Tania nickte träge. Sie hatte ihren freien Abend, aber sie ersparte es sich einfach, darauf zu bestehen oder nur daran zu erinnern. Solange sie ihren Job nicht dramatisierte, war er für alle wenig aufregend, und ob sie nun nackt in ihrer Kaninchenbox herumlag oder im Kittel durch die Küche wirbelte, war keine Frage der Moral und Würde, sondern eine Frage der Zweckmäßigkeit. Fünf Genossen hatten sich alle Mühe gegeben, ihr eben das begreiflich und fühlbar zu machen, und nun war sie ihre Königin, weiß und kalt und allgemein wie Schnee.

Es belästigte und langweilte die Schneekönigin Tania nur noch, daß Fritz über ein Problem aus ihrer Urzeit reden wollte. Er war in Uniform in die Kaninchenbox geschlichen und hatte sich auf die Bettkante gesetzt, um davon zu philosophieren, daß sie beide Mitarbeiter derselben, nicht direkt wohltätigen Organisation waren. Ihr gemeinsames Recht zur leider notwendigen Härte gegen andere, erinnerte der Oberstleutnant, war nur die äußere Gestalt ihrer Pflicht zur selbstverständlichen Härte gegen sich selbst. Seine ernsten Worte bewegten die Tania nicht mehr als seine schwitzenden Hände, und eigentlich belästigte Fritz sie nicht einmal mehr.

Wahrscheinlich wollte er ihre körperliche Absolution für das halbjährliche Ertränken überzähliger Kätzchen oder den versehentlich ausgelösten Weltkrieg.

“Ich konnte mir nur nicht vorstellen”, sagte die Tania träge, als er ihre Antwort abwartete, ”daß aus einem so hohen Prinzip auch und gerade das zu folgern ist.”

”Das scheint dir noch immer unmoralisch, ja?” Der Oberstleutnant tätschelte der Schneekönigin den Oberschenkel, knetete ihr die linke Brust und grinste. Noch nach über einem Jahr in diesem Dienst war die Zitze empfindlich, schwoll sofort und bestätigte ihm den Blick des guten Stuteneinkäufers. Trotz ihres Sehfehlers, ihres Berufes und ihrer Frustrationen hatte er in Tania ein Wesen erkannt, das nur nach dem Anstoß, dem Zwang gierte, alle verschütteten Talente offenzulegen, alle heimlichen Lüste auszuleben. ”Aber in Wirklichkeit wäre unmoralisch”, sagte der Oberstleutnant im Stil der Komödie, die die Tania trotzdem gespielt haben wollte, ”wenn wir dafür eine Professionelle gemietet oder gar, was das ja bedeuten würde, importiert hätten. Thailand, Ghana, dritte Welt...”

”Da hast du Recht, aber...”

”Aber”, fragte der Oberstleutnant und drückte die Nägel von Daumen, Zeige- und Mittelfinger in die Zitze.

...aber du bist sicher nicht zum Diskutieren hier”, wimmerte Tania. Ihr schossen Tränen in die Augen, und der gemeine Griff, der die besondere Spezialität des Genossen Vampir war, tat ihr noch am wenigsten weh. Daß sie wieder hereingefallen war, sich eine Winzigkeit aus der dicken falschen Haut gewagt hatte und tiefer als je in sie zurück mußte, zerriß ihr die Brust und das Gehirn. ”Bitte, Fritz! Nur das wollte ich sagen, ehrlich!”

”Dann nimm den Stuhl mit ins Bad!” Während die Tania gehorchte und erriet, daß sie sich auch setzen sollte, ließ der Oberstleutnant die Nixe Trixi in die Kaninchenbox. ”Die schneidet dir die Haare, und dann wäschst du dir den Tuschkasten aus dem Gesicht.”

”Bevor wir die Schicht tauschen, müssen wir uns austauschen”., sagte Trixi und begann ihre Arbeit sachlich und energisch. Sie drehte das Wasser auf, regulierte die Temperatur und beugte den Kopf der Tania über das Duschbecken.

Trixis Hände waren kräftig, rauh und zu ihrem Leidwesen deutlich geädert, trotz aller Pflege noch immer Friseusen-Hände. Noch immer liebten sie Wasser, Seife und Haar so sehr, wie Trixi den Beruf als solchen haßte. In allen Jahren ihrer Fronarbeit hatte sie nicht einen interessanten Menschen in die Hände bekommen und kennengelernt. Das Wetter und der Bäcker gegenüber des Billigsalons waren die großen Themen ihrer Kunden-Gespräche gewesen, Lobpreisungen der billigsten Farben und Verwünschungen der phantasievollen Punk-Frisuren. Wo sie nach Feierabend nach ihrem Job gefragt worden war und wenn sie ehrlich geantwortet hatte, hatten die nächsten Blicke und nächsten Sätze nur zweierlei bedeutet: staatlich geprüftes Freiwild oder arbeitsscheues Dummerchen. Es war nur logisch gewesen, daß sie schließlich von der Kasse hinter einen Frisierstuhl getreten war, der als elektrischer Stuhl an einem Lotterie-Computer hing. An jedem Tag flackerte in irgendeiner Werkstatt der Zunft zu irgendeiner Sekunde das Licht, und dann dampfte nicht mehr nur das Wasser aus der Handbrause, schmorten nicht mehr nur zu lange getrocknete Locken.

