wäre er zu seinem Grab gekommen, um sie zu treffen, hatte Nele beschlossen, ihren Thyl mit nach Hause zu nehmen, und Uhlmann wurde ja nirgendwo anders mehr erwartet.

“Carvalho”, las Thyl das Türschild und schubste Fritz mit dem Knie. “Heißt das nicht Pferd? Lord Baskerville, Eure Schafshundliche Dreikäse-Hoheit heißen mit Familiennamen also Pferd. Aber Witze über Frauchen werden damit nicht gemacht, psst!”

“Ach,  Stute nennt mich immer mal wer”, lachte Nele. Sie war eine Treppe hinter den Kerlen geblieben, um sie an einer plötzlichen Flucht zu hindern. “Meine halbe Schule hat sich den Witz gemacht, und Kuh wäre mir echt peinlicher.”

Als Nele Hund und Mann in der Wohnung  eingeschlossen hatte, wurde Thyl hektisch. Er klinkte die Türen zu beiden Zimmern auf und wieder zu und trat von einem Fuß auf den anderen.

“Schlafzimmer, Küche und links abbiegen”,  beschrieb Nele den Weg und begann, sich aus dem Arbeitsanzug zu knöpfen. “Ja,  und reiße  das Geschirr nicht um,  renn dir aber auch nicht den  Kopf ein!” Nele hörte Thyl fluchen,  weil ihn der Dachbalken natürlich doch erwischt hatte,  und sie trat die Turnschuhe herunter, stieg aus dem Overall und zog auch den Montag-Slip aus. “Und  Fritz, Lord Baskerville?  Nehmen wir den Typen nun ins Bett oder für die Suppe?”

“Oh,  das... Das ist mir nun echt...” Thyl kam mit offener Lederhose aus der Bedürfniskammer und stolperte beinahe über seine Königin von Saba,  die rappendustere Stute. “Aber mit einem Kleinen in der Krone kann man sich da drin nicht wieder... Ich wollte wirklich nicht... Das heißt: eigentlich will ich schon, aber...”

Nele biß die Hälfte der letzten Bockwurst ab und  hielt den Rest für Thyl über den Kopf.

“Die  Bahnhofskneipe und du, ihr seid schuld,daß wir uns nur noch flüssig ernähren können.”

Nele holte die Wodka-Flasche aus dem Tiefkühlfach, trank und legte sich auf den Rücken, in ihrem weißen Frottee-Bademantel braun wie halbbittere Schokolade, schweißglänzend auf dem staubigen Kokos-Läufer. Thyl zögerte nur einen Augenblick. Im früheren  Leben hätte er an den Infarkt des Kühlaggregats und an den Tellerberg des Damokles gedacht, aber seine zweite Hebamme war ja Schwester Carmen gewesen. Er trank auch und kniete sich zwischen die Knie der Königin von Saba, und sie erlaubte ihm nur noch, die Hosen bis  in die Kniekehlen zu schieben.  Dann zog sie ihn auf sich, und sie biß ihn mit den sprichwörtlichen und leider auch namentlichen  Pferdezähnen in den rechten Lederarm, drückte und krallte ihm die Finger in die Leistengegend.

Als Neles Herz wieder richtig tickte, stand sie  auf und ließ den Bademantel wie eine Eierschale zurück.

“Leder  auf Haut ist schon irre”, sagte Nele von oben  herab. “Aber nun zieh die Jacke und so aus, und laß es uns richtig treiben! Ich habe echt Appetit auf dich gekriegt!”

“Jetzt erst”, fragte Thyl. “Und gekriegt?” Er schlich Nele zum Bett nach und klang nicht enttäuscht und beleidigt, nur ziemlich unglücklich. “Du, es geht bestimmt nicht gegen dich, und ausgeschlafen und mit ein bißchen Blut im Alkohol...”

“Natürlich geht es nicht gegen mich! Es geht auch gar kein Weg um  mich herum”,  sagte Nele und legte sich in das  ScheinwerferLicht der Bücherbrett-Lampe.  “Ich bin nicht nur eine Stute, sondern auch Nele, die Hexe! Erzähl mir! Findest du mich schön?”

“Du hast ein bißchen ein Pferdegebiß, sagte Thyl und klemmte sich auf die Bettkante. “Aber die Wulstlippen passen dazu, und wenn ich darf, wüde ich deine Nase eine..., eine Clownsnase nennen, ja?”

“Ein Affennächen”, bestimmte Nele. “Und weiter?”

“Du bist bunt”, sagte Thyl und streichelte, was er besprach. “Im Prinzip schön durchgebraten, entenbraun... Die  Augen grün, die Lippen fast violett...  Und die Zitzen... Fast weiß an den Fußsohlen, über den Knöcheln fast schwarz... Und um die Muschi, sagt ihr so im Buschi, auch... Und da drin... Ist das noch Rosa?” 

“Siehst du”, sagte Nele und faßte an Thyls Steifen, als wollte sie sich daran aufrichten. Dann beugte sie sich darber und  begann, ihn knochenhart zu lecken. “Kennst du mein Buch der Bücher, du”, fragte sie zwischendurch. “Die Geschichte von  Ulenspiegel und Lamme... Deshalb bin ich auf der Welt... Und jetzt haben wir uns alle drei wieder getroffen:  Thyl, Nele & Lamme...  Und jetzt geht was los, kann ich dir sagen!”