Als Trixi ihr mit dem Handtuch über Schultern und Brüstchen rieb, zuckte die Tania auf, und routiniert nahm Trixi die wie kunstblonden Locken ins Tuch, grinste und rubbelte extra derb. Ihr zweiter Tagtraum war immer gewesen, daß sie mit dem Tritt nach dem Pedal nicht den Sitz nach oben fuhr, sondern silbern glänzende Fuß-, Hand- und Halsfesseln auslöste. Der arrogante Kinnbart und die kumpelige Nachwuchs-Sängerin würden nicht glauben wollen, daß das gespiegelte braune Wuschelköpfchen mit dem blassen Puppenmund und den grünen, leicht grün umschatteten Augen Berlins kaltblütigster Mörderin gehörte. Vielleicht oder sogar wahrscheinlich nahmen sie an, daß es Trixi genügen würde, auf dem ausgeknöpften angststarren Stengel zu turnen oder Brüste an Brüsten grobe Frauenärztin zu spielen. Sie würden nicht einmal zu klagen wagen, wenn Trixi ihnen mit der Pinzette Haar um Haar Brauen und Wimpern entfernte. Dann kam das Blankrasieren der Köpfe und zum Schluß der ganz ungewohnte Gebrauch eines Rasiermessers, oberflächlich, einschneidend und tödlich in drei deutlich unterschiedenen Runden.

”Für meine Begriffe steht dir der Schnitt nicht”, sagte Trixi, klopfte Tania zum vorletzten und letzten Mal gegen die Kopfhaut und schnitt die vorletzte und letzte Strähne auf Fingerbreite herunter. ”Wie ‘ne Zahnbürste siehst du aus, aber der Alte besteht nun einmal darauf.”

”Der Genosse Generalmajor”, verbesserte der Oberstleutnant mit halbem Eifer und stellte Kehrblech und Handfeger in die Naßzelle. ”Gott, der Genosse Generalmajor besteht nun einmal auf einem ordentlichen, militärisch kurzen Haarschnitt.”

”Und warum nur bei mir”, fragte die Tania, und das war eher Koketterie als Klage.

Mit nassem Gesicht vor dem Rasierspiegel hatte sie die Antwort ja vor Augen. Die Nixe Trixi wäre kahl einfach verdorben gewesen, eine Jungfrau von Orleans, gegen die sich kein Glied geregt hätte, eine Aufforderung zu Mitleid. Tania wäre auch kaum in der Lage gewesen, sie so korrekt und radikal zu scheren.

”Na, streng genommen habe ich auch mit noch keiner Frisur gut ausgesehen.”

Für einen Moment war die Tania neugierig auf das Gefühl, den nackten Fuß auf die fast noch eigenen, nun erst recht wie kunstblonden Locken zu setzen. Es war ein in keiner Hinsicht merkwürdiges Gefühl. Obwohl es ihr unangenehm war, gerade die Nixe Trixi unterhalb ihrer gedachten Gürtellinie zu wissen, ließ die Tania zu, daß sie schon immer zusammen fegte.

”Was die Tusche angeht”, sagte Tania, als sie in die Kaninchenbox zurück schlenderte, das Handtuch vor dem Gesicht, ”habe ich eigentlich denselben Geschmack wie der Alte, äh, der alte General.”

Der Oberstleutnant, der im Spind suchte, nickte, zerrte eine Uniform-Bluse aus dem Fach und schüttelte sie auseinander. ”Hast du eine Ahnung, wie Männer lieben”, fragte er und riß der Tania das Handtuch weg.

”Allmählich schon. Das war in dem Job ja nicht nicht ganz zu vermeiden...”

”Wie Männer einander lieben”, verbesserte sich der Oberstleutnant.

Was die Tania als zynisches Grinsen begonnen hatte, wurde eine Grimasse des Entsetzens, sowenig die zu ihrem Aufzug und an ihrer Wirkungsstätte angebracht war.

”Wenigstens ahnst du es also. Dann zieh das Hemd an und zier dich nicht! Und du hast ihn anzureden: mein General, Gebieter, Großer Mann oder Präsident. Der Genosse Generalmajor hat halt ein paar fixe Ideen und ist in einer Position und in einem Alter, in der und in dem wir ihn nicht mehr umerziehen können. Ich nicht, nicht du.”

Die Tania nahm das Hemd mit einer schlappen Bewegung, zog sich an und knöpfte sich vom Nabel bis zum Hals zu.

”Und sollte der Alte so zufrieden sein”, schon halb im Korridor wandte sich der Oberstleutnant noch einmal um, ”daß er dir Geld anbietet, nimm es ja an! Ihn freut das, und du kannst es nachher immer noch auf ein Soli-Konto überweisen. Kann sein, daß er mal wieder Platon spielt, den Philosophen, und vielleicht ist es am besten, wenn du dich beim Lesen überfallen läßt. Na, du machst das schon.”

Der Oberstleutnant blinzelte und klinkte die Tür ein.

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