Nun stöhnte Margit. Sie drehte sich von Uhlmann weg und stieg auf der anderen Seite aus dem Bett. Ihre Sachen lagen dort  auf  dem Kinderschreibtisch,  aber vor allem wollte sie Till nur  noch den Rücken zeigen, die kalte, zitternde Schulter.

“So waren wir nie, nicht?”

“So sind wir auch nicht mehr”, sagte Uhlmann eilig. “Ich...”

“Und ich bin schwanger, ja!  Und ehe du weiter fragst: ja, das ging nur noch künstlich, technisch. Und sie machen das nur, wenn überhaupt, für Verheiratete.”

“Mein Mörderchen, du hast den fetten Vetter Hartmut...?”

Uhlmann lachte falsch,  stand auch vom Bett auf und ging zur Balkontür. Eigentlich hätte zur Abwechselung nun er springen müssen, aber es goß in Strömen.

Er hatte Margit, für die er ja tot und begraben gewesen war, eine Chance geben wollen, und er hatte sich hunderte ausgedacht: sie hätte sich von ihm aus in einen künftigen Papst verlieben oder an einen verdorrenden Funktionär hängen dürfen, hätte in einen goldenen Käfig oder vor dem ganzen Land in den Westen ziehen dürfen.  Uhlmann hätte ihr eine gut proletarische, bürgerliche oder professorale Ehe gewnscht, ganz nach ihrer Wahl, und er war ja in das Kinderzimmer gekommen, um ihr die ersten Schritte auf dem Strich zu verzeihen. Er...

“Er ist nicht mehr fett”, sagte Margit. “Er lebt makrobiotisch und schwärmt für Bodybuilding. Und er fährt einen BMW, ja, und er wählt...”

“SPD”,  riet Uhlmann und sagte  es mit seiner größten Geringschätzung.

“Du haßt ihn ja nicht bloß”, sagte Margit und zog einen langen  Reißverschluß zu, “du kennst ihn ja sogar. Tja,  so ‘ne Scheißer sind wir, und die Fabrik haben wir auch zurückgekauft.”

Uhlmann kicherte. “Ich könnte bestimmt geltend machen,  daß er Opas Erbe als FDJ-Bonze politisch erpreßt hat.” 

“Könntest du bestimmt”, sagte Margit, “aber du wirst mir die ganze Scheiße lassen, du Jesus. Du hast ja deine Negerin...”

Uhlmann drehte sich um und sah Margit an,  die wirklich alles aufbot, damit er ihr Auf Nimmerwiedersehen sagte.  Sie wollte ihm weder  imponieren noch wollte sie sich entschuldigen, und darin war sie dummerweise noch immer seine Liebe: sie meinte es wieder todernst. Sie strippte nicht, obwohl, sondern weil Vetter Hartmut Unternehmer war, und sie würde einmal in ihrem spanischen Ferienhaus sitzen und wissen, daß am anderen Ufer der Meerenge von Gibraltar Uhlmanns Neger die Boote für die Invasion  zimmerten  und die Messer zum letzten Gefecht schliffen.

“Du bist ja nicht nur mit ihm verheiratet”, sagte Uhlmann, “du haßt mein Mörderchen ja noch mehr als ich.”

“Sag ihnen nichts”, verlangte Margit und bog den Kopf in Richtung der Wohnbüro-Tür. “Und ich hoffe, du kannst aus meinen Verrenkungen einen guten Film machen. Hoffe ich für deine Firma...”

Margit ging durch die andere Tür, und Uhlmann hielt sich noch ein paar Minuten beim Einpacken des Camcorders auf. Der ärgerliche Punkt an Margits Arrangement war nur, daß er und  Nele und Lamme auch gern in Spanien gesiedelt hätten, in Italien oder in Griechenland vielleicht. Uhlmann grinste, weil er an Lamme nicht als an Klaus Lammert gedacht hatte. Wahrscheinlich  hatte Nele eben doch mit dem Unsinn Recht,  daß sie durch das Buch der Bücher und für seine Verheißungen lebten.

“Der  Aufschwung geht jetzt wieder”,  sagte Uhlmann in die Küche, wo die Chefagentin und der Mann seiner Chefin schon wieder Kaffee tranken. “Morgen, übermorgen und so habe ich Hochzeitstag, aber nächste Woche könnt ihr das Band haben.”

“Sie”, fragte die Chefagentin romantisch hoffnungsvoll.

“Kennt ihr den berühmten Cuamato-Häuptling Sihetekela”, fragte Thyl und winkte zum Abschied mit Zeige- und Mittelfinger.

Das Letzte; Pharao;
Am Anfang; Vögelchen;
Nackt; Indianer;
Stalin; Kapitalisten;
Pinguinhahn; Chefarzt;
Hartmutchen; Persien;
Commune; Geil;
Knutschen; Kapital;
Kamel; Frühling;
Iljitsch; Weiß;
Philo; Sie Idiot;
Magenkrebs; Nele;
Königin; Grieche;
Elefant; Robin Hood;
Woman; Mordsleute;
Bulgarien; Marx;
Döbeln; Witwen;
Leopard; Senf;
Jesus; Thyl;
Hunde; Lamme;
Autsch; Platon;
Flußpferd; Saudis;
Tauben; "Arche";
Huacsar; Ratte;
Sihetekela; Lesbe;
Steaks; Giordano;
Linke; Das Recht;
Miststück; Sartre;
Genosse; Libre;
Nebuk...; Chesus;
Lennon; Dr. Schwarz;
Towarisch; Afrika;